Aktenzeichen AN 10 S 20.02103
FeV § 11 Abs. 6, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anl. 4 Nr. 4, Nr. 7.3, Nr. 11.3
ZPO § 427, § 444, § 446
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1. Nach § 11 Abs. 8 S. 1 FeV darf die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die fehlende Kraftfahreignung eines Betroffenen dann schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Auf die Ungeeignetheit darf geschlossen werden, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, dh insbesondere verhältnismäßig und anlassbezogen iSv § 11 Abs. 6 FeV ist und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als ausreichender Grund für die nicht fristgerechte Vorlage des Gutachtens ist der Umstand zu werten, dass der Betroffene aus Anlass pandemiebedingter Einschränkungen im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus vor Ablauf der Vorlagefrist keinen Termin bei der Begutachtungsstelle erhalten hat. (Rn. 56 und 61) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffern 1 und 2 des Bescheides vom 28. September 2020 wird wiederhergestellt.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Der Antragsgegner trägt 3/4 der Kosten des Verfahrens, der Antragsteller 1/4 der Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehung sowie die ebenfalls für sofort vollziehbar erklärte Abgabeverpflichtung seines Führerscheins.
Durch Mitteilung der Polizeiinspektion … vom 22. Mai 2020 erhielt der Antragsgegner Kenntnis davon, dass der Antragsteller ausweislich einer Zeugenvernehmung des Sohnes am … Mai 2020 an einer beginnenden Demenz leide.
Der Antragsteller wurde deshalb mit Schreiben des Antragsgegners vom 27. Mai 2020 aufgefordert, bereits vorhandene ärztliche Atteste vorzulegen und erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Sohn des Antragstellers erklärte daraufhin am 2. Juni 2020, dass es sich um ein Missverständnis bei der Zeugenvernehmung gehandelt habe. Mit E-Mail vom 4. Juni 2020 führte der Sohn aus, dass er lediglich gesagt habe, dass sein Vater nicht mehr wisse, wer das Auto gefahren habe, da er 77 Jahre alt sei. Der Vater sei für sein Alter sehr gesund, gehe fast nie zum Arzt und habe sonst nichts. Er habe lediglich Probleme mit der Lunge und nehme hierfür ein Spray sowie Blutverdünner wegen der Durchblutung. Auf Bitte des Sohnes wurde die Frist für die Attestvorlage bis 19. Juni 2020 verlängert. Mit weiterer E-Mail vom 9. Juni 2020 wurde ein Attest des Dr. … vom 9. Juni 2020 übersandt. Danach befindet sich der Antragsteller seit mehr als 10 Jahren in dessen hausärztlicher Behandlung. Der Arzt bestätigte, dass eine Demenzerkrankung sowie andere psychische Erkrankungen, die Einfluss auf die Fahrfähigkeit haben könnten, nicht bekannt seien.
Mit Schreiben vom 12. Juni 2020 forderte der Antragsgegner den Antragsteller erneut auf, bis 30. Juni 2020 bereits im Besitz befindliche ärztliche Atteste zu übersenden.
Auf Nachfrage des Sohnes des Antragstellers mit E-Mail vom 16. Juni 2020 erwiderte der Antragsgegner, dass durch das vorliegende ärztliche Attest vom 9. Juni 2020 lediglich bestätigt werden konnte, dass keine Demenzerkrankung und keine psychische Erkrankung vorliege, die Einfluss auf die Fahrfähigkeit haben könne. Dem Attest könne jedoch nicht entnommen werden, dass keine physische Erkrankung vorliegt. Von einer Demenzerkrankung werde nicht mehr ausgegangen. Die Beibringung eines Medikamentenplans und eines erneuten ärztlichen Attestes, aus dem die Diagnosen hervorgehen, sei sinnvoll.
Mit weiterer E-Mail vom 22. Juni 2020 übersandte der Sohn des Antragstellers den Medikamentenplan des Vaters vom 19. Juni 2020 sowie ein weiteres ärztliches Attest des Dr. … vom 17. Juni 2020 mit den Diagnosen „KHK, Hyperlipidämie, Lungenemphysem“.
Diesen Sachverhalt nahm der Antragsgegner zum Anlass, den Antragsteller mit Schreiben vom 24. Juni 2020 zur Klärung seiner Fahreignung aufzufordern durch die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis spätestens 7. September 2020. Als Frist für die Vorlage der unterschriebenen Einverständniserklärung wurde der 8. Juli 2020 festgesetzt. Es bestünden Eignungszweifel aufgrund des bekannten Sachverhaltes, da unklar sei, ob bei dem Antragsteller eine Herz- und Gefäßerkrankung und/oder eine Lungen- und Bronchialerkrankung vorliege, die die Fahreignung in Frage stelle. Bei einer kardiologischen Grunderkrankung bestehe die Gefahr eines plötzlichen Kontrollverlustes am Steuer, zum Beispiel plötzliche kurz anhaltende Bewusstlosigkeit und damit eine abstrakte Gefahr beim Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr für Leben, Gesundheit und Sachwerte. Durch eine Lungen- und Bronchialerkrankung sei eine Rückwirkung auf die Herz-Kreislauf-Dynamik zu erwarten, die in fortgeschrittenen Stadien infolge einer Gasaustauschstörung sowie durch plötzliche „Hustensynkopen“ die Fähigkeit, den gestellten Anforderungen bei Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr gerecht zu werden, aufheben oder erheblichen einschränken könne. Es würden sich so erhebliche Zweifel an der Fahreignung ergeben, da Hinweise auf eine Erkrankung nach Ziffern 4 und 11.3 der Anlage 4 zur FeV gegeben seien und sich die Fahreignungszweifel so erheblich verstärkt hätten, dass das Ermessen auf nahezu Null reduziert werde. Das öffentliche Interesse an der Klärung der Fahreignung überwiege deutlich. Es wurde zudem empfohlen, sich vorab mit der Begutachtungsstelle in Verbindung zu setzen und zu klären, ob diese bereit sei, das Gutachten zu erstellen.
