Aktenzeichen M 16 K 15.30079
Leitsatz
Es besteht in Georgien aufgrund unzureichender Therapiemöglichkeiten die Gefahr einer im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG relevanten wesentlichen Verschlimmerung einer psyschichen Erkrankung, insbesondere, wenn eine Verständigung mit der kurdisch und deutsch sprechenden Klägerin kaum möglich ist. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Januar 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Georgiens vorliegen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Georgiens nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter entsprechender Aufhebung der Regelung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids sowie der Abschiebungsandrohung in Nr. 2 des Bescheids (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO und § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zum gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geht das Gericht davon aus, dass bei der Klägerin im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand (jedenfalls auch) ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. VG Arnsberg, B.v. 23.2.2016 – 5 L 242/16.A – juris Rn. 64 m.w.N.). Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st.Rspr. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris).
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 15). In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris Rn. 25).
Ein (ausländerrechtlicher) Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen (inlandsbezogener) rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist hingegen unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn; vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14).
Unter Beachtung dieser Grundsätze und Berücksichtigung der sich aus den herangezogenen Erkenntnismitteln ergebenden Situation in Georgien sieht es das Gericht durch die Gesamtheit der vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen und den Eindruck, den es von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, als belegt an, dass eine Abschiebung nach Georgien für die Klägerin in ihrem konkreten Einzelfall zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine zielstaatsbezogene erhebliche konkrete Gesundheitsgefährdung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit sich bringen würde. Auf die Frage, ob daneben bei der Klägerin auch eine Reiseunfähigkeit im engeren oder weiteren Sinne gegeben wäre, kommt es im Rahmen dieses Verfahrens nicht an.
Bei der Klägerin wurde bereits im Jahr 2013 ein schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2 G) diagnostiziert. Wie sich aus dem amtsärztlichen Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamts … vom 27. Januar 2014 ergibt, wurde die Klägerin dort am 23. Januar 2014 fachärztlich untersucht. Zudem wurden der Beurteilung mehrere fachärztliche Befunde bzw. Gutachten zu Grunde gelegt. Es liege bei der Klägerin eine „schwere depressive Episode“ vor. Es sei von einer „raptusartigen Suizidalität“ auszugehen. In der Vorgeschichte sei es zu zwei Suizidversuchen gekommen. Seit dem 21. Februar 2014 ist die Klägerin in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung bei einem Therapeuten, der als Psychologischer Psychotherapeut zugelassen ist. Dieser hat sich mit Attesten vom … März 2015, … März 2016 sowie vom … Januar 2017 geäußert. Diagnostiziert wurde eine „Rezidivierende Depressive Störung, mittelgradig (F 33.1 G)“. Die erfolgende Verhaltenstherapie sei dringend indiziert. Zusätzlich finde eine psychiatrische medikamentöse Therapie mit Antidepressiva (Fluoxetin und Opipramol) statt. Der behandelnde Psychologische Psychotherapeut führte dabei zuletzt aus, die Klägerin leide weiterhin an einer depressiven Störung, gekennzeichnet durch Antriebslosigkeit, mangelnde Lebensfreude, dem Gefühl von Sinnverlust, mangelndem Selbstvertrauen, Selbstzweifeln, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Zukunftsängsten, verstärktem Grübeln und negativem Denken. Aufgrund all dieser Probleme bestehe auch eine latente Suizidalität, die bei weiterer psychischer Belastung schnell akut werden könne. Hintergrund seien schwere Belastungen (Traumata) aus der Jugend (zwei Suizidversuche), die dringend psychotherapeutischer Behandlung bedürften und allein durch eine medizinisch-psychiatrische Behandlung nicht gelöst werden könnten. Die Abschiebung nach Georgien würde für die Klägerin eine bedrohliche Belastung bedeuten. Zu der geringen Aussicht auf einen Therapieplatz mit der Folge einer fehlenden psychotherapeutischen Unterstützung kämen der Verlust der Familie, die Entwurzelung und die neue Umgebung. Dies würde mit größter Wahrscheinlichkeit zu einer bedrohlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands führen, die Gefahr eines Suizids massiv verstärken und somit das Leben der Klägerin gefährden.
