Aktenzeichen RN 1 K 16.1002
Leitsatz
1 Eine kausale Verknüpfung zwischen Dienstunfallereignis und Körperschaden besteht für Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Beamte trägt die materielle Beweislast dafür, dass eine Schädigung wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen ist, wobei für das Vorliegen eines Dienstunfalls der volle Beweis zu erbringen ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 20.1.2015 und des Widerspruchsbescheids vom 14.4.2015 verpflichtet, den Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und HWK 6/7 links mit Myelonkompression sowie eine Nervenwurzelreizung am linken Arm als Folge des Dienstunfalls der Klägerin vom 9.7.2014 anzuerkennen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Ziffer 2 des Bescheids des Landesamtes für Finanzen vom 20.1.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 14.4.2015 derselben Behörde sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und HWK 6/7 links mit Myelonkompression sowie eine Nervenwurzelreizung am linken Arm als Folge des Dienstunfalls vom 9.7.2014 anerkennt.
Der Verkehrsunfall vom 9.7.2014 ist ein Dienstunfall i.S.v. Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG. Diesen hat der Beklagte in Ziffer 1 des Bescheids vom 20.1.2015 als solchen anerkannt.
Der streitgegenständliche Körperschaden beruht kausal auf dem Verkehrsunfall vom 9.7.2014.
Für die Frage der kausalen Verknüpfung zwischen Unfallereignis und Körperschaden ist die von der Rechtsprechung entwickelte Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache maßgeblich. Hiernach sind (mit-)ursächlich für einen eingetretenen Körperschaden nur solche Bedingungen im natürlich-logischen Sinn, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.2010 ‒ 2 C 81/08 ‒ juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 9.10.2015 ‒ 3 ZB 12.1708 ‒ juris Rn. 12). Als wesentliche Ursache kann auch ein Ereignis in Betracht kommen, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, wenn ihm im Verhältnis zu den anderen denkbaren Ursachen nach natürlicher Betrachtungsweise eine überragende oder zumindest annähernd gleichwertige Bedeutung für den Eintritt des Schadens zukommt (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.1999 ‒ 2 B 117.98 ‒ juris Rn. 4). Umgekehrt ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen der „letzte Tropfen“ war, der das „Fass zum Überlaufen“ brachte. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der Vorschädigung) derart zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist (BVerwG, U.v. 20.4.1967 ‒ II C 118.64 ‒ juris Rn. 44; BayVGH, B.v. 28.7.2016 ‒ 3 B 15.563 ‒ juris Rn. 31; B.v. 4.12.2014 ‒ 14 ZB 12.2449 ‒ juris Rn. 6 m.w.N.). Nicht ursächlich im Sinn des Gesetzes sind demnach die sogenannten Gelegenheitsursachen, d.h. solche Bedingungen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2004 ‒ 2 B 54.03 ‒ juris Rn. 7). Der im Dienstunfallrecht maßgebliche Ursachenbegriff soll zu einer dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge entsprechenden sachgerechten Risikoverteilung führen. Der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen, insbesondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen ergeben (BVerwG, B.v. 23.10.2013 ‒ 2 B 34.12 ‒ juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 28.7.2016 ‒ 3 B 15.563 ‒ juris Rn. 32).
Der Beamte trägt die materielle Beweislast dafür, dass eine Schädigung wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen ist. Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist der volle Beweis zu erbringen. Dieser muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Dies gilt auch für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2015 ‒ 3 ZB 12.1708 ‒ juris Rn. 14). Kann der Beamte nicht den vollen Beweis dafür erbringen‚ dass der Dienstunfall ‒ gegebenenfalls neben einer festgestellten Vorschädigung – zumindest als annähernd gleichwertige Mitbedingung für den Gesundheitsschaden und nicht als bloße Gelegenheitsursache anzusehen ist‚ geht das zu seinen Lasten (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2016 ‒ 14 ZB 14.1016 ‒ juris Rn. 20; B.v. 28.7.2016 ‒ 3 B 15.563 ‒ juris Rn. 33).
