Medizinrecht

Anordnung häuslicher Quarantäne infolge Einordnung als Kontaktperson

Aktenzeichen  W 8 S 20.1844

Datum:
27.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33751
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 16 Abs. 8
IfSG § 28 Abs. 1
IfSG § 30
GG Art. 104

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Anordnung der häuslichen Quarantäne als Kontaktperson der Kategorie I infolge der mittels PCR-Tests positiv getesteten Mitbewohnerin in ihrer Wohnung.
Mit E-Mail vom 20. November 2020 teilte der Antragsgegner, vertreten durch das Landratsamt Würzburg, Gesundheitsamt, der Antragstellerin mit, dass sie durch eine Befragung als Kontaktperson der Kategorie I identifiziert worden sei. Entsprechend der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 6. November 2020, Az.: … … über die Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie I und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen (AV Isolation – im Folgenden: Allgemeinverfügung) unterliege die Antragstellerin der darin angeordneten Absonderung in häuslicher Quarantäne. Sie befinde sich ab 20. November 2020 bis einschließlich 2. Dezember 2020, 24:00 Uhr, (in der Regel 14 Tage nach dem letzten Kontakt zur positiv auf SARS-Cov-2 getesteten Person) in häuslicher Quarantäne.
2. Am 26. November 2020 beantragte die Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der noch einzureichenden Klage gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 20. November 2020 an die Antragstellerin, sich vom 20. November 2020 bis einschließlich dem 2. Dezember 2020 in Quarantäne zu begeben, wiederherzustellen.
Zur Antragsbegründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Am 19. November 2020 sei der Mitbewohnerin der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass sie mittels PCR-Test positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet worden sei. Im Rahmen der Befragung durch den Antragsgegner sei die Antragstellerin als Kontaktperson I identifiziert worden. Am 20. November 2020, die Antragstellerin habe sich bereits bei ihrem Lebenspartner in Hessen am derzeitigen Aufenthaltsort aufgehalten, habe sie telefonisch und anschließend per E-Mail vom Antragsgegner die Aufforderung und die Anordnung, sich als Kontaktperson I in häusliche Quarantäne zu begeben, erhalten. Die Anordnung sei verfassungswidrig und verstoße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Der PCR-Test der Mitbewohnerin sei nicht geeignet, deren Eigenschaft als Kranke oder Ansteckungsverdächtige im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nachzuweisen. Gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sei die Freiheit der Person unverletzlich. Gemäß Satz 3 dürfe dieses Recht nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Auch gemäß § 104 Abs. 1 GG könne die Freiheit einer Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden. Die Bayerische Verordnung (gemeint wohl: Allgemeinverfügung) finde in Hessen, wo sich die Antragstellerin derzeit aufhalte, keine Anwendung. An die Rechtmäßigkeit der Quarantäneanordnung seien strenge Anforderungen zu stellen, da die Antragstellerin als Nichtstörerin in Anspruch genommen werde. Sie weise keine Symptome auf. Die Sterblichkeit von positiv getesteten Personen mit den SARS-CoV-2-Virus sei erheblich geringer als bei der in im Infektionsschutzgesetz genannten Lungenpest. Der PCR-Test sei nicht in der Lage, die Infektion einer Person mit dem Krankheitserreger nachzuweisen. Dazu verwies die Antragstellerin auf verschiedene Aussagen von Medizinern bzw. Wissenschaftlern. Selbst, wenn man die Mitbewohnerin als Ansteckungsverdächtige einstufen würde, sei noch nicht klar, dass diese infektiös sei. Außerdem wäre die Ansteckungsgefahr im Haushalt sehr gering. Die Anordnung sei zudem unverhältnismäßig. Der Antragsgegner habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Auch fehle es an der Erforderlichkeit einer mindestens 10-tätigen Quarantäne, auch wenn die Antragstellerin nach der jüngsten Verständigung der Länder durch Vorlage eines negativen PCR-Tests die Quarantänezeit auf zehn Tage verkürzen könnte. Die Antragstellerin werde ohne sicheren Nachweis einer Infektion in ihren grundrechtlich gesicherten Freiheitsrechten verletzt. Die Antragstellerin weise keinerlei Symptome auf. Die WHO schätze die Infektion durch asymptomatische Patienten als sehr gering. Die Letalität liege laut WHO bei 0,2% bzw. unter Berücksichtigung der Dunkelziffer bei 0,3%. Das Ziel eines Null-Risikos sei nicht angemessen. Die Eindämmung auf Null sei fernab der Realität und führe allein zur Einschränkung der Lebensqualität der Bevölkerung. Insgesamt seien die Maßnahmen grundsätzlich zu überdenken, ebenfalls die Quarantäne-Anordnung für „Kontaktpersonen“.
