Medizinrecht

Ablehnung eines Versammlungsleiters

Aktenzeichen  M 13 S 17.55

Datum:
6.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 163026
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 13 Abs. 5, Art. 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein eingetragener Verein, veranstaltet seit 2015 regelmäßig sich fortbewegende und stationäre Versammlungen. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wendet sich der Antragsteller gegen die Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter.
Mit Sammelanzeigen vom 23. Dezember 2015 und 28. Dezember 2015 zeigte der Antragsteller sich fortbewegende Versammlungen für jeden Montag bis Ende 2016 sowie mit Sammelanzeigen vom 28. Dezember 2015 und 4. Mai 2016 tägliche stationäre Versammlungen bis Ende 2017 an und reservierte mit E-Mail vom 30. August 2016 Standorte für die Auftakt- und Schlusskundgebungen im Rahmen der sich fortbewegenden Versammlungen bis Ende 2017.
Am 24. Mai 2016 erließ die Antragsgegnerin einen Grundlagenbescheid zur Regelung des Versammlungsgeschehens und stellte den Erlass wöchentlicher Ergänzungsbescheide in Aussicht, in denen die Voraussetzungen des Grundlagenbescheides nochmals geprüft und das Ermessen unter Berücksichtigung der aktuellen Sach- und Rechtslage neu ausgeübt werde.
Die Antragsgegnerin gab dem Antragsteller mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter. Der Antragsteller äußerte sich mit E-Mail vom 7. Dezember 2016. Am 8. Dezember 2016 fand ein gemeinsames Gespräch zwischen den Beteiligten statt.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2016, zugestellt am selben Tag, untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, Herrn M. als Versammlungsleiter für seine Versammlungen auf dem Hoheitsgebiet der Antragsgegnerin für den Zeitraum vom 12. Dezember 2016 bis 31. Dezember 2017 einzusetzen (Nummer 1). Dem Antragsteller wurde aufgegeben, für die bereits für den 12. Dezember 2016 angezeigten Versammlungen bis spätestens zwei Stunden vor dem jeweiligen Versammlungsbeginn einen Versammlungsleiter bei der Versammlungsbehörde anzugeben, bei allen weiteren Versammlungen im Rahmen von Sammelanzeigen bis spätestens 48 Stunden vor Versammlungsbeginn, wobei Samstage, Sonntage und Feiertage bei der Fristberechnung außer Betracht bleiben (Nummer 2).
Zur Begründung der Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, Herr M. biete durch sein Verhalten als Versammlungsleiter nicht die Gewähr dafür, dass die Versammlung friedlich bleibe. Sein bisheriges Verhalten lasse darauf schließen, dass er einen gewalttätigen und aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben oder zumindest billigen werde. Herr M. habe in der Vergangenheit im Verlauf der Versammlungen zu erkennen gegeben, dass er die Rechtsnormen, die die Friedlichkeit der Versammlung gewähr-leisten sollen, missachte. Dies mache die Gefährdung hoher Rechtsgüter wie Leib, Leben und Gesundheit von Teilnehmern sowie von Polizeikräften hinreichend wahrscheinlich. So habe Herr M. als Leiter der sich fortbewegenden Versammlung vom 7. November 2016 Mitarbeiter der Antragsgegnerin, die die Einhaltung einer immissionsschutzrechtlichen Auflage mittels einer Lärmmessung überprüfen wollten, über die Lautsprecheranlage ausgerufen und ihr Vorgehen negativ kommentiert. Infolge dessen seien die Versammlungsteilnehmer auf die Mitarbeiter der Antragsgegnerin aufmerksam geworden und hätten diese physisch und verbal bedrängt. Um die Situation zu deeskalieren, hätten die Mitarbeiter der Antragsgegnerin die Lärmmessung abbrechen müssen. Herr M. habe als Versammlungsleiter das Verhalten der Versammlungsteilnehmer nicht unterbunden, sondern sie dafür gelobt, ihre Ablehnung gegenüber den Vertretern der Antragsgegnerin offen gezeigt zu haben. Auch sei Herr M. als Leiter der Versammlung vom 21. November 2016 bei Aggressionen von Versammlungsteilnehmern gegenüber einem Pressevertreter sowie einem Polizisten untätig geblieben, habe sich abfällig gegenüber polizeilichen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung geäußert und dazu aufgerufen, sich zu wehren und sich das nicht gefallen zu lassen. Des Weiteren führt die Antragsgegnerin zur Begründung der Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter eine rechtskräftige Verurteilung wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe durch das Amtsgericht … vom 5. November 2015 sowie mehrere anhängige Ermittlungsverfahren gegen Herrn M. an. Die Anordnung der Benennung des Versammlungsleiters wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsteller bei den in der Vergangenheit getätigten Versammlungsanzeigen den Versammlungsleiter nicht benannt, sondern erst unmittelbar vor Veranstaltungsbeginn mitgeteilt habe. Der Antragsteller habe hierzu dargelegt, er wolle der Behörde die Namen der in Betracht kommenden Personen nicht im Vorhinein in die Hand geben, da die Gefahr bestehe, dass diese Daten an unberechtigte Dritte weitergeleitet würden. Damit bestehe die konkrete Gefahr, dass die gesetzlichen Bestimmungen zur Benennung des Versammlungsleiters unterlaufen würden und es der Antragsgegnerin unmöglich gemacht werde, exekutives Erfahrungswissen über die bisherigen Aktivitäten der Leitung in Erfahrung zu bringen.
Hiergegen erhob der Antragsteller, vertreten durch den ersten Vorsitzenden, mit bei Gericht am 6. Januar 2017 eingegangenem Schreiben Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 8. Dezember 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, Herrn M. als Versammlungsleiter für 2017 zuzulassen und dem Antragsteller zu überlassen, den Versammlungsleiter gemäß geltendem Gesetz zu benennen. Über die Klage, die unter Az. M 13 K 17.54 geführt wird, ist noch nicht entschieden.
Zugleich beantragt der Antragsteller, vertreten durch den ersten Vorsitzenden,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, die in den letzten 1 ¾ Jahren durchgeführten Versammlungen, bei denen fast immer Herr M. als Versammlungsleiter fungiert habe, seien immer friedlich gewesen. Herr M. habe als Versammlungsleiter niemals zu unfriedlichen Handlungsweisen aufgerufen oder solche toleriert und sei sowohl willens als auch in der Lage, unfriedliche Handlungsweisen von Versammlungsteilnehmern sofort zu unterbinden. Die von der Antragsgegnerin zur Begründung des Bescheides vorgetragenen Geschehnisse im Rahmen der Versammlungen vom 7. November 2016 und 21. November 2016 hätten sich nicht so wie von der Antragsgegnerin geschildert zugetragen. Hierzu legte der Antragsteller Bild- und Videomaterial vor.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 16. Januar 2017, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt die Antragsgegnerin aus, das Polizeipräsidium habe mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 und 12. Januar 2017 mitgeteilt, dass gegenüber Herrn M. eine sinkende Kooperationsbereitschaft mit polizeilichen Vertretern angemahnt worden sei. In der Gesamtschau begründe das Verhalten des Herrn M. Tatsachen, die eine Prüfung seiner grundsätzlichen Geeignetheit als Versammlungsleiter erforderlich machen würden. Die vorgelegten Videosequenzen seien nicht aussagekräftig, da sie in ihrer Auswahl, Perspektive und Güte nur ein sehr fragmentarisches Abbild der Gesamtsituation darstellen würden.
Der Antragsteller nahm hierzu mit Schreiben vom 31. Januar 2017, bei Gericht eingegangen am 6. Februar 2017, Stellung.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2017 ergänzte die Antragstellerin ihre Ermessenserwägungen. Sie teilte mit, dass Herr M. mit Urteil des Amtsgerichts … vom 26. Januar 2017 wegen Körperverletzung zum Nachteil eines Verkehrsteilnehmers am 19. November 2015, dem Abspielen eines Videos mit Hinrichtungsszenen während einer Versammlung des Antragstellers am 14. Dezember 2015 und wegen Körperverletzung zum Nachteil einer Teilnehmerin der Versammlung des Antragstellers am 3. März 2016 verurteilt worden sei. Dass das Amtsgericht die angeklagten Delikte als erwiesen angesehen habe, bestärke die Gefahrenprognose, dass Herr M. als Versammlungsleiter die Friedlichkeit der zukünftigen Versammlungen gefährde und er durch sein Verhalten als Versammlungsleiter nicht die Gewähr dafür biete, dass die Versammlungen friedlich bleiben würden. Grundlage der Gefahrenprognose sei nicht die strafrechtliche Verurteilung, sondern der dieser zugrunde liegende Lebenssachverhalt, so dass es auf die Rechtskraft des Urteils nicht ankomme. Die im Strafverfahren bis zur Rechtskraft des Urteils geltende Unschuldsvermutung sei im Bereich des Sicherheitsrechts, in dem es um die effiziente präventive Abwehr objektiv festgestellter Gefahren gehe, ohne Belang. Zwei der in die Verurteilung eingeflossenen Delikte stünden in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit als Leiter bei Versammlungen des Antragstellers und hätten als gewaltbezogene Delikte einen Bezug zu einem aggressiven, aufrührerischen Verlauf.
