Medizinrecht

Anforderungen an die Darlegung traumaauslösender Ereignisse

Aktenzeichen  M 21 K 16.32596

Datum:
30.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141761
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

1 Eine Anfechtungsklage gegen die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann die Rechtsstellung des Ausländers nicht verbessern. Bei einer Aufhebung der Befristung würde das Einreise- und Aufenthaltsverbot unbefristet gelten. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus der Menschenrechtskonvention leitet sich kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat ab, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Tragfähigkeit eines ärztlichen Attests einer PTBS bzw. entsprechender Begleiterkrankungen ist die Darstellung und Nachvollziehbarkeit der zu Grunde gelegten Befundtatsachen, insbesondere der Angaben des Patienten zu dem traumaauslösenden Geschehen, von zentraler Bedeutung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4 Es obliegt dem Asylsuchenden, vor seiner Befragung gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der Anhörung entgegenstehen, geltend zu machen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahren zu tragen.

Gründe

Über die Ziffern 1 bis 3 des angefochtenen Bescheids ist aufgrund der Beschränkung der Verpflichtungsanträge der Klage in der mündlichen Verhandlung nicht mehr zu entscheiden. Soweit sich die Klage gegen die auf § 11 Abs. 2 AufenthG gestützte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet (Ziff. 6 des Bescheids), ist sie mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Eine schlichte Aufhebung (gerichtliche Kassation) beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches (Anfechtungs-) Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetzes geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Eine Anfechtungsklage gegen die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann mithin die Rechtsstellung des betroffenen Ausländers nicht verbessern (vgl. OVG SH, B.v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; ausführlich VG München, B.v. 19.1.2016 – M 21 S 16.30019 – n.v).
Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts ist im angefochtenen Umfang rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Insofern wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ergibt sich unter Berücksichtigung der allgemeinen Lage in Nigeria und der individuellen Umstände der Kläger, insbesondere auch der geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin zu 1, nicht.
Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Aus der Menschenrechtskonvention leitet sich kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat ab, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Anderes kann nur in besonderen, hier nicht vorliegenden, Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 -juris Rn. 23 ff.).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Entsprechend diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nicht vor. Eine behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung (im Folgenden: PTBS) oder eine sonstige schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich durch die Abschiebung nach Nigeria wesentlich verschlechtern würde, ist weder nachgewiesen noch liegen auf Grundlage der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ausreichende Anhaltspunkte vor, weitere Sachverhaltsermittlungen anzustellen.
Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome setzt bereits die konkrete Behauptung einer PTBS regelmäßig einen substantiierten Vortrag unter Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests voraus. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15). Diese Anforderungen der Rechtsprechung an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung hat der Gesetzgeber weitgehend mit dem durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. 2016 I, 390 ff.) eingefügten § 60a Abs. 2c AufenthG aufgegriffen.
Die vorgelegten Bescheinigungen genügen diesen Anforderungen nicht.
Bei den im Asylverfahren und auch im Gerichtsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen fehlt es bereits an grundlegenden Anforderungen wie einer Darstellung der für die die Diagnose einer PTBS und damit verbundener psychischer Begleiterkrankungen erforderlichen Kriterien (vgl. zur PTBS ICD-10 F 43.1)
Entscheidend ist aber vor allem das Fehlen einer nachvollziehbaren und transparenten Darstellung der für die ärztlichen Bescheinigungen zugrunde gelegten Befundtatsachen. Für die Tragfähigkeit eines ärztlichen Attests einer PTBS bzw. entsprechender Begleiterkrankungen ist die Darstellung und Nachvollziehbarkeit der zu Grunde gelegten Befundtatsachen, insbesondere des entsprechend den Angaben des Patienten zugrunde gelegten traumaauslösenden Geschehens, von zentraler Bedeutung. Denn bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 18; B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 8). Insoweit ist die Diagnose einer PTBS nur dann nachvollziehbar und überprüfbar, wenn die entsprechenden Befundtatsachen einschließlich des zugrunde gelegten traumaauslösenden Geschehens ausreichend transparent dargestellt sind.
Hieran fehlt es in den im Asylverfahren und im Gerichtsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen einschließlich der aktuellsten Bescheinigungen (vom …2.2016 und vor allem auch in der psychotherapeutischen Bescheinigung vom …7.2016) nahezu vollständig. Soweit Ereignisse benannt werden, werden diese undifferenziert und ohne die erforderliche Verknüpfung mit festgestellten Symptomen wiedergegeben. Weder findet sich eine Darstellung der traumaauslösenden Ereignisse in einer Art und Weise, die eine Glaubhaftigkeitsüberprüfung ermöglicht noch findet eine Abgrenzung des oder der als maßgeblich traumauslösend erachteten Ereignisse mit der erforderlichen Schwere (vgl. ICD 10 F 43.1) und unter Darstellung eines zeitlichen Bezugs zu den festgestellten Symptomen sowie ein Eingehen auf Fragen der Retraumatisierung statt. Eine undifferenzierte Aufzählung einer Vielzahl von be lastenden Ereignissen im Leben eines Asylbewerbers genügt als Grundlage für die Herleitung einer PTBS nicht.
