Aktenzeichen M 17 K 17.5823
GOZ § 5 Abs. 2 S. 1, 4
Leitsatz
1 Das Vorliegen einer „Besonderheit“, die ein Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes (Schwellenwert) nach § 5 Abs. 2 S. 4 Hs. 2 GOZ rechtfertigt, unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung und setzt als eng auszulegende Ausnahmevorschrift voraus, dass die besondere Schwierigkeit bzw. der vermehrte Aufwand einer Behandlung gerade auf eine bei dem betreffenden Patienten auftretende, von der Masse der behandelten Fälle abweichende Besonderheit zurückzuführen ist, was von dem behandelnden Zahnarzt im Einzelnen zu begründen ist (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 166453; BayVGH BeckRS 2011, 30607; VG München BeckRS 2018, 22672 Rn. 19, 20). (Rn. 41 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
2 Erschwernisse, die eine Überschreitung des Schwellenwertes rechtfertigen sollen, können nicht allein mit der Lage eines Zahns begründet werden. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
3 Möglicherweise höhere Investitionskosten für digitale Röntgengeräte dürfen nicht zu Lasten des Patienten über einen erhöhten Gebührenfaktor ausgeglichen werden. (Rn. 77) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Eine Entscheidung über die Klage durfte im Einverständnis mit den Beteiligten nach §§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 528,21 € folglich kann ihn deren Ablehnung durch Bescheid vom 13. Oktober 2017 und Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 auch nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Annahme der Beihilfestelle, dass die Honorarforderung der Zahnarztpraxis allenfalls bis zu einer Höhe von 2.817,08 € beihilfefähig sei, erweist sich nach gerichtlicher Überprüfung als korrekt. Der Beklagte hat insoweit zu Recht darauf verwiesen, dass die Begründungen der Zahnärztin hinsichtlich der abgerechneten Gebührenziffern GOZ 0100, 2040, 2080 und 2100 (Behandlung vom …2017); GOZ 9000 (Behandlung vom …2018); GOZ 0100, 2040, 2100, 2080 (Behandlung vom …2017); GOZ 2030, 2040, 2400, GOÄ 5000, GOZ 2410, 2420, 2430 (Behandlung vom …2017); GOZ 2040, 2100, 2080 (Behandlung vom …2017) sowie GOZ 2040, 2400, GOÄ 5000, GOZ 2420, 2440, 2197, 2030 und 2060 (Behandlung vom …2017) die jeweilige Überschreitung des 2,3fachen Gebührensatzes nicht rechtfertigen.
1. Zahnärztliche Leistungen sind gemäß § 8 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Die Angemessenheit beurteilt sich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BayBhV insoweit ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden (§ 7 Abs. 1 Satz 3 BayBhV).
Nach § 5 Abs. 4 Satz 2 GOZ bildet der 2,3-fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab; ein Überschreiten dieses Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten, das heißt die Schwierigkeit und der Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung, dies rechtfertigen. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben (§ 5 Abs. 4 Satz 3 GOZ).
Zwar ist dem Zahnarzt bei der Bestimmung des Steigerungsfaktors durch § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbares Ermessen eingeräumt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 14.12.2011 – 5 LA 237/10 – juris Rn. 21). Dieses besteht jedoch nur auf der Rechtsfolgenseite. Das Vorliegen von „Besonderheiten“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ auf der Tatbestandsseite unterliegt dagegen der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit (BVerwG, U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – NJW 1994, 3023, 3024; VG München, U.v. 23.5.2013 – M 17 K 11.4984).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 17.2.1994 – 2 C 10/92 – NJW 1994, 3023) müssen Besonderheiten in diesem Sinn gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sein. Eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Art und Weise der Behandlung kann ein Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes (Schwellenwert) nach § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ nicht rechtfertigen. Die Vorschrift hat Ausnahmecharakter und ist dementsprechend eng auszulegen. Diesem Ausnahmecharakter widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei einer Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwerts rechtfertigen würde. Erforderlich ist somit eine gerade in der Person des Betroffenen liegende Besonderheit. Der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand muss auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein; rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen dagegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.04.2011 – 14 ZB 10.1544 – juris Rn. 4; VG Stuttgart, U.v. 28.01.2011 – 3 K 2870/10; VG München, U.v. 23.05.2013 – M 17 K 12.59; U.v. 23.05.2013 – M 17 K 11.4984; a.A. noch: VGH BW U.v. 17.9.1992 – 4 S 2084/91 – juris Rn. 48). Zwar sollte es nicht so sein, dass der Arzt bzw. Zahnarzt für die Begründung der Schwellenwertüberschreitung mehr Zeit aufwenden muss als für die eigentliche Behandlung. Ausführliche ärztliche Berichte oder gar Gutachten können daher nicht verlangt werden. Allerdings muss sich aus der gegebenen Begründung entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten eine von der Masse der behandelnden Fälle abweichende Besonderheit vorlag und insbesondere, worin denn diese Besonderheit bestand (VG Hannover, Gerichtsbescheid vom 07.12.2009 – 13 A 2981/09 – juris Rn. 165). Hierbei ist auch zu beachten, dass die Begründung allein vom behandelnden Zahnarzt selbst gegeben werden kann. Die Klagepartei ist dazu als Adressat der Begründung weder berechtigt noch im Stande (VG Stuttgart, U.v. 21.9.2009 – 12 K 6383/07 – juris Rn. 64).