Es sollten folgende Fragen geklärt werden:
„Liegt bei der/dem Untersuchten eine Herz- und Gefäßerkrankung (Nr. 4 Anlage 4 FeV) und/ oder Lungen- und Bronchialerkrankung (Nr. 11.3 Anlage 4 FeV) vor, die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt? Falls eine solche Erkrankung vorliegt, ist zusätzlich noch folgende Fragestellung zu beantworten:
Ist der/die Untersuchte trotz des Vorliegens der festgestellten Erkrankung (Herz- und Gefäßerkrankung und/oder Lungen- und Bronchialerkrankung), die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt, ab dem Untersuchungstag (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der FE-Klasse(n) AM, A179, A 79, B, BE, L (Gruppe 1) und der FE-Klasse(n) C1, C1E (Gruppe 2) gerecht zu werden? Liegt eine ausreichende Compliance (unter anderem Krankheitseinsichtigkeit, regelmäßige/ überwachte Medikamenteneinnahme [Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte – Unter- oder Überdosierung] usw.) vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)? Sollten die Anforderungen ab dem Untersuchungstag bejaht werden, sind zusätzlich folgende Fragestellungen ggfs. differenziert nach Fahrerlaubnisklassen bzw. Gruppen zu beantworten:
Kann ein sicheres Führen von Kraftfahrzeugen der FE-Klasse(n) AM, A179, A79, B, BE, L (Gruppe 1) und der FE-Klasse(n) C1, C1E (Gruppe 2) nur unter fahrzeugbezogenen Beschränkungen und/oder bestimmten personenbezogenen Auflagen gewährleistet werden? Insbesondere sind diesbezüglich (nach Begründung des Einzelfalls im Gutachten) die folgenden beiden Fragestellungen zu beantworten:
1. Ist insbesondere eine fachlich einzelfallbegründete ärztliche Kontrolluntersuchung erforderlich? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde zur Überwachung der bedingten Fahreignung vorzulegen?
2. Ist eine fachlich einzelfallbegründete Nachuntersuchung im Sinne einer erneuten Nachbegutachtung erforderlich? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand?“
Mit Schreiben vom 1. Juli 2020 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers an, beantragte Akteneinsicht sowie Fristverlängerung für die Vorlage der Einverständniserklärung bis 31. Juli 2020 und für die Vorlage des ärztlichen Gutachtens bis 30. September 2020.
Der Antragsgegner übersandte die Führerscheinakte mit Schreiben vom 6. Juli 2020, verlängerte die Frist zur Vorlage der Einverständniserklärung bis 31. Juli 2020 und teilte mit, dass die Frist zur Vorlage des ärztlichen Gutachtens nicht verlängert werden könne, da andernfalls das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Straßenverkehr gefährdet werde und die Unversehrtheit der Schutzgüter Leben sowie Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer und Sachgüter die privaten Interessen des Antragstellers überwiege.
Der Antragsteller erklärte sich mit Schreiben vom 27. Juli 2020, bei dem Antragsgegner am 29. Juli 2020 eingegangen, mit einer Begutachtung bei der … GmbH einverstanden. Daraufhin übersandte der Antragsgegner mit Schreiben vom 29. Juli 2020 die Fahrerlaubnisakten an die … GmbH.
Der Antragsteller erhielt ein Schreiben der … GmbH vom 3. August 2020, in dem er zur Vorauszahlung aufgefordert wurde und darauf hingewiesen wurde, dass er veranlassen soll, dass von den behandelnden Ärzten ein aktueller, ausführlicher Befundbericht zu der bei der Untersuchung gegenständlichen Erkrankung/Beeinträchtigung erstellt wird. Zudem wurde der Antragsteller aufgefordert, alle sonstigen relevanten medizinischen Befunde zu dem Termin mitzubringen und an einen aktuellen und vollständigen Medikamentenplan zu denken.
Mit Schreiben vom 17. August 2020 führte der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass die seitens der … GmbH geforderte Vorauszahlung geleistet worden sei, jedoch mitgeteilt worden sei, dass ein Termin frühestens im Oktober stattfinden könne. Deshalb sei der Termin zur Vorlage des Gutachtens vom 7. September 2020 nicht haltbar. Eine Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Sicherheit des Straßenverkehrs sei nicht gegeben. Hierzu wurde die Bestätigung des behandelnden Kardiologen Dr. … vom 6. August 2020 übersandt und die Bestätigung des Lungenspezialisten für September angekündigt, da die Praxis bis Ende August urlaubsbedingt geschlossen sei. Der Entzug der Fahrerlaubnis sei angesichts der vorgelegten Diagnosen der behandelnden Ärzte unverhältnismäßig. Der Bevollmächtigte beantragte nochmals Fristverlängerung bis 16. Oktober 2020.
Mit Schreiben vom 21. August 2020 erwiderte der Antragsgegner, dass dem Antragsteller eine ausreichende Frist von 2,5 Monaten zur Vorlage des Gutachtens gesetzt und in der Anordnung empfohlen worden sei, sich vorab mit der Begutachtungsstelle in Verbindung zu setzen, um zu besprechen, ob die ausgewählte Stelle bereit sei, das Gutachten (innerhalb der gesetzten Frist) zu erstellen. So hätte bereits im Vorfeld abgeklärt werden können, ob die … GmbH das Gutachten fristgerecht erstellen könne und gegebenenfalls eine andere Stelle ausgewählt werden könne. Die Frist zur Vorlage des Fahreignungsgutachtens könne nicht verlängert werden.
