Aktenzeichen 14 B 15.2489
BBG § 80 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1 § 23 Abs. 1 BBhV iVm Anlage 9 BBhV begründet keine Ausnahme iSd § 6 Abs. 1 S. 2 BBhV von dem Grundsatz des § 6 Abs. 1 S. 1 BBhV, dass nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Behandlung chronischer Rückenschmerzen besteht keine Indikationsempfehlung und somit auch keine Notwendigkeit zur Verordnung von Wärmetherapie und manueller Therapie. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Diese Therapieoptionen können nur in akuten Fällen medizinisch indiziert sein, und zwar in der Regel immer nur für einen begrenzten Zeitraum und gemeinsam mit aktiven Behandlungsoptionen (Bewegungstherapie bzw. Krankengymnastik). Voraussetzung ist eine dokumentierte Befundverschlechterung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Erfolglosigkeit der Schmerzbekämpfung durch ein Eigenübungsprogramm des Patienten führt nicht zwangsläufig zur Notwendigkeit der Therapieoptionen Wäremetherapie und manuelle Therapie. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 K 13.716 2015-05-12 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage des Klägers auf Gewährung von Beihilfeleistungen aufgrund der beiden Verordnungen vom „7. Januar 2013“ in Höhe von 480,20 Euro zu Recht als unbegründet abgewiesen, da der Kläger mangels medizinischer Notwendigkeit dieser Behandlungen keinen Anspruch auf die beantragte Beihilfe hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen verlangt werden, soweit nicht eine später ergangene Regelung Rückwirkung für vergangene Zeiträume entfaltet (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 8 m.w.N.). Anwendbar sind deshalb – ausgehend von der Verordnung und Durchführung der streitgegenständlichen Anwendungen Anfang des Jahres 2013 – §§ 6, 23 BBhV in der vom 20. September 2012 bis 25. Juli 2014 geltenden Fassung vom 8. September 2012 (BBhV a.F.).
1. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV (alter und neuer Fassung) sind beihilfefähig grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen. Andere Aufwendungen sind nach Satz 2 der Vorschrift ausnahmsweise beihilfefähig, soweit die Bundesbeihilfeverordnung die Beihilfefähigkeit vorsieht oder die Ablehnung der Beihilfe im Hinblick auf die Fürsorgepflicht nach § 78 des Bundesbeamtengesetzes eine besondere Härte darstellen würde.
a) Das Auslegungsergebnis des Verwaltungsgerichts, dass Heilmittel gemäß § 23 Abs. 1 BBhV (alter und neuer Fassung) nur dann beihilfefähig sind, wenn sie i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV medizinisch notwendig und wirtschaftlich angemessen sind, ist nicht zu beanstanden. Bereits in § 80 Abs. 2 Satz 1 BBG ist geregelt, dass beihilfefähig grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen insbesondere in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen sind. Die gesetzliche Vorgabe wird in § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV und damit in Kapitel eins der Bundesbeihilfeverordnung, das die für alle (nachfolgenden) Arten von Aufwendungen geltenden allgemeinen Vorschriften enthält, wiederholt. Medizinisch notwendig sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Aufwendungen dann, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden, der Beseitigung oder dem Ausgleich körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen dienen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren (BVerwG, U.v. 10.10.2013 – 5 C 32.12 – ZBR 2014, 134 Rn. 13 m.w.N.). Allerdings ist nicht jede Therapie, die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzt wird, medizinisch notwendig und beihilfefähig. Die Kosten lediglich nützlicher, aber nicht notwendiger Behandlungen muss der Beihilfeberechtigte selbst tragen. Ob eine Maßnahme, für die Beihilfe beansprucht wird, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV erfüllt, bestimmt sich nach objektiv medizinischen Kriterien (vgl. schon BVerwG, U.v. 22.2.1968 – II C 11.67 – Buchholz 238.91 BGr 1942 Nr. 10). Auf die subjektive Sicht des Arztes oder des Patienten kommt es demnach nicht an.
Zuständig für die Entscheidung über die Notwendigkeit von Aufwendungen ist – zunächst – nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BBhV (alter und neuer Fassung) die Festsetzungsstelle. Zwar kann diese in der Regel davon ausgehen, dass das, was der Arzt durchgeführt oder angeordnet hat und damit auch in Rechnung gestellt wird, notwendig ist. Allerdings belegt eine ärztliche Verordnung nicht automatisch, dass jedwede Behandlung medizinisch indiziert wäre. Hat die Festsetzungsstelle Zweifel an der Notwendigkeit geltend gemachter Aufwendungen – solche waren vorliegend schon aufgrund der Vorgeschichte, insbesondere der wiederholten und engmaschigen Verordnung von physiotherapeutischen Behandlungen u.a. durch den Allgemeinarzt berechtigt – und kann sie aufgrund fehlender eigener Sachkunde diese Zweifel nicht ausräumen, kann sie nach § 51 Abs. 1 Satz 2 BBhV (alter und neuer Fassung) ein Gutachten hierzu einholen. Auf der Grundlage einer solchen Begutachtung kann sie die medizinische Notwendigkeit von Aufwendungen trotz ärztlicher Verordnung durch eigene Entscheidung verneinen (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2014 – 14 ZB 13.2658 – juris Rn. 7 f. m.w.N. zu den weitgehend gleichlautenden bayerischen Beihilfebestimmungen). Der Begriff der „Notwendigkeit“ von Aufwendungen stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Anwendung im Einzelfall der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 19.06 – NVwZ-RR 2008, 713 Rn. 9 m.w.N.).
b) Die Auffassung des Klägers, § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV gelte wegen Satz 2 dieser Vorschrift nicht für Aufwendungen für Heilmittel, so dass hier bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung die medizinische Notwendigkeit nicht gesondert durch die Festsetzungsstelle geprüft werden könne, geht fehl (BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 14 ZB 15.1283 – juris Rn. 10). § 6 Abs. 1 Satz 2 BBhV betrifft andere als notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen. § 23 Abs. 1 BBhV sieht aber gerade nicht die ausnahmsweise Beihilfefähigkeit von nicht notwendigen und wirtschaftlich angemessenen Aufwendungen vor, sondern regelt die vom Verordnungsgeber im Einzelnen grundsätzlich für notwendig und angemessen bewerteten Aufwendungen für Heilmittel, konkretisiert also für den Bereich der Heilmittel das in § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV enthaltene Gebot der Notwendigkeit und Angemessenheit. Die in § 23 Abs. 1 i.V.m. Anlage 9 BBhV (alter und neuer Fassung) im Einzelnen aufgelisteten Voraussetzungen machen neben § 6 Abs. 1 Satz 2 BBhV insoweit Sinn, als der Verordnungsgeber abschließend die von ihm im Sinne einer notwendigen und angemessenen Versorgung grundsätzlich erstattungsfähigen Heilmittel festlegen will. Dies bedeutet aber nicht, dass – wie auch bei den übrigen Arten von Aufwendungen, die vom Verordnungsgeber hinsichtlich ihrer Erstattungsfähigkeit näher konkretisiert werden (vgl. etwa §§ 22, 25 BBhV) – im Einzelfall – etwa bei einem Übermaß an diagnostischen Maßnahmen (vgl. etwa OVG NW, B.v. 27.8.2015 – 1 A 1202/15 – juris Rn. 22) – eine Überprüfung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV nicht ergehen und zu dem Ergebnis führen kann, dass trotz Vorliegens der grundsätzlichen Voraussetzungen (einschließlich ärztlicher Verordnung) nach § 23 Abs. 1 BBhV eine medizinische Notwendigkeit zu verneinen ist. Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 BBhV als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist und mögliche Anwendungsfälle etwa nur Leistungen von Heilpraktikern nach § 13 BBhV bzw. Spezialuntersuchungen in wissenschaftlichen Instituten sind. Die vom Kläger in Bezug genommenen Passagen des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 2013 – 1 A 334/11 – (juris Rn. 84 f.) stützen dessen Auffassung schon deshalb nicht, weil es dort nur um die Frage ging, ob § 6 Abs. 1 Satz 2 BBhV a.F. eine allgemeine Härtefallregelung in Bezug auf (grundsätzlich notwendige) nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel darstellt, was das Gericht verneint hat.
