Medizinrecht

Anspruch auf Bezahlung von durchgeführten ärztlichen Behandlungen

Aktenzeichen  20 U 2796/15

Datum:
25.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 106934
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BMV-Ä § 57 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1 S. 2, § 291

 

Leitsatz

1. Für die Abrechnung einer ärztlichen Behandlung muss eine Leistungserbringung seitens des Arztes nachgewiesen werden. Ein Nachweis durch fortlaufende Einträge in Krankenblätter kommt wegen der berufsrechtlich und in § 57 Abs. 1 BMV-Ä geregelten Dokumentationspflicht erhöhte Glaubwürdigkeit zu. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen ab den einzelnen Mahnungen, wenn nahezu sämtliche Rechnungen eine erhebliche Zuvielforderung beinhalten und deshalb der tatsächlich geschuldete Betrag nicht zuverlässig ermittelt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

54 O 3275/12 2015-07-10 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10. Juli 2015, Az. 54 O 3275/12, dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger € 5.626,12 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 5. Juni 2013 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das unter Ziffer 1 genannte Urteil zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 21%, der Beklagte 79%. Von den Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger 21%, im Übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre Kosten selbst.
4. Dieses Urteil und das unter Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts im Umfang seiner Aufrechterhaltung sind vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.167,50 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10. Juli 2015, Az. 54 O 3275/12, hat teilweise Erfolg und war im Übrigen zurückzuweisen.
1. Der Kläger hat im tenorierten Umfang einen Anspruch gegen den Beklagten auf Bezahlung der vom Kläger bei dem Beklagten und dessen beiden Söhnen D. und O. durchgeführten ärztlichen Behandlungen, die der Kläger mit den als Anlagenkonvolut eingereichten Rechnungen abgerechnet hat.
a) Der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass er Vertragspartner des Klägers hinsichtlich der bei ihm und seinen Söhnen durchgeführten ärztlichen Behandlungen geworden ist und diese – sofern der Kläger sie gemäß den gesetzlichen Bestimmungen abgerechnet hat – vergüten muss.
Anders als das Landgericht vermag sich der Senat allein aus der protokollierten Aussage der Zeugin K. keine Überzeugung dahingehend bilden, dass die Honorarforderungen generell noch nicht fällig geworden seien. Der Beklagte hat schon erstinstanzlich keine derartige Vereinbarung vorgetragen und auch die Zeugin selbst einen generellen oder sogar endgültigen Verzicht auf eine Forderung durch den Kläger bei Nichterstattung eines Betrages durch die Krankenkasse nur bezüglich der Fahrtkosten zu Hausbesuchen behauptet. Eine Auslegung der von der Zeugin geschilderten Äußerung des Klägers würde nach Überzeugung des Senats nach dem Empfängerhorizont lediglich die Stundung der Rechnungsbeträge für einen nach dem gewöhnlichen Lauf zu erwartenden Bearbeitungszeitraum bei der Krankenkasse ergeben, keineswegs aber – wie es hier der Fall wäre – für mehrere Jahre. Auch in der Berufungsinstanz hat der Beklagte sich nicht auf die vom Landgericht angenommene weit hinausgeschobene Fälligkeit berufen.
Zuvielforderungen hindern den Eintritt der Fälligkeit der Arztrechnungen nicht (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2006, III ZR 117/06, juris LS 1)
b) Der vom Gericht beauftragte Sachverständige, an dessen Sachkunde kein Zweifel besteht, hat in seinem gut verständlichen und gut nachvollziehbaren Gutachten (Bl. 285 ff.) unter Auswertung der anlässlich der Behandlungen erstellten und als Anlagen vom Kläger vorgelegten Krankenunterlagen unter Ergänzung und Erläuterung seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2017 dargelegt, dass die Abrechnung der medizinischen Leistungen durch den Kläger abgesehen von bestimmten – nachfolgend geschilderten – Unrichtigkeiten grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.
Lediglich der Ansatz der Zuschläge für außerhalb der Sprechstunde erbrachte Leistungen, die Berechnung der Ziffern 1 und 4 sowie der Steigerungsfaktor 3,4 bei der Abrechnung der GoÄ-Ziffer 7 lasse sich häufig nicht durch die Dokumentation in den Krankenunterlagen rechtfertigen. In der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2017 hat der Sachverständige seine schriftlichen Ausführungen insoweit ergänzt, als in den zuletzt genannten Fällen die Ziffer 7 mit dem Steigerungsfaktor 2,3 abzurechnen sei. Hingegen sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass – bei Durchführung einer weiteren Untersuchung neben der symptomorientierten Untersuchung – bei einem gemäß Ziffer 50 bzw. 51 abgerechneten Haus- oder Mitbesuch auch die Ziffer 7 abgerechnet werde. Darüber hinaus könne ein Gespräch zwischen Arzt und Apotheker nach der GoÄ nicht als Konsilium abgerechnet werden.
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht aus eigener Überzeugung an. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sachverständigengutachten vom 20. Juni 2016 (Bl. 285 ff.) Bezug genommen.
Dass – wie der Beklagte vorbringt – der Kläger Leistungen erbracht habe, die medizinisch nicht erforderlich gewesen seien, hat der Sachverständige nur für bestimmte Laboruntersuchungen bejaht. Dass der Kläger wie unstreitig vom Beklagten angefordert bei geklagten Beschwerden den jeweiligen Patienten untersucht hat, ist – wie auch der Sachverständige bekräftigt hat – keinesfalls zu beanstanden.
Soweit der Kläger behauptet, dass jeweils bestimmte Umstände vorgelegen hätten, weshalb die von ihm vorgenommene Abrechnung im Einzelfall entgegen den Ausführungen des Sachverständigen doch zutreffend gewesen sei, gilt, dass nach Bewertung des Sachverständigen insoweit jedenfalls die für eine Abrechnung erforderliche Dokumentation nicht vorliegt, weshalb ein Ansatz weiterer Ziffern als der vom Sachverständigen für ordnungsgemäß befundenen nicht möglich ist.
c) Wegegeld – wiewohl vom Sachverständigen unter GoÄ-Gesichtspunkten nicht beanstandet – kann der Kläger nicht vom Beklagten verlangen. Denn die vom Landgericht als glaubwürdig und glaubhaft beurteilte Zeugin K., die Ehefrau des Beklagten, hat dessen Behauptung, insoweit sei zwischen den Parteien ein bedingter Erlassvertrag geschlossen worden, bestätigt. Dass die Beweiswürdigung des Landgerichts hier fehlerhaft gewesen ist, ist nicht ersichtlich. Die Bedingung, die Nichterstattung des Wegegeldes durch die Krankenversicherung, ist unzweifelhaft eingetreten.
d) Da in den Krankenunterlagen für den 9. November 2009, den 26. März 2010, den 31. März 2010 und den 11. November 2010 keine Behandlungen dokumentiert sind, kann der Kläger die insoweit für den Sohn Daniel (9. November 2009 und 26. März 2010), den Sohn Oliver (31. März 2010) und den Beklagten (11. November 2010) abgerechneten Leistungen, deren Erbringung der Beklagte bestreitet, nicht in Rechnung stellen. Denn eine Leistungserbringung zu diesen Daten kann der Kläger nicht nachweisen.
Soweit der Beklagte rügt, dass der Sohn Daniel anders als abgerechnet am 6. und 7. März 2009, am 21. September 2009, am 1. November 2009, am 3. und 4. Dezember 2009, am 22. Juli 2010, am 25. Juli 2010, sowie am 11. November 2010 nicht behandelt worden sei, der Sohn Oliver entgegen der Abrechnung nicht am 6. März 2010, am 22. Juli 2010 und am 27. November 2010, kann er damit nicht gehört werden. Unabhängig davon, dass für diese Behandlungen – nach Beurteilung des Sachverständigen – für den Sohn Oliver lediglich € 72,60, für den Sohn Daniel € 276,70 anfallen, kann der Kläger eine Behandlung durch die fortlaufenden Einträge in die Krankenblätter nachweisen, denen schon wegen der berufsrechtlich und in § 57 Abs. 1 BMV-Ä geregelten Dokumentationspflicht erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt. Das Bestreiten des Beklagten dagegen stützt sich nicht auf konkrete Erinnerung – vielmehr hat er selbst vorgetragen, dass eine solche nicht mehr besteht – sondern auf Aufzeichnungen seiner Ehefrau (Anlage B 5). Allerdings konnte der Beklagte im Gegensatz zum Kläger keine zeitnah zu den einzelnen Behandlungen gefertigten Aufzeichnungen vorlegen; die Anlage B 5 wurde vielmehr für Zwecke dieses Prozesses und, wie sich aus dem Inhalt des Dokuments ergibt, erst angefertigt, als der Ehefrau des Beklagten auch die Krankenblätter vorlagen. Zudem ist die Dokumentation der Zeugin nicht fehlerfrei; so enthält sie keinen Eintrag für den 5. September 2009, obwohl zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Kläger an diesem Tag beim Sohn Oliver eine Warze entfernt hat. Unter Gesamtwürdigung dieser Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass die in den Krankenblättern dokumentierten Behandlungen tatsächlich auch stattgefunden haben.
