Medizinrecht

Beihilfefähigkeit von S-Adenosyl-Methionin verneint

Aktenzeichen  Au 2 K 15.1274

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV BayBhV § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 5, § 18 S. 1, S. 4 Nr. 2
AMG AMG § 2 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Das Mittel S-Adenosyl-Methionin (SAM) ist kein Arzneimittel im Sinne von § 18 S. 1 BayBhV (aF) bzw. § 18 S. 1 Nr. 1 BayBhV (nF) iVm § 2 Abs. 1 AMG. Es handelt sich um ein Nahrungsergänzungsmittel iSd § 2 Abs. 3 AMG, für welche die Kostenübernahme gemäß § 18 S. 4 Nr. 2 BayBhV grundsätzlich ausgeschlossen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Einzelfall kann ein Nahrungsergänzungsmittel als Arzneimittel anerkannt werden, wenn eine pharmakologische Wirkung des Nahrungsergänzungsmittels in Betracht kommt (ebenso VGH München BeckRS 2010, 36908). Jedoch können Aminosäuremischungen wie SAM nur zur Behandlung einer anders nicht behandelbaren Stoffwechselerkrankung als Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinn anerkannt werden (ebenso OVG RhPf BeckRS 2005, 26725). (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei den Aufwendungen für das Präparat handelt es sich nur um notwendige Aufwendungen im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayBhV, wenn die Einnahme von SAM zur Behandlung der konkreten Erkrankung als wissenschaftlich allgemein anerkannt anzusehen ist (§ 7 Abs. 5 BayBhV). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Beihilfebescheide vom 31. Januar 2015 und 16. März 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Beihilfe für das Mittel S-Adenosyl-Methionin (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt werden (BVerwG, U. v. 15.12.2005 – 2 C 34.05 – NVwZ 2006, 1191; U. v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – juris Rn. 12; BayVGH, B. v. 12.1.2010 – 14 ZB 09.1304 – juris Rn. 4 m. w. N.). Da die Klägerin mit ihrer Klage die Erstattung von Aufwendungen für das das Mittel S-Adenosyl-Methionin (SAM) begehrt, die ihr zwischen dem am 7. Februar 2014 und 20. Januar 2015 entstanden sind, ist folglich auf die zu diesem Zeitraum geltende Rechtslage abzustellen. Damit ist für die rechtliche Beurteilung auf den zum 1. April 2009 in Kraft getretenen Art. 96 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) und die auf der Grundlage dieser Regelung erlassene und am 1. Januar 2007 (GVBl. S. 15) in Kraft getretene Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV -) abzustellen, wobei für die Rechnungen vom 24. November 2014 und vom 20. Januar 2015 die ab 1. Oktober 2014 gültige Fassung (n. F.). der Bayerischen Beihilfeverordnung maßgeblich ist.
Gemäß Art. 96 Abs. 1 BayBG erhalten Beamte u. a. Beihilfen als Ergänzung der aus den laufenden Bezügen zu bestreitenden Eigenvorsorge, solange ihnen laufende Besoldung, Unterhaltsbeihilfe nach Art. 97 BayBesG oder Versorgungsbezüge zustehen. Beihilfeleistungen werden zu den nachgewiesenen medizinisch notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge gewährt (Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG). Das Nähere hinsichtlich u. a. des Inhalts und Umfangs der Beihilfen regelt das Staatsministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung (Art. 96 Abs. 5 Satz 1 BayBG). Von dieser Ermächtigung ist durch den Erlass der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Bayerischen Beihilfeverordnung Gebrauch gemacht worden.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen nach den folgenden Vorschriften beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1), sie der Höhe nach angemessen sind (Nr. 2) und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3). Gemäß § 18 Satz 1 BayBhV in der bis 30. September 2014 gültigen Fassung (a. F.) sind aus Anlass einer Krankheit bei u. a. ärztlichen Leistungen nach §§ 8 bis 17 BayBhV verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten Arznei- und Verbandmittel, Medizinprodukte und dergleichen beihilfefähig. § 18 Satz 1 BayBhV (n. F.) bestimmt, dass die aus Anlass einer Krankheit bei u. a. ärztlichen Leistungen nach §§ 8 bis 17 BayBhV verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten apothekenpflichtigen Arzneimittel nach § 2 des Arzneimittelgesetzes (Nr.1), Verbandmittel (Nr. 2), Harn- und Blutteststreifen (Nr. 3) sowie Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nrn. 1 bis 3 des Medizinproduktegesetzes zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind. Allerdings sind nach § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV (a. F. und n. F.) nicht beihilfefähig Aufwendungen für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen.
