Aktenzeichen 1 U 24/16
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1. Das Gericht genügt seiner Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht schon durch allgemeine und pauschale Hinweise, sondern nur, wenn es gezielt und konkret entscheidungserhebliche Mängel im Sachvortrag anspricht und den Parteien die Möglichkeit eröffnet, ihren Vortrag sachdienlich zu ergänzen (Anschluss an BGH BeckRS 2013, 18555 Rn. 33; BeckRS 2013, 07096 Rn. 12 f.). (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Versicherungsnehmer einer Krankentagegeldversicherung im Prozess um Krankentagegeldleistungen bislang nicht ausreichend zu seiner Berufstätigkeit und dazu vorgetragen, warum er den zuletzt konkret ausgeübten Beruf in keiner Weise mehr ausüben konnte (vgl. dazu OLG Saarbrücken BeckRS 2008, 05657 mwN), verletzt das Gericht seine Hinweispflicht, wenn es im Termin lediglich in allgemeiner Form auf prozessrechtliche Bedenken gegen die Erfolgsaussichten der Klage hinweist. Erforderlich ist ein Hinweis darauf, was das Gericht konkret vom Versicherungsnehmer noch an Vortrag erwartet und in welchen Punkten es Darlegungen hinsichtlich seiner Tätigkeit noch als ergänzungsbedürftig erachtet. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
22 O 330/15 2016-02-04 Endurteil LGCOBURG LG Coburg
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 04.02.2016, Az. 22 O 330/15 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht Coburg zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 24.268,88 € festgesetzt.
Gründe
Gründe:
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung geltend. Der Kläger hat bei dem Beklagten eine Krankentagegeldversicherung mit Beginn zum 01.09.1992 abgeschlossen. Diese wurde zum 01.09.2013 geändert. Vereinbarungsgemäß schuldet die Beklagte dem Kläger im Falle von Arbeitsunfähigkeit ab dem 43. Tag ein Krankentagegeld in Höhe von täglich 94,80 €. Die Beklagte zahlte an den Kläger für den Zeitraum vom 16.01.2015 bis 31.03.2015.
Der Kläger macht geltend, auch im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.12.2015 Anspruch auf Zahlungen von Krankentagegeld zu haben. Der Kläger trägt vor, er sei in diesem Zeitraum ausweislich der ärztlichen Atteste und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner behandelnden Ärzte arbeitsunfähig gewesen. Er verspüre einen Druck auf der Brust, leide unter Atembeschwerden, sei Diabetiker, leide unter Doppelsichtigkeit, habe Rheuma in beiden Händen, Neurodermitis, Schmerzen in beiden Knien und in der großen rechten Zehe einschließlich des Zehengrundgelenks.
Seine berufliche Tätigkeit bestehe darin, dass er bei der Firma … G. in Holfolding als Maschinist und Fahrer der mobilen Brecheranlage beschäftigt sei. Er sei dort als Springer eingesetzt. Seine Arbeitszeit gehe täglich von 8 Uhr früh bis 20 Uhr abends bzw. ab 6 Uhr früh bis 18 Uhr abends. Wegen der Beschreibung der Tätigkeit in einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz der Klägervertreter vom 24.09.2015 und die Berufungsbegründung vom 10.06.2016.
Der Beklagte stellt vor dem Hintergrund einer von ihm veranlassten Begutachtung in Abrede, dass der Kläger in den genannten Zeiträumen arbeitsunfähig gewesen sei. Der Kläger habe darüber hinaus nicht dargelegt, weshalb er seine derzeit ausgeübte Tätigkeit als Fahrer und Maschinist nicht mehr ausüben könne. Der Beklagte bestreitet die Angaben zur konkreten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers.
Mit Verfügung vom 08.09.2015 wies das Landgericht darauf hin, dass es bezüglich der Schlüssigkeit der Klage derzeit an einem entsprechenden Sachvortrag zur konkreten Ausgestaltung der letzten beruflichen Tätigkeit des Klägers fehle.
Der Kläger ergänzte daraufhin mit Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 24.09.2015 (Blatt 38-41 d. A.) die Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit.
Im Termin vor dem Landgericht Coburg vom 08.12.2015 gab das Gericht folgenden Hinweis:
„Das Gericht weist auf die prozessrechtlichen Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage hin, die bereits schriftsätzlich zur Darlegung der Arbeit des Klägers diskutiert wurden und sich des Weiteren daraus ergeben, dass der getätigte Vortrag bestritten wurde“.
