Aktenzeichen 10 CS 20.7
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 3
Leitsatz
1. Von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person geht in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgeht. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Menschen, die in bewohntem Umfeld vor einem unangeleinten großen Hund, auch dann, wenn er auf den ersten Blick nicht furchteinflößend wirkt, Angst haben und es aufgrund von unvorhersehbaren oder unkontrollierten Reaktionen von Menschen und/oder Hunden zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen kann. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Anordnung eines Leinenzwangs in bewohnten Gebieten nach Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BayLStVG muss es nicht zu Beißzwischenfällen gekommen sein (st. Rspr. BayVGH BeckRS 2018, 30636). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 15 S 19.01094 2019-12-05 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 3. Juni 2019 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2019 weiter.
Der Antragsteller ist Halter eines Mischlingshundes (Australian Shepherd / Berner Sennenhund). Nach einer Anzeige eines Bürgers vom 11. März 2019 aufgrund eines Vorfalls mit einem anderen Hund am 7. Februar 2019, dessen Einzelheiten umstritten sind, verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 23. Mai 2019, den Hund ab sofort in allen öffentlichen Anlagen sowie auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen innerhalb geschlossener Ortslage mit Ausnahme der Hunde-Freilaufflächen stets mit einem schlupfsicheren Halsband, gegebenenfalls mit passendem Geschirr und angeleint zu führen; die dabei jeweils verwendete Leine (keine Roll- oder Schleppleine) müsse ausreichend reißfest sein und dürfe eine Länge von 120 cm nicht überschreiten (Ziff. 1). Der Hund dürfe nur solchen zuverlässigen, erwachsenen Personen überlassen werden, die körperlich dazu in der Lage seien, das Tier jederzeit unter Kontrolle zu halten; der Antragsteller werde verpflichtet, die jeweilige Person zur Beachtung der in Ziffer 1 angeordneten Maßnahme anzuhalten (Ziff. 2). Die sofortige Vollziehung dieser Regelungen wurde angeordnet.
Mit Beschluss vom 5. Dezember 2019 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO ab. Die angegriffenen Anordnungen seien zu Recht ergangen, da von dem Hund des Antragstellers eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ausgehe. Dabei könne offenbleiben, ob der Hund, wie die Antragsgegnerin meine, in der Vergangenheit in mehrere Zwischenfälle verwickelt gewesen sei. Denn unabhängig hiervon gehe von dem Hund eine konkrete Gefahr schon deshalb aus, weil es sich um einen großen Hund handle. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass von großen und kräftigen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherliefen, in der Regel eine konkrete Gefahr im Sinne von Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG für Leib und Leben Dritter oder für andere Hunde ausgehe. Ob es über das Vorliegen einer konkreten Gefahr hinaus tatsächlich auch zusätzlich noch zu Beißvorfällen gekommen sei, könne hier dahinstehen. Die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die angeordneten Maßnahmen seien auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden.
Mit seiner Beschwerde beantragt der Antragsteller weiterhin, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. In der Beschwerdebegründung setzt er sich eingehend mit den Angaben des Anzeigeerstatters vom 11. März 2019 auseinander und bestreitet diese weitgehend; eine konkrete Gefahr liege deshalb nicht vor.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde – wie die Antragsgegnerin meint – bereits unzulässig ist, weil sie den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht wird. Sie ist jedenfalls unbegründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidung.
Nach Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Der Senat geht dabei grundsätzlich davon aus, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter ausgeht. Insbesondere muss es vor dem Erlass entsprechender Anordnungen nicht zu Beißzwischenfällen gekommen sein. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Menschen, die in bewohntem Umfeld vor einem unangeleinten großen Hund, auch dann, wenn er auf den ersten Blick nicht furchteinflößend wirkt, Angst haben und es aufgrund von unvorhersehbaren oder unkontrollierten Reaktionen von Menschen und/oder Hunden zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen kann. Daher eröffnet Art. 18 Abs. 2 LStVG nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich die Möglichkeit, für solche großen Hunde wie den Hund des Antragstellers einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 13; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.5966 – juris Rn. 21; U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; m.w.N.).
Diese Erwägungen hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung fehlerfrei zugrunde gelegt. Es hat den Hund des Antragstellers mit nachvollziehbarer Begründung als großen Hund in diesem Sinn angesehen und dabei ausdrücklich offengelassen, ob der Hund in der Vergangenheit in mehrere Beißzwischenfälle verwickelt war (wie der Anzeigeerstatter vorgetragen hatte). Die Beschwerdebegründung geht auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht ein und befasst sich nach Art einer Klagebegründung lediglich mit den Angaben des Anzeigeerstatters, die die Antragsgegnerin dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt hat. Im Übrigen kann der Antragsteller auch nicht bestreiten, dass sein Hund bei dem Vorfall am 7. Februar 2019 einen anderen Hund verletzt hat, verharmlost diesen Umstand jedoch („… lediglich um eine unerhebliche Verletzung des gegnerischen Hundes gehandelt haben kann …“).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).