Nach diesen Maßstäben ist die Kausalität zwischen dem Ereignis, dem Verkehrsunfall vom 9.7.2014, und dem Schaden, Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und HWK 6/7 links mit Myelonkompression sowie eine Nervenwurzelreizung am linken Arm, zu bejahen.
Die Behandlungsbedürftigkeit des Bandscheibenvorfalls der Halswirbelsäule und die Nervenwurzelreizung am linken Arm der Klägerin wurden nach den ärztlichen Feststellungen sowohl des erstbehandelnden Arztes am Krankenhaus St. E* … St* …, als auch des von dem Beklagten beauftragten medizinischen Sachverständigen durch die bei diesem Unfallereignis wirkenden physikalischen Kräfte verursacht. Der medizinische Sachverständige des Beklagten hat in seiner ergänzenden ärztlichen Stellungnahme vom 20.11.2014 erklärt, dass durch die bei diesem Unfall wirkenden erheblichen Kräfte, ein Kontakt zwischen dem bei der Klägerin bereits vorhandenen stummen Bandscheibenvorfall und der Nervenwurzel entstanden ist. Hierdurch wurde der bislang stumme Bandscheibenvorfall symptomatisch und behandlungsbedürftig. Nach den Ausführungen in dem fachärztlich-orthopädischen Gutachten vom 6.10.2014 ist davon auszugehen, dass die bei der Klägerin vorhandene Degeneration der Bandscheiben (stummer Bandscheibenvorfall) alleine ohne das Dienstunfallereignis nicht zu einem operationswürdigen Bandscheibenvorfall geführt hätte und davon ausgegangen werden muss, dass ohne den Verkehrsunfall eine Operation der Halswirbelsäule zumindest zum 15.7.2014 nicht erforderlich gewesen wäre.
Diese Kausalität im natürlich-logischen Sinne entfällt nicht unter der darüber hinaus vorzunehmenden wertenden Betrachtung, da es sich bei dem Verkehrsunfall nicht nur um eine Gelegenheitsursache im Sinne des Dienstunfallrechts gehandelt hat. Zwar ist nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen des Beklagten davon auszugehen, dass bei der Klägerin im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls bereits ein Vorleiden in Form eines stummen Bandscheibenvorfalls vorgelegen hat, ohne den es durch das Unfallereignis nicht zu einem behandlungsbedürftigen Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule und der Nervenwurzelreizung am linken Arm gekommen wäre. Ebenfalls ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass ein vorbestehender stummer Bandscheibenvorfall grundsätzlich bei allen möglichen Gelegenheiten des alltäglichen Lebens symptomatisch werden kann. Den Feststellungen des Sachverständigen und den sonstigen vorhandenen medizinischen Unterlagen, sowie dem Geschehensablauf lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die Klägerin den Bandscheibenvorfall und die Nervenwurzelreizung am linken Arm bei irgendeiner nächsten Gelegenheit erlitten hätte. Dies wäre aber gerade ein Kriterium für die Annahme einer sogenannten Gelegenheitsursache (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2016 ‒ 3 B 15.563 ‒ juris Rn. 38). Bei einem Zusammentreffen eines Unfallereignisses mit einer krankhaften Veranlagung des Verletzten ist der Unfall als Ursache für den Körperschaden anzusehen, wenn entweder bis zum Unfallereignis nur eine Krankheitsveranlagung vorhanden war, ohne dass diese nach außen in Erscheinung trat oder wenn eine Verschlimmerung des Leidens eingetreten ist, die sich ohne den Unfall nicht gezeigt hätte. Letzteres wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn die auftretenden äußeren Einwirkungen so geringfügig waren, dass ersichtlich aufgrund der Vorschädigung der eingetretene Körperschaden auch bei jeder alltäglichen Bewegung ohne weiteres hätte eintreten können (vgl. Wilhelm in Fürst, GKÖD Band I, Stand September 2015, § 31 BeamtVG Rn. 9 und 22). Der behandlungsbedürftige Bandscheibenvorfall und die Nervenwurzelreizung der Klägerin wurden aber durch ein Unfallereignis ausgelöst, bei dem erhebliche Kräfte auf den Körper der Klägerin eingewirkt haben. Hierbei handelt es sich gerade nicht um ein alltägliches Ereignis, bei dem nur geringfügige Kräfte ein bereits anlagebedingtes Vorleiden auslösten. Hinzu kommt, dass der Vorschaden der Klägerin (stummer Bandscheibenvorfall) zu keinem Zeitpunkt vor dem Verkehrsunfall am 9.7.2014 diagnostiziert worden war. Das Vorliegen eines solchen stummen Bandscheibenvorfalls beruht allein auf der medizinisch begründeten These, dass dieser Verkehrsunfall ohne eine solche vorbestehende Degeneration der Bandscheiben nicht zu dem klinisch gewordenen Bandscheibenvorfall geführt hätte. Denn nach der medizinischen Fachliteratur ist ein isolierter traumatischer Bandscheibenvorfall ohne Begleitverletzungen an Ligamenten und Knochen nicht möglich. Die Annahme, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls bereits ein stummer Bandscheibenvorfall vorgelegen habe, wird zudem dadurch gestützt, dass bei der vorgenommenen mikro- und makroskopischen Untersuchung Hinweise für eine entsprechende Degeneration gefunden worden sind. Dennoch kann im Wege dieser Schlussfolgerung nicht mit exakter Genauigkeit festgestellt werden, welche Kräfte erforderlich gewesen wären, um aus dem angenommenen Vorleiden den tatsächlich eingetretenen operationsbedürftigen Bandscheibenvorfall und die Nervenwurzelreizung am linken Arm herbeizuführen. Zwar kann nach den Angaben des medizinischen Sachverständigen des Beklagten ein stummer Bandscheibenvorfall bei allen möglichen Gelegenheiten des alltäglichen Lebens symptomatisch werden. Es kann jedoch nicht mehr festgestellt werden, ob dies auch auf den nur im Wege der Schlussfolgerung bei der Klägerin angenommenen Bandscheibenvorfall zutrifft. Hiergegen spricht, dass die vorhandene Degeneration trotz der dienstlichen Tätigkeiten und des sonstigen privaten Verhaltens der Klägerin bislang nicht symptomatisch geworden ist. Zudem geht der medizinische Sachverständige des Beklagten selbst davon aus, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls keine medizinische Behandlung des Bandscheibenvorfalls erforderlich gewesen wäre, wenn nicht der Verkehrsunfall erfolgt wäre. Dementsprechend besteht zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst keine rein zufällige Beziehung. Der Verkehrsunfall vom 9.7.2014 ist deshalb zumindest als annähernd gleichwertige Mitbedingung für den streitgegenständlichen Körperschaden der Klägerin anzusehen.
Aber selbst wenn man von einer Prädisposition der Klägerin mit einer wesentlichen Bedeutung für den Bandscheibenvorfall und die Nervenwurzelreizung ausgehen würde, wäre die Kausalität zwischen Unfallereignis und Unfallschaden gleichwohl zu bejahen. Denn bei dem Verkehrsunfall vom 9.7.2014 handelt es sich nicht um ein Ereignis des alltäglichen Lebens. Fehlt dem Unfallereignis die Alltäglichkeit kann nicht von einer bloßen Gelegenheitsursache im Rechtssinne ausgegangen werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2016 ‒ 3 B 15.563 ‒ juris Rn. 39).
Die Einschätzung des Sachverständigen des Beklagten, dass es sich nach der im Dienstunfallrecht geltenden Lehre der wesentlich mitwirkenden Teilursache nur um eine sog. Gelegenheitsursache handele, ist für das Gericht nicht bindend. Bei dieser Einschätzung handelt es sich nicht um eine medizinisch-sachverständige Tatsachenäußerung, sondern um die Äußerung einer Rechtsansicht, die sich der Beklagte zu Eigen gemacht hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist für notwendig zu erklären, da sie angesichts der Schwierigkeit der im Raum stehenden Rechtsfragen vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt der Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte und es der Klägerin deshalb nicht zumutbar war, das Verfahren selbst zu führen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, § 708, § 711 ZPO.