Aktenzeichen W 8 E 20.1791
SGB IX § 64 Abs. 1 Nr. 3
VwGO § 43 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6, § 78 Abs. 1 Nr. 1, § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 155 Abs. 1 S. 1
BayIfSMV § 10 Abs. 3 S. 1
GKG § 52, § 53 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 294, § 920 Abs. 2
Leitsatz
Tenor
I. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass § 10 Abs. 3 Satz 1 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 in der Fassung vom 13. November 2020 (8. BayIfSMV) dem Betrieb des … des Antragstellers in den … … … … … gelegenen Räumen für die Durchführung Elektronischer-Muskelstimulations-Trainings in Form von Personal Training mit einer anderen Person oder maximal zwei Personen desselben Hausstandes in kontaktfreier Durchführung ohne Verwendung von Sporthilfsmitteln nicht entgegensteht, sofern aufgrund einer ärztlichen Verordnung medizinische, therapeutische oder pflegerische Leistungen erbracht werden (§ 12 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV).
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens zu ¾. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens zu ¼.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch dahingehend glaubhaft gemacht, dass ihm der Betrieb seines Studios nicht durch § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV untersagt ist, soweit er EMS-Trainings in Form von Personal Training mit einer anderen Person oder maximal zwei Personen desselben Hausstandes kontaktfrei ohne Verwendung von Sporthilfsmitteln durchführt und diese aufgrund einer ärztlichen Verordnung als medizinische, therapeutische oder pflegerische Leistungen erbracht werden.
Bei dem Studio des Antragstellers ist hinsichtlich der Zuordnung unter die Regelungen der 8. BayIfSMV, konkret § 10 Abs. 3 Satz 1 und § 12 Abs. 3 Satz 1 8.BayIfSMV, zwischen den konkret erbrachten Leistungen zu differenzieren.
Der Antragsteller betreibt nach eigenen Angaben ein Gesundheitsstudio, wobei sich aus der vorgelegten Gewerbeummeldung vom 12. Oktober 2020 ebenso ergibt, dass er auch weiterhin ein Sportstudio betreibt und als Personaltrainer tätig ist. Die vom Antragsteller angebotene EMS-Behandlung stellt dabei zwar eine sportliche Tätigkeit dar, jedoch dient sie nach dem Vortrag des Antragstellers zumindest auch der gesundheitlichen Rehabilitation und Prävention beispielsweise für Menschen mit Rückenbeschwerden oder Gelenkschmerzen.
§ 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV verbietet die Nutzung und den Betrieb vom Sporthallen, Sportplätzen, Fitnessstudios, Tanzschulen und anderen Sportstätten. Für den Betrieb des Antragstellers kommt allenfalls eine Einordnung als andere Sportstätte in Betracht, soweit er dort Personaltrainings für den Freizeitsport oder den bloßen Muskelaufbau mit ästhetischer oder leistungssteigernder Zielsetzung anbietet. Insoweit fällt sein Betrieb als Sportstätte unter die Untersagung von § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV, unabhängig davon, ob der Antragsteller ein Hygienekonzept vorlegt, oder von der Zahl der Sporttreibenden. Mit der Änderung der 8. BayIfSMV vom 13. November 2020 verfolgte der Verordnungsgeber erkennbar das Ziel, Freizeitsport und die damit einhergehenden Kontakte, insbesondere in Innenräumen zu minimieren, um die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus einzudämmen bzw. zu bremsen. Dies ergibt sich schon aus der zeitlichen Komponente der Änderung der 8. BayIfSMV als klarstellende Reaktion auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2020 (20 NE 20.2463 – juris), welcher ausdrücklich auch auf EMS-Studios Bezug nimmt.
Dieses Normverständnis wird unterstrichen durch die Stellungnahme des Vertreters des öffentlichen Interesses im vorliegenden Verfahren, in welcher ausdrücklich ausgeführt wird, dass die Maßnahmen das Ziel hätten durch Einschränkung der privaten Freizeitgestaltung und Reduzierung der dort stattfindenden Kontakte eine weitere exponentielle Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu vermeiden bzw. abzubremsen und dabei ein weiteres Herunterfahren des öffentlichen Lebens zu vermeiden.
Wenn der Antragsteller sich auf den Beschluss des VG München vom 11. Mai 2020 (M 26 E 20.1850 – juris) bezieht, ist insoweit anzumerken, dass dieser zu der damaligen 4. BayIfSMV ergangen ist, welche keine Gültigkeit mehr besitzt und zum anderen das Pandemiegeschehen zu diesem Zeitpunkt ein völlig anderes war. Gerade letzteres ist bei der Auslegung der jeweils gültigen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der Ermittlung des Willens des Verordnungsgebers zu berücksichtigen. Beispielhaft sei hier der tägliche Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 5. Mai 2020, dem Tag des Inkrafttretens der 4. BayIfSMV, genannt. An diesem Tag wurden 685 bestätigte Neuinfektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus deutschlandweit gemeldet (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Situationsberichte/2020-05-05-de.pdf? blob=publicationFile). Setzt man hiermit die Infektionslage vom 13. November 2020 mit 23.542 bestätigten Fällen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-13-de.pdf? blob=publicationFile), dem Tag der letztmaligen Änderung der streitgegenständlichen Regelung der 8. BayIfSMV, in das Verhältnis, ergibt sich eine völlig andere Sachlage, welche dem Erlass bzw. der Änderung des jeweiligen Verordnungstextes zu Grunde liegt und sich dementsprechend auch in der Auslegung der jeweiligen Norm niederzuschlagen hat.
Aus der Stellungnahme des Vertreters des öffentlichen Interesses wird aber ebenso erkennbar, dass nicht der Sport jeglicher Art per se untersagt werden sollte, sondern gerade der Sport als Mittel der medizinischen oder therapeutischen Behandlung beispielsweise zu Rehabilitationszwecken, soweit er medizinisch indiziert ist, nicht vom dem Verbot aus § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV umfasst sein soll. Dies findet seinen Niederschlag in § 12 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV, wonach der Betrieb sonstiger Praxen, in denen medizinische, therapeutische und pflegerische Leistungen erbracht oder medizinisch notwendige Behandlungen angeboten werden, unter der Berücksichtigung von § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 8. BayIfSMV, zulässig sein soll. Diesbezüglich ist es zwar richtig, dass jedwede sportliche Betätigung letztlich auch als gesundheitsfördernd angesehen werden kann. Jedoch ist im Hinblick auf die Stellungnahme des Vertreters des öffentlichen Interesses eine differenzierende Betrachtungsweise geboten. Die vom Antragsteller angebotene EMS-Behandlung auf Termin und ohne Laufkundschaft stellt nicht ohne weiteres eine sportliche Betätigung im Sinne des Freizeitsports dar, welche von dem Verbot der Nutzung und des Betriebs von Sportstätten aus § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV nach dem Willen des Verordnungsgebers umfasst werden soll. Vielmehr ist gerade der Aspekt der gesundheitlichen sportlichen Betätigung in Form des EMS-Trainings zur Behandlung von Gelenk- oder Rückenschmerzen, wie vom Antragsteller vorgebracht, in den Blick zu nehmen. Gerade diese dient im besonderen Maße der Gesundheitsförderung und stellt keinen Freizeitsport im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV dar. Insoweit handelt es sich um Dienstleistungen im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV.
