Medizinrecht

Blindheitsnachweis

Aktenzeichen  L 15 BL 8/14

Datum:
26.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 131467
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BayBlindG Art. 1 Abs. 1, Art. 7 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Bei der Blindheitsbegutachtung können im Rahmen von Plausibilitätskontrollen auch die Ergebnisse von Untersuchungen berücksichtigt werden, die nicht mit dem Goldmann-Perimeter (Reizmarke III/4e) oder mit Landoltringen (Fernvisus) entsprechend der Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft durchgeführt worden sind. Den zusätzlichen Untersuchungsmethoden und Kontrollen darf jedoch keine Beweiskraft zugemessen werden (Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats vom 31.01.2013 – L 15 BL 6/07). (Rn. 73)
2. In besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder ist die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft nicht von vornherein ausgeschlossen. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist jedoch, dass feststeht, ob die Visus- und Gesichtsfeldwerte unter die normierten Grenzen herabgesunken sind bzw. welche Werte im Einzelnen erreicht werden. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht (Fortsetzung der ständigen Rechtsprechung des Senats, zuletzt vom 05.07.2016 – L 15 BL 17/12). (Rn. 78)
3. Auch bei Betroffenen, die an einer Makuladegeneration leiden, gelten für die Prüfung der Blindheit die allgemeinen Regeln, nach denen es auf den Fernvisus ankommt, selbst wenn ein (fast) vollständiger Verlust der Lesefähigkeit vorliegt und die Sehschärfe in der Ferne (deutlich) besser ist. (Rn. 79)

Verfahrensgang

S 4 BL 4/13 2014-10-29 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten hin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und begründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1.deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist im streitgegenständlichen Zeitraum ab Oktober 2012 nicht nachgewiesen.
Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren hätte oder dass ihre Sehschärfe entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 0,02 oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 27.09.2016 – L 15 BL 11/15 – und 24.01.2017 – L 15 BL 7/15) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).
Auch unter Beachtung der aus der Natur der Sache folgenden Vorgabe, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl., S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer), weil sich ein Warten auf neue und bessere (naturwissenschaftliche) Erkenntnisse aus naheliegenden Gründen verbietet (vgl. das Urteil des Senats vom 20.01.2017 – L 15 BL 16/12), ist nach dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens festzustellen, dass hier Blindheit der Klägerin nicht nachgewiesen ist. Denn zahlreiche Aspekte lassen hieran ernsthaft zweifeln.
Zwar hat die Klägerin bei zahlreichen Untersuchungen Angaben gemacht, nach denen die oben geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme von Blindheit erfüllt wären. Wie der gemäß § 109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. C. zutreffend dargelegt hat, kommt es für das Verfahren maßgeblich auf die Zweifel an diesen (subjektiven) Angaben der Klägerin an. Die vorliegenden Zweifel sind erheblich und vor allem auch begründet. Sie stehen, gerade in ihrer Gesamtheit, der Annahme entgegen, dass Blindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen würde.
1. Lichtlosigkeit
Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschließen; hierauf muss angesichts der vorliegenden einschlägigen Befunde nicht näher eingegangen werden.
2. Faktische Blindheit
Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat wie bereits darauf hingewiesen erhebliche Zweifel.
Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das insoweit überzeugende Gutachten von PD Dr. B., ferner auf die plausible versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage von Dr. L. vom 14.11.2014. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation stehen, zu eigen.
Dabei ist sich der Senat bewusst, dass die von Dr. L. erstellte Stellungnahme grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft hat und somit andere Aussagekraft besitzt als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar, nicht nur Verwaltungsgutachten, sondern auch versorgungsärztliche Stellungnahmen zu verwerten und ihnen im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 SGG) zu folgen. Ein anderer Weg, wie etwa der, versorgungsärztliche Stellungnahmen trotz fachlicher Fundiertheit und Überzeugungskraft unbeachtet zu lassen, ist für den Senat nicht denkbar. Die sachliche Äußerung der genannten Versorgungsärztin deckt sich im Übrigen auch mit den beim Senat bestehenden Fachkenntnissen, die dieser aufgrund der zahlreichen vergleichbaren Fälle im Bereich des Blindheitsnachweises erworben hat. Die Äußerungen von Dr. L. lassen nicht die Besorgnis der Befangenheit entstehen, die Klägerseite hat auch keine erheblichen Einwendungen in diese Richtung erhoben. Die Stellungnahme ist von der Klägerin lediglich im Ergebnis – und auch nur teilweise – hinterfragt worden (zur Verwendung von Verwaltungsgutachten im gerichtlichen Verfahren s. z.B. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 – L 15 VJ 6/14.)