Die dem Gericht in einem anderen Verfahren vorliegende Strafakte der Staatsanwaltschaft … I (Az. 811 … … … …*), die den strafrechtlichen Vorwurf des Verstoßes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage durch Herrn M. unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts … vom 5. November 2015 zum Gegenstand hat, wurde zum Verfahren beigezogen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf die Gerichts- und Behördenakte sowie die beigezogene Strafakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unzulässig und unbegründet.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist mangels Vertretungsbefugnis unzulässig.
Der Antragsteller wird als eingetragener Verein gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch den Vorstand vertreten. Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, gilt vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in der Vereinssatzung das Mehrheitsprinzip (Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 26 Rn. 7). Nach der vom Antragsteller vorgelegten Satzung in der Fassung vom 10. August 2016 besteht der Vorstand aus dem ersten Vorsitzenden und dem zweiten Vorsitzenden. Für bestimmte Rechtsgeschäfte im Rahmen der Erledigung der satzungsgemäßen Aufgaben des Vereins kann nach § 10 Abs. 3 Satz 2 der Satzung durch Vorstandsbeschluss einem Vorstandsmitglied Einzelvertretungsvollmacht erteilt werden. Eine Einzelvertretungsvollmacht für den ersten Vorsitzenden, der alleine die Klage- und Antragsschrift unterschrieben hat, liegt dem Gericht nicht vor. Aufgrund dessen kann der erste Vorsitzende alleine den Antragsteller nicht wirksam vertreten.
2. Überdies ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. Art. 25 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) – keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für bzw. gegen die Begründetheit des Begehrens im einstweiligen Rechtsschutz sind.
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage zu treffende Abwägungsentscheidung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt. Auch wenn sich zum Zeitpunkt der Entscheidung aufgrund der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung noch keine abschließende Aussage über die Erfolgsaussichten der Klage, deren aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll, treffen lässt, ist zumindest tendenziell ein Erfolg der Klage unwahrscheinlich. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Dezember 2016 ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
a) Rechtsgrundlage für die in Nummer 1 des Bescheides vom 8. Dezember 2016 erfolgte Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter ist Art. 13 Abs. 5 BayVersG.
Danach kann die zuständige Behörde den Leiter einer Versammlung ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Eine Gefährdung setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt (BVerfG, B.v. 21.4.1998 – 1 BvR 2311/94 – NVwZ 1998, 834). Nach der Gesetzesbegründung orientieren sich die materiellen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 5 BayVersG an der in Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) formulierten Schutzbereichsgrenze der Friedlichkeit einer Versammlung (LT-Drs. 16/1270, S. 8). Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Dabei sind die Begriffe „unfriedlich“, „gewalttätig“ und „aufrührerisch“ als Schranken eines Freiheitsgrundrechtes der Verfassung eng auszulegen (Wächtler/Heinhold/Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, Art. 1 Rn. 37). Kommt es im Verlauf der Versammlung zum Einsatz erheblicher körperlicher Gewalt gegen Personen und Sachen oder wird mit der Versammlung erhebliche körperliche Gewalt gegen Personen und Sachen angestrebt, ist die Versammlung unfriedlich; ein turbulenter Verlauf und heftige Auseinandersetzungen reichen hingegen noch nicht aus, um eine Versammlung als unfriedlich zu qualifizieren (Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, Einleitung Rn. 55). Demnach liegen Tatsachen, die nach Art. 13 Abs. 5 BayVersG die Annahme rechtfertigen, dass der Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet, dann vor, wenn dem Leiter zurechenbar angelastet werden kann, dass sein Verhalten kausal ist für einen gewalttätigen und aufrührerischen Ablauf der Versammlung (Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, § 14 Rn. 48). Die Gefährdung kann insbesondere darin bestehen, dass der Leiter selbst die Teilnehmer zur Unfriedlichkeit anhalten will oder nicht willens oder in der Lage ist, eine solche Entwicklung aus der Versammlung heraus zu verhindern (Braun/Keller in Dietel/ Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, Teil III Rn. 61). Nach der Gesetzesbegründung zu Art. 10 Abs. 4 BayVersG ist eine Gefährdung der Friedlichkeit der Versammlung insbesondere anzunehmen, wenn eine strafrechtliche Vorbelastung wegen Gewaltverbrechen oder waffen-rechtlicher Delikte vorliegt (LT-Drs. 15/10181, S. 18).