Gegen die Diagnose und die Sachkunde des Psychologischen Psychotherapeuten bestehen keine Bedenken. Auch Psychologische Psychotherapeuten sind aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation befähigt, psychische Erkrankungen zu diagnostizieren (vgl. OVG NW, B.v. 19.12.2008 – 8 A 3053/08.A – juris Rn. 11ff.). Aus der Stellungnahme geht hervor, wie sich der Erkrankung der Klägerin konkret darstellt und wie die Behandlung erfolgt. Weiterhin finden sich Aussagen über die Schwere der Krankheit und deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie).
Das Gericht ist aufgrund der nachvollziehbaren fachärztlichen Stellungnahmen davon überzeugt, dass der Klägerin konkret eine im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante wesentliche Verschlimmerung ihrer Erkrankung droht, wenn sie gezwungen wäre, nach Georgien zurückzukehren. Die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands würde im Fall der Klägerin, wie sich aus der Stellungnahme des Psychologischen Psychotherapeuten ergibt, nicht nur im Hinblick auf den Abschiebevorgang und den damit verbundenen Abbruch der Therapie in Deutschland sowie die Trennung von der Familie eintreten, sondern auch im Hinblick auf die Verhältnisse in Georgien, die die Klägerin dort bei einer Rückkehr vorfinden würde, insbesondere die unzureichenden Therapiemöglichkeiten. Dabei sind insbesondere auch die bei der Klägerin nicht vorhandenen schriftlichen wie mündlichen Kenntnisse der Landessprache zu berücksichtigen. Damit liegt jedenfalls auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vor.
Im Hinblick auf die derzeitige Erkenntnislage geht das Gericht davon aus, dass für die Klägerin nur eine geringe Aussicht, besteht, in Georgien überhaupt Zugang zu einer psychotherapeutischen Behandlung zu erhalten und nahezu keine Aussicht auf Zugang zu einer Behandlung in einer ihr verständlichen Sprache. Somit ist insgesamt von einer fehlenden adäquaten Behandlungsmöglichkeit in Georgien auszugehen.
Nach den Erkenntnissen der D-A-CH Kooperation Asylwesen von Juni 2011 sind nur wenige Psychiater und Psychologen mit den aktuellen international anerkannten Behandlungen vertraut und richten sich nach wie vor nach der „sowjetischen Schule“. Psychische Krankheiten würden hauptsächlich mit Medikamenten und stationär behandelt. Fast nur Psychiater und Psychologen in privaten Institutionen böten Psychotherapie an. Leide jemand beispielsweise an Depressionen, habe er die Möglichkeit, sich an den lokalen „Family Doctor“ zu wenden. Dieser habe ein rudimentäres psychologisches Training absolviert. Bei schwerwiegenden Fällen erfolge die Überweisung in die Psychiatrie. Psychische Krankheiten wie Neurose, PTSD, Depression, Alkoholismus, Drogensucht, Psychopathie etc. seien im Rahmen der kostenlosen Behandlung als Teil des staatlichen Gesundheitsprogramms nicht eingeschlossen. Um für psychische Krankheiten staatliche Leistungen zu erhalten, müssten sich Patienten für eine staatliche Behindertenpension anmelden. Dazu sei eine Diagnose in einem psychiatrischen Krankenhaus und ein positiver Bescheid des „State United Social Insurance Fund“ notwendig (vgl. D-A-CH – Analyse der Länderanalyse BFM, „Das georgische Gesundheitswesen im Überblick – Struktur, Dienstleistungen und Zugang – Juni 2011, S. 5 und 9). Auch in der weiteren D-A-CH – Analyse der Staatendokumentation „Georgien: Medizinische Versorgung – Behandlungsmöglichkeiten“, ebenfalls von Juni 2011 (vgl. S. 12 f.), wird ausgeführt, dass die Kosten von psychischen Erkrankungen (nur) zum Teil vom Staat übernommen würden. Beispielsweise zahle der Staat für jegliche Arten von Psychosen, jedoch nicht für Neurosen. Prinzipiell sei eine „fortlaufende, regelmäßige psychologische Behandlung“ in Georgien für georgische Staatsbürger im Fall der Diagnose einer Störung gewährleistet. Es sei sowohl ambulante, als auch stationäre