Medizinrecht

Einstweiliger Rechtsschutz – Unterlassungsanspruch der Krankenkasse gegen eine Logopädin ohne Zulassung

Aktenzeichen  S 17 KR 2054/16 ER

Datum:
6.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 823, § 1004
GKG GKG § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 4, § 63 Abs. 2
SGB V SGB V § 69 Abs. 1 S. 1, S. 3, § 79 Abs. 1 S. 2, § 124 Abs. 1
SGB X SGB X § 44
SGG SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2, § 86b, § 197a Abs. 1 S. 1, § 198
VwGO VwGO § 155 Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 294 Abs. 1, § 890 Abs. 1, Abs. 2, § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

Voraussetzung für die Begründetheit eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs ist zum einen eine durch öffentlich-rechtliche Vorschriften begründete und im Verhältnis zu anderen Rechtsträgern geschützte Rechtsposition, zum anderen das Drohen eines Eingriffs in diese Position.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird vorläufig verpflichtet, es zu unterlassen,
1. vertragsärztliche Verordnungen bzw. Bescheinigungen von Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen von Versicherten der Antragstellerin für Leistungen der Logopädie (logopädische Heilmittelverordnungen) anzunehmen, soweit und solange sie keine gültige Zulassung nach § 124 SGB V hat,
2. Leistungen der Logopädie an Versicherte der Antragstellerin abzugeben, die diese durch Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bzw. Bescheinigung eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung als Sachleitung im Sinne des SGB V beziehen wollen, soweit und solange sie keine gültige Zulassung nach § 124 SGB V hat; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen unter I. Ziffern 1. bis 2. wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 € angedroht.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3.
IV. Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin (Agin) ist Logopädin. Am 21.12.2016 stellte die Antragstellerin (Astin) beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.
Mit ihrer Klage vom 29.12.2016 (S 17 KR 2191/16), über die noch nicht entschieden ist, begehrt sie die Erstattung von 15.587,58 € nebst Zinsen für die angeblich ohne Rechtsgrund an die Agin geleisteten Zahlungen seit Widerruf der Zulassung als Logopädin zum 12.10.2010.
Zur Begründung des Eilantrags trägt die Astin vor, die Agin sei seit 1984 als Logopädin zur Abgabe von Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse zugelassen. Die Zulassung sei zum 12.10.2010 widerrufen worden, weil die baulichen Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr vorgelegen haben. Über diese Entscheidung sei ein Rechtsstreit geführt worden, die Klage der Agin gegen die Astin sei in erster und zweiter Instanz abgewiesen worden und durch die Entscheidung des Bundessozialgericht vom 09.12.2013 (B 1 KR 91/13 B), die Revision nicht zuzulassen, rechtskräftig geworden. Die Agin habe die räumlichen Verhältnisse auch danach nicht den Zulassungsempfehlungen angepasst und daher die Zulassung nicht wieder erlangt.
Mit Schreiben vom 18.07.2016 habe sich ein Angehöriger einer Versicherten an die Astin gewandt und erläutert, dass seine Mutter bei der Agin behandelt worden sei und bei der 3. Behandlung am 04.07.2016 ein Unfall ereignet habe, da die Versicherte ihren Rollator nicht in der Praxis habe mitführen können. Seine Mutter sei deswegen gestürzt und habe sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Die logopädische Behandlung sei daher abgebrochen worden. Die Agin weigere sich aber, die bereits geleistete Zuzahlung von 61 € anteilig wieder an die Versicherte auszuzahlen.
Mit Schreiben vom 09.08.2016 sei daher von der Agin eine Unterlassungserklärung angefordert worden. Nachdem eine Unterlassungserklärung innerhalb der gesetzten Frist nicht eingegangen sei, sei mit Schreiben vom 23.08.2016 eine Nachfrist gesetzt worden. Die Agin hat die angeforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben.
In einem Schreiben vom 04.11.2016 habe sich die Agin berühmt, im Jahr 2016 Verordnungen im Wert von 10.689,41 € abgearbeitet zu haben. Sie habe klargestellt, dass sie seit dem Jahr 2013 Patienten der AOK angenommen und behandelt habe.