Der Sohn des Antragstellers teilte am 1. September 2020 telefonisch mit, dass der Vater am 17. September 2020 einen Termin zur ärztlichen Begutachtung habe. Der Antragsgegner erwiderte, dass die Frist zur Vorlage des Gutachtens am 7. September 2020 ablaufe und erläuterte, dass Gelegenheit gewährt werde, innerhalb von zwei weiteren Wochen Stellung zu nehmen und das Gutachten beizulegen. Dies teilte der Antragsgegner auch der … GmbH … mit Schreiben vom 1. September 2020 mit.
Die … GmbH teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 1. September 2020 mit, dass die Zahlung eingegangen sei und es aufgrund der weiterhin bestehenden besonderen Situation in Zusammenhang mit den bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus nach wie vor zu Verzögerungen bei der Terminvergabe komme.
Am 2. September 2020 erhielt der Antragsgegner durch Telefonat mit der … GmbH in … Kenntnis davon, dass der Antragsteller keinen Termin zur Begutachtung am 17. September 2020 habe und für diesen Tag auch kein Termin mehr vereinbart werden könne. Auf Nachfrage bei dem Sohn des Antragstellers teilte dieser mit Anruf vom 2. September 2020 mit, dass er sich lediglich bezüglich eines möglichen Termins erkundigt habe, da sich der Antragsteller rund um die Uhr um seine Frau, die pflegebedürftig sei, kümmern müsse.
Mit Schreiben vom 1. September 2020 führte der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass der Antragsteller zuvor eine Rückfrage bei der … GmbH geführt habe, ein Termin gleichwohl erst für Oktober anvisiert worden sei. In Hinblick auf die coronabedingten Einschränkungen sei eine zeitliche Verzögerung nachzuvollziehen.
Der Antragsgegner wiederholte mit Schreiben vom 2. September 2020, dass eine Fristverlängerung das öffentliche Interesse gefährde und das Interesse des Antragstellers, weiterhin nach Ablauf der Frist zur Vorlage des ärztlichen Gutachtens am motorisierten Straßenverkehr teilzunehmen, bis eine ärztliche Begutachtung durch die … GmbH durchgeführt und das entsprechende Gutachten erstellt werden könne, als untergeordnet zurücktreten müsse. Es sei bekannt, dass der Antragsteller bis zum heutigen Tag noch keinen Termin zur Begutachtung habe, obwohl die Frist zur Vorlage des Gutachtens mit Ablauf des 7. September 2020 ende. Es sei mit Schreiben vom 24. Juni 2020 mitgeteilt worden, dass es dem Antragssteller freistehe, jede im Bundesgebiet amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung zu wählen. Deshalb hätte sich der Antragsteller auch mit anderen Begutachtungsstellen für Fahreignung (außerhalb der Stadt …*) in Verbindung setzen können, damit das ärztliche Gutachten fristgerecht hätte beigebracht werden können. Bei sorgfältiger Abwägung der Interessenlage gehe das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit die Verhütung von weiteren Unfällen dem privaten Interesse des Antragstellers vor. Des Weiteren wurde angemerkt, dass Dr. … die verkehrsmedizinische Qualifikation nicht nachweisen könne.
Der Antragsgegner hörte mit Schreiben vom 8. September 2020 zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis 23. September 2020.
Mit Schriftsatz vom 4. September 2020 erklärte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass sich der Antragsteller mit mehreren Begutachtungsstellen in Verbindung gesetzt habe und keine in diesem Jahr einen Termin zur Verfügung gestellt habe. Dass die coronabedingten Einschränkungen gänzlich ignoriert würden, zeige, dass keinerlei Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werde. Es liegen ärztliche Bestätigungen dahingehend vor, dass sich der Antragsteller gesundheitlich in hervorragendem Zustand befinde und medikamentös ausreichend eingestellt sei, so dass keine Gefährdung durch einen plötzlichen Kontrollverlust zu erwarten sei. Für diese Feststellung benötige der Arzt keine zusätzliche verkehrsmedizinische Qualifikation. Die … GmbH, die als einzige Stelle in diesem Jahr noch einen Termin zur Begutachtung stellen würde, verweigere angesichts des Verhaltens des Antragsgegners eine Terminvergabe an den Antragsteller. Die … GmbH vergebe nur dann einen Termin, wenn eine Fristverlängerung gewährt werde. Es wurde eine Bestätigung der … GmbH vom 3. September 2020 beigelegt, wonach vor Fristablauf am 7. September 2020 kein Termin angeboten werden könne.
Der Antragsgegner rief am 9. September 2020 bei dem TÜV … in … und der TÜV … in … an, die jeweils mitteilten, dass Termine Ende September bzw. Anfang Oktober angeboten werden könnten.
Mit Schreiben vom 9. September 2020 wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers das Ergebnis der erfolgten Rücksprache mit verschiedenen Begutachtungsstellen mitgeteilt. Es sei eine angemessene Frist zur Vorlage des ärztlichen Gutachtens gesetzt worden. Es liege lediglich ein ärztliches Attest des Dr. … vom 17. Juni 2020 und ein Arztbrief des Dr. … vom 6. August 2020 vor, der mitteile, dass aus kardiologischen Sicht nichts gegen das Führen von Kraftfahrzeugen spreche. Wie sich jedoch die kardiologische Erkrankung in Zusammenhang mit der Lungen- und Bronchialerkrankung auf die Fahreignung auswirke, werde nicht genannt. Die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers könnten durch die vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht als ausgeschlossen angesehen werden. Es bestehe weiterhin die Gefahr eines plötzlichen Kontrollverlustes am Steuer.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers wiederholte mit Schreiben vom 10. September 2020, dass die zuständigen Begutachtungsstellen keine Terminierung innerhalb der Frist zur Verfügung stellen konnten und eine Begutachtung nur durchgeführt werde, wenn dies innerhalb der laufenden Frist erfolge.