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin an beiden Augen an einer großen zentralen Netzhaut- und Adernhautatrophie, die bis über die großen Gefäßbögen hinaus reicht und von feinen linienartigen Unterbrechungen durchzogen wird, leidet, ferner an Kurzsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Altersweitsichtigkeit und beginnendem Grauen Star. Dabei bedingt die große zentrale Netzhaut- und Aderhautatrophie eine hochgradige Sehminderung und eine hochgradige Einschränkung im Leben der Klägerin. Nach Auffassung des Senats reicht diese Einschränkung in ihrem Ausmaß bis relativ nahe an die Blindheitsgrenze im Sinne des BayBlindG heran.
Diese Feststellungen ergeben sich u.a. auch aus dem plausiblen Gutachten von PD Dr. B..
Zwar hat die Klägerin im Laufe der Untersuchungen, z.B. bei dem gemäß § 109 SGG beauftragten Sachverständigen Dr. C. nur noch einen Visus von Handbewegungen und beim Sachverständigen Dr. L. einen Visus von nur 1/70 angegeben. Auch war bei der Klägerin teilweise gar kein Gesichtsfeld mehr erhebbar. Dennoch ist faktische Blindheit der Klägerin im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG nicht nachgewiesen.
Wie die Sachverständige PD Dr. B. plausibel dargelegt hat und auch entsprechend der Zweifel des Beklagten (Stellungnahme von Dr. L. vom 14.11.2014), können diese Angaben einen Nachweis nicht erbringen. Aufgrund der zahlreichen entgegenstehenden Aspekte sind diese Angaben nicht geeignet, den Senat davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin Blindheit im Sinne des BayBlindG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (s.o.) vorliegen würde.
1. So hat Dr. L. in der genannten Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Verschlechterung des Visus innerhalb von nur sechs Monaten von 0,05 rechts und 0,16 links (Werte vom Februar 2012) auf nur noch Erkennen von Handbewegungen (Werte im September 2012) ohne akute besondere Ursache sehr ungewöhnlich ist. Zwar ist dem Senat aus zahlreichen Verfahren nach dem BayBlindG bekannt, dass es mitunter schwierig sein kann, tatsächliche Verschlechterungen der Sehfunktionen zu erklären, wenn kein Hinweis für eine erneute Schädigung etc. besteht. So hat z.B. Prof. Dr. R., der gemäß § 109 SGG im Verfahren des Senats L 15 BL 6/07 (vgl. das Urteil vom 31.01.2013) ein Sachverständigengutachten erstellt hat, plausibel dargelegt, dass man es bei umfassenden Schädigungen immer wieder erlebe, dass auch nach Jahren ohne sichtbare Änderung des morphologischen Befundes eine weitere Funktionsschädigung eintrete. Der Sachverständige hat jedoch diese Aussage für solche umfassenden Schädigungen getroffen, die auch die Sehrinde mit einbeziehen, also für die Fälle der zerebralen Schäden (vgl. zu diesem Problemkreis z.B. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82). Um solche Zerebralschäden geht es vorliegend jedoch nicht. Zudem wäre die Verschlechterung des Visus vorliegend (von 0,16 auf Handbewegungen!) massiv. Ein solcher Visusverfall bedarf jedoch entsprechend der verbindlichen Vorgaben der VG in Teil B Vorbemerkung Nr. 4 zwingend der Erklärung durch die morphologische Situation. Eine solche Erklärung gibt es vorliegend aber nicht. Insbesondere bleiben auch die Sachverständigen Dr. L. und Dr. C. eine solche Erklärung schuldig. Eine solche stellt auch nicht der Hinweis von Dr. L. dar, dass die Klägerin einerseits bei den behandelnden und andererseits bei den gutachterlich untersuchenden Augenärzten jeweils konsequent eine identische Sehschärfe angegeben habe.
2. Wie sich aus der Beweisaufnahme ergibt, sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin die Erkrankung Morbus Stargardt vorliegt. Insoweit könnte durchaus auch Einiges dafür sprechen, dass der Visus – entsprechend dieses Krankheitsbilds – deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegt. Hiergegen steht zwar der Hinweis von Dr. L., dass die Makulaveränderung nicht dem Befund einer Stargardt’schen Makuladegeneration entspreche, sondern flächenmäßig und in der Ausprägungsart diese weitaus übertreffe. Eine befriedigende Erklärung hinsichtlich der Ursache der Erkrankung der Klägerin gibt jedoch auch Dr. L. nicht.