Daher hab die Astin die Agin mit Schreiben vom 15.11.2016 erneut zur Unterlassung mit einer Frist bis 22.11.2016 16.00 Uhr aufgefordert. Die Agin habe diese nicht abgegeben, sondern am 22.11.2016 bei der Astin angerufen und erklärt, sie werden die Unterlassungserklärung nicht unterzeichnen, sondern Strafanzeige erstatten.
Die Agin habe daher regelhaft Versicherte behandelt, die eine ordnungsgemäße Kassenleistung entgegennehmen wollten. Sie habe dabei rechtwidrig Zuzahlungen einbehalten, obwohl sie gar keine Kassenleistung erbracht hat. Hierbei handele es sich um Rechtsverletzungen, die zu unterlassen seien. Da dies außergerichtlich nicht erreicht werden konnte, sei gerichtlicher Rechtsschutz erforderlich.
Ein Anordnungsanspruch bestehe, weil der Unterlassungsanspruch begründet sei. Dieser beruhe auf der entsprechenden Anwendung vom § 1004 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 124 SGB V als Schutzgesetz für die Gewährung des Sachleitungsanspruchs der Versicherten und die Sachleistungsverpflichtung der Krankenkassen im Rahmen der Heilmittelversorgung. Die Norm solle den einzelnen Versicherten davor schützen, von Heilmittelerbringern Leistungen zu erhalten, die keine unmittelbare Abrechnungsbefugnis mit der Krankenkasse haben, bei der der Versicherte Mitglied sei.
Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben, da ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar sei. Da die Klage in der Hauptsache offensichtlich Erfolg hätte, seien an den Anordnungsgrund nicht zu hohe Anforderungen zu stellen. Die Astin sei für die betroffenen Versicherten auf Dauer gehindert, die gesetzliche Aufgabe der Gewährleistung der Versorgung wahrzunehmen. Sollte die Agin mit ihrem Verhalten durchdringen, sei das Sachleistungssystem als Ganzes gefährdet, weil dann kein Heilmittelerbringer mehr geneigt sein wird, ein förmliche Zulassung mit allen Voraussetzungen zu erwirken, um Leistungen zu Lasten der Astin abzugeben. Die Versicherten, die sich gutgläubig in die Behandlung de Agin begeben, erhalten nicht die ihnen zustehenden Leistungen. Die Verwirklichung ihrer sozialen Rechte sei damit gefährdet. Da die Agin von diesem rechtswidrigem Tun nicht ablasse, werden fortlaufend neue offensichtliche Rechtsverletzungen hinzukommen. Es liege im Übrigen eine Wiederholungsgefahr vor, da die Agin der Auffassung sei, dass sie in den Räumlichkeiten, für die sie nicht über eine Zulassung verfüge, Versicherte der Astin versorgen dürfe. Es bestehe die Gefahr, dass die Forderungen, die die Agin gegenüber der Astin geltend mache, durch fortlaufende rechtswidrige Handlungen weiter anwachsen. Gleichzeitig würden die Versicherten weiterhin nicht in einer zulassungsfähigen Praxis versorgt.
Die Astin räumt ein, dass die Agin tatsächlich nach der Entscheidung des BSG keine neuen Verordnungen mehr zur Abrechnung bei der Astin eingereicht habe. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage und der Rechtsmittel habe aber die Agin gegenüber der Astin Leistungen durchführen und abrechnen dürfen.
Die Astin beantragt,
die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichtet, es zu unterlassen,
1. vertragsärztliche Verordnungen bzw. Bescheinigungen von Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen von Versicherten der Antragstellerin für Leistungen der Logopädie (logopädische Heilmittelverordnungen) anzunehmen, soweit und solange sie keine gültige Zulassung nach § 124 SGB V hat,
2. Leistungen der Logopädie an Versicherte der Antragstellerin abzugeben, die diese durch Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bzw. Bescheinigung eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung als Sachleitung im Sinne des SGB V beziehen wollen;
3. den Versicherten der Astin die unter 1. und 2. genannten Leistungen oder weitere in diesem Zusammenhang erbrachten Leistungen in Rechnung zu stellen
4. und für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen unter Ziffern 1. bis 3. der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 € anzudrohen.
