Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  M 6 K 16.709

Datum:
11.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 46 Abs. 1, Nrn. 8.3 und 8.4 der Anlage 4

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen unbegründet und daher ohne Erfolg.
1. Die Klage ist hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Juli 2015 unzulässig, denn der Führerschein der Klägerin gelangte mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom … Juli 2015 bereits am … Juli 2015 zur Akte der Fahrerlaubnisbehörde. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte das Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es der Klägerin für eine Klage hinsichtlich Nr. 4 des Bescheides am erforderlichen Rechtschutzbedürfnis.
2. Im Übrigen, also soweit es die Nrn. 1, 2, 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Juli 2015 betrifft, ist die Klage unbegründet, denn der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -). Weder dieser Bescheid noch der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 14. Januar 2016 sind aufzuheben, noch ist der Klägerin ihr Führerschein wieder auszuhändigen (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
2.1 Die in Nr. 1 des Bescheids enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis der Klägerin für alle Klassen erfolgte zu Recht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG -, § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – i. V. m. den Nummern 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur FeV.
2.1.1 Zur Begründung nimmt die erkennende Kammer zunächst Bezug auf die rechtlichen Ausführungen unter Gründe II., dort insbesondere unter Nr. 2.2.2, im Beschluss vom 21. August 2015 zum Antragsverfahren M 6a S 15.3340.
Ergänzend ist auszuführen, dass die Kammer nach eingehender und sorgfältiger eigener Prüfung ebenfalls zu der Überzeugung gelangt ist, dass das ärztliche Gutachten der A. vom … Mai 2015 keinen erheblichen Bedenken begegnet, so dass es Grundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis sein konnte und musste. Die von der Klägerin bzw. ihrem Bevollmächtigten vorgetragenen Einwände gegen dieses Gutachten greifen daher im Ergebnis nicht durch.
Nach Nr. 2 der Anlage 4a „Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten“ zur FeV muss ein Gutachten in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst sowie nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen (Buchstabe a). Das Gutachten muss in allen wesentlichen Punkten insbesondere im Hinblick auf die gestellten Fragen (§ 11 Abs. 6) vollständig sein. Der Umfang eines Gutachtens richtet sich nach der Befundlage. Bei eindeutiger Befundlage wird das Gutachten knapper, bei komplizierter Befundlage ausführlicher erstattet (Buchstabe b). Im Gutachten muss dargestellt und unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund (Buchstabe c).
Diesen Anforderungen wird das Gutachten der A. noch gerecht.
Im Abschnitt „Fragestellungsbezogene Exploration“ werden die Angaben der Klägerin gegenüber der Gutachterin wiedergegeben. Diese erfahren zusammen mit den übrigen erhobenen Eigen- und Fremdbefunden eine nachvollziehbare „Zusammenfassende Befundwürdigung“, die schlüssig zur „Abschließende(n) Stellungnahme“ mit der Beantwortung der behördlichen Fragestellung führt.
Dabei enthält die Darstellung der Angaben der Klägerin unter „Fragestellungsbezogene Exploration“ in konzentrierter Form alles Wesentliche, was sich auch aus der übrigen Behördenakte – wie sie der Gutachterin vorgelegen hat – ergibt, insbesondere aus den vorhergehenden medizinisch-psychologischen Begutachtungen bei der B. … (vom …11.2006) und dem C. … (vom …9.2000).
Auf dieser Grundlage kommt die Gutachterin nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei zu der ebenfalls auf das Wesentliche konzentrierten „Zusammenfassende(n) Befundwürdigung“. Aus dieser ist schlüssig ersichtlich, dass die Gutachterin bei der Klägerin eine vor ca. … Jahren entstandene Alkoholabhängigkeit diagnostiziert. Hierzu hat sie – rückblickend – vier der sechs Kriterien nach den „Diagnostischen Leitlinien der Alkoholabhängigkeit nach ICD-10“ als – damals – gleichzeitig bestehend festgestellt: Craving (als starker Wunsch oder Zwang, Alkohol zu konsumieren), Kontrollverlust (über Beginn, Beendigung und Menge des Konsums), Toleranzsteigerung (für die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen werden zunehmend höhere Dosen erforderlich) und anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen (hier: das damalige Trinken der Klägerin während ihrer Schwangerschaft …). Wegen mehrfacher „Rückfälle“ der Klägerin in einen – zum Teil massiven – Alkoholkonsum, zuletzt am … Februar 2015, sind dabei die ersten drei Kriterien als im letzten Jahr vor der Begutachtung – wieder – gegeben anzusehen. Die Gutachterin stellt insbesondere noch fest, dass es nicht zu einer stationären Entwöhnungsbehandlung gekommen ist und dass keine stabile Abstinenz von mindestens einem Jahr bestand.
Aus all dem ist die letztlich von der Gutachterin diagnostizierte noch bzw. wieder bestehende Abhängigkeit von Alkohol im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne der Nummern 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur FeV nachvollziehbar. So begegnet auch das Gutachtensergebnis insgesamt keinen durchgreifenden Bedenken.
2.1.2 Bei der vom Bevollmächtigten der Klägerin aufgezeigten Nennung eines „Herrn A.“ auf Seite 4, vorletzter Absatz, handelt es sich dagegen um ein offensichtliches Schreibversehen, dass angesichts obiger Ausführungen keine Zweifel am Gutachten dahingehend zu wecken geeignet ist, es habe gar nicht auf die konkrete Situation der Klägerin abstellt.
2.1.3 Ob der im Gutachten angegebene Wert von a… Promille am … Februar 2015, der anscheinend von der Klägerin selbst im Rahmen der Exploration genannt worden war, zutreffend war oder nicht, kann dahinstehen. Denn die Klägerin hätte bei ihrer Vorgeschichte zur Vermeidung einer wieder auflebenden Alkoholabhängigkeit im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne überhaupt keinen Alkohol konsumieren dürfen, was sie am … Februar 2015 aber unstrittig getan hat. Stattdessen hätte sie ihre bei beiden medizinisch-psychologischen Begutachtungen geäußerten Abstinenzversprechen einhalten müssen.
Dass die Klägerin nunmehr in der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2016 ihre Absicht geäußert hat, auch zukünftig Alkohol konsumieren zu wollen, erscheint vor diesem Hintergrund bedenklich. Denn auf das von der Klägerin behauptete strikte Trennen des Konsums von Alkohol vom Führen eines Kraftfahrzeugs kommt es im Falle einer fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholabhängigkeit nicht an.
2.2 Da somit die Entziehung der Fahrerlaubnis der gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
2.3 Rechtliche Bedenken gegen die in den Nrn. 5 und 6 des Bescheids enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,– festgesetzt
(§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14]).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

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