Aktenzeichen M 13 K 17.54
GG Art. 8 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 1
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die in Nummer 1 des Bescheides der Beklagten vom 8. Dezember 2016 enthaltene Untersagung, Herrn M. als Versammlungsleiter einzusetzen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die mit Nummer 1 des Bescheides vom 8. Dezember 2016 erfolgte Ablehnung des Herrn M. als Versammlungsleiter durch die Beklagte ist Art. 13 Abs. 5 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG). Danach kann die zuständige Behörde den Leiter einer Versammlung ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet.
Eine Gefährdung setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt (BVerfG, B.v. 21.4.1998 – 1 BvR 2311/94 – NVwZ 1998, 834). Nach der Gesetzesbegründung orientieren sich die materiellen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 5 BayVersG an der in Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) formulierten Schutzbereichsgrenze der Friedlichkeit einer Versammlung (LT-Drs. 16/1270, S. 8). Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Dabei sind die Begriffe „unfriedlich“, „gewalttätig“ und „aufrührerisch“ als Schranken eines Freiheitsgrundrechtes der Verfassung eng auszulegen (Wächtler/Heinhold/Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, 1. Auflage 2011, Art. 1 Rn. 37). Kommt es im Verlauf der Versammlung zum Einsatz erheblicher körperlicher Gewalt gegen Personen und Sachen oder wird mit der Versammlung erhebliche körperliche Gewalt gegen Personen und Sachen angestrebt, ist die Versammlung unfriedlich; ein turbulenter Verlauf und heftige Auseinandersetzungen reichen hingegen noch nicht aus, um eine Versammlung als unfriedlich zu qualifizieren (Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Auflage 2016, Einleitung Rn. 55). Demnach liegen Tatsachen, die nach Art. 13 Abs. 5 BayVersG die Annahme rechtfertigen, dass der Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet, dann vor, wenn dem Leiter zurechenbar angelastet werden kann, dass sein Verhalten kausal ist für einen gewalttätigen und aufrührerischen Ablauf der Versammlung (Dürig-Friedl/Enders, a.a.O., § 14 Rn. 48). Die Gefährdung kann insbesondere darin bestehen, dass der Versammlungsleiter selbst die Teilnehmer zur Unfriedlichkeit anhalten will oder nicht willens oder in der Lage ist, eine solche Entwicklung aus der Versammlung heraus zu verhindern (Braun/Keller in Dietel/ Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Auflage 2016, Teil III Rn. 61).
2. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass Tatsachen vorliegen, die in ihrer Gesamtschau die Annahme rechtfertigen, dass Herr M. als Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Dabei sind für das erkennende Gericht insbesondere das Verhalten des Herrn M. im Rahmen der Versammlung vom 7. November 2016 (hierzu unter a) sowie dessen Handeln im Rahmen der Versammlungen vom 14. Dezember 2015 und 3. März 2016 (hierzu unter b) maßgeblich.
a) Durch sein Verhalten als Leiter der Versammlung vom 7. November 2016 hat Herr M. mitursächlich dazu beigetragen, dass die Versammlung bei unge-hindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unfriedlichen Verlauf genommen hätte.
Die sich fortbewegende Versammlung vom 7. November 2016 wurde mit Ergänzungsbescheid der Beklagten vom selben Tag unter der immissions-schutzrechtlichen Beschränkung bestätigt, dass die Lautstärke einen Höchstwert von 85 dB(A) – gemessen 5 Meter vor der Mündung des Schalltrichters des Megafons bzw. vor der Lautsprecheranlage – nicht überschreiten darf (Nummer IV. 6b des Bescheides). Gegen die Rechtmäßigkeit der immissionsschutzrecht-lichen Beschränkung auf 85 dB(A) bestehen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München (VG München, B.v. 28.6.2013 – M 7 S 13.2849 – juris) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 28.6.2013 – 10 CS 13.1356 – juris) keine grundlegenden Bedenken. Um die Einhaltung dieser immissionsschutzrechtlichen Beschränkung kontrollieren zu können, ist die Beklagte berechtigt, Lärmmessungen durchzuführen. Nach Nummer IV. 2.1 des Bescheides vom 7. November 2016 hat der Versammlungsleiter allen Versammlungsteilnehmern den Bescheid, insbesondere die Regelungen der beschränkenden Verfügung, in geeigneter Weise bekannt zu geben. Des Weiteren obliegt es dem Versammlungsleiter, für die Einhaltung der vollziehbaren beschränkenden Verfügung Sorge zu tragen.
Nach dem vom Kläger unwidersprochenen Vorbringen der Beklagten hat Herr M. als Leiter der Versammlung vom 7. November 2016 die von den Versammlungsteilnehmern getroffenen Unmutsäußerungen gegenüber den mit der Kontrolle der Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Beschränkung betrauten Mitarbeitern der Beklagten nicht unterbunden, sondern vielmehr die Versammlungsteilnehmer in ihrer Unmutsbekundung bestärkt. Soweit Herr M. im Rahmen der mündlichen Verhandlung hierzu vorgetragen hat, die Beklagte würde verstärkt bei den Versammlungen des Klägers Lärmwerte messen, hat dies keinen Einfluss darauf, dass der Kläger die im Bescheid festgesetzten Lärmwerte einzuhalten und die Kontrolle der Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Beschränkung durch die Beklagte zu dulden hat. Zudem haben die Beklagtenvertreter im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass Lärmmessungen nur auf der Grundlage einer Gefahrenprognose stattfinden und dass es bei vorangegangenen Versammlungen des Klägers zu Lärmbeschwerden gekommen sei. Dass der Kläger nach Vortrag seines Vertreters die Einhaltung der Lärmwerte mit eigenen Messgeräten überprüft, entbindet die Beklagte nicht von ihrem Recht, die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Beschränkung durch einen ausgebildeten Umweltingenieur mit einem geeichten Messgerät zu kontrollieren. Auch ist der Einwand des Klägervertreters, die mit der Lärmmessung betrauten Mitarbeiter der Beklagten hätten sich nicht zu erkennen gegeben, ohne Belang. Herr M. hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf den Vortrag der Beklagtenvertreter, dass einer der Mitarbeiter einen Ausweis um den Hals getragen habe, erklärt, dass er diesen als Mitarbeiter der Beklagten erkannt und ihm zugenickt hat.