Die anwaltlich vertretene Agin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt aus, die Sache besitze keinerlei Dringlichkeit. Die Agin sei bereits im August 2016 zur Unterlassung aufgefordert worden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr wesentlicher Nachteile sei nicht nötig, da die Astin seit der abschließenden (im Ergebnis unrichtigen Entscheidung) des BSG keine Abrechnungen der Agin reguliere. Ein finanzieller Schaden drohe der Astin somit nicht. Auch die Versicherten der Astin würden nicht mehr belastet, da die Agin die bei ihr entstandenen und durch die Astin nicht regulierten Kosten nicht auf die Versicherten abwälzt und sie dort beitreibt. Darüber hinaus sei auch kein Anordnungsanspruch erkennbar, da § 124 Abs. 1 SGB V kein Schutzgesetz im Sinne der § 1004 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB darstelle. § 124 SGB V regele allein die Zulassungsvoraussetzungen für den Leistungserbringer zur Abrechnungsbefugnis mit der gesetzlichen Krankenkasse. Eine Schutzwirkung für die Versicherten könne aus § 124 SGB V nicht gefolgert werden.
Der Eindruck, die von der Astin angegebene Versicherte sei deswegen verunfallt, weil die Agin die geforderten Zulassungsbedingungen nicht erfüllt habe, sei schlicht falsch. Dies wäre bei jedem anderen Leistungserbringer ebenfalls möglich gewesen und habe in keinem Falle seine Ursache in einem Verschulden der Agin.
Darüber hinaus versuche die Astin mit ihrem Antrag, die Hauptsache vorwegzunehmen.
In einer „eidesstattlichen Versicherung“ der Agin vom 03.02.2017 an das Gericht erklärt diese, dass es nach wie vor keine Empfehlung gebe, nur einen Therapieraum mit 20 qm zu haben, es könnten – wie bei der Agin – auch zwei Therapieräume eingerichtet werden. Am 17.03.2014 sei wieder eine Zulassung durch die AOK A-Stadt erteilt worden, der Landesverband der AOK habe aber keine Zulassung erteilt. Sie hatte 2016 viele AOK Patienten und es sei ihr durch ihren Rechtsanwalt und dem Verband der AOK eine Praxisbegehung versprochen worden. Somit habe sie auch 2016 wieder AOK Patienten behandelt, weil ihr unter anderem auch die Vergütung ihrer unbezahlten Rezepte versprochen worden sei.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird im Übrigen auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten im Antragsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch eine Regelungsanordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG ist im tenorierten Umfang zulässig und begründet.
1. Der Rechtsweg zum Sozialgericht ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffnet. Für Streitigkeiten zwischen den gesetzlichen Krankenkassen bzw. ihren Verbänden einerseits und nichtärztlichen Leistungserbringern (z. B. Erbringern von Heil-, Hilfs- oder Arzneimitteln) andererseits ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet (Keller in Mayer/Ladewig /Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 51, Rn. 15 a). Es handelt sich um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung; außerdem sind diese Rechtsbeziehungen seit der Änderung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 (BGBl. 1999 I, S. 2626) insgesamt öffentlich-rechtlich (Keller, a.a.O.)
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist auch vor Klageerhebung zulässig, § 86 b Abs. 3 SGG. In der Hauptsache wurde bisher noch keine Unterlassungsklage erhoben.
2. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist auch begründet.
Rechtsgrundlage für den von der Astin begehrten einstweiligen Rechtsschutz ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Das ist dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die einstweilige Anordnung soll den Zeitraum bis zu einer abschließenden Hauptsachentscheidung überbrücken und auf diese Weise den Rechtsstreit in der Hauptsache entscheidungsfähig erhalten.