2. Unter Anwendung dieses Maßstabs auf den konkreten Fall ergibt sich, dass die in der Rechnung der Zahnarztpraxis vom … September 2017 enthaltenen, im Beihilfebescheid beanstandeten Begründungen allesamt nicht geeignet sind, den Anforderungen der Rechtsprechung und des § 5 GOZ entsprechend eine Überschreitung des 2,3fachen Gebührensatzes zu rechtfertigen.
Im Einzelnen ergibt sich dies wie folgt:
„2.1. Die Abrechnung einer 3,3fachen (Behandlungsdatum … Juli 2017) bzw. 3,2fachen (Behandlungsdatum … Juli 2017) Gebühr anstelle einer 2,3fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 0100 wurde jeweils mit einem erhöhter Zeitaufwand der Injektion bedingt durch langsame und schrittweise Injektion der Anästhesieflüssigkeit zur Vermeidung von Weichgewebsschäden begründet.“
Dass bei Vornahme einer Leitungsanästhesie Weichgewebsschäden vermieden werden sollten, versteht sich von selbst. Eine langsame und schrittweise Injektion der Anästhesieflüssigkeit entspricht daher zahnärztlichem Standard und kann nicht für die Begründung eines besonderen Erschwernisses der konkreten Behandlung herangezogen werden. Die Begründung ist daher nicht geeignet, eine Abrechnung des 3,3fachen bzw. 3,2fachen Gebührensatzes anstatt des üblichen 2,3fachen Gebührensatzes zu rechtfertigen.
2.2. Die Schwellenwertüberschreitungen hinsichtlich der abgerechneten Gebührenziffer 2040 wurden allesamt mit einem erhöhten Zeitaufwand bedingt durch Individualisieren konfektionierter Klammern zur entsprechenden Anpassung und Fixierung begründet. Dass eine Kofferdamklammer bereits von sich aus den sehr variablen anatomischen Verhältnissen entspricht, ist in den seltensten Fällen der Fall. Eine Individualisierung der Klammern ist fast immer nötig, dies zeigt sich schon daraus, dass ausweislich der Rechnung der Zahnarztpraxis in sämtlichen Zahnregionen, an denen solche Klammern gelegt wurden (Ziffer 2040 wurde sowohl für die Region 38-41, als auch für die Regionen 11-27, 16-21 und 13-25 abgerechnet) laut Rechnungsbegründungen eine Individualisierung der Klammern erfolgte. Ein von der Mehrzahl der Fälle abweichender, besonders aufwändiger Behandlungsfall lässt sich daher auch hier nicht erkennen. Die Begründung reicht nicht aus, um die Steigerung des Gebührensatzes über den Schwellenwert hinaus zu rechtfertigen.
2.3. Die Abrechnung einer durchgängigen 3,5fachen Gebühr anstelle einer 2,3fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 2080 wurde jeweils mit erhöhtem Zeitaufwand durch minimalinvasive Präparation bei maximaler Schonung der Zahnhartsubstanz; erhöhtem Zeitaufwand durch extrem tiefe approximale Kavität mit schwerem Zugang bzw. erhöhtem Schwierigkeitsgrad durch erschwerte Retentionsgewinnung für Füllung in Adhäsivtechnik begründet.