2. Nach dem Ergebnis der im gerichtlichen Verfahren durchgeführten Beweisaufnahme fehlt es an der medizinischen Notwendigkeit der durch den Allgemeinarzt des Klägers unter dem „7. Januar 2013“ insgesamt verordneten 20 Behandlungseinheiten manuelle Therapie und 20 Behandlungseinheiten Fango.
a) Der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. med. P* … kommt zwar in seinem Gutachten vom 25. Mai 2017 und seinem Ergänzungsgutachten vom 18. September 2017 unter Darstellung des allgemeinen medizinischen Erkenntnisstands zu dem Ergebnis, dass eine kategorische Ablehnung von physikalischen Therapieoptionen wie Thermotherapie (Fango) und manuelle Therapie bei einem nicht-spezifischen chronischen Schmerzsyndrom im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule medizinisch nicht gerechtfertigt sei. Allerdings seien die Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ in ihrer 1. Auflage aus dem Jahr 2010 sowie ihrer 2. Auflage aus dem Jahr 2017 eindeutig, was die Evidenz des dauerhaften Einsatzes dieser beiden Therapieoptionen angehe; für die Behandlung chronischer Rückenschmerzen bestehe danach keine Indikationsempfehlung für die Verordnung von Wärmetherapie und manueller Therapie. In Abhängigkeit von den medizinisch dokumentierten Befunden (Schmerzen und Funktionseinschränkungen) könnten diese Therapieoptionen nur in akuten Fällen medizinisch indiziert sein, und zwar in der Regel immer nur für einen begrenzten Zeitraum und gemeinsam mit aktiven Behandlungsoptionen (Bewegungstherapie bzw. Krankengymnastik). Angewendet auf den konkreten Fall des Klägers bedeute dies, dass eine dauerhafte Verordnung von Fango und manueller Therapie nur als flankierende Maßnahmen bei einer akuten Befundverschlechterung bzw. Schmerzexazerbation seines chronisch degenerativen, nicht spezifischen Lenden- und Brustwirbelsäulensyndroms gerechtfertigt sei. Die Prüfung der in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen habe ergeben, dass für den streitgegenständlichen Behandlungszeitraum keine ausreichenden Befunde vorlägen, die eine Verordnung von Fango und manueller Therapie rechtfertigen könnten. Zwar zeigten die Befunde, dass im Juli und August 2012 eine zumindest subjektive Befundverschlechterung beim Kläger vorgelegen habe, auch wenn die dokumentierten Befunde dies nicht schlüssig wiedergäben. Für den streitgegenständlichen Zeitraum Anfang des Jahres 2013 sei eine solche Befundverschlechterung jedoch nicht dokumentiert. Es lägen für den gesamten Zeitraum September 2012 bis September 2013 keine medizinischen Befunde vor, die eine solche Verschlechterung belegen könnten.
b) Diese Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, dessen fachliche Kompetenz unbestritten ist, sind nachvollziehbar und werden nach der Erstellung des Ergänzungsgutachtens vom 18. September 2017, in dem ergänzende Fragen des Klägers beantwortet wurden, letztlich auch vom Kläger nicht mehr substantiiert in Zweifel gezogen. Da somit die medizinische Notwendigkeit der verordneten physiotherapeutischen Behandlungen – eine Anspruchsvoraussetzung, für die der Kläger die materielle Beweislast trägt – nicht festgestellt werden kann, ist ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten der verordneten Behandlungseinheiten zu verneinen. Der Auffassung des Klägers, der Umstand, dass er regelmäßig aktive Bewegungstherapie betrieben habe und trotzdem wegen Schmerzen einen Arzt habe aufsuchen müssen, spreche mit einer vernünftige Zweifel ausschließenden Gewissheit für die medizinische Notwendigkeit der ärztlichen Verordnungen, kann nicht gefolgt werden. Denn die Erfolglosigkeit des Eigenübungsprogramms des Klägers führt nicht zwangsläufig zur Notwendigkeit der physikalischen Therapieoptionen Thermotherapie (Fango) und manuelle Therapie; dies gilt umso mehr, als der Kläger sich seit Jahren wiederholt neben diesem von ihm durchgeführten Eigenübungsprogramm engmaschig physiotherapeutische Behandlungen hat verordnen lassen.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG.