Aktenzeichen 11 ZB 16.30121
VwGO § 138 Nr. 3, § 173 S. 1
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Die Vertagung einer mündlichen Verhandlung aus erheblichen Gründen nach § 173 S. 1 VwGO iVm § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO dient u.a. dazu, den Beteiligten die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Rechte im Prozess durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag zu ermöglichen, sodass ihre Verletzung den Anspruch auf rechtliches Gehör berührt (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 47205). Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung infolge einer kurzfristigen, überraschenden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten mit daraus folgender Unzumutbarkeit des Erscheinens oder des Verhandelns ist daher in der Regel ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung (vgl. BVerwG BeckRS 2001 30182162), sodass sich angesichts des hohen Rangs des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Ermessen, das § 173 S. 1 VwGO iVm § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO einräumt, regelmäßig zu einer entsprechenden Verpflichtung des Gerichts wird(vgl. BVerwG BeckRS 2010, 45899). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Wird eine Terminsaufhebung bzw. -verlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung des Prozessbevollmächtigten begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reisefähigkeit besteht. Im Falle eines erst kurz vor dem Termin gestellten Aufhebungs- bzw. Verlegungsantrags ist das Gericht bei einem anwaltlich vertretenen Kläger grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben, noch, ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern oder selbst Nachforschungen anzustellen (vgl. BSG BeckRS 2013, 71542). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Vorlage einer (pauschalen) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht generell zum Beleg einer krankheitsbedingten Verhinderung der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung nicht aus (vgl. BFH BeckRS 2015, 95812), denn sie belegt keine Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit auch für eine begrenzte Zeit (Anreise und Dauer der mündlichen Verhandlung). Nur die Vorlage eines ärztlichen Attestes, welches dem Beteiligten eine krankheitsbedingte Verhinderung (im Sinne einer Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit) bescheinigt, ist grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen (vgl. BVerwG BeckRS 2007, 25771). (red. LS Clemens Kurzidem)
Verfahrensgang
RO 9 K 16.30509 2016-05-27 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Die Kläger machen insoweit geltend, das Verwaltungsgericht hätte dem zweiten Antrag ihres Prozessbevollmächtigten auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung stattgeben oder ihn verbescheiden, jedenfalls aber ihren Prozessbevollmächtigten rechtzeitig dahingehend informieren müssen, dass der Termin nicht abgesetzt werde. Dann hätte dieser die Bescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit durch Familienmitglieder zur Kanzlei bringen und von dort an das Verwaltungsgericht übermitteln lassen.
Das Verwaltungsgericht hat jedoch dadurch, dass es dem Antrag der Prozessbevollmächtigten der Kläger auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2016 um 9.00 Uhr nicht stattgegeben und ihn auch nicht vor dem Termin verbeschieden hat, das rechtliche Gehör der Kläger nicht verletzt.
Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann eine Verhandlung aus erheblichen Gründen vertagt werden. Die Vorschrift dient unter anderem dazu, den Beteiligten die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Rechte im Prozess durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag zu ermöglichen, so dass ihre Verletzung den Anspruch auf rechtliches Gehör berührt (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.1985 – 9 C 84.84 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 178 S. 68, v. 26.1.1989 – 6 C 66.86 – BVerwGE 81, 229). Dieser Anspruch schließt das Recht eines Beteiligten ein, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung infolge einer kurzfristigen, überraschenden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten mit daraus folgender Unzumutbarkeit des Erscheinens oder des Verhandelns ist daher in der Regel ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.1985 a. a. O. S. 68, B. v. 23.1.1995 – 9 B 1.95 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 21 S. 1 f., v. 26.4.1999 – 5 B 49.99 – juris Rn. 4 und v. 22.5.2001 – 8 B 69.01 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 30 S. 6). Wenn ein solcher Grund vorliegt, verdichtet sich angesichts des hohen Ranges des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Ermessen, das § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO einräumt, regelmäßig zu einer entsprechenden Verpflichtung des Gerichts (vgl. zum Ganzen BVerwG, B. v. 21.12.2009 – 6 B 32.09 – juris Rn. 3).
Hier war jedoch weder eine Verlegung des Termins veranlasst, noch war aufgrund der Tatsache, dass der Verlegungsantrag erst am Morgen des Tages, an dem die mündliche Verhandlung für 9.00 Uhr angesetzt war, beim Verwaltungsgericht einging, eine Verbescheidung des Antrags oder ein Hinweis des Gerichts veranlasst.
Wird die Verlegung eines Termins begehrt, muss der Grund der Verhinderung angegeben und hinreichend substantiiert werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016 § 102 Rn. 6 m. w. N.). Hierzu reicht es nicht aus, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger durch eine Kanzleisekretärin den Absetzungsantrag übermittelt und zur Begründung lediglich hat mitteilen lassen, er sei an der Wahrnehmung des Termins „kranheitsbedingt“ verhindert. Vielmehr hätte dargelegt werden müssen, dass Art und Schwere der Krankheit der Verhandlungs- und/oder ggf. der Reisefähigkeit entgegenstehen (vgl. BFH, B. v. 26.11.2013 – I B 2.13 – juris).
Wird eine Terminsaufhebung bzw. -verlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reisefähigkeit besteht. Im Falle eines erst kurz vor dem Termin gestellten Aufhebungs- bzw. Verlegungsantrags ist das Gericht – jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger – grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben, noch, ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern oder selbst Nachforschungen anzustellen (vgl. BSG, B. v. 3.7.2013 – B 12 R 38.12 B – juris Rn.12, v. 13.10.2010 – B 6 KA 2/10 B – SozR 4-1500 § 110 Nr. 1). Selbst die Vorlage einer (pauschalen) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht generell nicht aus (vgl. BFH, B. v. 8.9.2015 – XI B 33.15 – juris, NdsOVG, B. v. 5.11.2012 – 2 LA 177.12 – juris, OVG NW, B. v. 5.6.2012 – 17 E 196.12 – juris, Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 102 Rn. 7), denn sie belegt keine Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit auch für eine begrenzte Zeit (Anreise und Dauer der mündlichen Verhandlung). Nur die Vorlage eines ärztlichen Attestes, welches dem Beteiligten eine krankheitsbedingte Verhinderung (im Sinne einer Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit) bescheinigt, ist grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen (vgl. BVerwG, B. v. 9.8.2007 – 5 B 10.07 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 35).
Das Verwaltungsgericht wäre hier nur dann zu einem rechtzeitigen Hinweis darauf, dass der Termin nicht abgesetzt wird, verpflichtet gewesen, wenn der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem Absetzungsantrag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beigelegt hätte. Diese Pflicht hätte hier aber nur deswegen bestanden, weil das Verwaltungsgericht einen Monat vorher auf die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hin den damaligen Termin abgesetzt hat. In diesem Fall hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass auch dem zweiten Antrag ohne anderweitige vorherige Mitteilung stattgegeben wird (vgl. BSG, B. v. 24.10.2013 – B 13 R 59.13 B – juris). Eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger hier nicht vorgelegt und auch nicht darauf verwiesen, dass eine solche nachgereicht werde und er sich derzeit beim Arzt zur dringend notwendigen Behandlung befinde.
Solange ein Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht nicht aufgehoben worden ist, dürfen und müssen die Beteiligten davon ausgehen, dass der Termin auch stattfindet (vgl. BSG, B. v. 8.5.2015 – B 13 R 4/15 B – juris).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
3. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).