Medizinrecht

Befreiung einer Tierärztin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

Aktenzeichen  S 56 R 878/16

Datum:
8.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BTÄO BTÄO § 1, § 2 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Frage, ob wegen der Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer besteht, ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen und zu beantworten (ebenso BSG BeckRS 2013, 68510). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Abgrenzungskriterium muss dabei sein, dass das Gepräge der Tätigkeit durch den Bezug zur Tiermedizin besteht. Dabei muss der Bezug zur Veterinärmedizin durch die jeweilige Tätigkeit entstehen, die Tätigkeit selbst muss dem Berufsbild des Tierarztes entsprechen und von diesem geprägt werden. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 13.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin für ihre Tätigkeit als Tierarzt im Außendienst bei E-Firma C. GmbH & Co KG ab dem 01.11.2014 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid vom 13.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Klägerin für ihre Tätigkeit als Tierarzt im Außendienst von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Der Klägerin steht ein Anspruch auf diese Befreiung zu.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte für die Beschäftigung, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Unstreitig ist die Klägerin seit dem 16.05.2012 Mitglied der Bayerischen Landestierärztekammer sowie seit dem 25.06.2012 Mitglied der beigeladenen Bayerischen Ärzteversorgung, die die weiteren gesetzlichen Vorgaben erfüllen.
Sie übt seit dem 01.11.2014 als Tierarzt im Außendienst auch eine Tätigkeit aus, wegen der sie Pflichtmitglied der 16.05.2012 Mitglied der beigeladenen Bayerischen Landestierärztekammer sowie seit dem 25.06.2012 Mitglied der beigeladenen Bayerischen Ärzteversorgung ist.
Fraglich ist, wann eine Tätigkeit gegeben ist, „wegen der” die Pflichtmitgliedschaft in der 16.05.2012 Mitglied der beigeladenen Bayerischen Landestierärztekammer begründet wird.
Die Kammer vermag sich der von der Beklagten vertretenen Ansicht, dieses Erfordernis sei nur dann erfüllt, wenn die betreffende Tätigkeit zwingend die Approbation voraussetze, nicht anzuschließen.
Diese Auffassung widerspricht den Grundsätzen, die das BSG in seinem Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11, Rniedergelegt hat. Das BSG hat dort ausgeführt, dass die Frage, ob wegen der Beschäftigung Pflichtmitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer besteht, anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen und zu beantworten ist (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 R, Rn. 34, zitiert nach Juris).
Dieser Ansatz steht wiederum in Einklang mit den vom BSG in seinem Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R, dargestellten Grundsätzen zur Befreiung von Syndikusanwälten von der Rentenversicherungspflicht. In diesem Urteil hat das Bundessozialgericht ebenfalls auf die ständige Rechtsprechung des BGH als für das Berufsrecht der Rechtsanwälte zuständigem Gericht verwiesen, und in Gleichlauf mit dieser Rechtsprechung verneint, dass der Syndikus als Rechtsanwalt tätig ist und daher einen Anspruch auf Befreiung verneint.
Die einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen setzen vorliegend jedoch gerade nicht voraus, dass die Tätigkeit, die die Mitgliedschaft begründen soll, zwingend die Approbation voraussetzt.
Kann dem Prüfungsansatz der Beklagten daher nicht gefolgt werden, ist unter Zugrundelegung der Grundsätze des Urteils vom 31.10.2012 anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Vorschriften zu prüfen, ob die Klägerin seit November 2014 als Tierärztin tätig ist. Abgrenzungskriterium muss dabei sein, dass das Gepräge der Tätigkeit durch den Bezug zur Tiermedizin besteht (BayVG, Beschluss vom 24.08.2005, M 16 K 05.1193). Dabei kann nicht alleine maßgeblich sein, ob veterinärmedizinisches Wissen zur Anwendung kommt. Vielmehr muss der Bezug zur Veterinärmedizin durch die jeweilige Tätigkeit entstehen, die Tätigkeit selbst muss dem Berufsbild des Tierarztes entsprechen und von diesem geprägt werden. So stellt der Beschluss vom 24.08.2005 in seiner Begründung letztlich auch darauf ab, dass die dort maßgebliche Tätigkeit dem Berufsbild entspricht.
Nach § 1 BTÄO ist der Tierarzt berufen, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, zur Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Tierbestandes beizutragen, den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken. § 1 der Berufsordnung für die Tierärzte in Bayern erweitert den Auftrag um den Schutz der menschlichen Gesundheit und die Aufgaben, zum Schutz des Verbrauchers und der Umwelt die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln sowie nicht vom Tier stammender Lebensmittel und Bedarfsgegenstände sicherzustellen. Der Tierarzt ist der berufene Schützer der Tiere.
Diesem so geprägten Berufsbild entspricht die Tätigkeit der Klägerin.
Hierbei ist zum einen davon auszugehen, dass die Aufnahme der Klägerin in die Landestierärztekammer und die Ärzteversorgung eine erhebliche Tatbestandswirkung hat. Allerdings ist zu prüfen, ob die Tätigkeit lediglich unter beiläufiger Nutzung tiermedizinischer Kenntnisse unter werbewirksamer Nutzung des Doktortitels und ohne berufsspezifischen Zusammenhang mit einer nur nachrangig ausgeübten tierärztlichen Berufsausübung erfolgt (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 08.08.2013, L 14 R 1207/13) und damit nicht mehr dem Berufsbild des Tierarztes entspricht und von diesem geprägt wird.
Vorliegend ist unter Würdigung aller Umstände davon auszugehen, dass die tierärztliche Tätigkeit nicht nur nachrangig und unter einer nur beiläufigen Anwendung tiermedizinisches Fachwissens erfolgt, sondern die Tätigkeit von dem Berufsbild des Tierarztes geprägt wird.
Zwar hat die Tätigkeit der Klägerin große Nähe zum Vertrieb der Produkte ihres Arbeitgebers, auch wenn sie diese Produkte bei ihren Besuchen in den Arztpraxen nicht mit führt und auch keine Bestellungen entgegen nimmt. Denn letztendlich steht in den Gesprächen, die sie mit den Tierärzten im Rahmen ihrer Praxisbesuche oder bei telefonischen Nachfragen führt, die Frage im Mittelpunkt, ob die von den Ärzten geschilderten Krankheitsfälle mit Produkten der Arbeitgeberin behandelt werden können. Hierbei ist auch zu beachten, dass Tierärzte berechtigt sind, Futtermittel zu verkaufen und dies auch in größerem Umfang tun. Ihrerseits besteht daher nicht alleine aus medizinischen Gründen ein Interesse an den Informationen, die sie von der Klägerin erhalten können.
Auf der anderen Seite stellt die Tierernährung ein Pflichtfach des Studiums der Tiermedizin dar. Die Klägerin hat auch durchaus nachvollziehbar geschildert, dass ihre Tätigkeit sich auch auf Behandlungen im Bereich Tierernährung erstreckt. So hat sie im Rahmen ihrer Tätigkeit auch Bezug zu Behandlungsfällen in den einzelnen Praxen und hilft damit Leiden und Krankheiten der Tiere verhüten, lindern und heilen. So ist sie gefordert, Befunde auszuwerten und passende Produkte zu empfehlen. Im Einzelfall gehört hierzu auch die Berechnung und Zusammenstellung einer individuellen Ration.
Die Klägerin hilft auch Leiden und Krankheiten der Tiere verhüten oder heilen, indem sie Vorträge auf Fortbildungen der Akademie für tierärztliche Fortbildungen hält. Es handelt sich hierbei um Fortbildungsveranstaltungen, durch die Tierärzte ihre Fortbildungsverpflichtung erfüllen können, die durch die Akademie für tierärztliche Fortbildungen anerkannt werden müssen. Darüber hinaus hält die Klägerin Vorträge für Ärzte in Klinken oder Praxen, aber auch in kleinerem Umfang für Tierhalter.
Die Kammer geht davon aus, dass dieser tierärztliche Teil der Tätigkeit der Klägerin das Gepräge gibt. Denn die Klägerin absolviert mit dieser Tätigkeit die Weiterbildung „Zusatzbezeichnung Ernährungsberatung (Kleintiere)”.
Kann sich die Klägerin jedoch mit der Tätigkeit als Tierärztin weiter bilden, spricht dies dafür, dass die Tätigkeit im Schwerpunkt als die eines Tierarztes anzusehen ist. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Weiterbildung nach den Bestimmungen zur Weiterbildung der Bayerischen Landestierärztekammer nur an einer vom Aufgabengebiet geeigneten Einrichtung erfolgen kann. Zudem muss die Weiterbildung einen spezifischen Tätigkeitskatalog während der Weiterbildungszeit umfassen. Prof. Dr. F., Lehrstuhl für Tierernährung und Diätetik an der LUM, hat am 06.12.2016 bestätigt, dass die Tätigkeit der Klägerin im Bereich Ernährungsberatung bei E-Firma GmbH & Co. KG diese Voraussetzungen erfüllt.
Da die Klägerin ihre Tätigkeit bei E-Firma GmbH & Co. KG zum 01.11.2014 aufgenommen hat und ihren Befreiungsantrag am 07.01.2015 gestellt hat, kann die Befreiung zum Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit ausgesprochen werden, § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI.
Der Klage war daher stattzugeben.
Der Ausspruch über die Kosten folgt aus §§ 183, 193 SGG.

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