Dass bei der Präparation und Restauration einer Kavität die Zahnhartsubstanz maximal geschont werden sollte, versteht sich von selbst. Die minimalinvasive Präparation entspricht daher zahnärztlichem Standard. Tiefe approximale (im Zahnzwischenraum bestehende) Kavitäten, die naturgemäß schwieriger zugänglich sind, treten häufig auf und stellen keine Besonderheit dar.
Warum die Retentionsgewinnung erschwert gewesen sein soll, wird in der Begründung nicht dargelegt und ist damit nicht nachvollziehbar. Patientenbezogene und einzelfallabhängige Besonderheiten werden nicht dargelegt. Auch diese Begründung ist daher nicht ausreichend, um eine Schwellenwertüberschreitung zu rechtfertigen.
2.4. Die Abrechnung einer durchgängigen 3,5fachen Gebühr anstelle einer 2,3fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 2100 wurde jeweils mit erhöhtem Zeitaufwand durch minimalinvasive Präparation bei maximaler Schonung der Zahnhartsubstanz; erhöhtem Schwierigkeitsgrad durch erschwerte Retentionsgewinnung für Füllung in Adhäsivtechnik bzw. erhöhtem Zeitaufwand auf Grund funktioneller, aufwendiger Frontzahn-/Kauflächengestaltung bzw. erschwerten Umständen der Ausführung bedingt durch weit distal gelegenem Behandlungsgebiet; dadurch verminderter Sicht und eingeschränkter Behandlungsmöglichkeit (hinsichtlich Präparation von Zahn Nr. 48) begründet.
Dass bei der Präparation und Restauration einer Kavität die Zahnhartsubstanz maximal geschont werden sollte, versteht sich von selbst. Die minimalinvasive Präparation entspricht daher zahnärztlichem Standard. Warum die Retentionsgewinnung erschwert gewesen sein soll, wird in den Begründungen nicht dargelegt und ist damit nicht nachvollziehbar (s.o.). Lediglich die Rechnungsbegründung zu Ziffer 2100 hinsichtlich der Region 14 mdv (Fußnote 37 der Rechnung) begründet die erschwerte Retentionsgewinnung nachvollziehbar mit dem Vorliegen von Sulcusfluid (einem Sekret, das sich in Zahnfleischtaschen bildet und auf eine Zahnfleischentzündung hinweist), aus diesem Grund hat die Beihilfestelle auch im Beihilfebescheid vom 13. Oktober 2017 zu Recht – und nicht wie der Beklagtenvertreter meint, zu Unrecht – eine Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen auf den 2,3fachen statt 3,5fachen Gebührensatz hinsichtlich dieser Rechnungsposition unterlassen.
Eine funktionelle Frontzahn- bzw. Kauflächengestaltung ist bei einer Füllung immer erforderlich und somit keine Besonderheit. Warum sie hier besonders aufwendig gewesen sein soll, wird nicht dargelegt und ist somit nicht nachvollziehbar. Zumal die Begründung unabhängig vom konkret behandelten Zahn pauschal eine aufwendige Frontzahn- oder Kauflächengestaltung behauptet, obwohl je nach behandelten Zahn naturgemäß nur entweder ein Frontzahn oder eine Kaufläche gestaltet werden muss. Eine einzelfallabhängige und auf die konkrete Leistung bzw. den konkret behandelten Zahn bezogene Begründung eines besonderen Erschwernisses lässt die Rechnung vermissen.
Hinsichtlich der Begründung zum behandelten Zahn 48 ist zunächst im Einklang mit dem Beklagten festzustellen, dass dieser aufgrund seiner hinteren Lage stets schlecht eingesehen werden kann und schwer zugänglich ist. Dass die GOZ davon ausgeht, dass bei sämtlichen Behandlungen von – naturgemäß schwer zugänglichen – Seitenzähnen ein, gegenüber der Behandlung von leicht zugänglichen Frontzähnen erhöhter Gebührensatz angesetzt werden kann, ist schwer vorstellbar, da der Großteil der Zähne im Mund im schwerer zugänglichen Seitenmundbereich liegt und die Ansetzung eines über den 2,3fachen Gebührenfaktors hinausgehenden Faktors somit die Regel wäre – was sie aber, wie oben dargestellt, gerade nicht sein soll. Es ist davon auszugehen, dass der 2,3fache Gebührensatz den durchschnittlichen Aufwand für jeden beliebigen Zahn, unabhängig von seiner Lage pauschaliert abbilden soll und somit Erschwernisse, die eine Überschreitung des Schwellenwerts rechtfertigen sollen, nicht allein mit der Lage des Zahns begründet werden können. Personenbezogene, besondere Umstände der behandelten Patientin wurden hier ohnehin nicht dargelegt.