Der Klägervertreter erklärte daraufhin:
„Soweit aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, wird erneut um einen richterlichen Hinweis gebeten“.
Das Gericht bestimmte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 14.12.2015.
Die Klage wurde zunächst für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 22.06.2015 erhoben. Mit Schriftsatz vom 08.09.2015 wurde die Klage auf den Zeitraum bis 09.07.2015 erweitert. Mit Schriftsatz vom 09.12.2015 wurde die Klage auf den Zeitraum bis zum 31.12.2015 erweitert.
Im Verkündungstermin vom 14.12.2015 wurde eine Verfügung verkündet. Das Gericht wies darauf hin, dass die Klageerweiterung vom 9.12.2015 nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt sei. Die Klageerweiterung sei daher unzulässig. Sie sei nicht zuzustellen und könne keine Berücksichtigung finden. Der Streitwert erhöhe sich durch sie nicht.
II. Mit Endurteil des Landgerichts Coburg vom 04.02.2016 wurde die Klage abgewiesen. Dies begründete das Gericht damit, der Vortrag des Klägers zu seiner behaupteten Arbeitsunfähigkeit werde den Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Der Kläger habe im Einzelnen darzutun, wie sich sein Beschwerdebild darstelle und inwiefern es ihm die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit vollständig unmöglich mache. Zur schlüssigen Darlegung der Arbeitsunfähigkeit sei es dabei erforderlich, dass der Versicherungsnehmer eine konkrete Beschreibung seines Berufsbildes vorlege. Diese müsse so präzise sein, dass sie im Prozess als Grundlage für eine sachverständige Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit dienen könne. Diesen Anforderungen werde der klägerische Vortrag nicht gerecht.
Darüber hinaus mangele es auch an erforderlichen Beweisangeboten des Klägers für seinen typischen Arbeitsalltag. Auch eine Parteivernehmung des Klägers hätte – auch bei schlüssigem zugrunde liegendem Vortrag – nicht erfolgen können. Ein weiterer Hinweis auf die Unschlüssigkeit der Klage und die unzureichenden Beweisangebote sei nicht veranlasst.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Urteils Bezug genommen.
III. Gegen diese, den Rechtsanwälten des Klägers am 08.02.2016 zugestellte Entscheidung legte der Kläger mit am 11.02.2016 beim Oberlandesgericht Bamberg eingegangenem Schriftsatz seiner Rechtsanwälte Berufung ein.
Die Berufung wird damit begründet, das Verfahren im ersten Rechtszug leide an wesentlichen Mängeln. Aufgrund der Mängel sei eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich. Das Urteil des Landgerichts sei daher aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurück zu verweisen.
Das Landgericht habe das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen § 139 ZPO verstoßen. Erstmals in seinem Urteil führe das Ausgangsgericht aus, welche Anforderungen es an den klägerischen Sachvortrag im Hinblick auf die konkrete Beschreibung des Berufsbildes des Klägers erwarte.
Die Hinweise des Gerichts hätten konkret und gezielt zu sein. Hieran mangele es. In seiner Verfügung vom 08.09.205 habe das Gericht lediglich ganz allgemein einen entsprechenden Vortrag zur konkreten Ausgestaltung der letzten beruflichen Tätigkeit des Klägers angemahnt. Hierzu sei mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.09.2015 eine Tätigkeitsbeschreibung der vom Kläger zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit abgegeben worden.
Erst in der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2015 habe, das Landgericht allgemein prozessrechtliche Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage erhoben, ohne diese konkret darzulegen und ohne konkret und gezielt darauf hinzuweisen, welche Bedenken das Ausgangsgericht habe. Das Landgericht habe keine konkreten und gezielten Hinweise erteilt.
Zudem habe der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 08.12.2015 das Gericht darum gebeten, einen erneuten richterlichen Hinweis zu erteilen, wenn aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen worden sei. Ein derartiger erneuter richterlicher Hinweis sei seitens des Gerichts nicht erteilt worden.
