Aktenzeichen 10 ZB 17.945
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1 Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht‚ die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (Verweis auf BVerwG BeckRS 2011, 53906 u.a.). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch wenn ein aggressives Verhalten auf einer (psychischen) Erkrankung beruht, die bisher nicht oder nicht ausreichend behandelt worden ist, kann dies die Prognose, von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten eines Ausländers gehe gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nicht in Frage stellen (Verweis auf BayVGH BeckRS 2016, 54884, stRspr). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 K 15.672 2015-09-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wird durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 2017 (10 ZB 15.2310) nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht‚ sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfG‚ B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 Rn. 35). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht‚ die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG a.a.O. Rn. 39), nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 6 C 15/11 – juris Rn. 1; BayVGH‚ B.v. 13.11.2013 – 10 C 13.2207 – juris Rn. 2). Voraussetzung für einen Erfolg der Anhörungsrüge ist weiter, dass der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (vgl. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Gemessen an diesen Maßstäben und dem Vortrag des Klägers im Rahmen des vorliegenden Verfahrens verletzt der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 2017 (10 ZB 15.2310) nicht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.
Die Klägerseite trägt zur Begründung der Anhörungsrüge vor, der Kläger sei hochgradig erkrankt. Aus finanziellen Gründen sei es ihm aber nicht möglich, ein ärztliches Attest über seinen Gesundheitszustand zu erhalten. Er benötige ärztliche Behandlung aufgrund seiner psychischen und physischen Veranlagungen. Der Kläger könne „nichts dafür, dass er so ist“. Die gesundheitlichen Probleme des Klägers seien im Antrag auf Zulassung der Berufung geschildert worden, zudem sei Beweis angeboten worden durch Anfrage bei den kommunalen bzw. staatlichen Gesundheitsämtern. Durch die unterlassene Beiziehung medizinischen Sachverstandes sei das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt worden. Der Kläger habe keine Möglichkeit, eine qualifizierte ärztliche Untersuchung zu erlangen, da er mittellos sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe diesbezüglich eine Aufklärungspflicht.
Damit ist jedoch kein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör dargelegt (§ 152a Abs. 2 Satz 5 VwGO).
Weder in dem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 16. Oktober 2015 noch in dem Schriftsatz vom 2. Dezember 2015, mit dem der Zulassungsantrag begründet worden ist, ist davon die Rede, dass der Kläger aktuell erkrankt sei und ärztliche Behandlung benötige, dazu aber kein ärztliches Attest erlangen könne. Ein derartiger Vortrag wäre auch nicht nachvollziehbar gewesen, da sich der Kläger seinerzeit im Strafvollzug befand und Anspruch auf Gesundheitsfürsorge hatte (Art. 58 ff. BayStVollzG).
Allerdings finden sich in dem Schriftsatz vom 2. Dezember 2015 (S. 7 ff.) Ausführungen dazu, dass der Kläger schon im Kindergarten ein „Problemkind“ gewesen sei. Schon in seiner Kindheit sei Hyperaktivität diagnostiziert worden, und er sei u.a. mit dem Medikament „Risperidon“ behandelt worden. Die beim Kläger aufgetretene Aggression stamme aus dem Formenkreis seiner Erkrankung an einer „Krankheit zwischen Schizophrenie und Manie, manisch-depressiven Zuständen und einer gewissen geistigen Behinderung“; diese schwerwiegende Erkrankung des Klägers hätten die Verantwortlichen der Jugendämter, der Schulen, der Erziehungseinrichtungen und der Jugendgerichtshilfe „schlicht und einfach nicht erkannt“, und sie sei „ganz offensichtlich auch unzulänglich behandelt“ worden. Somit hätte zugunsten des Klägers berücksichtigt werden müssen, dass dieser in seinen Kinder- und Jugendjahren unter der anerkannten Krankheit Hyperaktivität gelitten habe, welche ganz offensichtlich nicht adäquat behandelt worden sei und den Kläger bis in den Strafvollzug hinein begleitet habe.
In dem mit der vorliegenden Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss des Senats vom 3. Mai 2017 (10 ZB 15.2310) wurde zu diesem Vorbringen ausgeführt (Rn. 19):
„Zwar ergibt sich aus den Akten durchaus, dass beim Kläger in jungen Jahren Hyperaktivität diagnostiziert und mit Medikamenten behandelt wurde. Dass die Krankheit nicht adäquat behandelt worden und sie beim Kläger in späteren Jahren immer noch ausgeprägt gewesen sei, beruht jedoch nur auf Vermutungen des Bevollmächtigten; es ist auch nicht ersichtlich, warum dies die vielfachen Straftaten des Klägers entschuldigen oder die Gefahrenprognose relativieren könnte. Im Gegenteil ist mehrfach eine generelle Therapieunwilligkeit des Klägers dokumentiert, wie etwa im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 25. Februar 2015.“
Hieraus ergibt sich, dass der Senat sich durchaus mit dem Vorbringen der Klägerseite auseinandergesetzt, allerdings nicht die vom Kläger gewünschten Schlüsse hieraus gezogen hat. Sollte es zutreffen, dass das vom Kläger gezeigte aggressive Verhalten auf einer (psychischen) Erkrankung beruht, die bisher nicht oder nicht ausreichend behandelt worden ist, so könnte dies die Prognose, von dem vom Kläger zu erwartenden persönlichen Verhalten gehe gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, aus, nicht in Frage stellen (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 – juris Rn. 7). Der Senat hatte deshalb keinen Anlass, den im Schriftsatz vom 2. Dezember 2015 aufgestellten Vermutungen bezüglich einer angeblich bisher nicht erkannten und daher nicht oder unzulänglich behandelten psychischen Erkrankung durch eigene Ermittlungen nachzugehen. Das auf Seite 8 dieses Schriftsatzes enthaltene Beweisangebot, eine Anfrage an das Gesundheitsamt der Beklagten bzw. an das Staatliche Gesundheitsamt des Landkreises zu richten, bezog sich seinem Wortlaut nach im Übrigen nur auf die Krankheiten, bei denen das Medikament „Risperidon“ verwendet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht‚ weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr von 60‚- Euro anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).