3. Das Landratsamt Würzburg   b e a n t r a g t e   mit Schriftsatz vom 27. November 2020:
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Antragserwiderung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragstellerin wohne mit der Indexperson in einer Wohngemeinschaft, Küche und Bad seien gemeinsam genutzt worden. Die Indexperson sei zumindest am 18. und 19. November 2020 symptomatisch gewesen und habe im Nachgang an Geruchsverlust gelitten, sodass eine Infektiosität vorgelegen habe. Aufgrund der Schilderungen der Antragstellerin sowie der Indexperson sei die Antragstellerin als Ansteckungsverdächtige und Kontaktperson der Kategorie I eingestuft worden. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit sei gegeben, insbesondere habe die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsamtes Würzburg. Die Indexperson sei eindeutig symptomatisch gewesen und insbesondere auch aufgrund des Schnupfens und Niesens sei die Gefahr einer weitaus größeren Verbreitung von Tröpfchen als bei nicht symptomatischen Personen gegeben gewesen. Hinzu komme die gemeinsame Wohnsituation in der Wohngemeinschaft. Der Befund für die Indexperson und die Gesamtumstände sprächen für eine Infektion, sodass auch anzunehmen sei, dass die Antragstellerin das Virus aufgenommen habe. Unerheblich sei, dass bei ihr bisher keine Symptome aufgetreten seien. Die Quarantäneanordnung sei auch ermessenfehlerfrei und verhältnismäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Statthaft zur Verfolgung des Begehrens der Antragstellerin ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Die Pflicht, sich als Kontaktperson der Kategorie I in häusliche Quarantäne zu begeben, ergibt sich unmittelbar aus der Allgemeinverfügung. Die Mitteilung des Gesundheitsamtes vom 20. November 2020 stellt für sich keinen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG dar, da es insoweit an einer Regelungswirkung fehlt (vgl. VG Regensburg, B.v. 11.11.2020 – RN 14 E 20.2714 – juris; B.v. 28.10.2020 – RO 14 S 20.2590 – juris; VG Würzburg, B.v. 18.9.2020 – W 8 S 20.1326 – juris). Der Realakt im Zusammenspiel mit der Allgemeinverfügung bildet einen Verwaltungsakt, der Gegenstand eines Sofortverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO sein kann. Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezieht sich so auf die Allgemeinverfügung, soweit sie die Antragstellerin konkret und individuell betrifft (vgl. auch VG Würzburg, B.v. 23.11.2020 – W 8 S 20.1793 – juris).
Die streitgegenständlichen Regelungen aus der Allgemeinverfügung in Verbindung mit der Mitteilung des Gesundheitsamtes vom 20. November 2020 sind gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Eine noch zu erhebende Anfechtungsklage würde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfalten.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene originäre Entscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren dann voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die noch zu erhebende Anfechtungsklage der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren erfolglos bleiben wird. Jedenfalls ist bei einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen vorliegend dem Interesse der Allgemeinheit am Sofortvollzug der Isolations- bzw. Quarantäneanordnung der Vorzug gegenüber dem Interesse der Antragstellerin auf Aufhebung der Quarantäne zu geben.
Auf die zutreffende Begründung in der Allgemeinverfügung sowie in der Mitteilung des Landratsamtes Würzburg vom 20. November 2020, welche in der Antragserwiderung vom 27. November 2020 nachvollziehbar vertieft wurde, wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Die bayerische Regelung betrifft auch die Antragstellerin, obwohl sie sich derzeit in Hessen aufhält, weil sie zuvor ihren gewöhnlichen Aufenthalt Bayern, konkret in Würzburg, hatte und sich dort auch möglicherweise bei ihrer Mitbewohnerin infiziert hat (vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a BayVwVfG; siehe auch Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG).