aa) Im vorliegenden Fall liegen Tatsachen vor, die in ihrer Gesamtschau die Annahme rechtfertigen, dass Herr M. als Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Dabei sind für das erkennende Gericht insbesondere die Vorkommnisse im Rahmen der Versammlungen vom 7. November 2016 (hierzu unter (1)) und 21. November 2016 (hierzu unter (2)) maßgeblich. Hingegen kann die Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter weder auf seine strafrechtliche Verurteilung vom 5. November 2015 (hierzu unter (3)) noch auf die anhängigen Ermittlungsverfahren gestützt werden. Auf die strafrechtliche Verurteilung vom 26. Januar 2017 kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an (hierzu unter (4)).
(1) Herr M. hat durch sein Verhalten als Leiter der Versammlung vom 7. November 2016 mitursächlich dazu beigetragen, dass die Versammlung bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unfriedlichen Verlauf genommen hätte.
Die sich fortbewegende Versammlung vom 7. November 2016 wurde mit Ergänzungsbescheid der Antragsgegnerin vom selben Tag unter der immissions-schutzrechtlichen Beschränkung bestätigt, dass die Lautstärke einen Höchstwert von 85 dB(A) – gemessen 5 Meter vor der Mündung des Schalltrichters des Megafons bzw. vor der Lautsprecheranlage – nicht überschreiten darf (Nummer IV. 6b des Bescheides). Gegen die Rechtmäßigkeit der immissionsschutzrecht-lichen Beschränkung auf 85 dB(A) bestehen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München (VG München, B.v. 28.6.2013 – M 7 S 13.2849 – juris) sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 28.6.2013 – 10 CS 13.1356 – juris) keine grundlegenden Bedenken. Um die Einhaltung dieser immissionsschutzrechtlichen Beschränkung kontrollieren zu können, ist die Antragsgegnerin berechtigt, Lärmmessungen durchzuführen. Nach Nummer IV. 2.1 des Bescheides vom 7. November 2016 hat der Versammlungsleiter allen Versammlungsteilnehmern den Bescheid, insbesondere die Regelungen der beschränkenden Verfügung, in geeigneter Weise bekannt zu geben. Des Weiteren obliegt es dem Versammlungsleiter, für die Einhaltung der vollziehbaren beschränkenden Verfügung sowie deren Kontrolle durch die Behörde Sorge zu tragen.
Nach dem vom Antragsteller unwidersprochenen Vorbringen der Antragsgegnerin hat Herr M. als Versammlungsleiter die von den Versammlungsteilnehmern getroffenen Unmutsäußerungen gegenüber den mit der Kontrolle der Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Beschränkung betrauten Mitarbeiter der Antragsgegnerin nicht unterbunden, sondern die Versammlungsteilnehmer vielmehr in ihrer Unmutsbekundung bestärkt. Dadurch ist er seiner Pflicht als Versammlungsleiter nicht nachgekommen. Bei ungehindertem Geschehensablauf – also, wenn die Mitarbeiter der Antragsgegnerin die Lärmmessung nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt hätten – wäre die Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit derart eskaliert, dass die Versammlung einen unfriedlichen Verlauf genommen hätte. Hierzu hat Herr M. als Versammlungsleiter durch sein Verhalten mitursächlich beigetragen.
(2) Auch hat Herr M. durch sein Verhalten als Leiter der Versammlung vom 21. November 2016 gezeigt, dass er nicht willens oder in der Lage ist, eine gewalttätige und aufrührerische Entwicklung aus der Versammlung heraus zu verhindern.