Voraussetzung für eine solche Regelungsanordnung ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2 und 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), dass neben einem Anordnungsanspruch auch ein Anordnungsgrund als Ausdruck der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung glaubhaft gemacht wird.
Die Glaubhaftmachung begnügt sich bei der Ermittlung des Sachverhalts als Gegensatz zum vollen Beweis mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit Dagegen dürfen die Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage, d.h. die Intensität der rechtlichen Prüfung nicht herabgestuft werden. Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist grundsätzlich das materielle Recht, das voll zu prüfen ist.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Teil begründet. Der Astin ist es gelungen, sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinsichtlich der Anträge zu 1. bis 2. glaubhaft zu machen.
Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Astin ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und sie deshalb in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde.
Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V regeln das 4. Kapitel des SGB V sowie die §§ 63 und 64 abschließend u.a. die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern. Für diese Rechtsbeziehungen gelten nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des SGB V vereinbar sind. Materiell-rechtlich beruht damit der Unterlassungsanspruch auf einem allgemeinen, aus § 1004 Abs. 1 BGB abzuleitenden Rechtsgrundsatz, dass der Inhaber eines Rechts, sofern ein Eingriff in ein absolutes Recht oder in ein ansonsten geschütztes Recht droht, die Unterlassung des Eingriffs verlangen kann, wenn er nicht zu dessen Duldung verpflichtet ist. Voraussetzung für die Begründetheit eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs ist somit zum einen eine durch öffentlich-rechtliche Vorschriften begründete und im Verhältnis zu anderen Rechtsträgern geschützte Rechtsposition, zum anderen das Drohen eines Eingriffs in diese Position (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.1995, 6 RKa 17/95 – juris Rn. 16; LSG B.-W., Urteil vom 09.12.2000, L 11 KR 776/07 – juris Rn. 37). Die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und ihren Leistungserbringern sind darauf ausgelegt, die den Versicherten zur Verfügung stellenden Leistungen ausreichend und zweckmäßig und in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich zu erbringen, vgl. § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind, § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V (vgl. SG Nürnberg vom 12.05.2014, S 11 KR 55/14 ER).
Die von der Ast gestellten Anträge unter Ziffern 1 bis 2 sind begründet, denn die Astin hat jeweils einen Unterlassungsanspruch gegen die Ag gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB entsprechend i. V. m. § 124 Abs. 1 SGB V glaubhaft gemacht.
Nach § 124 Abs. 1 SGB V dürfen Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden, insbesondere Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprachtherapie oder der Ergotherapie an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Die Zulassungsvoraussetzungen sind in Abs. 2 der Vorschrift geregelt, u.a. ist zuzulassen, wer nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 über eine Praxisausstattung verfügt, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet.
Der Agin wurde aufgrund des Fehlens dieser genannten Voraussetzung die Zulassung entzogen bzw. diese zum 12.10.2010 widerrufen. Die dagegen vor dem Sozialgericht München erhobene Klage vom 14.12.2010 wurde am 27.07.2011 abgewiesen (S 29 KR 1197/10), die Berufung hatte keinen Erfolg. Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG wurde am 09.12.2013 verworfen (B 1 KR 91/13 B). Auch der von der Agin gestellte Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hatte keinen Erfolg (Gerichtsbescheid des SG B-Stadt vom 03.07.2015, S 29 KR 586/14).
Die Zulassung der Agin als Logopädin wurde daher rechtskräftig widerrufen. Sie hat die Zulassung nach den Angaben der Astin auch bis heute nicht wieder erlangt.
Die Zulassung wird als Verwaltungsakt erteilt und ist notwendige formale Voraussetzung für die Vergütung und Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenkasse (BSG vom 17.01.1996, 3 RK 2/95).
Das in § 124 normierte Zulassungserfordernis dient der Qualitätssicherung im Rahmen der Heilmittelerbringung (Nusser in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegversicherung, Stand Oktober 2016, § 124 Rn. 1b).
