Aktenzeichen S 11 KR 156/16
BGB BGB § 615 S. 1
SGG SGG § 54 Abs. 5
Leitsatz
1. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses setzt voraus, dass tatsächlich eine Krankenhausbehandlung durchgeführt wurde. Nach dem Rechtsgedanken des § 615 Satz 1 BGB ist es hierbei grundsätzlich ausreichend, dass das Krankenhaus neben Unterkunft und Verpflegung als wesentliche weitere Elemente insbesondere ärztliche, apparative und krankenpflegerische Leistungen im Rahmen seiner Gesamtorganisation vorhält und dieses Angebot zur Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellt (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KN 1/07 KR R, juris).
2. Eine Krankenhausbehandlung ist nicht erst dann durchgeführt, wenn an jedem einzelnen Tag der Krankenhausbehandlung ein gewisses Mindestprogramm an Behandlungsmaßnahmen zur Anwendung kommt.
3. Behandelt ein Krankenhaus einen Versicherten bei erforderlicher Krankenhausbehandlung in unwirtschaftlichem Umfang, hat es allenfalls Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten anfiele (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015, B 1 KR 3/15 R, juris).
4. Ein Krankenhausträger handelt grundsätzlich nicht unwirtschaftlich, wenn er den Krankenhausbetrieb so einstellt, dass er an den Wochenenden nur eine Akut und Notfallversorgung erbringen kann.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.043,23 Euro zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.08.2015.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird auf 2.043,23 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand ist die Frage, ob die unstrittige Forderung der Klägerin in Höhe von 2.043,23 Euro durch Aufrechnung mit einem öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruch der Beklagten in derselben Höhe in Bezug auf die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten erloschen ist.
I.
Die Klage ist zulässig. Sie wurde zum sachlich (§ 51 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) und örtlich (§ 57 SGG) zuständigen Sozialgericht Würzburg form- und fristgerecht erhobenen.
Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft, weil der mit der Klage verfolgte Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung eines Versicherten der Beklagten aus einem Parteiengleichordnungsverhältnis stammt. Über diesen Anspruch kann die Beklagten nicht durch Verwaltungsakt entscheiden. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen. Auch die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 10.04.2008, B 3 KR 20/07 R, juris; BSG Urteil vom 08.11.2011, B 11 KR 8/11 R, juris).
II.
Die Klage ist begründet.
1. Der von der Klägerin geltend gemachte Vergütungsanspruch in Höhe von 2.043,23 Euro ist dem Grunde und der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstrittig. Soweit sich die beklagte Krankenkasse – wie vorliegend – gegenüber einer Klage auf Zahlung auf Vergütung ausschließlich im Rahmen der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, bedarf es bezüglich des (unstreitigen) Bestehens der Hauptforderung keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen (BSG, Urteil vom 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, juris, Rn. 10; BSG, Urteil vom 22.07.2004, B 3 KR 21/03 R, juris Rn. 13; BSG, Urteil vom 03.08.2006, B 3 KR 7/06 R, juris Rn. 10).
Diese unstrittige Forderung der Klägerin in Höhe von 2.043,23 Euro ist nicht durch Aufrechnung analog § 389 Abs. 1 BGB mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Beklagten in derselben Höhe wegen der stationären Krankenhausbehandlung der Versicherten erloschen. Die Voraussetzungen der Aufrechnung waren nicht erfüllt. Der Beklagten stand kein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin zu.
Rechtsgrundlage eines solchen Anspruchs der Beklagten auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung in Höhe von 2.043,23 Euro wäre ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Dieser Anspruch setzt insbesondere voraus, dass der Berechtigte – hier die beklagten Krankenkasse – im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat mit Rechtsgrund an die Klägerin geleistet. Die Klägerin hatte einen Vergütungsanspruch für die stationäre Behandlung der Versicherten in Höhe von insgesamt 6.887,62 Euro einschließlich der strittigen 2.043,23 Euro.
Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherten kraft Gesetzes, wenn die vollstationäre Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz sowie die Vereinbarung zum pauschalierenden Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen für das Jahr 2015 in Verbindung mit § 17d Abs. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz.
a) Die stationäre Behandlung war vom 23.02.2015 bis zum 22.04.2015 erforderlich.
Eine stationäre Krankenhausbehandlung ist im Sinne von § 39 SGB V erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnis entspricht und (medizinisch) notwendig ist. Erforderlichkeit ist letztlich gleichbedeutend mit medizinischer Notwendigkeit (vgl. Schmitt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Auflage, 74. Ergänzungslieferung, 01.04.2010, § 39 SGB V Rn. 163 ff. m. w. N.). Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist (ob also Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegt), richtet sich daher allein nach den medizinischen Erfordernisse (vgl. BSG Beschluss vom 07.11.2006, B 1 KR 32/04 R, juris; BSG, Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 18/15 R, juris).
Aus dem Gutachten des MDK ergibt sich, dass die stationäre Krankenhausbehandlung vom 23.02.2015 bis zum 22.04.2015 an allen Tagen erforderlich war. Der Gutachter führt aus, dass das Behandlungsziel nicht ambulant verfolgt werden konnte und die besonderen Mittel des Krankenhauses zur Anwendung kommen mussten. Eine Entlassung vor dem 22.04.2015 sei nicht möglich gewesen, denn erst dann habe eine ausreichende Besserung erreicht werden können. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
b) In der Zeit vom 23.02.2015 bis zum 22.04.2015 wurde eine Krankenhausbehandlung durchgeführt.
aa) Als Reaktion auf die Entscheidung des Großen Senats (BSG, Beschluss vom 25.09.2007, GS 1/06, juris) hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts entschieden, dass ein Krankenhaus erst dann eine Vergütung beanspruchen kann, wenn es seiner Vorleistungspflicht nachgekommen ist und eine Krankenhausbehandlung tatsächlich durchgeführt hat. Diese Frage sei vor der Frage der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung zu klären (BSG, Urteil vom 10.04.2008, B 3 KR 19/05 R, juris; BSG, Urteil vom 10.04.2008, B 3 KR 14/07 R, juris; BSG, Urteil vom 20.11.2008, B 3 KN 4/08 KR R, juris).
Der nunmehr für Krankenhausstreitigkeiten ausschließlich zuständige 1. Senat des Bundessozialgerichts ist diesem Ansatz nur mit Einschränkungen gefolgt: Es könne zwar zweckmäßig sein, im Vergütungsstreit zunächst zu prüfen, ob tatsächlich eine stationäre Behandlungsleistung erbracht wurde. Strikt einzuhalten sei diese Prüfungsreihenfolge aber nicht. So könne, wenn ein Fall vorliegt, im dem das Krankenhaus lediglich Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung gestellt hat, allein unter Hinweis hierauf ein Zahlungsanspruch wegen Krankenhausbehandlung zu verneinen sein (BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KN 1/07 KR R, juris). Indes, sofern – wie hier ein Anspruch der Versicherten auf erforderliche Krankenhausbehandlung besteht – genüge es nach dem Rechtsgedanken des § 615 Satz 1 BGB um den Vergütungsanspruch des Krankenhausträgers zu begründen, dass das Krankenhaus neben Unterkunft und Verpflegung als wesentliche weitere Elemente insbesondere ärztliche, apparative und krankenpflegerische Leistungen im Rahmen seiner Gesamtorganisation vorhält und dieses Angebot zur Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellt (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KN 1/07 KR R, juris; Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 109 SGB V, Rn. 141). Dieser Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichtes folgt die Kammer.