Die Antragstellerin ist eine ansteckungsverdächtige Person im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG und gehört zum Kreis der von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfassten Personen. Die Antragstellerin ist als Kontaktperson der Kategorie I gemäß Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung einzustufen. In personeller Hinsicht gilt die Allgemeinverfügung gemäß Nr. 1.1 insbesondere für Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI), das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung und Verbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), Kontaktpersonen der Kategorie I sind. Die Kriterien, nach denen die Einordnung von Kontaktpersonen erfolgt, stellt das RKI allgemein zugänglich auf seiner Homepage dar („Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Corona-Virus SARS-CoV-2“, insbesondere Nr. 2.1. A., abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html).
Das zuständige Gesundheitsamt, dem nach der Allgemeinverfügung ausdrücklich mit seinem Sachverstand die Beurteilungskompetenz eingeräumt ist, ordnet die tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall nach den Kriterien des RKI ein. Danach ist die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson, wie sie in der Antragserwiderung nochmals ausführlich dargelegt und erläutert ist, nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin fällt unter die Kontaktpersonen der Kategorie I A, weil nach der Feststellung des Gesundheitsamtes ein enger Kontakt zu ihrer symptomatischen Mitbewohnerin stattfand (kleiner als 1,5 m, Nahfeld). Denn nach dem RKI sind im Nahfeld (etwa 1,5 m) um eine infektiöse Person die Partikelkonzentrationen größer („Atem“), zumal wenn sie Symptome wie Niesen und Schnupfen aufweist. Nach den erwägungsleitenden Kriterien ist weiter erforderlich, dass der Kontakt größer als etwa 15 Minuten gewesen ist. Das RKI stuft insbesondere gerade bei Personen, die mindestens 15-minütigen Gesichtskontakt mit einem Quellfall, z.B. im Rahmen eines Gesprächs haben, z.B. Personen aus demselben Haushalt – wie hier die Wohngemeinschaft -, als Beispiel für eine Kontaktperson der Kategorie I ein (vgl. auch VG Augsburg, B.v. 3.11.2020 – Au 9 S 20.2159 – juris). Laut der E-Mail des Gesundheitsamtes vom 20. November 2020 und der Antragserwiderung vom 27. November 2020 erfolgte die Ermittlung infolge der Befragung der infizierten Mitbewohnerin sowie der Antragstellerin durch das Gesundheitsamt. Das Ergebnis der Ermittlung hat die Antragstellerin in der Sache auch nicht bestritten. Die Antragstellerin ist damit Kontaktperson der Kategorie I, da sie nach den Kriterien des RKI (vgl. Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung) zu der betreffenden Kategorie gehört, sodass sie sich nach Nr. 2.1.1 der Allgemeinverfügung unverzüglich nach der Mitteilung in Quarantäne zu begeben hat, die grundsätzlich bis zum Ablauf des 14. Tages dauert. Die Möglichkeiten einer vorzeitigen Beendigung sind – bislang – nicht gegeben (vgl. VG Regensburg, B.v. 11.11.2020 – RN 14 E 20.2714 – juris).