Die Zulassungsregelung hat wie alle Leistungserbringungsvorschriften des SGB V den Zweck, den Versorgungsauftrag der Krankenkassen abzusichern, der darin besteht, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten und wiederherzustellen ( Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 12/13, § 124 SGB V, Rn. 3 unter Bezugnahme auf BSG v. 25. 9. 2001 – B 3 KR 13/00 R).
Voraussetzung für die Schutzgesetztauglichkeit einer Norm ist, dass sie den Charakter einer Ge- bzw. Verbotsnorm haben muss. Rechtsnormen, die nur allgemeine Grundsätze aufstellen, scheiden daher als Schutzgesetz aus. Kennzeichnend für eine solche Ge- oder Verbotsnorm ist, dass sie einen an den Normadressaten gerichteten, bestimmten Verhaltensbefehl enthält (J. Lange/Schmidtbauer in jurisPK – BGB 6. Aufl. 2012, § 823 BGB, Rn. 170 m. w. N.). Die Rechtsprechung fordert daher für die Schutzgesetztauglichkeit einer Norm nur, dass sie nach ihrem Zweck und Inhalt auch dem Individualschutz dient (J. Lange/Schmidtbauer, a. a. O., Rn. 171).
Die Aufgabe, Heilmittel als Sachleistung kostenfrei zur Verfügung zu stellen, gehört zu den zentralen gesetzlichen Aufgaben der Astin.
§ 124 SGB V ist eine Regelung des (nichtärztlichen) Leistungserbringerrechts, deren Notwendigkeit daher rührt, dass die Versicherten Ansprüche auf die Gewährung von Sachleistungen haben, die Krankenkassen aber außerstande sind, diese Ansprüche selbst zu befriedigen. Sie bedienen sich dazu Dritter als Leistungserbringer. Dadurch entsteht ein Dreiecksverhältnis zwischen Krankenkasse, Versichertem und Leistungserbringer. Im Unterschied zu den Strukturen des Vertragsarztrechts gibt es im Recht der nichtärztlichen Leistungserbringer aber keine den Kassenärztlichen Vereinigungen vergleichbare Institutionen. § 124 SGB V regelt, wie für die Abgabe von Heilmitteln der Status als Leistungserbringer der Krankenkassen erworben wird. Die Vorschrift tritt so neben § 32 SGB V, wo der Anspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse auf Versorgung mit Heilmitteln geregelt ist, und § 125 SGB V, der Rechtsgrundlage für die weitere Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse bei der Abgabe von Heilmitteln an Versicherte ist (Schneiderin: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 124 SGB V , Rn. 4).
Die Norm dient also zum Einen der Qualitätssicherung im Rahmen der Heilmittelerbringung für die Versicherten und zum Anderen der Gewährleistung des Sachleistungsanspruchs der Versicherten und ist damit ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
Die Astin hat insoweit glaubhaft gemacht, dass die Agin Verordnungen von Versicherten entgegennimmt und an diese Leistungen erbringt sowie von den Versicherten die gesetzlichen Zuzahlungen in Empfang nimmt. Zum Zeitpunkt der Annahme der ärztlichen Verordnungen und spätestens seit der Ablehnung der Zulassung des Revision durch das BSG war der Agin bekannt, dass sie Heilmittelleistungen nicht mehr mit der Astin abrechnen kann, weil ihr die Zulassung rechtskräftig entzogen worden war. Sie hätte damit die entsprechenden vertragsärztlichen Verordnungen nicht mehr entgegennehmen und auch Leistungen der Logopädie an die Versicherten der Astin nicht mehr erbringen dürfen.