Mit E-Mail vom 11. September 2020 übersandte der Sohn des Antragstellers ein fachärztliches Attest des Dr. … vom 9. September 2020, der bestätigte, dass eine moderate chronisch obstruktive Atemwegserkrankung bestehe. Einen negativen Einfluss auf die Fahrfähigkeit habe weder die Grunderkrankung noch die Medikation.
Am 28. September 2020 erließ der Antragsgegner den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen entzogen wurde (Ziffer 1) und er verpflichtet wurde, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzuliefern (Ziffer 2), andernfalls wurde ihm Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziffer 4). Weiterhin wurde die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 angeordnet (Ziffer 3). Der Bescheid wurde im Wesentlichen auf die Nichtvorlage des ärztlichen Gutachtens trotz angemessen gesetzter Frist von 2,5 Monaten gestützt. Die Einwendungen des Antragstellers, dass bei der … GmbH frühestens im Oktober ein Termin vereinbart werden könne und bei den weiteren Begutachtungsstellen im Jahr 2020 überhaupt kein Termin mehr zur Verfügung stehe, weshalb eine Fristverlängerung gewährt werden müsse, sei nicht überzeugend. Die stichprobenartige Überprüfung habe ergeben, dass bei anderen Begutachtungsstellen eine Begutachtung innerhalb von drei bis vier Wochen möglich gewesen wäre. Nachdem die Begutachtungsstellen nach vorübergehender Aussetzung der Begutachtungen aufgrund der Corona-Pandemie ihre Tätigkeit zum 20. April 2020 wieder aufgenommen haben, seien auch diesbezüglich keine Verzögerungen mehr bekannt.
Der Antragsteller gab seinen Führerschein mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 bei der Fahrerlaubnisbehörde ab.
Gegen den Bescheid vom 28. September 2020, dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 1. Oktober 2020 zugestellt, wurde mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 Klage erhoben und zugleich Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Schluss von der nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens auf den Willen, einen Eignungsmangel zu verbergen, nur zulässig sei, wenn für die nicht fristgerechte Beibringung des Gutachtens kein ausreichender Grund bestehe. Bei unverschuldeter Verhinderung der Beibringung des Gutachtens sei der Schluss gerade nicht zulässig. Aus vom Antragsteller nicht zu vertretenden Gründen sei die Terminvergabe durch die beauftragte … GmbH nicht innerhalb der vom Landratsamt gesetzten (angesichts der Pandemie und der Urlaubszeit durchaus knappen) Frist erfolgt. Der Antragsgegner sei verpflichtet gewesen, die Frist gemäß Art. 31 Abs. 7 BayVwVfG antragsgemäß zu verlängern. Der Antragsteller habe die Gutachterkosten bereits bezahlt und von der … GmbH sei eine zeitnahe Terminvergabe in Aussicht gestellt worden unter der Bedingung, dass die Frist so verlängert werde, dass eine Fertigstellung des Gutachtens innerhalb der Frist erfolgen könne. Allein aufgrund der Weigerung des Antragsgegners, die Frist antragsgemäß bis 15. Oktober 2020 zu verlängern, sei die Begutachtung nicht zustande gekommen. Damit habe der Antragsgegner selbst den Nachweis der Fahreignung von Seiten des Antragstellers bewusst vereitelt. Hinzu komme, dass ärztliche Atteste vorgelegt worden seien, die geeignet gewesen seien, die Bedenken des Antragsgegners hinsichtlich einer Fristverlängerung um etwas mehr als einen Monat zu entkräften. Der behandelnde Kardiologe und Pneumologe habe jeweils angegeben, dass der Antragsteller gut eingestellt sei und Gefahren für den Straßenverkehr nicht zu erwarten seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass Auslöser für die Gutachtensanforderung nicht etwa ein Unfall des Antragstellers im Straßenverkehr gewesen sei, sondern einzig und allein die Auflistung einzelner Diagnosen in einem ärztlichen Attest. Insofern sei schon die Berechtigung der Gutachtensanforderung fraglich. Zudem wurde eine eidesstattliche Versicherung des Sohnes des Antragstellers vom 7. Oktober 2020 vorgelegt. Danach habe er am 18. September 2020 telefonische Rückmeldung der … GmbH erhalten, dass der Auftrag storniert worden sei. Er habe weitere Begutachtungsstellen kontaktiert, die jeweils angegeben hätten, dass Termine nur bei vorliegenden Akten bei ausreichender Frist vergeben würden.
Des Weiteren wurde ausgeführt, dass der Antragsteller die Fahrerlaubnis benötige, um sich um seine pflegebedürftige Ehefrau zu kümmern.