e) Nach Vorstehendem sind von den Rechnungsbeträgen folgende Abschläge veranlasst:
aa) Für den Beklagten selbst ist von einem Gesamtrechnungsbetrag von € 517,97 ein Abschlag von € 173,08 zu machen (€ 66,47 von der Rechnung PQ04/2418, € 72,17 von der Rechnung PQ04/2586, € 14,33 von der Rechnung Nr. 821 sowie der Gesamtbetrag von € 20,11 von der Rechnung Nr. 822).
bb) Die in Rechnung gestellten Behandlungen des Sohnes Oliver in Höhe von insgesamt € 3.042,06 sind um € 954,53 zu kürzen (€ 502,59 von der Rechnung PQ04/2417, € 35,30 von der Rechnung PQ04/2585, € 165,69 von der Rechnung Nr. 824, € 39,89 von der Rechnung Nr. 827, € 29,49 von der Rechnung Nr. 828, € 52,28 von der Rechnung Nr. 829 und € 129,29 von der Rechnung Nr. 831).
cc) Die für die Behandlung des Sohnes Daniel in Gesamthöhe von € 4.081,35 gestellten Rechnungen sind um € 1.787,65 zu kürzen (€ 690,30 von der Rechnung PQ04/2164, € 529,70 von der Rechnung PQ04/2416, € 121,54 von der Rechnung PQ04/2584, € 319,31 von der Rechnung Nr. 832, € 80,41 von der Rechnung Nr. 834, € 42,31 von der Rechnung Nr. 836 und € 4,08 von der Rechnung Nr. 837).
f) Der hiernach geschuldete Betrag ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ab dem Tag nach Rechtshängigkeit mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen.
Ein weitergehender Zinsanspruch besteht nicht, insbesondere kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen ab den einzelnen Mahnungen des Klägers. Denn nahezu sämtliche Rechnungen beinhalteten eine erhebliche Zuvielforderung, der Beklagte konnte den tatsächlich geschuldeten Betrag nicht zuverlässig ermitteln (vgl. Palandt, BGB, § 286 Rn. 20 mwN). Dieser Mangel schlägt auch auf diejenigen, regelmäßig nur Kleinstbeträge betreffenden Rechnungen durch, die letztlich vom Sachverständigen nicht beanstandet wurden.
Mangels Verzugseintritts scheidet eine Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz von Mahn- und Inkassokosten aus.
2. Eine Interventionswirkung des im Verfahren 72 O 982/11 vor dem Landgericht Landshut am 7. Februar 2013 ergangenen Urteils besteht nicht. Denn das Landgericht hat die dortige Klage als unschlüssig abgewiesen, mithin keine abschließende Sachentscheidung über die Begründetheit der dort streitgegenständlichen Honorarforderungen, die sich mit den hier streitgegenständlichen teilweise decken, gefällt.
3. Die vom Beklagten hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung mit behaupteten Schadensersatzansprüchen in Gestalt der ihm entstandenen Prozesskosten in dem vor dem Landgericht Landshut gegen seine Krankenversicherung geführten Verfahren, Az. 72 O 982/11, in Höhe von insgesamt € 5.749,13, wovon ein Betrag von € 5.626,12 von der hiesigen Aufrechnung betroffen ist, geht ins Leere. Denn der vom Beklagten insoweit behauptete Schadensersatzanspruch besteht nicht.
Eine zu einem Schadensersatzanspruch des Beklagten führende Pflichtverletzung des Klägers ist nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus der beigezogenen Akte des Landgerichts Landshut, Az. 72 O 982/11, dass der Kläger in dem dortigen Prozess pflichtgemäß mitgewirkt hat. So hat er Stellungnahmen erstellt und zum Inhalt der einzelnen Behandlungen umfassend als Zeuge ausgesagt. Bei dieser Gelegenheit hat er auch die Übergabe der Behandlungsunterlagen angeboten, was aber damals als unnötig erachtet und abgelehnt wurde. Ausweislich der beigezogenen Akte hat sich der hiesige Beklagte nach dem im Vorprozess ergangenen gerichtlichen Hinweis auf die Unschlüssigkeit seines Klagevorbringens auf den Inhalt der Zeugenaussage des hiesigen Klägers gestützt, die er mithin als umfassend und ausreichend angesehen hat. Dass der damalige Kläger den Inhalt der Zeugenaussage des Behandlers und hiesigen Klägers nicht schriftsätzlich wiedergegeben hat, was ihm oblegen hätte, weshalb zur Klageabweisung als derzeit unbegründet abgewiesen wurde, war damit nicht auf ein Versäumnis des Behandlers, des hiesigen Klägers, zurückzuführen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren entspricht dem Wert des geltend gemachten Zahlungsantrags zuzüglich eines Teilbetrags von € 5.626,12 aus dem behaupteten Schadensersatzanspruch, mit dem der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung erklärt hat.

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