a) Das Mittel SAM ist kein Arzneimittel i. S. v. § 18 Satz 1 BayBhV (a. F.) bzw. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV (n. F.) i. V. m. § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG).
Die bayerischen Beihilfevorschriften (einschließlich der dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften) enthalten keine Definition des Begriffs „Arzneimittel“, sondern setzen – wie die Beihilfevorschriften des Bundes – diesen voraus (vgl. etwa BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 26 m. w. N.). Die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG kann angesichts des ganz andersartigen Zwecks dieses Gesetzes, der dahin geht, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen (vgl. § 1 AMG), nicht ohne Weiteres auf das Beihilfe übertragen werden, das die Beteiligung des Dienstherrn an Kosten der Krankenbehandlung der Beamten und ihrer Angehörigen regelt. Die arzneimittelrechtliche Definition kann allerdings als Ausgangspunkt für die Bestimmung der im Beihilfe verwendeten gleichlautenden Begriffe dienen (BVerwG, U. v. 30.5.1996 – 2 C 5.95 – ZBR 1996, 314; BayVGH, U. v. 17.5.2010 – 14 B 08.3164 – juris Rn. 39 m. w. N.).
Nach § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Keine Arzneimittel sind insbesondere Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches – LBFG – (§ 2 Abs. 3 AMG). Nach § 2 Abs. 2 LBFG, der wiederum auf Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 verweist, sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Auch Nahrungsergänzungsmittel sind damit im Regelfall keine Arzneimittel (vgl. BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 30). Zwar können im Einzelfall Umstände auftreten, die ein Produkt trotz der Bezeichnung als Nahrungsergänzungsmittel als Arzneimittel erscheinen lassen (BVerwG, U. v. 26.5.2009 – 3 C 5/09 – NVwZ 2009, 1038, 1040), namentlich dann, wenn eine pharmakologische Wirkung des Nahrungsergänzungsmittels in Betracht kommt, wenn also durch das Produkt über die ernährungsphysiologische Wirkung hinausgehend eine gezielte Beeinflussung des Zustandes und der Funktion des Körpers stattfindet (BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 31). Kann eine pharmakologische Wirkung im Einzelfall aber nicht eindeutig festgestellt werden, bleibt es bei der Einordnung als Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel und dem daraus folgenden Ausschluss der Beihilfefähigkeit (vgl. ausführlich: BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 32 m. w. N.).
Der beihilferechtliche Arzneimittelbegriff setzt nicht voraus, dass die Therapie wissenschaftlich anerkannt oder eine solche Anerkennung zumindest zu erwarten ist. Der auf den materiellen Zweckcharakter eines Präparats abstellende beihilferechtliche Arzneimittelbegriff zwingt nicht dazu, bereits auf dieser Ebene Fragen der allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung oder Ausnahmen hiervon zu behandeln. Die Systematik der Bayerischen Beihilfeverordnung spricht vielmehr dafür, diese Frage allein und abschließend im Rahmen der Notwendigkeit bzw. Angemessenheit der Aufwendungen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayBhV bzw. bei der Frage des Ausschlusses der Beihilfefähigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 BayBhV i. V. m. Anlage 1 [a. F.] bzw. Anlage 2 [n. F.] zu § 7 BayBhV) zu prüfen (BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 33).