Im Rahmen der sich fortbewegenden Versammlung vom 21. November 2016 kam es zu einer körperlichen Attacke durch einen Versammlungsteilnehmer gegenüber einem Pressevertreter, ohne dass Herr M. als Versammlungsleiter hiergegen eingeschritten ist. Dies wird durch das vom Antragsteller selbst vorgelegte Video Nr. 1 belegt. Darin ist ersichtlich, wie ein Versammlungsteilnehmer auf Herrn M. zugeht (Minute 0:45), sich kurz mit diesem bespricht (Minute 0:46), im Anschluss mit zügigen Schritten direkt auf den Pressefotographen zuläuft (Minute 0:48 – 0:50) und diesen mit seiner linken Körperseite anrempelt und abdrängt (Minute 0:51). Wie das Video zeigt, fand das Geschehen direkt vor den Augen des Herrn M. als Versammlungsleiter statt, ohne dass dieser dagegen eingeschritten ist.
In dieser Situation wäre es die Pflicht des Versammlungsleiters gewesen, gegen die körperliche Attacke durch den Versammlungsteilnehmer einzuschreiten und mögliche Maßnahmen gegen den unfriedlichen Versammlungsteilnehmer – wie einen Ausschluss von der weiteren Versammlung – in Erwägung zu ziehen, um dadurch für einen friedlichen weiteren Verlauf der Versammlung zu sorgen. Indem Herr M. als Versammlungsleiter gegen das unfriedliche Verhalten des Versammlungsteilnehmers, das sich direkt vor seinen Augen und unmittelbar im Anschluss an eine erfolgte Kommunikation mit diesem Versammlungsteilnehmer ereignet, nicht einschreitet, zeigt, dass er nicht willens oder in der Lage ist, eine unfriedliche Entwicklung aus der Versammlung heraus zu verhindern.
(3) Hingegen vermag die strafrechtliche Verurteilung vom 5. November 2015 die Annahme, dass Herr M. als Versammlungsleiter die Friedlichkeit einer Versammlung gefährdet, nicht zu stützen.
Zwar ist nach der Gesetzesbegründung zu Art. 10 Abs. 4 BayVersG eine Gefährdung der Friedlichkeit der Versammlung insbesondere anzunehmen, wenn eine strafrechtliche Vorbelastung wegen Gewaltverbrechen oder waffen-rechtlicher Delikte vorliegt (LT-Drs. 15/10181, S. 18). Allerdings greift dieses Regelbeispiel im vorliegenden Fall nicht.
Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 5. November 2015 (Az. 1 Ds 41 Js 30457/14) wurde Herr M. rechtskräftig wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, stand diese Tat nicht in Zusammenhang mit einer Versammlung, sondern mit seiner Tätigkeit als Sportschütze. In seinem Urteil hat das Amtsgericht … berücksichtigt, dass sich Herr M. in einem Verbotsirrtum befunden hat und von seinem Verhalten keine nennenswerten Gefahren ausgingen. Nach dieser Tat hat Herr M. auf seine Waffenbesitzkarte verzichtet, die Waffe wurde eingezogen. Eine Wiederholungsgefahr besteht demnach nicht.
Aufgrund dessen kann von dieser Tat nicht auf ein unfriedliches oder gewalt-tätiges Verhalten des Herrn M. geschlossen werden, das die Annahme recht-fertigen würde, dass er als Versammlungsleiter die Friedlichkeit einer Versammlung gefährden würde.
(4) Auf die strafrechtliche Verurteilung vom 26. Januar 2017 kommt es im vorliegen-den Verfahren nicht entscheidungserheblich an.
Soweit dem Urteil des Amtsgerichts … vom 26. Januar 2017 eine Körperverletzung zum Nachteil eines Verkehrsteilnehmers zugrunde liegt, steht dies in keinem Zusammenhang mit einer Versammlung. Von dieser Tat kann nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass Herr M. als Versammlungsleiter die Friedlichkeit einer Versammlung gefährden würde.