Der Einwand der Antragstellerin, dass die Infektion der Mitbewohnerin nicht nachgewiesen sei, weil der PCR-Test nicht zuverlässig sei, verfängt nicht. Ein PCR-Test gilt laut verbreiteter wissenschaftlicher Einschätzung und gerade des RKI als extrem zuverlässig. Jedenfalls ist ein falsches positives Testergebnis unwahrscheinlich. Aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und der hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100%. Im Rahmen von qualitätssichernden Maßnahmen nehmen diagnostische Labore an Ringversuchen teil. Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung. Nicht plausible Befunde werden in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt oder verworfen. Bei korrekter Durchführung der Tests und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse geht das RKI nachvollziehbar von einer sehr geringen Zahl falscher positiver Befunde aus (siehe https://www.rki.de/SharedDocs/ FAQ/NCOV2019/gesamt.html sowie www.rki.de/covid-19-diagnostik; VG Regensburg, B.v. 28.10.2020 – RO 14 S 20.2590 – juris; B.v. 18.9.2020 – RO 14 S 20.2260 – juris). Das Gericht hat – zumal im vorliegenden Eilverfahren – keine triftigen Anhaltspunkte von der Einschätzung des Antragsgegners unter Berufung auf das RKI abzuweichen. Gegenteilige Veröffentlichungen von Medizinern bzw. Wissenschaftler sind nicht geeignet, die vorstehend zitierte Expertise des RKI zu erschüttern, dessen Einschätzung der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. VG München, B.v. 29.10.2020 – M 26b S 20.5392 – juris m.w.N.). Abgesehen davon hat die Mitbewohnerin unbestritten eindeutige Symptome einer Infektion aufgewiesen, wie Schnupfen, Niesen und Geruchsverlust.
Die Quarantäneanordnung gemäß der Nrn. 1.1 und 2.1.1 der Allgemeinverfügung ist notwendig, geeignet und verstößt auch nicht sonst gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Maßnahme ist notwendig, da bislang weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19-Erkrankung vorhanden ist. Angesichts teils schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe ist es gerechtfertigt, durch geeignete Maßnahmen die Ausbreitung einzudämmen bzw. zeitlich zu verlangsamen. Dies entspricht auch der Empfehlung des RKI. Auch wenn die Anordnung erheblich in die Grundrechte der Antragstellerin eingreift, ist die Maßnahme geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen und der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Sie ist auch erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Die Anordnung ist weiter angemessen zumutbar. Sie gilt auch nur für einen begrenzten Zeitraum. Die Länge der Isolation ist grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin hat konkret zu ihrem Einzelfall nichts Dahingehendes vorgetragen. Sie hat nur angegeben, sich am 20. November 2020 bereits in Hessen befunden zu haben. Sie hat aber nicht im Einzelnen vorgebracht, dass der letzte Kontakt zu ihrer Mitbewohnerin schon länger zurückliegen würde und deshalb die Frist eventuell falsch berechnet wäre (vgl. im Einzelnen zur Verhältnismäßigkeit etwa VG München, B.v. 9.11.2020 – M 26a E 20.5690 – BeckRS 2020, 318961).
Die Behauptung der Klägerin, das Ziel der Infektionsschutzmaßnahmen sei ein Null-Risiko und dieses sei unangemessen, hält das Gericht angesichts der differenzierenden und immer auch wieder nachjustierten und den sich veränderten Infektionslagen angepassten Maßnahmen, die gerade einen Ausgleich zwischen Infektionsschutz und Eingriffen in Grundrechten der Betroffenen vornehmen, für nicht nachvollziehbar und unzutreffend. Die Infektionsschutzmaßnahmen beinhalten jeweils auch einen Verzicht auf noch viel weitergehende Eingriffe in die Grundrechte.
Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG kommen auch gegenüber „Nichtstörern“ in Betracht, wobei der erforderliche Zurechnungszusammenhang durch die Begrenzung auf verhältnismäßige Schutzmaßnahmen hergestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 20 CS 20.1821 – juris Rn. 38).