Indem Herr M. als Versammlungsleiter die von den Versammlungsteilnehmern getroffenen Unmutsäußerungen gegenüber den mit der Kontrolle der Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Beschränkung betrauten Mitarbeitern der Beklagten nicht unterbunden, sondern vielmehr die Versammlungsteilnehmer in ihrer Unmutsbekundung bestärkt hat, ist er seiner Pflicht als Versammlungsleiter nicht nachgekommen. Bei ungehindertem Geschehensablauf – wenn also die Mitarbeiter der Beklagten die Lärmmessung nicht abgebrochen, sondern fort-gesetzt hätten – wäre die Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit derart eskaliert, dass die Versammlung einen unfriedlichen Verlauf genommen hätte. Hierzu hat Herr M. als Versammlungsleiter durch sein Verhalten mitursächlich beigetragen.
b) Durch sein Handeln als Leiter der Versammlungen vom 14. Dezember 2015 und 3. März 2016 hat Herr M. dazu beigetragen, dass es im Rahmen dieser Versammlungen zu unfriedlichen Abläufen gekommen ist.
Nach den vom Amtsgericht … im Rahmen des Strafverfahrens durch-geführten Ermittlungen steht fest, dass Herr M. als Versammlungsleiter im Rahmen der Versammlung vom 14. Dezember 2015 ein Video mit Hinrichtungsszenen abgespielt hat. Auf diesem war für einen unbegrenzten Personenkreis unter anderem zu sehen, wie eine Frau mit einem Sturmgewehr hingerichtet wird. Darüber hinaus wurde gezeigt, wie mehrere Personen öffentlich gehängt werden. Zudem war zu sehen, wie auf eine am Boden liegende Frau mehrfach eingetreten und mit Stangen eingeschlagen wird bzw. diese mit Steinen beworfen wird. Das Video stellt das Leiden bzw. Sterben von Menschen in einer Art und Weise dar, die die Opfer auf ein bloßes Objekt der willkürlichen Gewalt der Menschenmenge reduziert. Herr M. hat das Video und die darin gezeigten grausamen und unmenschlichen Gewalttätigkeiten einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugänglich gemacht. Nach dem Urteil des Amtsgerichts … vom 26. Januar 2017 hat sich Herr M. durch das Abspielen des Videos im Rahmen der Versammlung vom 14. Dezember 2015 der Gewaltdarstellung gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a Strafgesetzbuch (StGB) schuldig gemacht (AG …, U.v. 26.1.2017 – 844 … … … …*).
Des Weiteren steht nach den vom Amtsgericht … im Rahmen des Strafverfahrens durchgeführten Ermittlungen fest, dass Herr M. als Versammlungsleiter im Rahmen der Versammlung vom 3. März 2016 eine gebrechliche Frau von hinten gepackt und zu Boden gestoßen hat, wodurch diese eine Risswunde im Nasenbereich sowie eine Schürfwunde im Bereich der Augenbraue erlitten hat. Nach dem Urteil des Amtsgerichts … vom 26. Januar 2017 hat sich Herr M. dadurch der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB schuldig gemacht (AG …, U.v. 26.1.2017- 844 … … … …*).
Dass das Urteil des Amtsgerichts … vom 26. Januar 2017 noch nicht rechtskräftig ist, ist für die nach Art. 13 Abs. 5 BayVersG anzustellende Gefahrenprognose unerheblich. Grundlage für die Ablehnung als Versammlungsleiter gemäß Art. 13 Abs. 5 BayVersG ist nicht die Rechtskraft einer etwaigen strafrechtlichen Verurteilung, sondern vielmehr der zugrunde liegende Lebenssachverhalt, der die Annahme rechtfertigt, dass der Versammlungsleiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. Dieser stand in dem für die Gefahrenprognose maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides nach den der Beklagten vorliegenden polizeilichen Ermittlungen bereits hinreichend fest und wurde durch die Beweisaufnahme im Rahmen des Strafverfahrens vor dem Amtsgericht … bestätigt.
Indem Herr M. im Rahmen der Versammlung vom 14. Dezember 2015 ein Video mit Hinrichtungsszenen abgespielt und bei der Versammlung am 3. März 2016 eine Frau zu Boden gestoßen hat, hat er als Versammlungsleiter durch aktives Tun selbst dazu beigetragen, dass es im Rahmen dieser Versammlungen zu unfriedlichen Abläufen gekommen ist.
3. Die Ermessensausübung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat das Interesse des Klägers an seinem Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Auswahl des Versammlungsleiters sowie das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der Friedlichkeit der Versammlung und der damit verbundenen Wahrung elementarer Grundrechte Dritter, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, umfassend gegeneinander abgewogen und ihre Entscheidung nicht auf sachfremde Gründe gestützt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff ZPO.