Sämtliche der in der Rechnung enthaltenen Begründungen für die Schwellenwertüberschreitungen hinsichtlich der GOZ Ziffer 2100 sind daher, mit Ausnahme der oben genannten Begründung zu der Behandlung in Region 14 mdv, nicht ausreichend, um die Begründungsanforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ zu erfüllen. Dies gilt auch für die für das Behandlungsdatum … Juli 2017 abgerechneten GOZ Ziffern 2100. Eine Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen auf den 2,3fachen statt 3,5fachen Gebührensatz ist hier im streitgegenständlichen Beihilfebescheid zugunsten des Klägers hinsichtlich dieser Positionen zu Unrecht unterlassen worden. Der Beklagtenvertreter weist insoweit zu Recht daraufhin, dass bezüglich dieser Positionen dem Kläger ein Zuviel an Beihilfe gewährt worden ist.
2.5. Die Abrechnung einer 3,5fachen Gebühr anstelle einer 2,3fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 9000 wurde mit einem erhöhten Zeitaufwand auf Grund eingehender Analyse und umfangreicher Diagnostik wegen Nähe zur Kieferhöhle und überdurchschnittlichen Umständen wegen schwieriger knöcherner Strukturen begründet.
Allein die Lage der behandelten bzw. untersuchten Zähne in der Nähe zur Kiefernhöhle kann nicht für die Begründung einer besonderen Schwierigkeit, welche die Schwellenwertüberschreitung rechtfertigt, herangezogen werden (s.o.). Warum und inwiefern die knöchernen Strukturen sich besonders schwierig darstellten, wird nicht näher begründet und ist nicht nachvollziehbar, zumal bei der Notwendigkeit von Implantationen in der Regel Knochendefizite vorhanden sein werden. Die Begründung der Schwellenwertüberschreitung ist daher auch hier nicht ausreichend.
2.6. Die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Abrechnungsziffer 2030 für die Zahnregion 25 wurde jeweils mit erschwerten Umständen bei der Ausführung auf Grund vermehrter Salvation begründet.
Ein vermehrter Speichelfluss ist eine typische Stressreaktion auf eine zahnärztliche Behandlung. Inwiefern bei der Ehefrau des Klägers ein außergewöhnlich, gegenüber der Mehrzahl der Fälle besonders erhöhte Speichelproduktion vorlag, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Was genau unter einem „vermehrten“ Speichelfluss zu verstehen ist, ist unklar und somit viel zu allgemein formuliert und objektiv zu wenig nachprüfbar, um Besonderheiten des Einzelfalls zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass sich ein vermehrter Speichelfluss leicht mit entsprechenden Absaugvorrichtung bewältigen lässt (so auch VG Hannover, Gerichtsbescheid vom 07.12.2009 – 13 A 2981/09 – juris Rn. 201). Auch hier ist die Begründung daher nicht geeignet, eine Abrechnung des 3,3fachen Gebührensatzes anstatt des üblichen 2,3fachen Gebührensatzes zu rechtfertigen.
2.7. Die Abrechnung einer 3,5fachen Gebühr anstelle einer 2,3fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 2400 wurde mit einer erhöhten Schwierigkeit bei der Ausführung auf Grund Mehrfachmessungen in Folge von Messungenauigkeiten durch Restfeuchtigkeit begründet.