Ebenso wenig sei ein entsprechender, den Anforderungen des § 139 ZPO entsprechender richterlicher Hinweis in der Gerichtsakte dokumentiert, deren Erteilung aufgrund der Regelungen des § 139 Abs. 4 ZPO nur durch die Gerichtsakte bewiesen werden könne. In den Gerichtsakten befinde sich hierzu jedoch nichts, was eine nochmalige Akteneinsicht in die Gerichtsakten ergeben habe. Hierin liege ein mehrfacher Verstoß des Ausgangsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör und mehrfache Verstöße des Ausgangsgerichts gegen die einzelnen in § 139 ZPO normierten materiellen Prozessleitungsverpflichtungen.
Zudem stelle die Entscheidung des Ausgangsgerichts eine unzulässige Überraschungsentscheidung und einen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Das Verfahren sei keinesfalls entscheidungsreif gewesen, keine der Parteien habe mit einer Endentscheidung und schon gar nicht mit einer Klageabweisung gerechnet oder rechnen müssen; alle Beteiligten seien davon ausgegangen, dass im angekündigten Entscheidungsverkündungstermin ein Beweisbeschluss ergehen wird.
Zudem sei klägerseits eine Klageerweiterung angekündigt worden, die umgehend erfolgt sei. Die mit Schriftsatz vom 09.12.2015 erhobene Klageerweiterung hätte vom Ausgangsgericht zwingend förmlich und von Amts wegen zugestellt werden müssen, um die Rechtshängigkeit des mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren Klageanspruchs sowie die Hemmung des Laufs der Verjährung sicherzustellen.
Durch den Verstoß gegen die zwingenden verfahrensrechtlichen Vorschriften sei gleichzeitig der Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt worden und zudem liege darin ein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sowie gegen den Justizgewährungsanspruch.
Deshalb habe das Ausgangsgericht nach erfolgter Zurückverweisung von Amts wegen die Klageerweiterung gemäß Schriftsatz vom 09.12.2015 förmlich und von Amts wegen der Beklagtenseite zuzustellen.
Der Kläger hat in der Berufungsbegründung seinen Vortrag zu seiner beruflichen Tätigkeit präzisiert und ergänzt und Beweisangebote für seinen Sachvortrag unterbereitet.
Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Berufungsbegründung Bezug genommen.
Der Kläger beantragt:
1. Das Urteil des LG Coburg und die Verfügung des LG Coburg vom 14.12.2015 werden aufgehoben und das Verfahren wird an das LG Coburg zurückverwiesen mit der Maßgabe, die Klageerweiterung gemäß Schriftsatz vom 09.12.2015 über 10.143,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz förmlich und von Amts wegen der Beklagten und Berufungsbeklagten zuzustellen.
2. Hilfsweise:
Das Urteil des LG Coburg vom 04.02.2016 und die Verfügung des LG Coburg vom 14.12.2015 werden aufgehoben.
Die Klageerweiterung des Klägers und Berufungsklägers gemäß Schriftsatz vom 09.12.2015 über 10.143,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit wird der Beklagten und Berufungsbeklagten förmlich und von Amts wegen zugestellt.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 24.268,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag von 7.773,60 € seit 20.06.2015, aus einem Betrag von 6.351,60 € seit 09.09.2015 und aus einem Betrag von 10.143,60 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, die außergerichtlichen Anwaltskosten des Klägers und Berufungsklägers in Höhe von 729,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte nimmt in der Berufungserwiderung Bezug auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und macht diesen einschließlich sämtlicher Beweisangebote auch zum Gegenstand ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz. Der Beklagte bestreitet sämtliche Behauptungen des Klägers zu seiner beruflichen Tätigkeit in der Berufungsbegründung.
Die behaupteten Beschwerden würden ebenso bestritten wie Behauptungen des Klägers dazu, warum er meine, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage zu ein, die beruflichen Teiltätigkeiten auszuüben.
Demgemäß werde zunächst eine Klärung der beruflichen Tätigkeit des Klägers erforderlich sein. Sodann werde in medizinischer Hinsicht zu prüfen sein, wie sich die vom Kläger behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die einzelnen Teiltätigkeiten auswirken, sofern dem Kläger der Kläger der Nachweis gelinge, dass die behaupteten Beschwerden tatsächlich in dem behaupteten Umfang vorahnden sind, so dass die Annahme 100% iger Arbeitsunfähigkeit gerechtfertigt sei.
Der Senat hat mit Beschluss vom 05.07.2016 angeordnet, dass mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
IV. Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO).
In der Sache ist die Berufung des Klägers begründet.