3. Wie die Versorgungsärztin Dr. L. plausibel hervorgehoben hat, sind sowohl die Visusangaben der Klägerin als auch ihre Gesichtsfeldangaben sehr unterschiedlich ausgefallen. So sind im September 2012 und Dezember 2012 beim Visustest nur Handbewegungen erkannt worden. Im Dezember 2013 hat die Klägerin sogar angegeben, nur Unterarm- und nicht einmal Handbewegungen erkannt zu haben. Im März 2014 ist dann eine Visusbestimmung von 0,5/50 monokular bzw. 1/70 binokular möglich gewesen. Was das Gesichtsfeld betrifft, so war im Dezember 2012 eine Gesichtsfeldbestimmung nach den Angaben der Klägerin überhaupt nicht möglich, im Dezember 2013, März 2014, Januar 2016 und Dezember 2016 waren dann jedoch sehr exakte Gesichtsfeldangaben möglich. Diese aufgrund der unterschiedlichen Gesichtsfeldangaben bestehenden Bedenken sind auch von Dr. L. und Dr. C. nicht ausgeräumt worden. Wie bereits hinsichtlich des Visusverfalls innerhalb von nur sechs Monaten ist auch hinsichtlich dieser Zweifel festzustellen, dass die Gutachter hier nicht einmal im Ansatz eine Erklärung liefern. Die Angaben der Klägerin, die Blindheit begründen würden, sind somit nicht glaubhaft.
4. Zweifelhaft bleibt auch, ob die bei der Klägerin vorliegende unbestritten massive Einschränkung im zentralen Gesichtsfeld eine so ausgeprägte Visusminderung, wie von der Klägerin angegeben, bewirken kann. Wie in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.11.2014 hervorgehoben worden ist, kann bei einer Ausdehnung von ca. 30 Grad keine Visusminderung auf unter 0,05 erklärt werden. Zu dieser Frage stellt Dr. L. lediglich allgemein fest, dass „sich keine auffällige Diskrepanz der Befunde“ ergebe, wenn man die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion setze. Auch Dr. C. geht ohne nähere Begründung davon aus, dass die festgestellten Zentralskotome das Herabsinken des Visus auf nur noch Handbewegungen bewirken könnte. Genauere Erklärungen werden hier aber auch nicht geliefert.
5. Erhebliche Zweifel an der angegebenen Sehschärfe ergeben sich auch im Hinblick auf das Ergebnis des objektiven Funktionsbefundes hinsichtlich der Auslösung des OKN. Auch wenn der Gutachter Dr. L. sicherlich zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es sich hinsichtlich des festgestellten Visusäquivalents von 0,1 lediglich um einen Richtwert handelt und wenn der auf Antrag der Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. C. auf Unsicherheiten in diesem Messverfahren verwiesen hat, so entspricht es dem anerkannten und im Wesentlichen unstrittigen medizinischen Erfahrungswissen, dass eine Prüfung des OKN zur Abschätzung der Sehschärfe (ohne Antworten von Seiten des Patienten) herangezogen werden kann (vgl. z.B. Lachenmayr, Begutachtung in der Augenheilkunde, 2. Auflage, S. 71 ff.), auch wenn hier, wie bei allen anderen objektiven Testverfahren generell durchaus die Möglichkeit der Fehleinschätzung nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 27.09.2016 – L 15 BL 11/15). Wie dem Senat aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt ist, wird die Sehschärfe, bei der noch ein OKN ausgelöst werden kann, in der medizinischen Fachwelt unterschiedlich angesetzt (a.a.O.). Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass ein auslösbarer OKN eine oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetzt und bei einem (tatsächlich) auf Handbewegungen reduzierten Visus negativ ausfällt. Bei einem auslösbaren OKN beträgt die Sehschärfe mehr als Handbewegungen. Insbesondere gilt dies auch unabhängig von der Entfernung der Nystagmustrommel (a.a.O.).
6. Schließlich ergeben sich für den Senat massive Zweifel an den Angaben der Klägerin auch daraus, dass am 23.12.2016 (bei Dr. C.) erneut eine sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung möglich war, obwohl die Klägerin beim Visustest nur noch das Erkennen von Handbewegungen angegeben hat. Wie der Sachverständige in dem oben genannten Verfahren (L 15 BL 11/15) plausibel dargelegt hat, kann bei einer Sehschärfe von Handbewegungen die Testmarke III/4e nicht erkannt werden (vgl. die Ausführungen des Senats in dem genannten Urteil). Auch insoweit gehen die Gutachter Dr. L. und Dr. C. auf diese Problematik hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der klägerischen Angaben bei den subjektiven Prüfungen von Visus und Gesichtsfeld nicht näher ein.
