Aktenzeichen S 30 R 2449/14
Leitsatz
1 Die Definition der Berufsbilder in den kammerpflichtigen akademischen Berufen muss den Kammern selbst im Zusammenwirken mit dem Gesetzgeber überlassen bleiben und ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Rentenversicherungsträger hat keine Prüfungskompetenz über das für § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI maßgebliche Beamtenverhältnis oder über die Rechtmäßigkeit der Gewährleistungsentscheidung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2014 verurteilt, die Klägerin von der Versicherungspflicht zu befreien.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Beigeladenen zu übernehmen.
Gründe
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig.
Sie ist auch begründet. § 6 Absatz 1 S. 1 Nr. 1 SGB IV gebietet auf Antrag die Befreiung derjenigen Beschäftigten und selbstständig Tätigen von der Versicherungspflicht, die wegen ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit kraft Gesetzes Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe und zugleich kraft Gesetzes Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.
Mit weiteren vorliegend unstrittigen Anforderungen hat der Gesetzgeber eine in den neunziger Jahren beobachtete Tendenz beschränkt, immer neuen Berufsgruppen durch Schaffung oder Ausweitung von Versorgungswerken außerhalb der Rentenversicherung die Befreiung hiervon zu ermöglichen.
Ein Rentenversicherungsträger hat sich bei der Prüfung einer kraft Gesetzes eintretenden Versicherungsfreiheit nach § 5 SGB VI und einer auf Antrag einzuräumenden Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI zunächst bei mehreren Varianten in hohem Maße an den Entscheidungen eines jeweils anderen Rechtsträgers zu orientieren.
So hat der Rentenversicherungsträger keine Prüfungskompetenz über das für § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 maßgebliche Beamtenverhältnis oder über die Rechtmäßigkeit der Gewährleistungsentscheidung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI.
Auch die Aufnahme einer Architektin in die Architektenkammer und das ihr zugeordnete Versorgungswerk hat eine erhebliche Tatbestandswirkung. Der Rentenversicherungsträger darf und muss angesichts solcher Aufnahmeentscheidungen zunächst durchaus annehmen, dass es sich bei der entsprechenden Person um eine Architektin in einer berufsspezifischen Tätigkeit oder Beschäftigung handelt. Gleichwohl ist vom Gesetz gedeckt und von der Rechtsprechung anerkannt, dass durch den Rentenversicherungsträger geprüft werden muss, ob die Mitgliedschaft in einer entsprechenden berufsständischen Versorgungseinrichtung auf genau jener Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit beruht, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht begehrt wird. Eine solche Prüfung könnte im Einzelfall auch zu dem abweichenden Ergebnis führen, dass beispielsweise eine journalistische Tätigkeit in einer mit Fragen des Lebensstils befassten Redaktion mit nur oberflächlichem Bezug beispielsweise zur Wohnkultur unter lediglich beiläufiger Nutzung architekturspezifischer Kenntnisse ggfs. unter werbewirksamer Nutzung eines akademischen Titels ohne berufsspezifischen Zusammenhang mit der zur Mitgliedschaft im Versorgungswerk führenden Berufsausübung bleibt.
In diesem Zusammenhang zu verstehen ist das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 08.09.2015 L 19 R 554/11, in dem es um einen Unternehmensberater ging, der Kenntnisse aus seinem studierten Beruf als Arzt naturgemäß in einer eher weitgefassten und unverbindlichen Ableitung „noch“ nutzen konnte.
Vorliegend ist jedoch mit ausreichender Deutlichkeit und unwidersprochen belegt, dass die Tätigkeitsbereiche der Klägerin in hohem Maße fachspezifisch für eine Landschaftsarchitektin sind. Für die Klägerin ist überdeutlich ein Arbeitsprofil nachgewiesen, in dem technische, rechtliche, ökonomische, ökologische, energetische, ästhetische und politische Fragestellungen bei der Planung, Errichtung und laufenden Betreuung von Bauwerken und öffentlichen Anlagen verantwortlich zu bearbeiten sind. Sicherlich hätte die Gemeinde D-Stadt die Stelle der Klägerin auch mit einer Bautechnikerin mit Fachhochschulabschluss besetzen können, doch hat sie sich für eine Landschaftsarchitektin entschieden. Es überschreitet die Prüfungskompetenz des Rentenversicherungsträgers, diese Entscheidung zu überprüfen und zu bewerten. Die insoweit mit einer gewissen Offenheit formulierte Stellenanzeige der Gemeinde ist in ihrer abstrakten Formulierung nicht dazu geeignet, das Berufsbild der Klägerin in der konkreten Ausübung zu definieren. Die Klägerin ist Landschaftsarchitektin, hat als Landschaftsarchitektin eine ihrer Qualifikation angemessene Stelle gefunden und übt die Tätigkeit einer Landschaftsarchitektin aus. Diese Tatsachen sind von Gericht und von der Beklagten zu beachten und werden nicht durch die hypothetischen Überlegungen entwertet, dass eine anderweitige Besetzung der gegenständlichen Stelle möglich gewesen wäre.
Die Definition der Berufsbilder in den kammerpflichtigen akademischen Berufen muss den Kammern selbst im Zusammenwirken mit dem Gesetzgeber überlassen bleiben und ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung. Es kann nicht angehen, dass die Beklagte mit berufs- und standesrechtlicher Letztverbindlichkeit darüber entscheidet, wer in Deutschland ein Arzt, ein Apotheker oder ein Architekt ist.
Nach alledem war in Übereinstimmung mit der aktuellen Rechtsprechung aus anderen Bundesländern dem Befreiungsbegehren der Klägerin Folge zu leisten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.