Das Landgericht hat die Klage auf Krankentagegeld aus der bei dem Beklagten bestehenden Krankentagegeldversicherung zu Unrecht als unschlüssig abgewiesen.
Das Landgericht hat sich darauf gestützt, der Kläger habe die tatsächlichen Voraussetzungen der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit weder schlüssig dargelegt noch unter Beweis gestellt. Darin sieht die Berufung mit Recht eine unzulässige Überraschungsentscheidung.
Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung des rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen konnte, auf welche Gesichtspunkte es bei der Entscheidung möglicherweise ankommt. Ein Gericht verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es ohne vorherigen Hinweis (§ 139 Abs. 1 ZPO) Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BGH, Beschluss vom 13.3.2008 – I ZB 59/07 – NJW 2008, 1742 – Juris Rdnr. 13).
Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG im vorliegenden Fall verletzt. Mit Erfolg rügt die Berufung, dass das Landgericht seiner richterlichen Hinweispflicht im Termin vom 08.12.2015 nicht genügt hat.
Das Landgericht hat in der Terminsverfügung vom 08.09.2015 (Blatt 29 R. d. A.) zunächst zu Recht darauf hingewiesen, dass es bezüglich der Schlüssigkeit der Klage an einem entsprechenden Vortrag zur konkreten beruflichen Tätigkeit des Klägers fehlt. Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 24.09.2015 (Blatt 38 ff. d. A.) daraufhin ergänzend zu der beruflichen Tätigkeit des Klägers vorgetragen. Im Termin vor dem Landgericht Coburg vom 08.12.2015 hat das Gericht sodann folgenden Hinweis erteilt:
„Das Gericht weist auf die prozessrechtlichen Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage hin, die bereits schriftsätzlich zur Darlegung der Arbeit des Klägers diskutiert wurden und sich des Weiteren daraus ergeben, dass der getätigte Vortrag bestritten wurde“.
Der Klägervertreter erklärte daraufhin am Ende der Sitzung:
„Soweit aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, wird erneut um einen richterlichen Hinweis gebeten“.
Ein weiterer Hinweis des Gerichts ist daraufhin nicht erfolgt. Die Hinweise nach § 139 ZPO müssen aktenkundig gemacht werden (§ 139 Abs. 4 ZPO). In der Akte ist ein weiterer Hinweis nicht enthalten.
Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht nicht, wenn es lediglich allgemeine und pauschale Hinweise erteilt. Es muss die Parteien vielmehr auf den fehlenden Sachvortrag, den es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihren Vortrag sachdienlich zu ergänzen. Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Irrtümer auszuräumen, wenn er gezielt und konkret die einzelnen Mängel anspricht, die das Gericht als entscheidungserheblich ansieht (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 18.04.2013 – I ZR 66/12 – VersR 2015, 210, juris Rdnr. 33; BGH, Beschluss vom 21.03.2013 – VII ZR 58/12 – NJW-RR 2013, 655). Diese Hinweispflicht des Gerichts besteht auch im Anwaltsprozess (BGH, Urteil vom 02.02.1993 – XI ZR 58/92 – MDR 1993, 469, juris Rdnr. 28).
Den dargestellten Anforderungen genügt der im Termin vom 08.12.2015 protokollierte Hinweis nicht. Aus dem Hinweis ist nicht erkennbar, was das Gericht von dem Klägervertreter konkret an ergänzenden Darlegungen zur Tätigkeit des Klägers erwartet. Der Klägervertreter hatte seinen Vortrag zur Tätigkeit des Klägers zuvor mit Schriftsatz vom 24.09.2015 bereits konkretisiert. Das Gericht hätte vor diesem Hintergrund ausführen müssen, was es konkret von dem Klägervertreter noch erwartet und in welchen Punkten es die Darlegungen hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers noch als ergänzungsbedürftig erachtet.
Dass aus dem erteilten Hinweis für den Klägervertreter nicht erkennbar war, was an ergänzenden Ausführungen zur Tätigkeit des Klägers konkret von ihm gefordert wird, war für das Gericht daraus ersichtlich, dass der Klägervertreter nach dem gerichtlichen Hinweis erklärt hat: „Soweit aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, wird erneut um einen gerichtlichen Hinweis gebeten“. Damit hat der Klägervertreter zu erkennen gegeben, dass aus dem protokollierten Hinweis für ihn nicht erkennbar war, was das Gericht von ihm konkret erwartet. Was das Gericht von dem Klägervertreter konkret erwartet hat, wird letztlich erst im Endurteil ausgeführt.
In Anbetracht dessen, dass der Klägervertreter am Ende der Sitzung um einen erneuten Hinweis zur Ergänzungsbedürftigkeit seines Vortrages gebeten hat, für den Fall, dass aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, musste der Kläger nicht damit rechnen, dass seine Klage ohne erneuten Hinweis wegen mangelnder Schlüssigkeit abgewiesen werden würde. Vielmehr durfte der Kläger mit dem ausdrücklich von ihm erbetenen erneuten Hinweis rechnen. Die Abweisung der Klage stellt vor dem Hintergrund, dass der ausdrücklich erbetene Hinweis seitens des Gerichts nicht erfolgt ist, eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar.
In der Berufungsbegründung wurde der Vortrag des Klägers zu der konkreten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers präzisiert. Dieser Sachvortrag ist nicht verspätet (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die Berücksichtigungsfähigkeit neuen Vortrags in der Berufungsinstanz nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO setzt voraus, dass die nach Auffassung des Berufungsgerichts fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumindest mitursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in die Berufungsinstanz verlagert hat. Dies kommt schon dann in Betracht, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre (BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZR 490/13 – NJW-RR 2015, 1278, juris Rdnr. 10). So liegt der Fall hier. Hätte das Landgericht den nach § 139 Abs. 2 ZPO erforderlichen, hinreichend konkret gefassten Hinweis erteilt, so hätte der Kläger den Sachvortrag, der in der Berufungsbegründung zur beruflichen Tätigkeit des Klägers enthalten ist, bereits in erster Instanz erstattet.
Das Gericht hätte daher die im Termin vom 08.12.2015 geschlossene mündliche Verhandlung wieder eröffnen (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und den vom Kläger erbetenen Hinweis erteilen müssen. Darüber hinaus hätte es die Klageerweiterung vom 09.12.2015 an die Gegenseite zustellen müssen. Der erforderliche Gerichtskostenvorschuss war eingezahlt.
Da das angefochtene Urteil an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme erforderlich ist, war die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: Das Landgericht wird die Klageerweiterung unverzüglich an die Gegenseite zuzustellen haben. Sodann wird das Landgericht, da der Sachvortrag des Klägers zu seiner beruflichen Tätigkeit von der Gegenseite bestritten wurde, die hierzu angebotenen Beweise erheben müssen. Anschließend wird das Landgericht das zu der behaupteten Arbeitsunfähigkeit des Klägers angebotene Sachverständigengutachten erholen müssen, wobei der Sachverständige die in der Beweisaufnahme zur beruflichen Tätigkeit des Klägers sich ergebenden Anknüpfungstatsachen zugrunde zu legen hat.
V. Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Zwar hat dieses Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Im Falle einer etwa bereits erfolgten Vollstreckung aus dem angefochtenen, für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil darf das Vollstreckungsorgan die betreffende Vollstreckungsmaßnahme aber erst dann gemäß § 775 Nr. 1 ZPO einstellen, wenn ihm die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils ergibt (Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 708 Rdnr. 11; BGHZ 77, 232; OLG Frankfurt OLGZ 68, 436, 440).
Eine Entscheidung über den lediglich vorsorglich gestellten Antrag auf Vollstreckungsschutz war nicht veranlasst, da die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.06.2016 erklärt hat, dass sie während des laufenden Rechtsstreits nicht beabsichtige, Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 2 GKG auf 24.268,88 € festzusetzen. Die Addition der vom Kläger beantragten Beträge ergibt zwar einen Betrag in Höhe von 24.448,80 € (7.773,60 € + 6.531,60 € + 10.143,60 € = 24.448,80 €). Beantragt wurden jedoch nur 24.268,88 €, so dass der Streitwert auf diesen Betrag festzusetzen war. Ursache für die Differenz ist wohl ein Zahlendreher, denn in dem Berufungsantrag ist ein Betrag von 6.351,60 € anstelle richtig 6.531,60 € genannt. Im Ergebnis wirkt sich die Differenz mangels Gebührensprung nicht aus.
Die Voraussetzungen für die vom Klägervertreter beantragte Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor, da alle sich hier stellenden Rechtsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind. Klärungsbedürftige Rechtsfragen zeigt die Berufung nicht auf.