bb) Zunächst liegt hier kein Fall vor, in dem das Krankenhaus lediglich Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung gestellt hat. Weder dem Gesetz, noch den Entscheidungen des Bundessozialgerichts kann entnommen werden, dass an jedem einzelnen Tag der Krankenhausbehandlung ein gewisses Mindestprogramm an Behandlungsmaßnahmen zur Anwendung kommen muss. Der Krankenhausaufenthalt ist vielmehr insgesamt zu betrachten. Die stationäre Krankheitsbehandlung hat am 23.02.2015 mit der Aufnahme der Versicherten begonnen. Darunter ist die „physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses“ zu verstehen (BT-Drucks 12/3608, S. 82 zu § 39 SGB V; BSG, Urteil vom 28.02.2007, B 3 KR 17/06 R, juris; BSG, Urteil vom 04.03.2004, B 3 KR 4/03 R, juris). Dadurch, dass die Versicherte an den Wochenenden und Feiertagen im Wesentlichen nur Unterkunft, Verpflegung und Arzneimittel erhalten hat, wurde die stationäre Krankenhausbehandlung nicht beendet oder auch nur unterbrochen. Die Versicherte war jedenfalls auch an den strittigen Tagen in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhause eingliedert und Ihr stand während dieser Zeit der gesamte Krankenhausapparat als Versorgungsangebot zur Verfügung. Dass der jederzeit rufbereite Arzt nicht aktiv werden musste, ist daher nicht entscheidend. Daran, dass die Versicherte tatsächlich an allen Tagen vom 23.02.2015 bis zum 22.04.2015 im Krankenhaus anwesend war, bestehen für die Kammer, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer schriftlichen Stellungnahme keine begründeten Zweifel. Die Frage, ob die Klägerin an den strittigen Tagen „intensiver“ behandeln musste, betrifft die Wirtschaftlichkeit.
c) Die Krankenhausbehandlung war auch wirtschaftlich.
Eine Krankheitsbehandlung muss wirtschaftlich sein. Behandelt ein Krankenhaus einen Versicherten bei erforderlicher Krankenhausbehandlung in unwirtschaftlichem Umfang, hat es allenfalls Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten anfiele (BSG, Urteil vom 10.03.2015, B 1 KR 3/15 R, juris m.w.N.).
Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind (BSG, Urteil vom 10.03.2015, B 1 KR 3/15 R, juris m.w.N.). Das Wirtschaftlichkeitsgebot greift bloß dann nicht ein, wenn überhaupt nur eine Leistung in Rede steht (BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 12/12 R, juris).
Hier ist ein wirtschaftlicheres Alternativverhalten zu dem eingeschlagenen Behandlungsweg nicht ersichtlich. Im MDK Gutachten vom 23.06.2015 führt der Gutachter aus, dass die stationäre Krankenhausbehandlung bis zum 22.04.2015 erforderlich war und die Versicherte nicht früher entlassen werden konnte. Dafür, dass eine frühere Entlassung möglich gewesen wäre, wenn die Versicherte – entsprechend der Forderung der Beklagten – unter Anwendung eines Mindestbehandlungsprogramms behandelt worden wäre, lässt sich kein Anhaltspunkt finden, auch nicht im Gutachten des MDK.
Das Gericht folgt der Auffassung der Beklagten nicht, dass das Krankenhaus der Klägerin verpflichtet war, an den strittigen Tagen ein gewisses „Mindestprogramm“ zu erbringen.
Die Klägerin ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, den Krankenhausbetrieb so einstellen, dass sie auch an Wochenenden eine über eine Akut- und Notfallversorgung hinausgehende Versorgung erbringen kann. Es ist anerkannt, dass die Personalstärke in einem Krankenhaus an Wochenenden und Feiertagen reduziert und der Behandlungsumfang gegenüber regulären Arbeitstagen herabgesetzt und weitgehend auf Notversorgungen ausgerichtet ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KN 3/08 KR R, juris, Rn. 36). Es ergeben sich daher keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Vorgehen des Krankenhauses in Bezug auf die Wochenenden und Feiertage unwirtschaftlich war.
2. Der Anspruch auf die Zinsen ergibt sich aus der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2015.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).