Kosten- und Gebührenrecht

Voraussetzungen für Vorliegen einer Überraschungsentscheidung

Aktenzeichen  6 ZB 17.782

Datum:
9.5.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110446
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 152a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung ist anzunehmen‚ wenn das Gericht einen bis dahin im Verfahren nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt‚ mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (wie BVerwG, BeckRS 2016, 52830 Rn. 4). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts folgt aus dem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht, sodass eine Überraschungsentscheidung nicht vorliegt‚ wenn sich die Gesichtspunkte‚ auf die sich das Gericht stützt‚ ohne weiteres aus dem anzuwendenden Gesetz ergeben oder sich sonst den Beteiligten hätten aufdrängen müssen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 ZB 17.201 2017-03-27 Bes VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren über die Anhörungsrüge wird abgelehnt.
II. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1. Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfahren über die Anhörungsrüge ist mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht zu bewilligen.
2. Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet‚ weil der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG durch seinen Beschluss vom 27. März 2017 (Az. 6 ZB 17.201) nicht verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt keine Überraschungsentscheidung vor.
Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung ist anzunehmen‚ wenn das Gericht einen bis dahin im Verfahren nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt‚ mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BVerwG‚ B.v. 9.9.2016 – 9 B 78.15 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 23.8.2016 – 4 B 25.16 – juris Rn. 9; BayVGH‚ B.v. 22.2.2017 – 3 CE 17.43 – juris Rn. 7 m.w.N.). Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts folgt allerdings aus dem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht. Eine Überraschungsentscheidung liegt deswegen nicht vor‚ wenn sich die Gesichtspunkte‚ auf die sich das Gericht stützt‚ ohne weiteres aus dem anzuwendenden Gesetz ergeben oder sich sonst den Beteiligten hätten aufdrängen müssen (BVerfG‚ B.v. 29.9.2006 – 1 BvR 247/05 – Rn. 29).
Nach diesem Maßstab ist für eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch die angegriffene Entscheidung vorliegend nichts ersichtlich. Vielmehr war es für einen gewissenhaften und kundigen Prozessbevollmächtigten geradezu offensichtlich‚ dass der Senat vorliegend davon ausgeht, dass sich die Klägerin auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 6b MuSchSoldV nicht berufen kann, nachdem der Senat zuvor sowohl in seiner Entscheidung vom 7. Februar 2017 (Az. 6 C 16.2130) über die Beschwerde der Klägerin gegen die Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags in erster Instanz als auch im Beschluss des Senats vom 6. März 2017 (Az. 6 ZB 17.201) bezüglich des Antrags der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren auf Zulassung der Berufung ausführlich erörtert und tragend zu Grunde gelegt hat, dass die Entlassung der Klägerin nach Auffassung des Senats mit ihrem Einverständnis erfolgt ist und es daher am Tatbestandsmerkmal des § 6b MuSchSoldV „gegen ihren Willen“ fehlte.
Der Klägerbevollmächtigte hätte daher ohne Schwierigkeiten erkennen können‚ dass es für die Entscheidung des Senats über den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. September 2016 auf diesen Umstand in entscheidungserheblicher Weise ankommen wird.
Hierzu hat sich der Klägerbevollmächtigte jedoch weder in der Begründung des Zulassungsantrags geäußert noch hat er die Gelegenheit genutzt‚ hierzu nach der Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags für das Antragsverfahren vorzutragen. Dabei hätte ausreichend Gelegenheit bestanden‚ entweder in der Sache selbst nochmals zu erwidern oder weitere Ausführungen zumindest anzukündigen. Von Seiten des Senats wurde nicht signalisiert‚ dass weitere Stellungnahmen oder Äußerungen der Beteiligten für erforderlich gehalten werden. Es war deshalb jederzeit mit einer Entscheidung über den Zulassungsantrag zu rechnen.
Eine Überraschungsentscheidung enthält der Beschluss des Senats vom 27. März 2017 daher nicht.
Soweit die Klägerin darüber hinaus die inhaltliche Unrichtigkeit der vom Senat vertretenen Rechtsauffassung bemängelt‚ kann dies ihre Anhörungsrüge nach § 152a VwGO nicht begründen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung dar (vgl. BVerwG, B.v. 18.3.2016 – 1 A 1.16 – juris Rn. 2). Ihr diesbezügliches Vorbringen zeigt daher keinen Gehörsverstoß gemäß Art. 103 Abs. 1 GG auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich‚ weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge eine Festgebühr nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).

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