Aktenzeichen AN 4 S 18.02072
BayVersG Art. 14, Art. 15
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1. Das Merkmal der unmittelbaren Gefahr macht eine Prognoseentscheidung dahingehend erforderlich, ob bei der Durchführung einer Veranstaltung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Darlegungs- und Beweislast für die Annahme, dass bei der Durchführung einer Veranstaltung eine konkrete unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht, trifft die Behörde, wobei aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit diese keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen darf. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. An die Gefahrenprognose können nur solche Anforderungen gestellt werden, die mit Blick auf das Kooperationsgebot (Art. 14 Abs. 2 BayVersG) und unter Berücksichtigung des Zeitraums von der Anmeldung der Versammlung bis zum Bescheidserlass durch die Behörde realistischerweise erbracht werden können. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit E-Mail vom 23. Oktober 2018 zeigte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Durchführung einer öffentlichen Versammlung bzw. einer „…“ vom 26. Oktober 2018 bis 27. Oktober 2018 mit dem Thema „…“ an. Der Anzeige wurde eine „Abfolge der Örtlichkeiten bzw. Route“ beigefügt. Daraus sind die einzelnen Stationen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin unter Angabe der voraussichtlichen Uhrzeiten ersichtlich.
Ein von der Antragsgegnerin für den 24. oder 25. Oktober 2018 vorgeschlagenes Kooperationsgespräch kam nicht zustande, da der Antragsteller wegen anderer Termine verhindert war.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 bestätigte die Antragsgegnerin die Anmeldung der Versammlung und erließ unter anderem folgende Beschränkungen:
„2.1.3: Der Versammlungsleiter oder sein Vertreter muss durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass sowohl die verfügten Beschränkungen als auch die Bestimmungen der Versammlungsgesetzes eingehalten werden. Insbesondere ist der Versammlungsleiter verpflichtet, bei Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deeskalierend auf die Versammlungsteilnehmer einzuwirken. Vermag sich der Versammlungsleiter nicht durchzusetzen, hat er unverzüglich Kontakt mit der Polizei aufzunehmen.
2.3.2: Für jedes eingesetzte Fahrzeug muss eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bestehen, die die Haftung für Schäden abdeckt, die auf den Einsatz des Fahrzeugs im Rahmen der Versammlung zurückzuführen sind.
2.3.6: Die oben angegebene Fahrstrecke ist einzuhalten. Sind aus Verkehrs- oder Sicherheitsgründen Umleitungen erforderlich, gibt die Polizei die Umleitungsstrecke vor.
2.3.9: Auf Straßen mit mehreren Fahrstreifen für eine Fahrtrichtung ist der jeweils rechte Richtungsfahrstreifen zu benutzen.
2.3.12: Im Straßenverkehr dürfen Lautsprecher, Megaphone und ähnliche schallerzeugende Geräte nur in einer Lautstärke betrieben werden, so dass andere Straßenverkehrsteilnehmer nicht in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden. Die Polizei kann eine Verminderung der Lautstärke anordnen, wenn eine solche Verkehrsgefährdung oder -erschwerung gegeben ist.
2.4.1: Der LKW ist an den Kundgebungsorten nach Einweisung durch die Polizei aufzustellen. Dabei sind Ein-/Ausfahrten, Ein-/Ausgänge zu Gebäuden und Läden, Feuerwehrzufahrten, Zu-/Ausgänge zu U- und S-Bahnsteigen sowie ÖPNV-Haltestellen von Fahrzeugen und Aufbauten freizuhalten.“
Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2018, am selben Tag bei Gericht eingegangen, ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen Ziffern 2.1.3 Satz 2 und 3, 2.3.2, 2.3.6 Satz 2, 2.3.9, 2.3.12, 2.4.1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2018 gemäß § 80 Abs. 5 anzuordnen.
Hinsichtlich der Begründung des Eilantrags wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin nahm mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2018 Stellung und beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Auf den Inhalt der Stellungnahme wird Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat keinen Erfolg.
1. Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die genannten Beschränkungen im Bescheid vom 25. Oktober 2018 ist unbegründet: Die angegriffenen Beschränkungen der Versammlung sind voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier Art. 25 BayVersG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der auf-schiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hin-gegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der wider-streitenden Interessen.
Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass eine Anfechtungsklage gegen die genannten Ziffern des Bescheids der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2018 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. An der Rechtmäßigkeit der sich auf Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG stützenden Beschränkungen bestehen keine Zweifel, sodass dem Suspensivinteresse des Antragstellers das in Art. 25 BayVersG niedergelegten Vollzugsinteresse überwiegt.
Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG setzt voraus, dass nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst unter anderem die gesamte Rechtsordnung sowie die Individualrechtsgüter Dritter. Das Merkmal der unmittelbaren Gefahr macht eine Prognoseentscheidung dahingehend erforderlich, ob bei der Durchführung der Veranstaltung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Eine unmittelbare Gefahr ist gegeben, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Bloße Vermutungen reichen für diese Annahme nicht aus. Erforderlich sind nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose. Es müssen erkennbare Umstände dafür gegeben sein, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerfG, B.v. 21.4.1998 – 1 BvR 2311/94 – NVwZ 1998, 834; B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – NJW 2010, 141). Die Darlegungs- und Beweislast trifft die Behörde. Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf diese keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – NVwZ 2013, 570).
Auf der anderen Seite können an die Gefahrenprognose nur solche Anforderungen gestellt werden, die mit Blick auf das Kooperationsgebot (Art. 14 Abs. 2 BayVersG) und unter Berücksichtigung des Zeitraums von der Anmeldung der Versammlung bis zum Bescheidserlass durch die Behörde realistischerweise erbracht werden können. Eine Spontanversammlung liegt im konkreten Fall jedenfalls nicht vor.
Dies zugrunde gelegt kann vorliegend hinreichend sicher prognostiziert werden, dass bei der Durchführung der Versammlung ohne die angeordneten Beschränkungen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage Art. 15 Abs. 1 BayVersG liegen daher vor.
a) Ziffer 2.1.3. Satz 2 und Satz 3 des Bescheids verpflichtet den Antragsteller als Versammlungsleiter, bei Störungen auf die Versammlungsteilnehmer einzuwirken und – sollte er sich nicht durchsetzen können – gegebenenfalls die Polizei zu kontaktieren. Hierbei handelt es sich um eine Konkretisierung der gesetzlichen Pflicht des Versammlungsleiters aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayVersG, wonach er während der Versammlung für Ordnung zu sorgen hat. Diese gesetzeswiederholende bzw. -konkretisierende Beschränkung ist daher nicht zu beanstanden.
b) Ziffer 2.3.2 des Bescheids regelt, dass für jedes eingesetzte Fahrzeug eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bestehen muss, die die Haftung für Schäden abdeckt, die auf den Einsatz des Fahrzeugs im Rahmen der Versammlung zurückzuführen sind. Diese Beschränkung deckt sich mit der Pflicht aus § 1 PflVG, wonach eine Haftpflichtversicherung bestehen muss, wenn das Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr verwendet wird, und ist daher ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine versammlungsspezifische, von dieser gesetzlichen Regelung abweichende Beurteilung dieser Pflicht ist nicht ersichtlich.
c) Ziffer 2.3.6 Satz 2 des Bescheids regelt, dass die Polizei für den Fall, dass aus Verkehrs- oder Sicherheitsgründen Umleitungen erforderlich sind, die Umleitungsstrecke vorgibt. Diese Beschränkung ist vom in Art. 14 BayVersG normierten Kooperationsgebot gedeckt. Demnach hat der Veranstalter mit der Behörde und der Polizei auf eine Bewältigung unvorhergesehener Konfliktsituationen hinzuwirken. Dazu gehört nach Auffassung des Gerichts auch, die Polizei eine erforderliche Ausweichstrecke auswählen zu lassen. Diese ist in höherem Maß als der Versammlungsleiter in der Lage, die Umleitung der Versammlung so zu koordinieren, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs möglichst wenig beeinträchtigt wird und verfügt insbesondere über die dafür erforderlichen Kenntnisse über die örtlichen Gegebenheiten und das Verkehrsaufkommen zur jeweiligen Tageszeit. Insbesondere ist zu beachten, dass eine Beschränkung des Dispositionsrechts des Veranstalters über den Ort der Versammlung im konkreten Fall durch eine Störung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sein muss.