Das Präparat SAM ist weder als Arzneimittel registriert noch in einer Liste über Arzneimittel (z. B. Rote oder Gelbe Liste) als solches aufgeführt. Es besitzt auch keine Zulassung als Arzneimittel in der Bundesrepublik Deutschland, wird vom Hersteller als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet und als solches von ihm vertrieben. Bereits dies spricht objektiv gegen die Annahme, bei SAM würde es sich um ein Arzneimittel handeln. Die Zweckbestimmung von SAM als Nahrungsergänzungsmittel wird zudem durch die Produktbeschreibung des Herstellers, Heidelberger Chlorella, bestätigt. Diese lautet u. a. wie folgt (siehe http://www.heidelberger-chlorella.de/nahrungsergaenzung/aminosaeuren/sam-s-adenosylmethionin/):
„S-Adenosylmethionin ist eine körpereigene Aminosäure und die aktive Form von Methionin. Es ist an zahlreichen Reaktionen des intermediären Stoffwechsels beteiligt. (…) Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung verwendet werden.“
Auch die Firma, Capsumed Pharm, über welche die Klägerin das Präparat bezogen hat, tritt ausschließlich als „Experte für Nahrungsergänzungsmittel“ auf (siehe www.capsumed.com):
„Seit Jahren begleitet die Capsumed Pharm GmbH Unternehmen erfolgreich auf ihrem Weg im Markt für Nahrungsergänzungsmittel. Als erfahrener Full-Service Pharma Lohnhersteller bieten wir Ihnen ein individuell zugeschnittenes Leistungspaket von der Rezepturentwicklung bis zum Versand Ihres fertigen Nahrungsergänzungsmittels an Ihre Kunden.“
Nach der Aufmachung des Produkts und der Werbung hierfür wird der Durchschnittsverbraucher kaum annehmen, dass es sich bei SAM – entgegen der eindeutigen Bezeichnung – um ein Arzneimittel handelt, zumal der Hersteller besonders darauf hinweist, dass SAM als Nahrungsergänzungsmittel nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung verwendet werden soll. Der verständige Verbraucher wird daher annehmen, es handle sich bei SAM um ein Nahrungsergänzungsmittel. Dies bestätigt auch das vom Beklagten beauftragte Gesundheitsamt, welches in den (ergänzenden) Stellungnahmen vom 21. Januar 2015, 18. März 2015 und 29. Dezember 2015 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass SAM ein Lebensmittel im Sinne eines Nahrungsergänzungsmittels sei.
Trotz der Bezeichnung als Nahrungsergänzungsmittel können aber andere Umstände hinzutreten, die ein Produkt gleichwohl als Arzneimittel erscheinen lassen (BVerwG, 26.5.2009 – 3 C 5.09 – Rn. 22 m. w. N.). Das gilt namentlich dann, wenn eine pharmakologische Wirkung des Nahrungsergänzungsmittels in Betracht kommt, wenn also durch das Produkt über die ernährungsphysiologische Wirkung hinausgehend eine gezielte Beeinflussung des Zustandes und der Funktion des Körpers stattfindet (BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 31 m. w. N.).
