Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  11 CS 18.1708

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2018, 21847
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 5, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anlage 4 Nr. 8.3 und 8.4, Anlage 4a

 

Leitsatz

Es ist nicht zu beanstanden, dass ein Gutachter neben seinen eigenen Untersuchungsergebnissen auch die ärztlichen Feststellungen des Bezirkskrankenhauses heranzieht, wo ein Fahrerlaubnisinhaber behandelt worden war. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 S 18.628 2018-07-26 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
Aufgrund einer Mitteilung des Gesundheitsamts K …, wonach der Antragsteller am 23. Dezember 2017 durch die Polizeiinspektion S … nach dem Unterbringungsgesetz erheblich alkoholisiert in das Bezirkskrankenhaus B … eingeliefert worden sei und eine „Abhängigkeitserkrankung“ vorliege, forderte ihn das Landratsamt K …, Fahrerlaubnisbehörde, mit Schreiben vom 1. März 2018 wegen Verdachts der Alkoholabhängigkeit und einer psychischen Erkrankung zur Beibringung eines fachärztlichen Fahreignungsgutachtens auf.
Dem fachärztlichen Gutachten vom 24. April 2018 zufolge, das auf dem vom Antragsteller vorgelegten vorläufigen Arztbrief des Bezirkskrankenhauses und einer Untersuchung am 10. April 2018 beruht, liegt beim Antragsteller eine Alkoholabhängigkeit vor. Während der stationären Behandlung sei ein körperliches Entzugssyndrom dokumentiert worden. Es bestehe eine eindeutige Toleranzentwicklung mit Konsum auch größerer Mengen Alkohol und ein anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen. Eine stationäre Entgiftungsbehandlung sei durchgeführt worden, eine erfolgreiche Entwöhnung bisher jedoch nicht. Bei der klinischen Untersuchung seien typische Alkoholstigmata zu erkennen gewesen. Der Antragsteller sei nicht alkoholabstinent.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 12. Juni 2018 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis (Klassen A, A1, A2, B, BE, C, CE, C1, C1E, AM, L und T) und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen.
Über die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Bayreuth noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Juli 2018 abgelehnt. Der Antragsteller sei aufgrund der festgestellten und nicht überwundenen Alkoholabhängigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet. Es bestehe kein Anlass, an den Feststellungen des Gutachters zu zweifeln.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, das „Vorliegen von Alkoholismus“ könne nicht sicher angenommen werden. Das Gutachten vom 24. April 2018 gehe zu Unrecht davon aus, dass die hierzu vom Bezirkskrankenhaus festgestellten drei Kriterien nach ICD-10 erfüllt seien. Dies gelte insbesondere für das Kriterium „anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind“. Bei dem Vorfall am 23. Dezember 2017, der zur Unterbringung des Antragstellers in das Bezirkskrankenhaus geführt habe, handele sich um einen Einzelfall, der sich aufgrund der besonderen Konstellation (Vorabend vor Weihnachten) ereignet habe und auch bei Personen auftreten könne, die keine Alkoholiker seien. Auch die vom Gutachter berücksichtigten Entzugssymptome wie etwa der Tremor, das Schwitzen und die Schlafstörungen seien nicht hinreichend abgeklärt. Der Antragsteller habe sein Verhalten bezüglich Alkoholkonsums deutlich geändert und diesen stark reduziert. Er sei bisher nie im Straßenverkehr auffällig geworden, könne hinreichend zwischen Alkohol und Fahren trennen und sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV besteht bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betreffende im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 = juris Rn. 5). Denn bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1755 – juris Rn. 23; B.v. 24.7.2018 – 11 CS 17.2152 – juris Rn. 11). Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 besteht Eignung oder bedingte Eignung nach Abhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung) erst wieder, wenn Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Begründen Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit, ist die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV verpflichtet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum zustünde.
Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (VkBl. S. 110) in ihrer jeweils geltenden Fassung (derzeitiger Stand: 24.5.2018). Nach Nr. 3.13.2 (Alkoholabhängigkeit) der Begutachtungsleitlinien, die insoweit der Definition in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10, Kapitel V) folgen, soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (1. starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; 2. verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; 3. körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; 4. Nachweis einer Toleranz; 5. fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums; 6. anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind).
b) Am Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit mit der Folge, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auch ohne bisherige Auffälligkeit im Straßenverkehr zwingend zu entziehen war, bestehen hier keine begründeten Zweifel. Grundlage für die Annahme der Alkoholabhängigkeit war das fachärztliche Gutachten vom 24. April 2018. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass der Gutachter neben seinen eigenen Untersuchungsergebnissen auch die ärztlichen Feststellungen des Bezirkskrankenhauses heranzieht, wo der Antragsteller vom 23. Dezember 2017 bis 2. Januar 2018 behandelt worden war. Im Bericht des Bezirkskrankenhauses werden drei der ICD-10-Kriterien nachvollziehbar dargelegt. Nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP], Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Aufl. 2013, S. 97, 119, Kriterium A 1.2 N) ist die Tatsache, dass eine Alkoholabhängigkeit bereits extern (nachvollziehbar) diagnostiziert wurde, ein Kriterium für ihr Vorliegen, insbesondere wenn die Diagnose von einer suchttherapeutischen Einrichtung gestellt oder eine Entgiftung durchgeführt wurde (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1755 – juris Rn. 38). Bei der Einlieferung des Antragstellers hat das Bezirkskrankenhaus B … eine BAK von 2,82 ‰ festgestellt. Nachdem zuvor noch eine Untersuchung auf etwaige Kopfverletzungen durchgeführt worden war, weil der Antragsteller vor dem Eintreffen der Polizei seinen Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen hatte, muss von einem zunächst noch höheren Wert aufgrund des Alkoholkonsums ausgegangen werden.
Nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 der Bezirksordnung für den Freistaat Bayern (Bezirksordnung – BezO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl S. 850), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. März 2018 (GVBl S. 145), sind die Bezirke unter anderem verpflichtet, die erforderlichen stationären und teilstationären Einrichtungen für Psychiatrie und Neurologie und für Suchtkranke zu errichten, zu unterhalten und zu betreiben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht daher der Diagnose des Bezirkskrankenhauses B … einen hohen Grad an Verlässlichkeit beigemessen (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 12 f. m.w.N.). Nach dem vorläufigen Bericht vom 2. Januar 2018, der dem fachärztlichen Gutachter vorgelegen hatte und den der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers seiner Beschwerdebegründung beigefügt hat, wurde der Antragsteller nach Suchtmittelrückfall mit Alkohol zur qualifizierten Entzugsbehandlung und affektiven Stabilisierung stationär aufgenommen und ein qualifizierter Alkoholentzug begonnen. Es seien ausgeprägte vegetative Entzugssymptome mit Craving, erhöhtem Blutdruck, Gereiztheit, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Schwitzen, Stimmungsschwankungen, Suchtdruck, Tremor und Unruhe aufgetreten. Ob es insoweit zutrifft, dass – wie der Antragsteller behauptet – einige dieser Symptome (Schlafstörungen, Schwitzen, Tremor) auf andere Ursachen als auf den Alkoholentzug zurückzuführen sind, kann dahinstehen. Am Gesamtergebnis des Vorliegens einer Alkoholabhängigkeit und der Notwendigkeit strikter Abstinenz würde dies nichts ändern. Dass der Antragsteller das Kriterium Nr. 6 (anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind) auch jetzt noch erfüllt und es sich bei dem Vorfall am 23. Dezember 2017 um keinen einmaligen Ausrutscher gehandelt hat, ergibt sich auch daraus, dass er trotz der dringenden Empfehlung des Bezirkskrankenhauses, strikte Alkoholkarenz einzuhalten, eine stationäre Entwöhnungsbehandlung durchzuführen, regelmäßigen Kontakt zur Suchtberatung aufzunehmen und den Anschluss an eine Selbsthilfegruppe zu suchen, keine dieser Empfehlungen längere Zeit umgesetzt hat, sondern – wie er auch in der Beschwerdebegründung einräumt – nach wie vor Alkohol konsumiert.
Gegenüber dem fachärztlichen Gutachter hat sich der Antragsteller dahingehend geäußert, er habe kein Problem mit Alkohol und benötige keine Hilfe. Er halte es auch nicht für notwendig, weiter in die Suchtberatungsstelle zu gehen oder zu einer Selbsthilfegruppe Kontakt aufzunehmen. Nachvollziehbar und übereinstimmend mit den Feststellungen des Bezirkskrankenhauses kommt daher auch der fachärztliche Gutachter zu dem Ergebnis, dem Antragsteller fehle die erforderliche Krankheitseinsicht und er sei für eine Abstinenz nicht ausreichend motiviert. Allein eine Reduzierung des Alkoholkonsums führt bei Alkoholabhängigkeit nicht zur Wiedererlangung der Fahreignung (vgl. insoweit auch Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien).
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers fällt auch die Interessenabwägung zu seinen Lasten aus. Angesichts der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen kann es aufgrund der jetzigen Kenntnislage nicht verantwortet werden, dem Antragsteller wegen seiner persönlichen und beruflichen Belange auch nur vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Teilnahme mit Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr zu erlauben.
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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