Medizinrecht

Eine den Formerfordernissen entsprechende Feststellung von Arbeitsunfähigkeit muss nicht auf einem Auszahlschein oder einem anderen durch die AU Richtlinien vorgesehenen Vordruck erfolgen

Aktenzeichen  L 4 KR 36/16

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 19 Abs. 2, § 46 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 192 Abs. 1 Nr. 2
SGB X SGB X § 48
AU-Richtlinie AU-Richtlinie § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die mit dem GKV Versorgungsstärkungsgesetz am 23,07.2015 in Kraft getretene Neuregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB V ist nicht rückwirkend anwendbar auf die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit vor diesem Zeitpunkt. (amtlicher Leitsatz)
2. Eine den Formerfordernissen entsprechende Feststellung von Arbeitsunfähigkeit muss nicht auf einem Auszahlschein oder einem anderen durch die AU Richtlinien vorgesehenen Vordruck (Muster 1 bzw. 17) erfolgen (vgl. BSG vom 10.05.2012 B 1 KR 20/11). Versicherte, deren ArbeitSunfähigkeit nicht zeitgerecht festgestellt wurde, können sich daher in der Regel nicht auf das Fehlen des Auszahlscheins berufen. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Dezember 2015 aufgehoben und die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 2015 abgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Ihre Bescheide sind rechtmäßig ergangen, so dass das Urteil des SG keinen Bestand haben kann.
Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld im Zeitraum 01.12.2014 bis 20.10.2015 hängt davon ab, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum noch mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert war, eine ordnungsgemäße Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist und Arbeitsunfähigkeit bestand. Hier fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung.
Nachdem das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin mit Ablauf des 30.11.2014 unstreitig geendet hatte und ein neues Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld nicht entstand, konnte der weitere Krankengeldanspruch ab dem 01.12.2014 nur aus dem Fortbestehen der Mitgliedschaft wegen eines Anspruches auf Krankengeld begründet werden (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Der Anspruch auf Krankengeld setzt neben dem Bestehen von Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Feststellung voraus (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfolgt die Bewilligung von Krankengeld entsprechend den ärztlichen Feststellungen regelmäßig abschnittsweise. Veranlasst der Versicherte keine weitere Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, endet der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der zuletzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeit ohne dass es eines Entziehungsbescheides nach § 48 SGB X bedarf (vgl. Urteil vom 16.12.2014 B 1 KR 37/14 R). Entsteht eine Lücke in den Feststellungen von Arbeitsunfähigkeit, führt dies zu einer Beendigung des Krankengeldanspruches und damit bei einer Mitgliedschaft, die nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur noch über einen Anspruch auf Krankengeld aufrechterhalten wird, auch zu einer Beendigung der Mitgliedschaft selbst. Eine spätere Feststellung von Arbeitsunfähigkeit kann den Krankengeldanspruch dann nicht mehr wieder aufleben lassen.
Wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 30.11.2014 hätte eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin spätestens am selben Tag festgestellt werden müssen. Dies folgt aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis zum 23.07.2015 geltenden Fassung. Danach entsteht der Anspruch auf Krankengeld im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt, hier also erst am Dienstag, den 02.12.2014. Nicht anwendbar ist hingegen die am 23.07.2015 in Kraft getretene Neufassung des § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld an dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit entsteht und jeweils bis zu dem Tag bestehen bleibt, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. Eine Rückwirkung dieser Neufassung auf den bereits abgeschlossenen streitgegenständlichen Sachverhalt hat nicht zu erfolgen. Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (Gesetzentwurf der Bundesregierung – Bundestags-Drucksache 18/4095 zu Nr. 15 Buchst. b)) ergibt, bezweckte der Gesetzgeber mit der Umformulierung des § 46 SGB V keine Klarstellung der Rechtslage, sondern eine Neuregelung für die Zukunft. Es wurde wie folgt formuliert: „In der Praxis gelangen Versicherte oftmals unverschuldet und ohne genaue Kenntnis über die Rechtslage in diese Situation. Sie sollen zukünftig den Anspruch auf Krankengeld behalten, soweit die Arbeitsunfähigkeitsfolgebescheinigung am nächsten Arbeitstag, der ein Werktag ist, ausgestellt wird.“ Im Übrigen ging auch das BSG auf Grundlage des unverändert verabschiedeten Gesetzesentwurfs der Bundesregierung bereits in seinem Urteil vom 16.12.2014 (B 1 KR 37/14 R Rdnr. 22) davon aus, dass der Anspruch auf Krankengeld erst künftig bereits von dem Tag der ärztlichen AU-Feststellung entstehe, also eine Rückwirkung auf Altfälle nicht zu erfolgen hat.
Da die Neuregelung des § 46 Sätze 1 und 2 SGB V daher für die hier streitige Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 01.12.2014 keine Anwendung finden kann, war sowohl eine ärztliche Feststellung am 01.12.2014 als auch die Feststellung mit der nächsten AU-Bescheinigung vom 12.12.2014 zu spät.
Es liegt hier auch kein Ausnahmefall vor, der eine rückwirkende Feststellung für eine Arbeitsunfähigkeit am 01.12.2014 ermöglichen könnte.
Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, kann das Fehlen einer zeitgerechten Feststellung u. a. dann nicht zulasten des Versicherten gehen, wenn sich dieser
1. Rechtsrat bei seiner Krankenkasse sucht,
2. er dadurch aber wegen
3. erwiesener Fehlberatung seiner Krankenkasse von der gebotenen ärztlichen Feststellung des AU-Zeitraums abgehalten wird und damit trotz
4. Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit seines Anspruches verlustig geht (vgl. Urteil vom 16.12.2014 a. a. O. Rdnr. 29).
Eine Fehlberatung der Beklagten, wonach ein Telefonat mit der Klägerin über Auszahlscheine noch vor dem 30.11.2014 geführt und versichert worden sei, dass der Sonderauszahlschein ausreiche, wenn er bis zum 17.12.2014 vorgelegt werde, ist nicht nachgewiesen. Ein Telefonat mit der Klägerin über den Sonderauszahlschein ist bei der Beklagten tatsächlich erst am 02.12.2014 vermerkt worden, vom selben Tag datiert auch das Schreiben der Beklagten an die Klägerin, mit dem der Sonderauszahlschein versandt wurde. Vor dem Hintergrund der Bedeutung lückenloser AU-Nachweise erscheint es auch höchst unwahrscheinlich, dass eine Sachbearbeiterin der Beklagten Ende November die Information gegeben hat, dass zur ordnungsgemäßen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ab Dezember nur noch der Sonderauszahlschein benötigt werde und es genüge, wenn dieser – unabhängig davon, wann er ausgestellt werde – bis 17.12.2014 bei der Beklagten eintreffe.
Letztlich muss dies vom Senat aber nicht abschließend entschieden werden, da es jedenfalls an der Kausalität einer solchen Fehlberatung für den Verlust des Krankengeldanspruches fehlen würde („dadurch“). Fest steht nämlich, dass die Klägerin tatsächlich rechtzeitig am 28.11.2014 in der Praxis ihres behandelnden Arztes gewesen war, um einen Termin zur weiteren Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wahrzunehmen. Der Umstand, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht über Auszahlscheine verfügte, war daher für sie nicht von Bedeutung. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass eine ärztliche Feststellung nicht zwingend auf dem durch § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 AU-Richtlinien vorgesehenen Vordruck (Muster Nr. 1 bzw. 17), sondern z. B. auch durch ein formloses Attest des Arztes erfolgen kann (st. Rsp. des BSG, vgl. Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R). Die Klägerin kann sich daher auch nicht darauf berufen, dass sie die Auszahlscheine nicht rechtzeitig erhalten habe (vgl. BSG vom 30.09.2015, B 3 KR 72/15 R).
Im Ergebnis endete die mit einem Krankengeldanspruch verbundene Mitgliedschaft der Klägerin am 30.11.2014. Nachgehende Ansprüche nach § 19 Abs. 2 SGB V scheiden aus, da die Klägerin im Anschluss familienversichert war. Nicht entschieden werden muss daher die Frage, ob mit der Angabe des Arztes vom 22.12.2014, er habe Arbeitsunfähigkeit am 01.12.2014 bis 02.01.2015 festgestellt, den Formerfordernissen Rechnung getragen wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel