Medizinrecht

Ansatz einer materiell-rechtlich nicht angefallenen Umsatzsteuer für die patientenindividuelle Herstellung und Verabreichung von Zytostatika durch ein Krankenhaus: Rückforderungsansprüche des Patienten oder seiner privaten Krankenversicherung; Fall der Nichtausweisung der Umsatzsteuer in den Rechnungen des Krankenhauses

Aktenzeichen  VIII ZR 7/18

Datum:
20.2.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:200219UVIIIZR7.18.0
Normen:
§ 151 BGB
§ 157 BGB
§ 315 Abs 3 S 1 BGB
§ 316 BGB
§ 433 Abs 2 BGB
§ 651 S 1 BGB
§ 812 Abs 1 S 2 Alt 1 BGB
§ 14 Abs 4 S 1 Nr 7 UStG
§ 14 Abs 4 S 1 Nr 8 UStG
§ 14 Abs 6 Nr 5 UStG
§ 14c Abs 1 S 1 UStG
§ 14c Abs 1 S 2 UStG
§ 31 Abs 5 S 1 Buchst b UStDV
§ 37 Abs 2 S 1 AO
§ 233a Abs 1 AO
§ 233a Abs 3 AO
§ 233a Abs 5 AO
§ 238 AO
Spruchkörper:
8. Zivilsenat

Leitsatz

1. Stellt ein Krankenhaus in seiner hauseigenen Apotheke patientenindividuell Zytostatika für eine ambulante Behandlung des Patienten in seiner Klinik her, kommt regelmäßig (stillschweigend) eine Bruttopreisabrede zustande, bei der der darin enthaltene Umsatzsteueranteil lediglich einen unselbständigen Preisbestandteil bildet (Fortführung von BGH, Urteile vom 24. Februar 1988 – VIII ZR 64/87, BGHZ 103, 284, 287; vom 26. Juni 1991 – VIII ZR 198/90, BGHZ 115, 47, 50; vom 11. Mai 2001 – V ZR 492/99, NJW 2001, 2464 unter II 1; vom 28. Februar 2002 – I ZR 318/99, NJW 2002, 2312 unter II 1; Beschluss vom 29. Januar 2015 – IX ZR 138/14, juris Rn. 3).
2. Dabei kommt dem Krankenhaus ein einseitiges Preisbestimmungsrecht nach §§ 316, 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht zu. Denn gegenüber der nur im Zweifel eingreifenden Auslegungsregel des § 316 BGB hat die (ergänzende) Vertragsauslegung den Vorrang (Anschluss an BGH, Urteile vom 13. März 1985 – IVa ZR 211/82, BGHZ 94, 98, 101 f. mwN; vom 13. April 2010 – XI ZR 197/09, NJW 2010, 1742 Rn. 18). Entspricht ein solches Preisbestimmungsrecht typischerweise nicht dem Interesse der Parteien und ihrer wirklichen oder mutmaßlichen Willensrichtung, ist es geboten, die bestehende Lücke durch Auslegung oder durch Anwendung der Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 13. März 1985 – IVa ZR 211/82, aaO S. 102 mwN; vom 13. April 2010 – XI ZR 197/09, aaO).
3. Die Schließung der bezüglich des zu zahlenden Entgelts bestehenden Lücke kann aber auch noch nachträglich durch eine stillschweigend getroffene konkrete Preisabrede erfolgen. Diese kommt in der hier anzutreffenden Fallgestaltung spätestens mit der Übersendung der Rechnung an den Patienten und der vorbehaltlosen Zahlung der verlangten (angemessenen) Beträge zustande (vgl. § 151 BGB).
4. Die getroffene Bruttopreisabrede schließt jedoch nicht in jeder Hinsicht Rückforderungen des Patienten oder seiner Krankenversicherung aus. Wenn – wie hier – nicht nur die Vertragsparteien, sondern auch die Finanzbehörden bei Vertragsschluss von einer (materiell-rechtlich nicht bestehenden) Umsatzsteuerpflicht der Herstellung und Lieferung der Zytostatika ausgegangen sind und die Finanzverwaltung die später vom Bundesfinanzhof bejahte Umsatzsteuerfreiheit (rückwirkend) akzeptiert, ist diese Abrede einer ergänzenden Vertragsauslegung bezüglich des entrichteten Umsatzsteueranteils zugänglich.
5. Die gebotene ergänzende Vertragsauslegung führt in den Fällen, in denen – wie hier – eine bestandskräftige Steuerfestsetzung noch nicht erfolgt ist und das Krankenhaus seine Rechnungen an den jeweiligen Patienten (unter Ansatz einer materiell-rechtlich nicht angefallenen Umsatzsteuer) nicht in einer den Anforderungen der § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 und 8, § 14c Abs. 1 UStG entsprechenden Weise erstellt hat, regelmäßig dazu, dass ab der im Jahr 2016 den Krankenhäusern eröffneten sicheren Möglichkeit, die abgeführte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückzuerlangen, der Rechtsgrund für die erbrachten Zahlungen in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Preis und der vom Patienten geleisteten Umsatzsteuer abzüglich der vom Krankenhaus in Abzug gebrachten Vorsteuer entfällt.
6. In diesen Fällen ist der Erstattungsanspruch des Krankenhauses gegenüber dem Finanzamt nicht im Wege einer Rechnungskorrektur nach § 14c Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG (iVm § 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b UStDV), sondern durch geänderte Steueranmeldungen für die betroffenen Besteuerungszeiträume vorzunehmen. Hierdurch erlangt das Krankenhaus einen durchsetzbaren Rückzahlungsanspruch gegen das Finanzamt nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Dabei drohen dem Krankenhaus in diesen Fallgestaltungen (kein gesonderter Steuerausweis im Sinne des § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG) keine Zinsforderungen des Finanzamts nach § 233a Abs. 1, 3, 5, § 238 AO zu ihren Lasten. Denn das Krankenhaus macht hierbei die Umsatzsteuerfreiheit der getätigten Geschäfte nicht im aktuellen Besteuerungszeitraum, sondern rückwirkend für die betroffenen Besteuerungszeiträume geltend, so dass sich notwendig allein zu seinen Gunsten ein – vom Finanzamt zu verzinsender – Saldo ergibt.

Verfahrensgang

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 20. Dezember 2017, Az: 4 U 69/17, Urteilvorgehend LG Kiel, 16. Juni 2017, Az: 8 O 95/17, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 20. Dezember 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin ist eine private Krankenversicherung. Sie nimmt die Beklagte als Trägerin eines Krankenhauses auf Rückerstattung von Umsatzsteuer in Anspruch. Das von der Beklagten betriebene Krankenhaus stellt in seiner hauseigenen Apotheke patientenindividuell sogenannte Zytostatika (Krebsmedikamente zur Anwendung in der Chemotherapie) her.
2
Für die in den Jahren 2012 und 2013 erfolgte Abgabe solcher Medikamente an einen ambulant behandelten Versicherungsnehmer der Klägerin berechnete die Beklagte diesem im Jahr 2012 insgesamt 21.961,68 € und im Jahr 2013 insgesamt 25.772,38 €, die jeweils 19 % Umsatzsteuer auf den Nettobetrag miteinschlossen. Die genannten Gesamtbeträge setzten sich aus einer Vielzahl verschiedener Einzelbeträge zusammen, die jeweils für die verordneten Medikamente auf ärztlichen Rezeptformularen unter der dort vorgedruckten Überschrift “Gesamt-Brutto” aufgedruckt wurden. Der Versicherungsnehmer der Klägerin beglich die anschließend in Rechnung gestellten Beträge vollständig und erhielt sie von der Klägerin ungekürzt erstattet.
3
Die Beklagte führte die in Ansatz gebrachten Umsatzsteuerbeträge an das zuständige Finanzamt ab. In welcher Höhe sie dabei einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, ist bislang ungeklärt. Die diesbezüglichen Steuerbescheide sind bislang nicht bestandskräftig geworden.
4
Am 24. September 2014 erging ein Urteil des Bundesfinanzhofs (Az. V R 19/11; veröffentlicht in BFHE 247, 369), wonach die im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten Heilbehandlung erfolgte Verabreichung individuell für den einzelnen Patienten von einer Krankenhausapotheke hergestellter Zytostatika als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. b Umsatzsteuergesetz (UStG) (aF; seit 1. Januar 2009: § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG) steuerfrei ist. Unter dem 28. September 2016 folgte ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (Az. III C 3 – S 7170/11/10004; veröffentlicht in UR 2016, 891), das auf die genannte Entscheidung des Bundesfinanzhofs sowie – unter anderem – auf die Möglichkeit einer Berichtigung der wegen unrichtigen Ausweises der Steuer geschuldeten Beträge nach dem Umsatzsteuergesetz und auf einen dann eintretenden (rückwirkenden) Ausschluss der hierauf bezogenen Vorsteuerabzüge hinwies. Die Klägerin forderte daraufhin die Beklagte erfolglos zur Rückerstattung der vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge auf.
5
Mit der vorliegenden Klage hat sie einen auf Bereicherungsrecht gestützten Anspruch aus übergegangenem Recht ihres Versicherungsnehmers auf Rückzahlung von insgesamt 7.621,41 € nebst Zinsen gegen die Beklagte geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

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