Abgesehen davon kommt den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen im Hinblick auf eine PTBS auch deswegen kein Beweiswert zu, weil die Klägerin zu 1 weder im Asylverfahren noch im Gerichtsverfahren ein irgendwie geartetes Trauma glaubhaft machen konnte, das Grundlage für eine traumatischen Belastungsstörung sein könnte, die sich infolge einer Rückkehr nach Nigeria verschlechtern würde.
Auch die Tragfähigkeit einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung einer PTBS mit transparenter Darstellung der zugrunde gelegten traumaauslösenden Geschehnisse hängt davon ab, dass die Befundtatsachen gegenüber dem Tatrichter glaubhaft gemacht worden sind. Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine PTBS zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 a.a.O. – juris Rn. 23; B.v. 17.10.2012 a.a.O. – juris Rn. 8). Werden im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben gemacht, die auch unter Berücksichtigung von Erinnerungsproblemen traumatisierter Personen nicht nachvollziehbar sind, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert, insbesondere wenn Tatsachen für das geltend gemachte Abschiebungsverbot ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt werden, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Entsprechend diesen Maßstäben ist ein traumatisierendes Ereignis in Nigeria nicht glaubhaft gemacht.
Maßgeblich sind insofern zunächst die Angaben der Klägerin zu 1 im Asylverfahren und insbesondere auch die Aussagen bei der Anhörung vor dem Bundesamt. Anhaltspunkte für traumatisierende Ereignisse in Nigeria, auch und insbesondere im Zusammenhang mit der im Gerichtsverfahren in den Mittelpunkt gestellten Beschneidungsgefahr für die Klägerin zu 1, ergaben sich daraus nicht. Die Tragfähigkeit der Aussagen vor dem Bundesamt wird auch nicht durch die geltend gemachte gesundheitliche Verfassung der Klägerin zu 1 bei der Anhörung sowie unzureichende Fragen seitens des Bundesamtes in Frage gestellt. Es obliegt dem Asylsuchenden, vor seiner Befragung gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der Anhörung entgegenstehen, geltend zu machen. Das Bundesamt durfte ungeachtet des Hinweises der Klägerin zu 1, sie sei depressiv, komme aus dem Krankenhaus und es gehe ihr gesundheitlich nicht so gut, auf die von ihr auf ausdrückliche Nachfrage erfolgte Bestätigung, sie wolle die Anhörung durchführen, vertrauen, zumal die Klägerin vom Bundesamt ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Unterbrechung oder Verschiebung der Anhörung auch hingewiesen worden war. Ärztliche Bescheinigungen, die auf eine Unfähigkeit, die Anhörung durchzuführen, schließen lassen, wurden nicht vorgelegt. Art und Umfang des Vortrags der Klägerin zu 1 bei ihrer Anhörung ließen zudem darauf schließen, dass sie zu der Anhörung durchaus in der Lage war. Das Bundesamt hat der Klägerin zu 1 damit im Rahmen der Anhörung ausreichend Möglichkeit eingeräumt, ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen und ihr Verfolgungsschicksal darzustellen. Nach Maßgabe der Aussagen der Klägerin zu 1 – insbesondere auch im Hinblick auf die allgemeine Aussage, man habe ihr vor der geplanten Hochzeit gesagt, dass sie beschnitten werden sollte – bestand auch keine Veranlassung, weitere Fragen in diesem Zusammenhang zu stellen.
Im Übrigen konnte die Klägerin zu 1 auch im Gerichtsverfahren traumatisierende Ereignisse in Nigeria, insbesondere im Zusammenhang mit der geltend gemachten Beschneidungsgefahr, nicht glaubhaft machen. Der entsprechende Vortrag zu einer Bedrohungssituation war durchgehend vage, nahezu inhaltsleer, geprägt von Unsicherheiten bei konkreten Angaben zu einer akuten Bedrohung und vermittelte nicht den Eindruck einer selbst erlebten traumatischen Bedrohungssituation. Vielmehr hat sich der Eindruck verfestigt, dass die Klägerin zu 1 und ihr Mann Nigeria mangels Zukunftsperspektive aus wirtschaftlichen Gründen verließen. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin zu 1 nach ihrer Ausreise aus Nigeria mit ihrem Mann bis 2011 in Libyen gelebt hat, sich dort eine Existenz aufbauen konnte und nach eigenen Worten dort einigermaßen gut gelebt hat. Auch der Umstand, dass die Klägerin zu 1 eine ihrer Töchter von Libyen aus wieder zu ihrer Grußmutter nach Nigeria zurückgeschickt hat – entsprechend ihren Angaben vor dem Bundesamt, um ihr in der Schule in Nigeria das Erlernen von Englisch zu ermöglichen – ist mit der Geltendmachung einer durch Ereignisse in Nigeria ausgelösten PTBS nicht vereinbar.
Bei den im Gerichtsverfahren zudem geltend gemachten traumatischen Erlebnissen der Klägerin zu 1 im Zusammenhang mit dem Krieg in Libyen und ihrer Ausreise aus Libyen sowie der Überfahrt über das Mittelemeer handelt es sich weder um Umstände in Nigeria noch besteht ein Bezug zu Nigeria. Für eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin zu 1 bei einer Rückkehr nach Nigeria lässt sich im Hinblick auf diese Erlebnisse nichts herleiten.
Eine von traumatischen Erlebnissen in Nigeria unabhängige behandlungsbedürftige lebensbedrohliche oder schwerwiegende psychische Erkrankung, insbesondere eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung, ergibt sich aus den vorgelegten aktuellen ärztlichen Bescheinigungen nicht, auf Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria kommt es insoweit nicht an. Aus dem Attest vom … Juli 2016 ergibt sich zudem, dass die Klägerin zu 1 auch in Deutschland nur sporadisch bzw. „niederfrequent“ psychotherapeuthische Behandlungen in Anspruch genommen und die ihr bewilligten Sitzungen nur teilweise genutzt hat.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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