Allerdings hat die Astin den unter Ziffer 3. geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zwar muss ein Versicherter, der mit einer vertragsärztlichen Verordnung zu einem Heilmittelerbringer kommt, sich darauf verlassen können, dass der Leistungserbringer als Vertragspartner seiner Krankenkasse die konkrete Versorgung im Namen seiner Krankenkasse durchführt und damit im Gegenzug die Lieferung für ihn kostenfrei ist. Allerdings ergeben sich vorliegend keinerlei Hinweise, dass die Agin Leistungen, die sie an die Versicherten erbracht hat, diesen in Rechnung gestellt hat oder dies beabsichtigt. Eben dies wurde ausdrücklich durch den Prozessbevollmächtigten der Agin in Abrede gestellt und auch von der Astin nie behauptet. Es liegt also hier kein Verhalten vor, das die Agin zu unterlassen hätte.
Die Astin hat auch einen Anordnungsgrund bezüglich der Anträge unter Ziffern 1-2 glaubhaft gemacht. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist im vorliegenden Fall zu bejahen, denn es besteht insoweit eine Wiederholungsgefahr.
Dies ergibt sich sowohl aus dem Verhalten und den Äußerungen der Agin gegenüber der Astin (s. Schreiben vom 04.11.2016, Bl. 20 der Gerichtsakte) als auch aus ihren schriftsätzlichen Äußerungen gegenüber dem Gericht (s. Schriftsatz vom 03.02.2017, Bl. 58 der Gerichtsakte). Daraus ergibt sich, dass die Agin offenbar bereits seit 2013 Versicherte der Astin angenommen und behandelt hat und die dafür entstandenen Kosten noch bei der Astin geltend machen möchte. Aus der Anlage zu ihrem Schreiben vom 04.11.2016 ergibt sich eine Gesamtforderung für 2013 bis 2015 in Höhe von 42.694,29 € (Bl. 22 der Gerichtsakte) gegen die Astin, für das Jahr 2016 berühmt sie sich einer Forderung in Höhe von 10.689,41 € aus der Behandlung von Versicherten der Astin. Diesem Schreiben ist auch zu entnehmen, dass sie offenbar Zuzahlungen der Versicherten entgegen genommen hat, wozu sie aufgrund der fehlenden Zulassung und Abrechnungsmöglichkeit mit der Astin nicht berechtigt war.
Die Agin hat weder die Aufforderung der Ast vom 09.08.2016 noch die vom 15.11.2016 auf Unterlassung hinsichtlich der unter Ziffern 1-2 beanstandeten Verhaltensweisen unterschrieben.
Gegen die besondere Eilbedürftigkeit des unter Ziffer 1 und 2 von der Astin geltend gemachten Unterlassungsanspruchs spricht auch nicht Umstand, dass die Agin nach der Entscheidung des BSG keine neuen Verordnungen mehr zur Abrechnung bei der Astin eingereicht hat. Denn die Agin vertritt nach wie vor die Auffassung, dass sie jederzeit berechtigt sei, im Rahmen des § 124 SGB V Leistungen zu erbringen und andererseits die Ast verpflichtet sei, ihr diese Leistungen zu vergüten. Die Agin hat eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie auch in Zukunft vertragsärztliche Verordnungen der Versicherten der Astin entgegen nehmen und Versicherte der Astin behandeln wird.
Aus den dargelegten Gründen und im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes wäre es für die Astin unzumutbar, sie auf eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren zu verweisen. Daher ist die Vorwegnahme der Hauptsache im vorliegenden Verfahren ausnahmsweise zulässig.
Der Agin wird nahe gelegt sich zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten um eine erneute Zulassung durch die Astin – möglicherweise nach einer Praxisbegehung durch die Astin und Erteilung entsprechender Hinweise – zu bemühen.
Die Androhung des Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung unter Ziffern 1 bis 2 beruht auf § 198 SGG i. V. m. § 890 Abs. 1 und 2 ZPO. Die Androhung des Ordnungsgeldes konnte gemäß § 890 Abs. 2 ZPO bereits im Beschluss ausgesprochen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 155 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 1. HS SGG i. V. m. §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 4, 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro (Auffangstreitwert) anzunehmen. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da das wirtschaftliche Interesse der Astin nicht beziffert werden kann und genügend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen. Es war nicht geboten, den Streitwert im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu reduzieren, weil das Antragsbegehren auf eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.

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