Ein Mundraum ist stets feucht, es sei denn, dem wurde durch entsprechende Maßnahmen seitens des Zahnarztes entgegengewirkt. Insbesondere ein trockener Wurzelkanal kann nie erwartet werden. Die Messungenauigkeiten aufgrund von Restfeuchtigkeit sind daher keine gegenüber der Mehrzahl der Behandlungsfälle herausstechende Besonderheit, die einen erhöhten, überdurchschnittlichen Aufwand des behandelnden Zahnarztes erkennen lassen. Auch diese Begründung ist daher für die Rechtfertigung einer Schwellenwertüberschreitung nicht ausreichend.
2.8. Die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Abrechnungsziffer 2410 wurde mit einem erhöhten Zeitaufwand bei der Aufbereitung bedingt durch schrittweises langsames Vorgehen zur Aufbereitung auch aller Kanäle sowie Finnen/Isthmen (Nebenkanäle) begründet.
Die GOZ Ziffer 2410 hat die Abrechnung der Aufbereitung eines Wurzelkanals zum Gegenstand, sie wird je behandeltem Wurzelkanal (hier also zweifach) abgerechnet. Die in der Begründung angegebene „Aufbereitung aller Kanäle“, einschließlich – regelmäßig vorhandener – Nebenkanäle ist damit Leistungsinhalt und kann kein besonderes Erschwernis der konkreten Behandlung begründen. Auch ein langsames und schrittweises Vorgehen ist bei einer Wurzelkanalaufbereitung, angesichts der schmalen und schwer einsehbaren Zahnwurzelkanäle, regelmäßig erforderlich. Patientenspezifische Besonderheiten lässt auch diese Begründung vermissen, sodass auch hier die Schwellenwertüberschreitung nicht gerechtfertigt ist.
2.9. Die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Abrechnungsziffer 2420 wurde mit einem erhöhten Zeitaufwand wegen starker bakterieller Besiedelung des Wurzelkanalsystems und notwendigen mehrfachen Maßnahmen begründet.
Eine bakterielle Besiedelung der Wurzelkanäle ist Voraussetzung einer Wurzelkanalbehandlung, da diese dem Entfernen der Keime dient (siehe GOZ Kommentar der Bundeszahnärztekammer (Stand Dezember 2017, abrufbar unter: https://www.bzaek. de/fileadmin/PDFs/goz/nov/goz-kommentar-bzaek.pdf) zu Ziffer 2410). Sie kann daher nicht als Begründung eines besonderen Erschwernisses der Behandlung herangezogen werden. Dass eine im Vergleich zu den üblichen Fällen außergewöhnlich starke und ausgeprägte bakterielle Besiedelung der behandelten Zahnwurzeln vorlag, wurde nicht ausreichend dargelegt. Zumal die Wurzelkanalreinigung nach GOZ Ziffer 2420 am gleichen Zahn laut Rechnung zweimal innerhalb von einem Monat vorgenommen wurde, sodass jedenfalls bei der zweiten Behandlung, nach bereits vorhergegangener Säuberung der Wurzelkanäle in der ersten Behandlung, eine noch vorhandene besonders starke bakterielle Besiedelung der Zahnwurzel nicht mehr plausibel erscheint. Die notwendigen mehrfachen Maßnahmen sind bereits dadurch abgegolten, dass die GOZ Ziffer 2420 jeweils zweifach, je behandeltem Kanal abgerechnet wurden. Dass mehrfache Maßnahmen pro behandeltem Kanal notwendig gewesen wären, lässt sich der Rechnungsbegründung nicht entnehmen. Auch diese Begründung rechtfertigt daher die Schwellenwertüberschreitung nicht.
2.10. Die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Abrechnungsziffer 2430 wurde mit einem erhöhten Zeitaufwand bei der Aufbereitung bedingt durch mehrfaches Trockenlegen des Wurzelkanals zur verbesserten Anhaftung des Medikaments begründet.
Ein komplett trockener Wurzelkanal kann, wie oben bereits dargelegt, nie erwartet werden. Dass bei der Patientin der Wurzelkanal abweichend von der Mehrzahl der Fälle besonders feucht gewesen sein soll, wird nicht dargelegt. Zumal hier ohnehin hinsichtlich des behandelten Zahnes ein Kofferdam gelegt wurde, der die durch Speichel bedingte Feuchtigkeit des Zahnes eigentlich abhalten sollte, die beschriebene besondere Feuchtigkeit des Wurzelkanals also nicht nachvollziehbar erscheint.