Im Übrigen überzeugen den Senat die Ausführungen des SG hierzu nicht, dass nämlich bei der morphologischen Situation der Klägerin mit einem großflächigen Zentralskotom und einer ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien trotz eines Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld noch bestimmbar sei und auch der OKN ausgelöst werden könne. So ist diese pointierte Feststellung von den vorliegenden Gutachten, die von Blindheit der Klägerin ausgehen, nicht getroffen worden. Zum anderen liegt nahe, dass die Sehstörung der Klägerin nicht schematisch in den „erkrankten Teil“ und „gesunden Rest“ aufgeteilt werden kann, sondern dass durch die Makulaveränderungen das Sehvermögen insgesamt schwer beeinträchtigt ist. Anderenfalls würde lediglich ein Fall des von den Fallgruppen der DOG/VG berücksichtigten Zentralskotoms vorliegen bzw. die Sehschärfe in der Peripherie für unbeeinträchtigt gehalten werden. Eine solche Vorstellung entspricht jedoch nicht den medizinischen Gegebenheiten, wie aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme folgt.
7. Im Übrigen folgen massive Zweifel auch im Hinblick auf die von der vom Senat beauftragten Gutachterin PD Dr.B. aufgezeigten Unstimmigkeiten bei den klägerischen Angaben etc. (s. im Einzelnen oben). Dabei ist nicht zu beanstanden, dass die Sachverständige die vorgenannten Kontrolluntersuchungen vorgenommen hat. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. das Urteil vom 31.01.2013 – L 15 BL 6/07) und ist – völlig unbestritten – für eine sinnvolle Blindenbegutachtung unabdingbar (vgl. z.B. durchgängig bei Lachenmayr, a.a.O.), dass mit weiteren Prüfungen Plausibilitätskontrollen etc. erfolgen müssen. Die zum Einsatz gebrachten Tests stellen, wie die Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, allesamt wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden dar. Es kommt nicht darauf an, ob das eine oder andere Testverfahren Bedenken begegnet, wie sie von der Klägerseite hervorgehoben worden sind (wie z.B. hinsichtlich der Teller-Acuity-Cards), was der Senat im Einzelnen nur eingeschränkt prüfen kann, dem aber hier nicht weiter nachgegangen werden muss.
Nicht von Bedeutung ist vorliegend auch, ob es gegebenenfalls aussagekräftigere Aggravationstests gegeben hätte.
Schließlich ist für den Senat – mit Blick auf die diametral unterschiedlichen Angaben der Sachverständigen und der Klägerseite zum Ablauf der Begutachtung – letztlich auch nicht mit Sicherheit erkennbar, ob die Klägerin bei der Prüfung der Sehschärfe anhand der Lesetafel die Ziffer Fünf tatsächlich erkannt oder sonstige Kenntnis von dieser Ziffer auf der Tafel gehabt hat (z.B. wegen des von der Klägerseite am 20.09.2017 geschilderten Begutachtungsablaufs oder auch aufgrund früherer Untersuchungen).
Aufgrund der Vielzahl von Indizien, dass die Angaben der Klägerin nicht plausibel gewesen sind, ergeben sich durch das nachvollziehbare Gutachten von PD Dr. B. jedenfalls in der Gesamtheit deutliche Zweifel an den Angaben.
8. Entsprechendes gilt auch für die Verhaltensschilderungen durch Dr. G.. So hat die Klägerin durchaus eine Orientierungsfähigkeit gezeigt, die mit Blindheit nur schwer vereinbar sein dürfte. Allerdings hat Dr. C. diese Zweifel relativiert, indem er darauf hingewiesen hat, dass das periphere Gesichtsfeld wesentlich bedeutsamer sei als die zentrale Sehschärfe und dass die Klägerin ihr Orientierungsverhalten sukzessive dem Fortschreiten des Augenleidens anpassen hat können. Dennoch verbleiben aus Sicht des Senats gewisse Zweifel (vgl. im Übrigen zur generell begrenzten Bedeutung von Verhaltensbeobachtungen die Rechtsprechung des Senats, z.B. das Urteil vom 16.09.2015 – L 15 BL 2/13).
9. Faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt auch nicht vor, weil etwa aufgrund des speziellen Krankheitsbilds der Klägerin ausnahmsweise von Blindheit auszugehen wäre. Zwar ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder nach der Rechtsprechung des Senats die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. im Einzelnen die Urteile vom 31.01.2013 – L 15 BL 6/07 – sowie vom 27.09.2016 – L 15 BL 11/15). Wie der Senat ebenso bereits entschieden hat, ist Voraussetzung für die Berücksichtigung jedoch, dass feststeht, welche Visus- und Gesichtsfeldwerte im Einzelnen erreicht werden, was hier gerade nicht der Fall ist. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt insoweit nicht (vgl. das genannte Urteil vom 27.09.2016 – a.a.O. – sowie vom 05.07.2016 – L 15 BL 17/12).
Etwas Anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem Gedanken, dass gerade bei einer Makuladegeneration ein fast vollständiger Verlust der Lesefähigkeit hervorgerufen wird, obwohl die Sehschärfe in der Ferne besser sein kann (vgl. z.B. Rohrschneider, MedSach 2012, S. 5, 6), so dass trotz besserer (d.h. über 0,02 liegender) – wie vorliegend anzunehmend – Fernvisuswerte im Hinblick auf die spezielle Erkrankung bei der Klägerin dennoch von Blindheit auszugehen wäre. Dieser Gedanke widerspricht nämlich dem System der Blindheitsbeurteilung bzw. den Vorgaben der VG/DOG, die die Visusprüfung ausschließlich auf den Fernvisus reduzieren, auch wenn dies „angesichts des hohen Stellenwertes von Lesen und Schreiben für die Teilhabe am täglichen Leben verwundert“ (Rohrschneider, a.a.O.). Eine solche Ausdehnung des Blindheitsbegriffs ist dem Senat aber nicht möglich, da er an diese Vorgaben gebunden ist.
Somit schließt der Senat zwar nicht völlig aus, dass das Sehvermögen der Klägerin doch unter die maßgebliche Blindheitsschwelle herabgesunken sein könnte. Wie ausführlich dargestellt, mangelt es jedoch insoweit am notwendigen Beweis.
Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders., SGG, 12. Aufl. 2017, § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchtsrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (deutliche) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Das BSG hat in seinem Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14) eine Beweiserleichterung – selbst für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden (vgl. hierzu Braun/Zihl, a.a.O.) – klar abgelehnt. Etwas Anderes ergibt sich ferner auch nicht aus der Tatsache, dass vorliegend die Klägerin Berufungsbeklagte ist.
Anlass für weitere Ermittlungen durch den Senat und erst recht eine verfahrensrechtliche Pflicht hierzu haben nicht bestanden, auch wenn die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 106 SGG sogar vom Beklagten in den Raum gestellt worden ist. Aus Sicht des Senats war es jedoch nicht angezeigt und letztlich rechtlich auch nicht möglich, noch weitere Gutachten nach § 106 SGG einzuholen. Es ist dem Senat selbstverständlich verwehrt, solange Gutachten einzuholen, bis ein bestimmtes Ergebnis dargelegt wird. Auch ist ein Obergutachten dem sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich fremd (vgl. das Urteil des Senats vom 05.08.2014 – L 15 SB 29/12), „weil nach Verfahrensrecht alle Gutachten dieselbe Relevanz beanspruchen können“ (Kater, a.a.O., S. 25), Ein Obergutachten kommt vorliegend unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Denn in den Fällen, „in denen einander widersprechende Gutachten vorliegen, ist das Gericht gezwungen, sich mit den Einzelheiten der medizinischen Feststellungen auseinanderzusetzen, um Klarheit darüber zu gewinnen, welche überzeugen und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden können und welche nicht“ (Kater, a.a.O., S. 27). Dies hat der Senat getan. Ein Sonderfall, der die Einholung einer „dritten Meinung“ erforderlich machen würde, wie etwa dann, wenn sich zwei grundsätzliche medizinische Lehrmeinungen gegenüberstehen und das Gericht mangels eigener Sachkenntnis deren jeweilige Relevanz in der Wissenschaft nicht beurteilen kann, ist vorliegend nicht gegeben. Zudem sind in gerichtlichen Verfahren medizinische Gutachten nicht um ihrer selbst willen einzuholen. Insbesondere ist es auch nicht Sinn des Verfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 – L 15 VJ 6/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.2007 – 1 RK 28/95).
Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Der Gerichtsbescheid des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist abzuweisen. Die unbegründete Anschlussberufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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