Aktenzeichen 11 CS 18.1133
FeV § 11 Abs. 7, Abs. 8
Leitsatz
Lehnt das erstinstanzliche Gericht einen Eilantrag im Fahrerlaubnisrecht unter Hinweis darauf ab, dass zwar die Rechtmäßigkeit einer Gutachtensanordnung zweifelhaft sei, aber dahinstehen könne, weil ein Fahrerlaubnisentzug wegen Alkoholabhängigkeit auch ohne Gutachten zulässig sei, darf sich die Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde nicht auf die Frage beschränken, ob die Anforderung des Gutachtens zu Recht erfolgt sei. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 1 S 18.262 2018-04-26 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung erster Instanz für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
Am 2. November 2016 meldete die Antragstellerin den Verlust ihres Führerscheins. Einen nachfolgend ausgestellten Ersatzführerschein holte sie nicht ab.
In der Nacht des 4./5. Januar 2017 kam es zu drei Polizeieinsätzen im Wohnanwesen der Antragstellerin. Nach dem polizeilichen Bericht randalierte sie im Haus, griff Nachbarn, mit denen sie schon seit längerem im Streit lag, mit Pfefferspray an, legte Zettel vor den Wohnungstüren der Nachbarn ab, schlug an die Türen und brüllte herum, schrie weiter die herbeigerufenen Polizeibeamten an und vermittelte diesen den Eindruck, als ob sie zumindest leicht unter dem Einfluss von Alkohol stehe. Ihr Verhalten sei teilweise aggressiv und teilweise weinerlich gewesen. Da sie sich insgesamt betrachtet in einer psychischen Ausnahmesituation zu befinden schien, sei sie in das Bezirksklinikum eingeliefert worden. Die Klinik hat sie am 2. Februar 2017 nach Hause entlassen.
Durch eine amtsärztliche Mitteilung vom 10. Februar 2017 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass es Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch bzw. eine Erkrankung nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV gebe. Daraufhin forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 21. Februar 2017 auf, wegen der Vorfälle vom 4. und 5. Januar 2017 (aggressives Verhalten, Unterbringung in einer Bezirksklinik) ein psychiatrisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob bei ihr Gesundheitsstörungen vorliegen, die ihre Fahreignung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV in Frage stellen könnten. Wegen Nichtbeibringung des Gutachtens entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 27. April 2017 die Fahrerlaubnis, nahm jenen mit Bescheid vom 20. September 2017 jedoch während eines anschließenden Klage- und Antragsverfahren wieder zurück.
Im Rahmen weiterer Ermittlungen reagierte die Antragstellerin nicht auf die Aufforderung der Antragsgegnerin, zu einer persönlichen Vorsprache zu erscheinen, den Entlassungsbericht des Bezirksklinikums und eventuell vorhandene sonstige Krankheitsunterlage vorzulegen oder die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.
Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 9. Oktober 2017 verurteilte das Amtsgericht Hof die Antragstellerin wegen des Pfeffersprayangriffs vom 5. Januar 2017 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen.
Mit Schreiben vom 3. November 2017 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut auf, wegen des im Einzelnen geschilderten Sachverhalts in der Nacht des 4./5. Januar 2017 ein Gutachten eines Neurologen oder Psychiaters zu den Fragen einzuholen, ob bei ihr eine Gesundheitsstörung oder Erkrankung vorliege, die ihre Fahreignung nach Anlage 4 zur FeV (Hinweise auf Nr. 7) in Frage stellen könne, ob eine ausreichende Compliance vorliege und diese auch umgesetzt werde, ob durch Auflagen oder Beschränkungen das sichere Führen eines Kraftfahrzeug gewährleistet sei, ob, in welchen Abständen und wie lange ggf. regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig seien und ob und ggf. wann eine Nachuntersuchung notwendig sei. Dem kam die Antragstellerin nicht nach.
Durch Einsicht in die Strafakten wurde der Antragsgegnerin am 10. Januar 2018 ein ärztlicher Bericht des Bezirksklinikums vom 14. März 2017 bekannt, in dem die Diagnosen einer Alkoholintoxikation (F10.0), eines Entzugs (F10.3), einer Alkoholabhängigkeit (F10.2) und einer schizotypen Persönlichkeitsstörung (F21.0) gestellt wurden.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2018 entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (A1, B, BE, C1, CE einschließlich Unterklassen).