Auch die Begründung der Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich dieser Abrechnungsziffer ist daher nicht ausreichend.
2.11. Die erschwerte, unter der Ziffer 2440 abgerechnete Füllung der Wurzelkanäle wurde mit einem erhöhten Zeitaufwand bei der Wurzelfüllung bedingt durch schwieriges Abfüllen der Unregelmäßigkeiten wie zusätzliche Finnen/Isthmen (Nebenkanäle) begründet.
Das Vorhandensein von Nebenkanälen an der Zahnwurzel ist keine Besonderheit. Dass bei der Patientin abweichend von den durchschnittlichen Fällen besonders viele und/oder schwer zugängliche Nebenkanäle an der Zahnwurzel vorlagen, wird in der Rechnungsbegründung nicht vorgetragen. Zumal die zuvor durchgeführte Aufbereitung der Zahnwurzel eigentlich dazu führen sollte, dass Unregelmäßigkeiten in den Wurzelkanälen weitestmöglich beseitigt werden.
Auch diese Begründung reicht daher nicht für eine Rechtfertigung des Ansatzes des erhöhten Gebührenfaktors.
2.12. Die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Abrechnungsziffer 2197 wurde mit einer erhöhten Schwierigkeit wegen extrem tiefer Kavität begründet.
Tiefe Kavitäten stellen (wie bereits oben festgestellt) keine Besonderheit dar. Im Übrigen ist objektiv zu wenig nachprüfbar, was unter einer „tiefen“ Kavität zu verstehen ist, sodass diese Begründung auch hier zu allgemein und losgelöst von den patientenspezifischen Besonderheiten formuliert ist, um eine einzelfallbezogene Überschreitung des Schwellenwertes zu rechtfertigen.
2.13. Die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Abrechnungsziffer 2060 wurde mit einer erhöhten Schwierigkeit wegen extrem tiefer unterminierender Kavität mit erhöhtem Materialverbrauch begründet.
Eine tiefe Kavität stellt keine Besonderheit dar (s.o). Das für die Restauration erforderliche Material ist laut Leistungsbeschreibung des GOZ Kommentars der Bundeszahnärztekammer von der Gebührenziffer erfasst.
Insoweit kann offen bleiben, die GOZ Ziffern 2060, 2080, 2100, 2120 mit der Ziffer 2197 an einem behandelten Zahn überhaupt gleichzeitig abrechenbar sind (ablehnend: Stellungnahme der Bundeszahnärztekammer vom März 2014, abrufbar unter: https://www.bzaek.de/fuer-zahnaerzte/gebuehrenordnung-fuer-zahnaerzte-goz/ informationen-zur-goz.html#c3596; AG Stuttgart, U. v. 28.06.2016 – 9 C 1059/16; VG Stuttgart, U. v. 18.11.2014 – 13 K 757/13; bejahend: AG Siegburg, U. v. 24.07.2017 – Az. 116 C 29/15).
2.14. Die erschwerte, unter der GOÄ Ziffer 5000 abgerechnete Füllung der Wurzelkanäle wurde mit einem erhöhten Zeitaufwand bedingt durch strahlenarme, digitale Röntgentechnik begründet.
Die digitale Röntgentechnik unterscheidet sich von der herkömmlichen lediglich dadurch, dass die Röntgenbilder nicht mehr auf analogen Röntgenfilmen, sondern digital aufgenommen werden (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Digitales_Röntgen). Inwiefern durch Verwendung dieser Technik ein zeitlicher Mehraufwand entstehen sollte, ist nicht nachvollziehbar, zumal die Verwendung dieser Technik mittlerweile allgemein üblich ist. Zwar mag das Anfertigen eines Röngtenbildes in digitalisierter Form aufgrund der möglicherweise höheren Investitionskosten für derartige Röntgengeräte finanziell nicht so attraktiv sein. Dies darf jedoch nicht zulasten des Patienten über einen erhöht angesetzten Gebührenfaktor ausgeglichen werden. Jedenfalls wurden patientenspezifische Besonderheiten, die die Schwellenwertüberschreitung rechtfertigen, nicht dargelegt.