Jedoch darf auch diese Auslegung insbesondere nicht dazu führen, dass das Verbot des Betriebs und der Nutzung von Sportstätten allein dadurch umgangen wird, dass die entsprechenden Sportangebote als Dienstleistungen angeboten werden und so einem anderen Regelungsregime unterfallen. Dies ist vom Verordnungsgeber erkennbar nicht gewollt und nicht beabsichtigt. Somit kann eine entsprechende Auslegung der 8. BayIfSMV nur dahingehend erfolgen, dass der Antragsteller, der soweit erkennbar weder über eine ärztliche Approbation noch über eine Heilpraktikererlaubnis verfügt und kein an medizinische oder therapeutische Einrichtungen, Zentren und Praxen angeschlossenes Studio betreibt, seine EMS-Trainings nur auf ärztliche Verordnung als somit medizinisch notwendige Behandlung im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV anbieten darf. Ein anderes Verständnis der Norm gebieten weder der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG noch sonstige verfassungsrechtliche Erwägungen. Die Einschränkung der EMS-Trainings auf eine andere Person bzw. maximal zwei Personen desselben Hausstandes ergibt sich aus der Wertung des § 10 Abs. 1 Satz 1 8. BayIfSMV. Für den gesundheitssportlichen Bereich des Betriebs des Antragstellers kann mithin nichts Anderes gelten, als für zulässigen Freizeitsport unter freiem Himmel. In jedem Fall zu unterbleiben hat eine gruppenmäßige Ausübung der EMS-Trainings ohne aber auch mit medizinischer Indikation, welche aber auch vom Antragsteller so nicht vorgetragen wurde.
Nach alledem ist der Antrag zu 3) nur teilweise begründet, denn gerichtet auf eine einschränkungslose Feststellung, dass das Studio des Antragstellers nicht unter § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV fällt, war gemäß vorstehendem Verordnungsverständnis kein Raum. Wenn der Antragsteller sich insoweit auf § 4 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung (SächsCoronaSchVO) bezieht, ist festzustellen, dass die dortige Regelung schon vom Wortlaut her eine andere ist, als die in § 10 Abs. 3 Satz 1 8. BayIfSMV. Letztere untersagt Betrieb und Nutzung von Sportstätten für den Freizeitsport generell, während die Regelung der SächsCoronaSchVO eine Ausnahme für den Individualsports allein, zu zweit oder mit dem eigenen Hausstand auch in bzw. auf Anlagen und Einrichtungen des Freizeit- und Amateursportbetriebs zulässt und diese insbesondere nicht auf solche Anlagen unter freiem Himmel beschränkt, wie der bayerische Verordnungsgeber in § 10 Abs. 3 Satz 2 8. BayIfSMV. Insofern kann der Bezug auf die Regelung des sächsischen Verordnungsgebers dem Antragsteller nicht zu einem weitergehenden Erfolg verhelfen.
Das weitere Vorbringen, insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Ungleichbehandlung mit Betrieben des Friseurhandwerks (§ 12 Abs. 2 Satz 3 8. BayIfSMV), bezieht sich ebenso wie die rechtfertigenden Ausführungen des Vertreters des öffentlichen Interesses unmittelbar auf die Rechtmäßigkeit der Regelungen der 8. BayIfSMV. Die direkte Überprüfung der entsprechenden Regelungen aus der 8. BayIfSMV obliegt dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Wege eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO bzw. § 47 Abs. 6 VwGO (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 20 CE 20.2185 – Rn. 14), zumal der Antragsteller selbst ausdrücklich vorgetragen hat, sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der 8. BayIfSMV selbst wenden zu wollen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Antragsteller unterliegt mit zwei von drei Anträgen vollständig und obsiegt mit seinem Hilfsantrag zu 3) lediglich zum Teil, weshalb eine Kostenverteilung von ¾ zu ¼ zu Lasten des Antragstellers sachgerecht erscheint.
Die Streitwertfestsetzung von 7.500,00 EUR gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 GKG beruht auf der Angabe des Antragstellers und der der Streitsache von ihm damit beigemessenen Bedeutung. Sie entspricht zudem der sinngemäßen Anwendung von Nr. 1.5 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (im Ergebnis auch: VG München, B.v. 11.5.2020 – M 26 E 20.1850 – juris Rn. 44).