Von einer pharmakologischen Wirkung, d. h. davon, dass durch SAM Krankheiten geheilt oder verhindert werden können, ist in den Herstellerangaben nicht ausdrücklich Rede. Es wird lediglich ausgeführt, dass SAM an zahlreichen Reaktionen des intermediären Stoffwechsels beteiligt sei. SAM ist nach allgemein zugänglichen Quellen (siehe z. B.: www. vitamine-ratgeber.de; www.wikipedia.de; www.centrosan.de; www.naturalproducts.wiki.de) die Form der Aminosäure L-Methionin, die im Stoffwechsel aktiv ist. Es entsteht aus der Aminosäure Methionin durch eine Reaktion mit Adenosintriphosphat (ATP). Dieses wiederum wird bei der Verstoffwechslung von Glucose erzeugt. SAM fungiert in zahlreichen biochemischen Prozessen als Methylgruppenüberträger, stellt Methylgruppen für Methylisierungsreaktionen zur Verfügung und ist damit zentral für Entgiftungsvorgänge im Körper. Ebenso wichtig ist SAM für den Enzymstoffwechsel (siehe z. B. www.naturalproducts.wiki.de; www.gesund-heilfasten/nahrungsergaenzung/s-adenosylmethionin-sam-e.html). Zwar wird SAM in einigen Quellen ein „medizinischer Anwendungsbereich mit einem breiten Wirkspektrum“ u. a. auch zur Behandlung von Depressionen zugeschrieben (z. B. www.wikipedia.de; http://www.provitaspharma.com/index_htm_files/SAMe.pdf), jedoch ist auch dort klargestellt, dass SAM als Nahrungsergänzungsmittel verkauft wird.
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass nach der von der Klägerseite in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 7. August 2012 (- 6 K 2617/09 -) das in Rede stehende Mittel nach seinem objektiven Zweckcharakter dazu bestimmt sei, durch Einwirkung auf den menschlichen Körper zur Heilung oder Linderung einer Krankheit zu dienen. Das Gericht gelangt zu diesem Ergebnis aufgrund einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums Freiburg, wonach der Wirkstoff in einer Liste aufgeführt werde, die weltweit beschriebene, medizinisch und pharmazeutisch verwendete Stoffe benenne. Derselbe Wirkstoff sei auch in dem zugelassenen Fertigarzneimittel Gumbural (Rote Liste 2003, Nr. 05 388) enthalten. Zudem sei der Stoff nicht in der Nahrung selbst enthalten, sondern müsse vom Körper selbst hergestellt werden, was ebenfalls gerade gegen die Einordnung als Nahrungsergänzungsmittel und damit als Lebensmittel spreche (Urteilsabdruck S. 8 f.).
Dem ist entgegen zu halten, dass Gumbaral (oder Gumbural) als Wirkstoff Ademetionin enthält, wohingegen SAM durch die Reaktion aus ATP mit Methionin entsteht. Nach der amtlichen Stellungnahme des Gesundheitsamts beim Landratsamt … vom 29. Dezember 2015 sei überdies zu klären, ob SAM den Verdauungstrakt unbeschadet des enzymatischen und chemischen Angriffs der Verdauungssäfte bis zum Cytosol der Zielzelle unverändert passieren könne. Der beihilferechtliche Arzneimittelbegriff setzt aber nicht voraus, dass die Therapie wissenschaftlich anerkannt oder eine solche Anerkennung zumindest zu erwarten ist. Diese Frage ist nach der Systematik der Bayerischen Beihilfeverordnung allein und abschließend auf der Ebene der Notwendigkeit bzw. Angemessenheit der Aufwendungen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayBhV zu prüfen (BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 33 m. w. N.). Im Ergebnis dürfte SAM daher eine gewisse pharmakologische Wirkung nicht von vornherein abgesprochen werden können.