3. Insofern der Beklagtenvertreter darauf hinweist, dass bei der Beihilfeberechnung zulasten des Klägers hinsichtlich der für die Behandlung vom … Juli 2017 abgerechneten GOZ Ziffer 2040 versehentlich eine Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen des Klägers um 8,78 € statt richtig um nur 8,04 € und beihilfefähigen Aufwendungen hinsichtlich der für die Behandlung am gleichen Tag abgerechnete GOZ Ziffer 2100 versehentlich nur zweistatt dreimal anerkannt worden seien, trifft dies zu. Diese unberechtigte Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen hinsichtlich dieser Ziffern in Höhe von insgesamt 83,79 € (0,74 € für Ziffer 2040 und 83,05 € für Ziffer 2100) wird jedoch durch eine zugunsten des Klägers im angegriffenen Bescheid versehentlich unterlassene Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen in Höhe von insgesamt jedenfalls 108,86 € wieder aufgewogen:
3.1. Hinsichtlich der Ziffern 2040 und 2400 mit Behandlungsdatum … August 2017 sowie der Ziffer 2040 mit Behandlungsdatum … August 2017 sind aufgrund eines Übertragungsfehlers lediglich Kürzungen der beihilfefähigen Aufwendungen um jeweils nur 4,02 € (Ziffern 2040) bzw. 4,72 € (Ziffer 2400) erfolgt. Tatsächlich hätten die Rechnungspositionen bei der korrekten Anwendung eines 2,3fachen Gebührenfaktors um einen Betrag von insgesamt 34,96 € (jeweils 8,04 € für die Ziffer 2040 und 18,88 € für die Ziffer 2400) gekürzt werden müssen, es ergibt sich eine zugunsten des Klägers unterlassene Kürzung in Höhe von 22,20 € (34,96 € abzüglich vorgenommener Kürzung in Höhe von 12,76 €).
3.2. Wie oben bereits dargelegt, hätte auch hinsichtlich der zweimalig abgerechneten GOZ Ziffer 2100 mit Behandlungsdatum … Juli 2017 eine Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen erfolgen müssen, da die für die Schwellenwertüberschreitung in der Rechnung dargelegten Begründungen auch hier nicht ausreichend sind (siehe unter 2.4.). Es ergibt sich eine zugunsten des Klägers im Beihilfebescheid unterlassene Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen in Höhe von 86,66 € (zweimal 43,33 €).
3.3. Unrichtig ist der Einwand des Beklagten, auch hinsichtlich der abgerechneten Ziffer 2100 (Region 14 mdv) mit Behandlungsdatum … August 2017 wäre die Schwellenwertüberschreitungen nicht ausreichend begründet worden (siehe oben). Hier hat die Beihilfestelle im angegriffenen Bescheid vielmehr korrekterweise eine Kürzung unterlassen.
3.4. Da die zu Unrecht unterlassenen Kürzungen der beihilfefähigen Aufwendungen die zu Unrecht erfolgten Kürzungen im Beihilfebescheid schon jetzt überwiegen, kann die Frage, ob die für Ziffer 2030 in der Rechnung enthaltene Begründung („Erhöhter Zeitaufwand bei der Ausführung bedingt durch Behandlung verschiedener Maßnahmen in der gleichen Kieferhälfte, z.B. Fäden legen, Separieren, Stillung einer Blutung“) ausreicht, um eine Abrechnung des 3,4 fachen Gebührensatzes an Stelle des 2,3fachen Gebührensatzes zu rechtfertigen, dahinstehen. Dafür spricht, dass in mehreren verschiedenen besonderen Maßnahmen i.S.d. GOZ Ziffer 2030 in einer Kiefernhälfte ein Indiz für einen zusätzlichen Aufwand für die Leistung nach der Ziffer 2030 gesehen werden könnte (so der Kommentar der Bundeszahnärztekammer zu GOZ Ziffer 2030). Allerdings liefert die Rechnungsbegründung keine nähere Stellungnahme, welche konkreten verschiedenen Maßnahmen getroffen wurden, sondern begnügt sich mit pauschaler, beispielhafter Aufzählung. Dies verwirkt die Überzeugungskraft der Rechnungsbegründung und lässt sie lediglich losgelöst vom Einzelfall formelhaft aufgesagt wirken.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe. Die beihilfefähigen Aufwendungen wurden im angegriffenen Bescheid nicht zu niedrig, sondern vielmehr zu hoch angesetzt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzu-weisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.