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 28. September 2020 wird hinsichtlich Ziffer 1 und 2 des Bescheides wiederhergestellt und hinsichtlich Ziffer 4 des Bescheides angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass bereits im Schreiben vom 6. Juli 2020 mitgeteilt worden sei, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei und dennoch die Einverständniserklärung erst am 29. Juli 2020 abgegeben worden sei. Erst am 1. September 2020, sieben Tage vor Fristablauf habe die … GmbH den Zahlungseingang bestätigt. Es könne nicht nachvollzogen werden, ob bereits vorab durch die … GmbH mitgeteilt worden sei, dass frühestens Termine im Oktober angeboten werden könnten. Soweit dies zutreffen sollte, wäre der Antragsteller verpflichtet gewesen, eine andere Begutachtungsstelle zu beauftragen. Es sei nicht glaubhaft, dass sich der Antragsteller mit mehreren Begutachtungsstellen in Verbindung gesetzt habe und die … GmbH die einzige Stelle gewesen sei, die im Jahr 2020 überhaupt noch einen Termin zur Begutachtung bereitgestellt habe. Die Verzögerungen bei der Beauftragung und bei der Terminfindung habe ausschließlich der Antragsteller zu vertreten. Das Attest des Dr. …, dem zu entnehmen sei, dass der Antragsteller gelegentlich „AP Beschwerden“ habe, habe die Zweifel an der Fahreignung noch verstärkt, sodass eine Fristverlängerung nicht angezeigt gewesen sei.
Darüber hinaus wurde ausgeführt, dass einer Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens bis 21. September 2020 zugestimmt worden sei, nachdem der Sohn des Antragstellers mitgeteilt habe, dass am 17. September 2020 ein Begutachtungstermin in Aussicht gestellt worden sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antragsteller begehrt nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Ablieferungspflicht seines Führerscheins gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO. Insoweit kommt der Klage des Antragstellers aufgrund der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu. Darüber hinaus beantragt der Antragsteller ausweislich des eindeutigen Wortlautes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der nach Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsmittelandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides.
Der so verstandene Antrag hat teilweise Erfolg. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zum Teil unzulässig, im Übrigen jedoch begründet.
I.
Soweit der Antrag gegen die in Ziffer 4 des Bescheides vom 28. September 2020 verfügte Zwangsgeldandrohung gerichtet ist, ist er unzulässig. Dieser kraft Gesetzes sofort vollziehbare Ausspruch (Art. 21a VwZVG) hat sich durch die Abgabe des Führerscheins erledigt. Nach der Abgabe des Führerscheins kann das angedrohte Zwangsgeld nach Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG nicht mehr beigetrieben werden. Der Antragsgegner hat auch nicht zu erkennen gegeben, dass er das angedrohte Zwangsgeld gleichwohl vollstrecken wolle. Aus der Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides ergibt sich für den Antragsteller keine Beschwer mehr (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2427, 11 C 13.2428 – juris; B.v. 29.10.2009 – 11 CS 09.1968 – juris; B.v. 12.3.2007 – 11 CS 06.2028 – juris).
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist zulässig und begründet. Bei der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweisen sich Ziffern 1 und 2 des Bescheides vom 28. September 2020 voraussichtlich als rechtswidrig und die hiergegen erhobene Klage wird voraussichtlich Erfolg haben. 1. Zwar bestehen an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzuges keine vernünftigen Zweifel. Die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid vom 28. September 2020 entspricht den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug in ausreichender Form begründet wurde. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner ausführt, dass Zweifel an der Fahreignung des Antragtellers bestünden und Auffälligkeiten im Straßenverkehr, die die Verkehrssicherheit und damit die Gesundheit und das Leben anderer Verkehrsteilnehmer in erhöhtem Maße gefährden, zu erwarten seien. Es sei daher erforderlich, dass mit sofort wirksamen Maßnahmen vorgegangen werde, um im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine solche erhebliche Gefährdung abzuwenden. Das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs gehe dem Interesse des Antragstellers, weiterhin von der Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, vor. Da es sich beim Fahrerlaubnisrecht um einen besonderen Teil des Sicherheitsrechts handelt, entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Kammer, dass es für die Anordnungsbehörde ausreicht, die typische Interessenlage dieser Fallgruppe aufzuzeigen und auszuführen, dass im Falle möglicherweise ungeeigneter Fahrzeugführer ein Ausschluss an der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr wegen der davon ausgehenden akuten Gefahr schnellstmöglich anzuordnen ist. Auch bezüglich der Abgabe des Führerscheins wurde der Sofortvollzug hinreichend im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Insoweit wurde in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass bei Nichtabgabe des Führerscheins die nicht auszuschließende Gefahr des Missbrauchs durch dessen Vorzeigen bei eventuellen Verkehrskontrollen bestehe.
2. Allerdings erweisen sich der Fahrerlaubnisentzug und die Abgabeverpflichtung des Führerscheins voraussichtlich als rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen Rechten.
Im vorliegenden Fall eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise dann wieder her, wenn das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erhebliche Bedeutung. Bleibt dieser Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde geltend gemachte besondere Interesse am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.
Nach der in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV nicht vor, so dass sich Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Antragsgegners vom 28. September 2020 als rechtswidrig erweisen.
Die Nichteignung ist Tatbestandsvoraussetzung des § 46 Abs. 1 FeV und § 3 Abs. 1 StVG. Danach ist dem Inhaber einer Fahrerlaubnis seine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 FeV vorliegen. Ein Ermessensspielraum kommt der Fahrerlaubnisbehörde nicht zu. Nach § 46 Abs. 3 FeV finden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist, die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung eines Betroffenen dann schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Auf die Ungeeignetheit darf geschlossen werden, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, d.h. insbesondere verhältnismäßig und anlassbezogen im Sinne von § 11 Abs. 6 FeV ist (so grundsätzlich BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – juris) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 m. Verweis auf BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 und BayVGH, B.v. 10.9.2008 – 11 CS 08.2010 – jeweils juris).
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Fahrerlaubnisbehörde vorliegend zwar zu Recht ein Gutachten im Sinne des § 11 FeV angeordnet. Allerdings erweist sich die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis voraussichtlich als rechtswidrig, da nach summarischer Prüfung ein ausreichender Grund für die nicht fristgerechte Vorlage des Gutachtens vorliegt, so dass die Fahrerlaubnisbehörde den Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 FeV nicht ziehen durfte.
Zunächst sind formelle Mängel gegen die Gutachtensanforderung gemäß § 11 Abs. 6 FeV weder vorgetragen noch ersichtlich. In der Gutachtensanforderung ist der Antragsteller, wie nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV gefordert, darauf hingewiesen worden, dass bei nicht fristgerechter Beibringung des geforderten Gutachtens von einer Nichteignung ausgegangen werden darf.
Die Gutachtensanordnung begegnet im vorliegenden Fall hinsichtlich der Fragestellung auch keinen materiell-rechtlichen Bedenken. Bei Erlass der Gutachtensaufforderung lagen ausreichend Tatsachen vor, die geeignet waren, Bedenken an der Fahreignung des Antragstellers zu begründen.
Zu den Erkrankungen und Mängeln, die die Fahreignung beeinträchtigen können, zählen unter anderem Herz- und Gefäßkrankheiten (Ziffer 4 der Anlage 4 zur FeV) und schwere Lungen- und Bronchialerkrankungen mit schweren Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik (Ziffer 11.3 der Anlage 4 zur FeV). Aufgrund dieser Erkrankungen forderte die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens.
Im Übrigen schließt auch eine schwere Altersdemenz die Fahreignung aus (Ziffer 7.3 der Anlage 4 zur FeV). Nachdem nach Aktenlage zunächst Anhaltspunkte dafür bestanden, dass bei dem Antragsteller eine Demenzerkrankung besteht, durfte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller vorab um Vorlage von Attesten seiner behandelnden Ärzte bitten. Denn bei der Prüfung der Frage, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens hinsichtlich einer Erkrankung anzuordnen ist, die in einer Mehrzahl oder Vielzahl der Fälle eine Fahrungeeignetheit nicht begründet, gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde vorher Kenntnisse über Tatsachen verschafft, die ausreichende Anhaltspunkte dafür begründen können, dass eine Ungeeignetheit vorliegen könnte. Insofern kann die sofortige Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens ohne vorherige Abklärung hinsichtlich Art und Schwere der Erkrankung unverhältnismäßig sein. Solche Tatsachen können vom Betroffenen vorab erfragt werden. Dabei kann die Fahrerlaubnisbehörde dem Betroffenen die Gelegenheit geben, Bescheinigungen oder Atteste der behandelnden Ärzte vorzulegen. Eine solche Vorabklärung hat nichts damit zu tun, dass nach § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV der das Gutachten erstellende Arzt nicht zugleich der den Betroffenen behandelnde Arzt sein soll. Denn diese Auskünfte des Betroffenen und der behandelnden Ärzte stellen keine gutachterliche Beurteilung dar, sondern sind nur Grundlage für die Entscheidung, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer in § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV genannten Stelle notwendig ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 16 ff; VG München, B.v 29.9.2020 – M 6 S 20.1382 – juris Rn. 46).
Zwar kann der Fahrerlaubnisinhaber Eignungszweifel bei medizinischen Fragen unter Umständen durch andere geeignete Beweismittel ausräumen (BayVGH, B.v. 4.9.2019 – 11 ZB 19.1178 – juris Rn. 18; B.v. 18.3.2019 – 11 CS 19.387 – juris Rn. 13; B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – ZfSch 2016, 295 Rn. 13). Das setzt allerdings voraus, dass keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben, weil aus den hierzu vorgelegten Unterlagen eindeutig auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar hervorgeht, dass die ursprünglichen Bedenken unbegründet sind (BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – juris Rn. 12; VG München, B.v 29.9.2020 – M 6 S 20.1382 – juris Rn. 46).
Aufgrund der Vorlage des Attestes des Dr. … vom 9. Juni 2020 hat der Antragsgegner von der ursprünglich beabsichtigten Abklärung der Fahreignung mittels ärztlichem Gutachten aufgrund einer Demenzerkrankung Abstand genommen. Denn durch die Vorlage dieses Attestes konnte der Antragsteller belegen, dass eine Demenzerkrankung sowie andere psychische Erkrankungen, die Einfluss auf die Fahrfähigkeit haben könnten, bei ihm nicht vorliegen. Die deshalb zunächst bestehenden Anhaltspunkte auf eine Demenzerkrankung, die Einfluss auf die Fahreignung haben kann, wurden insoweit ausgeräumt.
Allerdings zeigten sich im Verlauf dieser Vorabklärung Anhaltspunkte für weitere (physische) fahreignungsrelevante Erkrankungen des Antragstellers. Aus dem Attest des Dr. … vom 17. Juni 2020 geht hervor, dass der Antragsteller u.a. an einer „KHK“ und einem „Lungenemphysem“ leidet. Damit liegen mit den vom behandelnden Arzt bestätigten Diagnosen „Koronare Herzkrankheit“ und „Lungenemphysem“ hinreichende Anknüpfungstatsachen vor, die eine diesbezügliche Gutachtensanordnung rechtfertigen. Deshalb erweist sich die Fragestellung als anlassbezogen. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf die vollständige Ziffer 4 der Anlage 4 zur FeV Bezug nimmt. Denn in Zusammenschau mit den weiteren Angaben in der Beibringungsaufforderung sind die Umstände, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers begründen, hinreichend bestimmt dargestellt, so dass sich der Gutachtensanordnung der geforderte Untersuchungsumfang im Hinblick auf die bekannt gewordenen Erkrankungen klar entnehmen lässt. Dies gilt auch für Ziffer 11.3 der Anlage 4 zur FeV. Es ist Aufgabe des Gutachters zu prüfen, ob bei dem Antragsteller eine schwere Lungen- und Bronchialerkrankung mit schweren Auswirkungen auf Herz-Kreislauf-Dynamik vorliegt. Insbesondere bedarf die Frage des Zusammenwirkens der Koronaren Herzkrankheit und des Lungenemphysems mit Blick auf die Fahreignung der gutachterlichen Abklärung.
Nach alledem ist die Fragestellung betreffend Ziffer 4 und 11.3 der Anlage 4 zur FeV vorliegend anlassbezogen und verhältnismäßig.
Die Begutachtungsaufforderung ist auch ermessensfehlerfrei ergangen. Auch wenn der Antragsgegner ausführt, dass das Ermessen aufgrund der erheblichen Fahreignungszweifel auf nahezu Null reduziert ist, hat er im Folgenden das ihm eingeräumte Ermessen zwar knapp, aber in gerade noch ausreichender Form ausgeübt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Fahrerlaubnisbehörde ausführt, dass das öffentliche Interesse an der Klärung der Fahreignung überwiegt und ein milderes Mittel nicht zur Verfügung steht.
Der Antragsteller hat das geforderte Gutachten nicht innerhalb der bis 7. September 2020 gesetzten Frist vorgelegt. Eine Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens wurde – entgegen den Ausführungen des Antragsgegners im Schreiben vom 10. Dezember 2020 – ausweislich der Aktenlage nicht gewährt. Vielmehr hat der Antragsgegner eine Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens wiederholt abgelehnt (vgl. Schreiben vom 6. Juli 2020, 21. August 2020 und 2. September 2020). Soweit sich der Antragsgegner darauf bezieht, dass dem Antragsteller telefonisch und der … GmbH … mit Schreiben vom 1. September 2020 mitgeteilt wurde, dass dem Antragsteller Gelegenheit gewährt wird, sich innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Frist zur Vorlage des ärztlichen Gutachtens zu äußern und das ärztliche Gutachten vorzulegen, ist damit keine (konkludente) Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens verbunden. Vielmehr bezieht sich der Antragsgegner damit allein auf die Anhörungsfrist vor der bescheidsmäßigen Entziehung der Fahrerlaubnis und stellt klar, dass die im Rahmen der Anhörung vorgetragenen Umstände in die Entscheidung einfließen und von der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorlage eines positiven Gutachtens abgesehen werde.
Die Frist zur Vorlage des Gutachtens war ursprünglich nicht zu kurz bemessen. Dabei ist als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anforderung eines ärztlichen Gutachtens auf den Zeitpunkt der Anordnung abzustellen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris; BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 19.1808 – juris Rn. 18). Die ursprünglich mit Anordnung vom 24. Juni 2020 gesetzte Frist bis 7. September 2020 umfasste ca. 2,5 Monate. Dies erscheint nach summarischer Prüfung zum Zeitpunkt der Gutachtensanforderung grundsätzlich als hinreichend lang, um der Aufforderung nachzukommen und das geforderte Gutachten vorzulegen.
Allerdings kann ein Vorgehen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV rechtsfehlerhaft sein, wenn triftige Gründe für eine verspätete Vorlage des Gutachtens vorliegen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris Rn. 20). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 11 Abs. 8 FeV, der die fehlende Mitwirkung des Betroffenen sanktionieren will. Denn die Regelung beruht auf der Überlegung, dass bei grundloser Weigerung die Vermutung berechtigt ist, der Betroffene wolle einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV Rn. 51 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs kann sich der Antragsteller nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich darauf berufen, bis zum Zeitpunkt des Fristablaufs bzw. des Erlasses der Entziehungsverfügung sei ihm die Vorlage des ärztlichen Gutachtens aus ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich gewesen.
Entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners kann dem Antragsteller nicht vorgehalten werden, er habe die Einverständniserklärung erst am 29. Juli 2020 bei dem Landratsamt abgegeben. Denn dies erfolgte innerhalb der von Antragsgegner hierfür bis 31. Juli 2020 verlängerten Frist. Im Übrigen bleibt es dem Antragsteller vorbehalten, nach Erhalt der Gutachtensanordnung vom 24. Juni 2020 zunächst anwaltlichen Rat zu suchen und erst anschließend die Einverständniserklärung innerhalb der dafür gesetzten Frist einzureichen.
Soweit der Antragsgegner vorträgt, die Verzögerungen bei der Beauftragung und der Terminfindung habe ausschließlich der Antragsteller zu vertreten, kann er nicht durchdringen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die … GmbH den Antragsteller mit Schreiben vom 3. August 2020 aufforderte, durch die behandelnden Ärzte einen aktuellen, ausführlichen Befundbericht zu den bei der Untersuchung gegenständlichen Erkrankungen erstellen zu lassen, der – zusammen mit allen sonstigen relevanten medizinischen Befunden – zum Begutachtungstermin mitgebracht wird. Damit zeigt sich zum einen, dass der Antragsteller nach fristgerechter Vorlage der Einverständniserklärung der gewählten Begutachtungsstelle zeitnah einen entsprechenden Begutachtungsauftrag erteilt hat und zum anderen, dass der Antragsteller erst Anfang August, mithin in der Urlaubszeit vieler Praxen, erfahren hat, dass und welche aktuellen ärztlichen Unterlagen für die Begutachtung benötigt werden. Der Antragsteller hat sich sodann ausweislich der vorgelegten Schreiben der behandelnden Ärzte ohne zeitliche Verzögerung bei diesen mit der Bitte um Erstellung eines entsprechenden Befundberichtes gemeldet. Das Attest des behandelnden Kardiologen Dr. … datiert bereits auf den 6. August 2020. Auch die Schwerpunktpraxis für Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. … und Prof. Dr. … wurde unverzüglich um ein aktuelles Attest gebeten. Diese teilte jedoch mit, dass die Praxis erst wieder am 31. August 2020 geöffnet sein wird (Blatt 38 der Gerichtsakte). Die bestehende Urlaubszeit der Praxis wurde dem Antragsgegner mit anwaltlichem Schreiben vom 17. August 2020 ebenfalls mitgeteilt (Blatt 38 der Behördenakte). Insofern konnte der von der Begutachtungsstelle geforderte aktuelle Befundbericht des behandelnden Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde erst Anfang September erstellt werden. Das fachärztliche Attest des Dr. … datiert dann auch auf den 9. September 2020. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass ein Begutachtungstermin im August ohne Vorlage sämtlicher geforderter aktueller Befundberichte nicht zielführend gewesen wäre.