Bei den weiteren, dem Urteil vom 26. Januar 2017 zugrunde liegenden Sachverhalten – dem Abspielen eines Videos mit Hinrichtungsszenen während einer Versammlung der Antragstellerin am 14. Dezember 2015 und eine Körperverletzung zum Nachteil einer Versammlungsteilnehmerin am 3. März 2016 – handelt es sich zwar um gewaltbezogene Delikte in Zusammenhang mit einer Versammlung. Auch ist es richtig, dass es in Bezug auf die Gefahrenprognose des Art. 13 Abs. 5 BayVersG grundsätzlich nicht auf die Rechtskraft des Strafurteils ankommt, da Grundlage der Gefahrenprognose nicht die strafrechtliche Verurteilung, sondern der dieser zugrunde liegende Lebenssachverhalt ist. Auch ist der bloße Tatverdacht nunmehr zur richterlichen Überzeugung des Amtsgerichts erstarkt. Allerdings kommt es im Hinblick darauf, ob Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet, auf die Überzeugung des erkennenden Gerichts an. Da dem Gericht bislang weder das Urteil des Amtsgerichts … vom 26. Januar 2017 noch die Strafakten hierzu vorliegen und auch eine Äußerung des Antragstellers zu diesem ergänzenden Vorbringen der Antragsgegnerin aufgrund des Zeitablaufs nicht erfolgen konnte, bleibt es gegebenen-falls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, zu klären, ob die Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter ergänzend auch auf diese Taten gestützt werden kann. Im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt es im Ergebnis nicht darauf an, da bereits die Vorkommnisse im Rahmen der Versammlungen vom 7. November 2016 und 21. November 2016 die Annahme rechtfertigen, dass Herr M. als Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet.
bb) Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat das Interesse des Antragstellers an seinem Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Auswahl des Versammlungsleiters sowie das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der Friedlichkeit der Versammlung und der damit verbundenen Wahrung elementarer Grundrechte Dritter, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, umfassend gegeneinander abgewogen und ihre Entscheidung nicht auf sachfremde Gründe gestützt.
b) Die in Nummer 2 des Bescheides vom 8. Dezember 2016 erfolgte Anordnung der Benennung des Versammlungsleiters bis spätestens 48 Stunden vor Versammlungsbeginn findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 15 Abs. 1 BayVersG.
Zwar lehnt sich die erfolgte Anordnung der Benennung des Versammlungsleiters an die gesetzliche Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BayVersG an, im Rahmen der Versammlungsanzeige den Leiter mit seinen persönlichen Daten anzugeben. Da jedoch ein Verstoß gegen eine vollziehbare Anordnung gemäß Art. 20 Abs. 2 Nr. 4 BayVersG als Straftat bzw. gemäß Art. 21 Abs. 1 Nr. 6 BayVersG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, wohingegen eine Verletzung der Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BayVersG ohne Rechtsfolgen bleibt, handelt es sich nicht um eine bloße Gesetzeswiederholung oder Gesetzeskonkretisierung, sondern vielmehr um eine Beschränkung der Versammlung (vgl. VG Bayreuth, B.v. 31.7.2012 – B 1 K 12.138 – juris).
Gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkenn-baren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315/352). Eine unmittel-bare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG, B.v. 21.4.1998 – 1 BvR 2311/94 – NVwZ 1998, 834). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der durch Art. 8 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit dürfen bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollzieh-bare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315/354).
aa) Im vorliegenden Fall liegt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor. Der Antragsteller ist bei den in der Vergangenheit getätigten Versammlungsanzeigen seiner gesetzlichen Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BayVersG, den Versammlungsleiter mit seinen persönlichen Daten anzugeben, nicht nachgekommen und ist nach seinem Bekunden gegenüber der Antragsgegnerin auch nicht willens, dem in Zukunft nachzukommen. Aus diesem Grund ist es der Antragsgegnerin nicht möglich, im Vorfeld einer Versammlung zu prüfen, ob die Friedlichkeit der Versammlung aus Gründen, die in der Person des Versammlungsleiters liegen, gefährdet ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Versammlungsleiter durch sein Verhalten kausal zu einem gewalttätigen und aufrührerischen Ablauf der Versammlung beiträgt, indem er entweder die Teilnehmer zur Unfriedlichkeit anhalten will oder nicht willens oder in der Lage ist, eine solche Entwicklung aus der Versammlung heraus zu verhindern. Im Falle eines unfriedlichen Verlaufs einer Versammlung wäre die Unversehrtheit von Individualrechtsgütern wie Leben, Gesundheit und Eigentum des Einzelnen sowie der Rechtsordnung unmittelbar gefährdet.
bb) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen sind die von der Antragsgegnerin dargelegten Ermessenserwägungen zur Benennung des Versammlungsleiters nachvollziehbar und (noch) nicht zu beanstanden, § 114 VwGO.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs.

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