Behandlung verfügbar. Auch hier wird jedoch weiter ausgeführt, dass in Georgien noch viele Psychiater nach alter „sowjetischer Schule“ arbeiteten. Es gebe nur wenige Psychiater/Psychologen, die mit der neuesten medizinischen Literatur vertraut seien und danach arbeiteten. Psychische Krankheiten würden meist durch Medikation behandelt. Psychotherapie sei bei einigen privaten Psychologen/Psychotherapeuten in Georgien verfügbar. Zudem ließen die Lebensbedingungen in den psychiatrischen Anstalten trotz Bemühungen der Regierung noch zu wünschen übrig. Psychosoziale Betreuung für psychisch kranke Menschen böten zum Beispiel die georgische Vereinigung für psychosoziale Hilfe „NDOBA“ und die georgische Vereinigung für psychische Gesundheit „GAMH“ an (unter Verweis auf das Länderinformationsblatt Georgien von IOM, Juni 2010). Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Georgien: Behandlungsmöglichkeiten bei PTSD“ vom 16. Oktober 2008 (vgl. S. 4 ff.) sind die Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Krankheiten in Georgien sehr limitiert. Ihre Situation sei durch Armut, beschränkten Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und sehr begrenzten Zugang zu Bildung und Arbeit charakterisiert. Insgesamt habe es im Jahr 2005 sieben psychiatrische Spitäler, 15 ambulante Kliniken und vier ambulante Abteilungen in psychiatrischen Spitälern gegeben. Zeitungsartikel beschrieben die Lebensbedingungen in den psychiatrischen Spitälern als sehr schlecht. Die Hygienebedingungen seien sehr schlecht. Es gebe kaum eine Privatsphäre für die Kranken. In den meisten psychiatrischen Einrichtungen erfolge die Behandlung ausschließlich medikamentös. Insgesamt gebe es nur wenig qualifizierte „PsychiatriepflegerInnen, PsychotherapeutInnen und oder SozialarbeiterInnen“ in Georgien. Im Jahr 2005 habe es nur eine Psychiaterin oder einen Psychiater pro 17.500 Personen und in ganz Georgien nur 250 ausgebildete Psychotherapeutinnen und –therapeuten gegeben. Die Weiterbildungsmöglichkeiten für das Fachpersonal seien ungenügend. Es gebe keine spezifisch finanzielle Unterstützung für Menschen mit einer psychischen Krankheit. Es gebe in Georgien keine Versicherung, welche die Behandlung für posttraumatische Störung oder Angststörung und allgemein von psychischen Krankheiten abdecken würde. Die einzige Möglichkeit, Unterstützung zu erhalten, bestehe darin, sich für eine staatliche Behindertenpension anzumelden. Diese belaufe sich auf etwa zwölf US-Dollar pro Monat. In größeren Städten gebe es einige gemeinnützige Organisationen und Vereine, welche Menschen mit psychischen Problemen unterstützten. Es seien die einzigen Einrichtungen in Georgien, welche ambulante Therapien für Personen mit posttraumatischen Belastungsstörungen anböten. Genannt werden im Folgenden, das „psychosoziale Rehabilitationszentrum“ der Nichtregierungsorganisation „GAMH“ in Tbilissi, das „Zentrum für Krisenintervention und psychische Gesundheit“ der Nichtregierungsorganisation „Ndoba“ und das „International Rehabilitation Center for the Victims of Torture und Pronounced Stress Impacts“ in Tbilissi. Menschen mit psychischen Krankheiten seien in Georgien stigmatisiert und mit vielen Vorurteilen konfrontiert. In der Auskunft finden sich weiter Informationen zur Lage von Yeziden in Georgien (vgl. dort S. 2 f.). Lokale Organisationen schätzten, dass noch etwa 6.000 Yezidinnen und Yeziden in Georgien lebten. Nur noch 30 Prozent würden Kurdisch sprechen. Sie litten hauptsächlich unter sozioökonomischer Stigmatisierung. Ihre Bevölkerungsgruppe stehe auf einer der untersten Stufen der sozialen Leiter der georgischen Gesellschaft. Sie hätten im Durchschnitt ein tieferes Bildungsniveau als die Gesamtbevölkerung und seien öfter von Armut betroffen. Ihnen werde oft mit Misstrauen begegnet. Im „Länderinformationsblatt Georgien“ der IOM von Juni 2014, auf das