Des Weiteren führt der Einwand, dass vorliegend durch die Quarantäneanordnung eine Freiheitsentziehung gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, die dem Richtervorbehalt unterliege, gegeben wäre, im Ergebnis nicht zu einer anderen Beurteilung, weil zum einen das Recht nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG nicht schrankenlos gewährleistet ist, sondern gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG durch formelles Gesetz eingeschränkt werden kann. Die hieran anzustellenden Anforderungen dürfte die spezielle Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 1 IfSG, der die Absonderung gerade für Ansteckungsverdächtige vorsieht, aller Voraussicht nach genügen (VG Bayreuth, B.v. 23.10.2020 – B 7 S 20.1094). Darüber hinaus ist zum anderen zu erwägen, ob hier schon gar keine freiheitsentziehende, sondern nur eine freiheitsbeschränkende Maßnahme vorliegt. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung setzt die in § 30 Abs. 1 IfSG genannte Absonderung die Freiwilligkeit des Betroffenen und damit seine Einsicht in das Notwendige voraus (Bt-Drs. 14/253, 75). Weigert sich der Betroffene, der Absonderung nachzukommen, ist diese nach den Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 IfSG, der insbesondere die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 104 Abs. 2 GG berücksichtigt, anzuordnen. Hinzu kommt, dass selbst bei Vorliegen einer Quarantäneanordnung (hier zur häuslichen Isolation) diese nicht ohne weiteres für sich mit Zwangsmittel vollstreckt werden könnte. Dafür bräuchte es weiterer behördlicher Akte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach der vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelungssystematik eine Absonderung nach § 30 Abs. 1 IfSG stets auf freiwilliger Basis stattfinden und ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in diesem Stadium noch nicht stattfinden soll. Fehlt es an der Freiwilligkeit, muss die Absonderung nach den Vorgaben des § 30 Abs. 2 IfSG durchgesetzt werden. Allerdings kommt hier auch ohne die unmittelbare Vollstreckbarkeit über eine reine Freiwilligkeit hinaus eine rechtliche Zwangswirkung dadurch zustande, dass die Allgemeinverfügung nach ihrer Nr. 7 ausdrücklich bußgeldbewehrt ist (vgl. zum Ganzen Johann/Gabriel in BeckOK, Infektionsschutzrecht, Eckart/Winkelmüller, 1. Ed. Stand 1.7.2020, § 30 IfSG Rn. 24 ff.; Kies, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 30 Rn. 29 f.; SaarlVG, B.v. 23.9.2020 – 6 L 1001/20 – juris m.w.N.). Aber auch unter Berücksichtigung des letzten Gesichtspunkts ist die Quarantäneanordnung – gerade auch nach richterlicher Entscheidung im vorliegenden Sofortverfahren – im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Das Gericht hat des Weiteren bei summarischer Prüfung auch keine Bedenken, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage beruht, weshalb sie nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die Antragstellerin ist als Kontaktperson der Kategorie I Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Abs. 7 Nr. 7 IfSG und gehört damit zum Kreis der erfassten Personen. Bei § 28 Abs. 1 IfSG handelt es sich um eine Generalklausel, wobei hinsichtlich des Wie des Eingreifens Ermessen besteht. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt, gerade auch um Risikogruppen zu schützen (vgl. im Einzelnen: VG Regensburg, B.v. 11.11.2020 – RN 14 E 20.2714 – juris; VG München, B.v. 9.11.2020 – M 26a E 20.5690 – BeckRS 2020, 31861 m.w.N.).
Selbst wenn man die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache noch zu erhebenden Klage als offen einstufen würde, führt eine Folgenabwägung gerade vor dem Hintergrund der aktuell immer noch sehr hohen Infektionszahlen zu einem Überwiegen des Gesundheitsschutzes für dritte Personen gegenüber dem Interesse der in ihren Grundrechten betroffenen Antragstellerin, von einer vorübergehenden Quarantäne/Isolation verschont zu bleiben. Andernfalls würde ein wesentlicher Baustein bei der Bekämpfung und Eindämmung der Pandemie herausgebrochen, wenn sich Kontaktpersonen der Kategorie I weiter ungehindert unter die Bevölkerung mischen und so die Weiterverbreitung des Virus fördern könnten (VG Würzburg, B.v. 6.11.2020 – W 8 S 20.1693 – juris; B.v. 30.10.2020 – W 8 S 20.1625 – juris; VG Regensburg, B.v. 28.10.2020 – RO 14 S 20.2590 – juris; VGH BW, B.v. 16.10.2020 – 1 S 3196/30 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 30.9.2020 – 7 L 1939/20 – juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da der Antrag angesichts der üblichen Zeitdauer der Quarantäneanordnung von 14 Tagen inhaltlich zumindest auf eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache zielt, war gemäß Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs von einer Halbierung des Streitwerts im Sofortverfahren abzusehen, so dass es beim Auffangwert von 5.000,00 EUR verbleibt.

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