Jedoch ist weiter zu berücksichtigen, dass durch die Rechtsprechung bestimmte, ärztlich verordnete Aminosäuremischungen zwar als Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinn anerkannt wurden (vgl. BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 31). Dies allerdings nur unter der Einschränkung einer anders nicht behandelbaren Stoffwechselerkrankung (OVG RhPf, U. v. 9.5.2005 – 2 A 10106/05 – juris Rn. 24) bzw. zum Ausgleich eines infolge einer einzuhaltenden Diät auftretenden Eiweißmangels (BayVGH, U. v. 28.4.1993 – 3 B 92.3836 – juris Rn. 14 f.). Denn Aminosäuren (Eiweißbausteine) sind in der Nahrung enthalten. Auch wenn SAM in der Nahrung selbst kaum vorkommt, so ist sein Präkursor, die Aminosäure Methionin, jedoch in vielen proteinreichen Lebensmitteln enthalten. Demzufolge betont das Gesundheitsamt am Landratsamt … in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 18. März und 29. Dezember 2015, dass SAM als Aminosäuremischung beschrieben werde und davon auszugehen sei, dass bei ausgewogener Ernährung kein Mangel an Aminosäuren auftreten solle. Ausnahmen seien allenfalls bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten anzunehmen. Zwar leidet die Klägerin nach den Ärztlichen Bescheinigungen von Dr. …, …, vom 20. November 2014 und vom 8. März 2016 an einer „funktionellen Störung der neuroendokrinen Stressachse infolge eines genetischen Polymorphismus der Catechol-O-Methyltransferase (COMT)“. Daraus ergeben sich aber keine stichhaltigen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Stoffwechselerkrankung im Sinne der ICD-10 (E70-E90) oder einer anderweitigen Ernährungserkrankung. Entsprechendes gilt hinsichtlich der erstmals am 8. März 2016 vorgetragenen Nickel- und Kobaltallergie. Auch wenn daraus erhebliche Einschränkungen in der Ernährung resultieren, ist damit eine (gänzliche) Unverträglichkeit von der Zufuhr von Aminosäuren dienenden Nahrungsmitteln nicht belegt. Ebenso wenig lässt sich daraus ein Mangel an ATP ableiten, da die Bereitstellung von ATP nach der amtlichen Stellungnahme des Gesundheitsamts beim Landratsamt … vom 29. Dezember 2015 für das Leben schlechthin notwendig ist. ATP dient als Hauptenergiespeicher innerhalb von Zellen. Das Institut für medizinische Diagnostik, …, stellte im Übrigen im ärztlichen Befundbericht vom 22. April 2013 lediglich ein leicht reduziertes interzelluläres ATP fest (Bl. 94 der Behördenakte).
Danach handelt es sich bei SAM – auch wenn deren Einnahme die Beschwerden der Klägerin zu lindern bzw. zu beseitigen vermag – um ein Nahrungsergänzungsmittel, so dass die hierfür entstandenen Aufwendungen von der Beihilfe ausgeschlossen sind (vgl. § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV).
b) SAM ist aufgrund seiner – nicht von vornherein auszuschließenden pharmakologischen Wirkung (s.o.) – auch kein Medizinprodukt i. S. v. § 18 Satz 1 BayBhV (a. F.) bzw. § 18 Satz 1 Nr. 4 BayBhV (n. F.) i. V. m. § 3 Nrn. 1 bis 3 des Medizinproduktegesetzes (MPG).
c) Aber selbst wenn es sich bei SAM um ein Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinn handeln würde, dann wären die Aufwendungen der Klägerin für dieses Mittel jedenfalls nicht notwendig i. S. v. Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV.
Der Begriff der „Notwendigkeit“ von Aufwendungen stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Anwendung im Einzelfall der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (BVerwG, U. v. 20.3.2008 – 2 C 19.06 – NVwZ-RR 2008, 713). Insoweit ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zu medizinischen Behandlungen zunächst der Einschätzung des behandelnden Arztes besondere Bedeutung beizumessen. Ihr wird regelmäßig zu folgen sein, weil der behandelnde Arzt über die erforderliche Sachkunde verfügt (BVerwG, U. v. 29.6.1995 – 2 C 15.94 – DÖV 1996, 37/38; BayVGH, U. v. 11.5.2010 – 14 BV 09.876 – juris Rn. 30 m. w. N.).
Eine Ausnahme von vorstehenden Grundsätzen gilt allerdings für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethoden (vgl. dazu BVerwG, U. v. 29.6.1995 – 2 C 15.94 – DÖV 1996, 37/38), denn Aufwendungen für solche Behandlungen sind regelmäßig nicht notwendig i. S. v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z. B. BVerwG, U. v. 18.6.1998 – 2 C 24.97 – NJW 1998, 3436 = DÖD 1999, 208) ist eine Behandlungsmethode dann wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird. Um „anerkannt“ zu sein, muss einer Behandlungsmethode von dritter Seite – also von anderen als dem oder den Urhebern – attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um „wissenschaftlich“ anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um „allgemein“ anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Daher ist eine Behandlungsmethode dann „wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt“, wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt (siehe auch BVerwG, U. v. 29.6.1995 – 2 C 15.94 – DÖV 1996, 37/38).