das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen hat, wird berichtet, dass laut der Resolution Nr. 92 der georgischen Regierung vom 15. März 2012 bezüglich der „Bewilligung des staatlichen Gesundheitsprogramms 2012“ georgische Staatsbürger Leistungen von folgenden staatlichen Programmen in Anspruch nehmen könnten: Psychische Verfassung: Ambulante Leistungen (psychiatrische ambulante Leistungen, Psychosoziale Rehabilitation, Psychische Verfassung von Kindern, Psychiatrische Krisenintervention bei Erwachsenen) und stationäre Leistungen (die Serviceleistungen würden vollständig abgedeckt, ohne eine Zuzahlung seitens des Patienten, außer bei mentalen oder Verhaltensstörungen, die durch Alkoholmissbrauch begründet seien). Hieraus ergibt sich jedoch nicht, welche Behandlungen konkret verfügbar sind, insbesondere auch nicht, ob dies für psychotherapeutische Behandlungen der Fall ist. Dies gilt auch hinsichtlich der herangezogenen Auskunft des Auswärtigen Amts vom 19. Juli 2012 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen. Darin wird lediglich ausgeführt, dass eine schwere depressive Störung (ICD 10 F 33.2) mindestens in den weiter genannten fünf psychiatrischen Behandlungszentren (in Tiflis) behandelt werden könne. Auch die Berichte des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Oktober 2016 und August 2015 – Lagebericht) enthalten in Bezug auf die medizinische Versorgung nur allgemeine Aussagen und keine Angaben über die Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen. Soweit in den Berichten gemeinnützige Organisationen und Vereine genannt werden, die psychosoziale Betreuung für psychisch kranke Menschen anbieten würden, ist auch deren Angebot sehr begrenzt, wie sich aus der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Georgien: Behandlungsmöglichkeiten bei PTSD“ vom 16. Oktober 2008, S. 6f.) ergibt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin die Landessprache nicht beherrscht, sondern ausschließlich die kurdische Muttersprache sowie die deutsche Sprache, sieht es das Gericht nach der derzeitigen Erkenntnislage als hinreichend belegt an, dass für sie keine realistische Möglichkeit besteht, die von ihr benötigte psychotherapeutische Behandlung in einer ihr verständlichen Sprache in Georgien zu erhalten. Die Erfolgsaussichten therapeutischer Maßnahmen sind sehr gering, wenn eine Verständigung mit dem Patienten nicht oder nur über einen Dolmetscher möglich ist (vgl. hierzu auch BGH, U.v. 18. Dezember 2007 – 1 StR 411/07 – juris Rn. 17). Da die Klägerin ihr Herkunftsland bereits im Alter von sechs bis sieben Jahren verlassen hat und es plausibel ist, dass im Elternhaus nur der kurdische Dialekt gesprochen wird, hält das Gericht auch ihren diesbezüglichen Vortrag für glaubhaft. So findet sich auch im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts die Aussage, dass die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung und damit ein sozio-ökonomischer Aufstieg vielen Angehörigen ethnischer Minderheiten aufgrund mangelnder Kenntnisse der georgischen Sprache faktisch verwehrt bleibe (vgl. Lagebericht Stand Oktober 2016, S. 6).
Da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der Klägerin erfüllt sind, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob daneben auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG erfüllt wären.
Der streitgegenständlichen Bescheid war daher in Nr. 1 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass für die Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Georgiens vorliegen.
Infolge des Abschiebungsverbots war auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben, da im Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG eine Abschiebungsandrohung unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und kein atypischer Fall gegeben ist (BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.