Hiergegen ließ die Antragstellerin am 15. März 2018 durch ihren Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage (B 1 K 18.263) erheben und gleichzeitig Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Mit Beschluss vom 26. April 2018 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag mit der Begründung ab, es sei zwar zweifelhaft, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage des § 11 Abs. 8 FeV rechtmäßig sei, weil zum Zeitpunkt der Untersuchungsanordnung noch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychischen Störung vorgelegen hätten und lediglich ein Verdacht einer Körperverletzung bestanden habe. Jedoch rechtfertige die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 7 FeV auch ohne Vorlage eines ärztlichen Gutachtens. Alkoholabhängigkeit führe nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV zum Ausschluss der Fahreignung, ohne dass es darauf ankomme, ob der Betreffende ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt habe. Eine Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV sei nur erforderlich, wenn die Alkoholabhängigkeit nicht mit hinreichender Gewissheit feststehe. Auch wenn sich dem Bericht des Bezirksklinikums nicht entnehmen lasse, welche Diagnosekriterien bei der Antragstellerin erfüllt gewesen seien, bestünden an der Diagnose keine begründeten Zweifel. Es handle sich um eine Fachklinik, in der die Antragstellerin sich einen knappen Monat aufgehalten habe. Sie habe sich wegen eines komplizierten Rausches und einer Alkoholabhängigkeit zunächst in der geschlossenen Kriseninterventionsstation befunden, bevor sie in eine offene Aufnahmestation verlegt worden sei. Vom 5. bis 10. Januar 2017 sei bei ihr ein medikamentöser Entzug durchgeführt worden. Die Antragstellerin habe im Laufe der Behandlung selber angegeben, abends regelmäßig Alkohol zum Einschlafen zu konsumieren, ihre Einstellung zur Abhängigkeitsproblematik leicht revidiert und sogar eine Selbsthilfegruppe aufsuchen wollen. Die Alkoholabhängigkeit sei auch nicht überwunden, da dies eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung und einen stabilen Einstellungswandel voraussetze, was mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachzuweisen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der die Antragstellerin die Aufhebung des Gerichtsbeschlusses beantragt. Das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass der dem Entziehung der Fahrerlaubnis zugrunde liegende Sachverhalt von der Polizei, die bei dem Vorgang nicht dabei gewesen sei, nicht objektiv aufgeklärt worden sei. Die Polizei habe den Sachverhalt lediglich aufgrund der Aussagen der Nachbarn konstruiert und die Aussagen der Antragstellerin nicht berücksichtigt. Es sei völlig außer Acht gelassen worden, dass der Reizgasattacke eine massive Provokation der Nachbarn vorausgegangen sei. Zur Fahreignung der Antragstellerin seien lediglich Vermutungen angestellt worden. Die Antragsgegnerin habe nicht ohne vorheriges Gespräch mit der Antragstellerin eine Gutachtensaufforderung erlassen dürfen. Der Antragstellerin seien keine alternativen Handlungsmöglichkeiten eingeräumt worden. Es sei unverhältnismäßig, sie unabhängig davon, ob der polizeilich ermittelte Sachverhalt zutreffe oder nicht, zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zu zwingen. Der von der Antragsgegnerin herangezogene Sachverhalt sei nicht geeignet, Zweifel an der Fahreignung zu begründen.
Die Antragsgegnerin entgegnet, dass die Antragstellerin der Begründung des Beschlusses durch das Verwaltungsgericht nicht entgegengetreten sei. Die Alkoholabhängigkeit werde nicht bestritten. Nachweise, dass diese überwunden sei, lägen nicht vor. Ungeachtet dessen sei auch die Gutachtensaufforderung rechtmäßig gewesen. Es seien alle Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung ausgeschöpft und auch objektiv ermittelt worden. Nachdem die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, habe nach Aktenlage entschieden werden müssen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin keinen über die Aufhebung des Gerichtsbeschlusses hinausgehenden Sachantrag gestellt hat. Denn ihrem Beschwerdevorbringen lässt sich nach zweckentsprechender Auslegung (§§ 122, 88 VwGO) hinreichend entnehmen, dass sie die erstinstanzliche Entscheidung für unzutreffend hält und ihr erstinstanzliches Begehren, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen, weiterverfolgt.
Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben.
Die nur gegen die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung vom 3. November 2017 gerichteten Einwände der Antragstellerin können nicht durchgreifen, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht auf § 11 Abs. 8 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Januar 2018 (BGBl. I S. 2), sondern allein darauf gestützt hat, dass die durch ein auf Suchterkrankungen spezialisiertes Bezirksklinikum gestellte Diagnose einer Alkoholabhängigkeit auch ohne Vorlage eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertige. Nach der vom Gericht vorgenommenen Auswechslung der Rechtsgrundlage kam es auf die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung nicht an. Mit den entscheidungserheblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Beschwerdebegründung jedoch nicht ansatzweise auseinander.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – juris Rn. 21 f. ausführlich zum Streitwert der Fahrerlaubnisklasse 3 [alt]).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).