Dem Antragsteller kann auch – entgegen dem Vortrag des Antragsgegners – nicht vorgeworfen werden, dass erst am 1. September 2020 der Zahlungseingang durch die … GmbH bestätigt wurde. Denn der Antragsteller hat keinen Einfluss auf die internen Abläufe der Begutachtungsstelle. Zudem lässt sich der Aktenlage entnehmen, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Antragsgegner bereits mit Schreiben vom 17. August 2020 mitteilte, dass die Vorauszahlung durch den Antragsteller geleistet wurde (Blatt 38 der Behördenakte). Auch diesbezüglich lässt sich deshalb keine durch den Antragsteller verschuldete Verzögerung feststellen.
Als triftiger Grund für die nicht fristgerechte Vorlage des Gutachtens ist der Umstand, dass der Antragsteller vor Ablauf der Vorlagefrist keinen Termin bei der Begutachtungsstelle erhalten hat, zu werten. Die … GmbH teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 1. September 2020 mit, dass es aufgrund der weiterhin bestehenden besonderen Situation in Zusammenhang mit den bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus nach wie vor zu Verzögerungen bei der Terminvergabe kommt. Die Verzögerungen des Untersuchungsbetriebes aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen hat der Antragsteller keinesfalls zu vertreten. Die … GmbH teilte auch mit Schreiben vom 3. September 2020 mit, dass ein Termin vor dem Fristablauf am 7. September 2020 nicht möglich ist, da sie ausgebucht ist.
Der Auffassung des Antragsgegners, der Antragsteller hätte, nachdem die … GmbH erst Termine im Oktober angeboten habe, eine andere Begutachtungsstelle beauftragen müssen, folgt das Gericht nicht. Ob der Antragsteller bei einer anderen Begutachtungsstelle einen früheren Termin bekommen hätte, ist unklar. Auch wenn der Antragsgegner vorträgt, er habe bei einigen Begutachtungsstellen telefonisch erfragt, dass eine Terminvereinbarung innerhalb der nächsten drei bis vier Wochen möglich gewesen wäre, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Denn das Gericht geht davon aus, dass erstens die Akte zunächst dorthin hätte geschickt werden müssen und zweitens auch eine andere Begutachtungsstelle aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert hätte, die aufgrund der Urlaubszeit des behandelnden Dr. … nicht früher zu bekommen gewesen wären. Dass es deshalb zu einem früheren Termin gekommen wäre, ist zumindest zweifelhaft. Im Übrigen kann dem Antragsteller nach Zahlung des Vorschusses an die … GmbH wohl nicht mehr zugemutet werden, eine andere Begutachtungsstelle zu beauftragen, wo er abermals einen Vorschuss hätte zahlen müssen, zumal unklar gewesen wäre, wann der Antragteller die bereits an die … GmbH geleistete Zahlung zurückerhält. Hier ist zudem zu berücksichtigen, dass die … GmbH dem Antragsteller einen relativ zeitnahen Begutachtungstermin in Aussicht gestellt hat, der lediglich aufgrund des Fristablaufs zur Vorlage des Gutachtens nicht vereinbart und wahrgenommen werden konnte.
Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände kann auf Rechtsfolgenseite des § 11 Abs. 8 FeV nicht auf die Nichteignung des Antragstellers geschlossen werden. Die Gesamtschau zeigt, dass sich der Antragsteller nicht geweigert hat, das geforderte Gutachten vorzulegen, sondern das jeweils Geforderte, sei es die Vorlage der Einverständniserklärung, die Vergabe des Begutachtungsauftrages, die Zahlung des Vorschusses oder das Einholen aktueller Befundberichte, veranlasst hat. Insgesamt zeigt sich deshalb, dass es nicht an einer Mitwirkung des Antragstellers bei der Erstellung und Vorlage des Gutachtens gefehlt hat. Es ist deshalb nach summarischer Prüfung nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller einen Eignungsmangel verbergen will. Das Verhalten des Antragstellers kann deshalb nicht dahingehend gewertet werden, dass er vorwerfbar die Benutzung eines Beweismittels vereitelt hat und deswegen die zu beweisende Tatsache – hier seine Nichteignung – nach dem Rechtsgedanken der §§ 427, 444 und 446 ZPO als erwiesen angesehen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2006 – 11 CS 06.1475 – juris Rn. 42). Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des § 11 Abs. 8 FeV.
Nach alledem erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nach summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig. Dies hat zur Folge, dass die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ablieferungsverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV ebenfalls rechtswidrig ist.
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffern 1 und 2 des Bescheides war daher wiederherzustellen, was zur Folge hat, dass dem Antragsteller der Führerschein wieder auszuhändigen oder ihm ein Ersatzdokument auszustellen ist (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung basiert auf § 155 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5, 46.3 und 46.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung des Jahres 2013.