d) Ziffer 2.3.9 des Bescheids regelt, dass bei mehreren Fahrstreifen in dieselbe Richtung der rechte zu benutzen ist. Nach summarischer Prüfung ist auch diese Beschränkung voraussichtlich rechtmäßig. Das Gericht erkennt dabei an, dass den öffentlichen Straßen auch die Funktion des kommunikativen Gemeingebrauchs zukommt. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Ortswahl selbst dann, wenn dadurch andere Verkehrsteilnehmer behindert oder beeinträchtigt werden. Die Versammlungsfreiheit des Antragstellers sowie der Versammlungsteilnehmer findet ihre Grenze jedoch dort, wo es ihnen ausschließlich darum geht, die Aufmerksamkeit für die Versammlung nicht nur zu erhöhen, sondern sie anderen Verkehrsteilnehmern derart aufzuzwingen, dass diese keine Möglichkeit haben, ihr auszuweichen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 – NJW 2002, 1031). Befahren die Versammlungsteilnehmer mit den in der Anmeldung der Versammlung angegebenen „zwei kleinen Lastkraftwagen“ eine zweispurige Straße, können sie diese blockieren, indem sie nebeneinander fahren. Den nachfolgenden Verkehrsteilnehmern bleibt keine Möglichkeit, auszuweichen. Insbesondere bestimmen dann die beiden Lastkraftwagen das Tempo des Verkehrsflusses. Da ein Kooperationsgespräch mit dem Versammlungsleiter nicht zustande kam, wurde der Behörde nicht näher dargelegt, ob eine solche Blockade Teil des Versammlungsgeschehens sein soll oder nicht. Unter Berücksichtigung der Kooperationspflicht ist die Ermessensentscheidung der Behörde, angesichts dieser Informationslage das Befahren der Straße gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG auf den rechten Fahrtstreifen zu beschränken, nicht zu beanstanden, vgl. Art. 14 Abs. 2 BayVersG.
e) Aus denselben Gründen ist auch Ziffer 2.4.1 des Bescheids voraussichtlich rechtmäßig. Auch diese Beschränkung soll verhindern, dass andere Verkehrsteilnehmer mehr als nur behindert werden, nämlich der Verkehr sowohl von Fahrzeugen als auch Fußgängern vollständig lahmgelegt und beispielsweise der Zugang zu Gebäuden, Läden oder S-Bahnsteigen unmöglich gemacht wird.
f) Ziffer 2.3.12 des Bescheids ist nach summarischer Prüfung ebenfalls rechtmäßig. In ermessensfehlerfreier Weise stellte die Behörde der Versammlungsfreiheit die Rechtsgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs sowie Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer gegenüber. Eine zu hohe Lautstärke der Lautsprecher und Megaphone stellt eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar, da die Verkehrsteilnehmer abgelenkt werden. Die Beschränkung genügt auch dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG: Welche Lautstärke zu einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Ablenkung der Verkehrsteilnehmer führt, kann angesichts des langen Streckenverlaufs nur im Rahmen der jeweiligen aktuellen Situation je nach Örtlichkeit, Verkehrsaufkommen und Pegel des Verkehrslärms entschieden werden. Daher muss Raum für eine Einzelfallentscheidung der anwesenden Polizeikräfte bleiben. Eine Festsetzung von starren Grenzwerten entspräche nicht dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr und würde die Versammlungsfreiheit unter Umständen stärker einschränken.
g) Art. 15 Abs. 1 BayVersG räumt der Behörde einen Ermessensspielraum ein. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich diesbezüglich gemäß § 114 Satz 1 VwGO darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und umfasst nicht die Überlegung, ob andere Lösungen zweckmäßiger gewesen wären oder ob eine Entscheidung der Behörde, die § 114 VwGO nicht genügt, aus anderen Gründen im Ergebnis aufrechterhalten werden könnte (Kopp/Schenke, 23. Aufl. 2017, § 114 Rn. 1 f.). Solche Ermessensfehler sind vorliegend nicht ersichtlich.
h) Im Ergebnis fällt die Abwägung der widerstreitenden Interessen daher zulasten des Antragstellers aus. Das in Art. 25 BayVersG niedergelegte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids sowie die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs überwiegen der eingeschränkten Versammlungs- und Kunstfreiheit.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 45.4 des Streitwertkataloges in der Fassung vom 18. Juli 2013.