Medizinrecht

Abschiebungsandrohung nach Armenien trotz Erkrankung

Aktenzeichen  W 8 S 17.33069

Datum:
10.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 36 Abs. 4 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Behandlung von Erkrankungen ist in Armenien gewährleistet und erfolgt kostenlos. Es ist nicht erforderlich, dass diese mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Dem Attest müssen sich Angaben zur Möglichkeit der Weiterbehandlung der Krankheiten in Armenien und zur Zumutbarkeit der Rückkehr entnehmen lassen. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Rückkehrer ist gehalten, die Möglichkeiten des armenischen Gesundheits- und Sozialsystems auszuschöpfen und ggf. auf private Hilfemöglichkeiten zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden oder zu minimieren. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist armenische Staatsangehörige. Die Antragsgegnerin lehnte den Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 1. August 2017 als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihr die Abschiebung nach Armenien an.
Die Antragstellerin ließ am 8. August 2017 gegen den Bescheid im Verfahren W 8 K 17.33068 Klage erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage wieder anzuordnen.
Zur Begründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen: Sie leide an mehreren schweren Erkrankungen. Bei ihr sei im Jahr 2013 die Niere links wegen ihrer Erkrankung entfernt worden. Eine Zyste sei auf der rechten Niere vorhanden. Gleichzeitig habe sie Endometriose, dies sei eine schwere gynäkologische Erkrankung. Es sei allgemein bekannt, dass diese Erkrankung viele sehr negative Folgen für Darm und andere Organe haben könne. Die Klägerin fühle sich schlechter und habe Schmerzen. Die verschriebenen Pillen hätten auch negative Nebenwirkungen. Erst nach Abschluss der vollständigen ärztlichen Untersuchung könne festgestellt werden, wie ihre gleichzeitig vorhandenen Erkrankungen in ihrem komplizierten Krankheitsfall effektiv möglichst mit wenigen Nebenwirkungen behandelt werden könnten. Die Klägerin sei der Ansicht, dass in Armenien die effektive Behandlung ihrer Leiden ziemlich problematisch sei. Die Qualität der dort vorhandenen Arzneimittel und der Behandlung dort sei bei schweren Erkrankungen und komplizierten Fällen nach Mitteilung der Klägerin schlecht.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 17.33068) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bundesamtsbescheides vom 1. August 2017 begehrt, zumal ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheides unzulässig wäre.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die im Bescheid vom 1. August 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beiden Bescheide bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017).
Das Vorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die angesprochene persönliche Situation ist offensichtlich nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant, wie die Antragsgegnerin in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat.
Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden, die sich das Gericht zu eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Behandlung von Erkrankungen – die Antragstellerin macht insbesondere geltend: Entfernung der linken Niere, Zyste auf der rechten Niere, Endo-metriose – ist in Armenien gewährleistet und erfolgt kostenlos, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein kann. Auch die Behandlung von psychischen Erkrankungen, wie etwa PTBS oder Depressionen, ist in Armenien auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos (vgl. zur medizinischen Versorgung Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017, S. 18 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Re-publik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 36 f.).
Des Weiteren ist ergänzend anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substanziierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier.
Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung der Antragstellerin stellen sich bei einer Rückkehr nach Armenien nicht anders dar wie vor der Ausreise und wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage. Dies gilt auch für die – derzeit noch nicht genau feststehende – gegebenenfalls erforderliche Behandlung und Medikation. Die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben Untersuchungen, Behandlungen und Medikamente in Armenien erhalten. Ihr war es in der Vergangenheit möglich, die Untersuchungen, Behandlungen und Medikamente zu finanzieren. Die pauschale gegenteilige Behauptung in der Antragsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Weiter ist insbesondere anzufügen, dass sich den vorliegenden Attesten nicht entnehmen lässt, dass gegenwärtig eine Rückkehr nach Armenien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Armenien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des armenischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Die Antragstellerin ist gehalten, sowohl die Möglichkeiten des armenischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren. Die Antragstellerin ist bei einer Rückkehr nach Armenien nicht auf sich allein gestellt bzw. nicht allein und ohne Unterstützung; vielmehr kann sie gegebenenfalls auch auf ihre (Groß-)Familie zurückgreifen (vgl. auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 32 ff.).
Die vorliegenden Atteste belegen zudem kein Abschiebungshindernis. Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen enthalten entgegen § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG insbesondere keine Aussage zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation für die Antragstellerin voraussichtlich ergeben. Den Attesten ist nicht zu entnehmen, dass eine Behandlung bzw. Weiterbehandlung der Krankheiten der Antragstellerin in Armenien nicht möglich wäre. Weder die russischsprachigenen Atteste, soweit sie übersetzt vorliegen, noch die ärztlichen Bescheinigungen des Krankenhauses … vom 22. Juli 2017 enthalten diesbezügliche Aussagen. Vielmehr werden weitere Untersuchungen sowie Medikamente vorgeschlagen. Die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsbegründung ohne weitere ärztliche Belege rechtfertigen keine andere Beurteilung. Auch die subjektive Ansicht der Antragstellerin, dass in Armenien die effektive Behandlung ihrer Leiden problematisch sei und die Qualität der dort vorhandenen Arzneimittel und der dortigen Behandlung bei schweren Erkrankungen und komplizierten Fällen schlecht sei, vermag für sich kein Abschiebungshindernis zu begründen. Auch insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Auch der Hinweis auf die Endometriose ist für sich ohne Relevanz. Sie wird als häufige, gutartige, oft schmerzhafte chronische Erkrankung von Frauen beschrieben, bei der Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle vorkomme. Darüber, dass eine Behandlung dieser Krankheit in Armenien nicht möglich wäre, liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor.
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Ausländerbehörde zuständig ist, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa eine Reiseunfähigkeit – zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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