Die fehlende allgemeine wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode oder eines Arzneimittels führt jedoch noch nicht zwangsläufig dazu, dass ein Anspruch auf Beihilfegewährung ausnahmslos ausgeschlossen ist. Denn das von der Fürsorgepflicht getragene Gebot des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV, eine Beihilfe zu „dem Grunde nach“ notwendigen Aufwendungen zu leisten, kann den Dienstherrn in Ausnahmefällen dazu verpflichten, die Kosten einer solchen Behandlungsmethode oder eines solchen Arzneimittels nach den jeweiligen Bemessungssätzen gleichwohl zu erstatten (BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 56).
Die Verpflichtung zur Beihilfegewährung ist in solchen Fällen gegeben, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit noch nicht herausgebildet hat, wenn im Einzelfall – z. B. wegen einer Gegenindikation – das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist, der Betroffene sozusagen schulmedizinisch (erfolglos) austherapiert ist. Insofern ist jedoch weiter notwendig, dass die wissenschaftlich allgemein noch nicht anerkannte Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann (BVerwG, 18.6.1998 – 2 C 24.97 – NJW 1998, 3436 = DÖD 1999, 208; BayVGH, U. v. 13.12.2010 – 14 BV 08.1982 – juris Rn. 57 m. w. N.).
Vorliegend kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von SAM zur Behandlung einer „funktionellen Störung der neuroendokrinen Stressachse infolge eines genetischen Polymorphismus der Catechol-O-Methyltransferase (COMT)“ als wissenschaftlich allgemein anerkannt anzusehen ist. Im medizinisch-wissenschaftlichen Fachschrifttum wird die Anwendung von SAM u. a. bei Depressionen diskutiert, es liegen aber keine hinreichend eindeutigen Erkenntnisse über die Wirksamkeit von SAM zur Behandlung vor (vgl. Prof. Dr. Herbert Remmer, Die problematische Wirkung von Leberschutzstoffen, Deutsches Ärzteblatt, Heft 26 1982, S. 42 ff.; Agency for Healthcare and Quality Evidence Report Number 64, http://archive.ahrq.gov/clinic/epcsums/samesum.pdf; www.gesund-heilfasten/nahrungsergaenzung/s-adenosylmethionin-sam-e.html). Dementsprechend betont auch das Gesundheitsamt am Landratsamt … in seinen fachlichen Stellungnahmen vom 16. September 2010 und vom 4. März 2011, dass es sich bei der Anwendung von SAM nicht um eine leitlinienkonforme Behandlung handle. Im Übrigen bekräftigte der amtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ebenfalls, dass er eine Behandlung mit SAM nicht als leitliniengerechte Behandlung betrachte. Eine wissenschaftlich belegte Wirksamkeit der Behandlungsform sei ihm nicht bekannt. Aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen des behandelnden Arztes geht Gegenteiliges nicht hervor. Auch lässt sich aus den Stellungnahmen nicht eindeutig entnehmen, welche Erkrankung im Sinne der ICD-10 mit dem Mittel behandelt werden soll. Insofern wären nach Auffassung des Gesundheitsamts am Landratsamt … die Krankheitswertigkeit und der Leidensdruck, der sich aus der abstrakt formulierten „funktionellen Störung der neuroendokrinen Stressachse“ ergeben soll, noch zu konkretisieren. Dies führt im Ergebnis jedenfalls dazu, dass die Aufwendungen der Klägerin für dieses Mittel nicht als notwendig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV zu erachten sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2, § 124a Abs. 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 478,73 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

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