Medizinrecht

Entzug der Fahrerlaubnis nach gelegentlichem Cannabiskonsum

Aktenzeichen  W 6 K 17.1524

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6617
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 14 Abs. 1 S. 4, § 46 Abs. 1
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.2, Anlage 4a Nr. 1 lit.f

 

Leitsatz

1. Abweichend vom Regelfall kann nach gelegentlichem Cannabiskonsum zur Wiedererlangung der Fahreignung eine (dauerhafte) Abstinenz verlangt werden, wenn der Betroffene selbst behauptet, künftig abstinent leben zu wollen oder aus dem in der Vergangenheit praktizierten Konsummuster erkennbar wird, dass dieser sein Konsumverhalten nicht fahrerlaubnis-verträglich kontrollieren kann. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. In einem solchen Fall ist nicht nur regelmäßig der Nachweis einer einjährigen Abstinenz erforderlich, sondern es muss auch ein tiefgreifender und stabiler Einstellungswandel hinzutreten, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Bescheid des Landratsamts M. vom 30. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger wurde zu Recht die Fahrerlaubnis – gestützt auf die Verkehrsteilnahme unter Cannabis-Einfluss am 20. Dezember 2016 und das verwertbare medizinisch-psychologische Gutachten der TÜV Süd … … GmbH … vom 30. Oktober 2017 – entzogen.
1. Das Landratsamt konnte zu Recht davon ausgehen, dass sich der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses gemäß § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, sodass ihm die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen war.
Das Landratsamt hat seinen ersten Entzugsbescheid vom 17. Februar 2017, gestützt auf § 46 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (gelegentlicher Cannabiskonsum, fehlendes Trennungsvermögen) im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des BayVGH (U.v. 25.4.2017 – 11 BV 17.33 – juris; n. rk.) aufgehoben und zunächst gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV (richtig: § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV) den Kläger aufgefordert, ein (medizinisch-psychologisches) Gutachten einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (Schreiben vom 11.9.2017) bezüglich seiner körperlichen und geistigen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B und der darin enthaltenen Klassen beizubringen zur Klärung der Frage, ob insbesondere zu erwarten ist, dass der Kläger auch künftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis führen wird. Der Kläger ist der Gutachtensaufforderung gefolgt und hat das Gutachten der TÜV Süd … … GmbH vom 30. Oktober 2017 dem Landratsamt vorgelegt. Das der Fahrerlaubnisbehörde vorgelegte Gutachten stellt eine neue Tatsache mit selbständiger Bedeutung dar, dessen Verwertbarkeit nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung abhängt (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.1996 – 11 B 14.96 – Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 26; U.v. 28.4.2010 – 3 C 20.09 – Buchholz 442.10 § 3 StVG Nr. 7; BayVGH, B.v. 7.7.2015 – 11 ZB 15.609 – juris; B.v. 11.6.2014 – 11 CS 14.532 – juris).
Aus dem vorgelegten Gutachten ergibt sich nachvollziehbar und plausibel, dass der Kläger auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis und dessen Nachwirkungen führen wird. Das Gutachten ist verwertbar, es leidet nicht an durchgreifenden formellen oder materiellen Mängeln. Aus dem Gutachten vom 30. Oktober 2017 ergibt sich nachvollziehbar die derzeitige Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklasse B und der darin enthaltenen Klassen. Im Einzelnen:
1.1 Das Gutachten stammt von wissenschaftlichen Spezialisten einer eigens für solche Begutachtungen geschaffene Untersuchungsstelle und beruht auf dem laufenden Stand der wissenschaftlichen Untersuchungs- und Erkenntnismethoden. Für eine Voreingenommenheit oder für Emotionen seitens der Gutachter bei der Beurteilung des Falles fehlt jeder Anhaltspunkt. Das Gutachten ist auch in sich frei von Widersprüchen; es legt umfänglich dar, auf welchen Grundlagen es beruht und welche Überlegungen zur Beurteilung des Klägers geführt haben. Das Beweisergebnis der Begutachtung lässt sich demnach auf seine Richtigkeit hin überprüfen. Dem Gutachten lässt sich entnehmen, welche Feststellungen die Gutachterinnen aufgrund der Untersuchung des Klägers getroffen haben. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn das Gutachten die wesentlichen Grundlagen, Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen nachprüfbar darlegt.
Das Gutachten beachtet insbesondere die ab 1. Mai 2014 geltenden Grundsätze für die Durchführung der Untersuchung und Erstellung der Gutachten gemäß der Anlage 4a zur FeV. Die Gutachterinnen haben sich auch an die vorgegebene und zutreffende Fragestellung gehalten. Gegenstand der Untersuchung war das voraussichtliche künftige Verhalten des Klägers, insbesondere ob zu erwarten ist, dass er nicht mehr ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln führen wird. Nach Nr. 1 Buchst. f der Anlage 4a zur FeV kann dem Betroffenen die Fahrerlaubnis nur dann belassen bleiben, wenn sich bei ihm ein grundlegender Wandel in seiner Einstellung zum Führen von Kraftfahrzeugen unter Einfluss von Betäubungsmitteln vollzogen hat. Es müssen zum Beurteilungszeitpunkt Bedingungen vorhanden sein, die einen Rückfall als unwahrscheinlich erscheinen lassen. Ein Gutachten muss weiter in allgemein verständlicher Sprache abgefasst sowie nachvollziehbar (schlüssig) und nachprüfbar sein, die wesentlichen Befunde und die zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen wiedergeben. Das Gutachten braucht aber nicht im Einzelnen die wissenschaftlichen Grundlagen für die Erhebung und die Interpretation der Befunde wiederzugeben. Der Umfang eines Gutachtens richtet sich nach der Befundlage. Bei eindeutiger Befundlage wird das Gutachten knapper, bei komplizierter Befundlage ausführlicher erstattet (Nr. 2 der Anlage 4a zur FeV).
1.2 Diesen Anforderungen wird das vorliegende Gutachten gerecht. Es leidet nicht an durchgreifenden formellen oder materiellen Mängeln. Nachvollziehbar und schlüssig kommt das Gutachten auf der Basis der Aktenlage sowie den Angaben des Klägers zu dem Schluss, dass derzeit keine positive Prognose möglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2015 – 11 CS 15.1635 – juris). Das Gutachten stützt sich hierbei u. a. auf die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheitsheft M 115, zuletzt Stand: 28.12.2016) sowie die Urteilsbildung in der Fahreignung, Beurteilungskriterien der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) sowie auf weitere wissenschaftliche Abhandlungen (siehe die Fußnoten auf S. 4 und 8). Des Weiteren stützt sich das Gutachten auf die übermittelte Behördenakte und berücksichtigt die eruierten maßgeblichen Tatsachen. Im Explorationsgespräch mit dem Kläger wird die Vorgeschichte erhoben und die maßgeblichen Befunde werden herangezogen. Die Schilderungen des Klägers zu seinem Cannabiskonsum werden berücksichtigt. Das Gutachten setzt sich weiter sachkundig mit dem fahrerlaubnisrechtlich relevanten fehlenden Trennungsvermögen, also der fehlenden Trennung zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigendem Cannabiskonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr, auseinander. Die Schlussfolgerungen der Gutachterinnen in der Bewertung der Befunde (Seite 12 ff. des Gutachtens) sind nachvollziehbar und plausibel. Anhaltspunkte für Voreingenommenheit oder Emotionen der Gutachterinnen bestehen nicht.
1.3 Die Einwände des Klägers können das Gutachten nicht erschüttern.
1.3.1 Soweit der Kläger einwendet, im Gutachten sei die Beurteilung seiner Fahreignung auf fehlerhaften Annahmen erfolgt und die Einschätzung der Gutachterinnen, es liege ein „Übergang zum Drogenmissbrauch“ vor, sei nach sechsjähriger Abstinenz und einem einmaligen Rückfall am 20. Dezember 2016 sowie erneuter Abstinenz von fast einem Jahr abwegig, da keine „Drogenproblematik“ vorhanden sei, greift nicht durch. Der Hinweis im Gutachten (S. 13 unten), wonach sich beim Kläger „Anzeichen eines Übergangsstadiums von der Drogengefährdung zum Drogenmissbrauch“ zeigten, bezieht sich erkennbar auf die Einschätzung der Gutachterinnen zum Grad der Drogengefährdung des Klägers in der Vergangenheit, somit vor seiner Inhaftierung im Jahre 2009. Aus dem vorangehenden Textpassagen im Gutachten ist ersichtlich, dass es nach Angaben des Klägers vor seiner Inhaftierung im Jahr 2009 einen mehrjährigen Cannabiskonsum (ein- bis zweimal wöchentlich mit Konsum von Joints und Bongs als intensivere Konsumform) gekommen war. Der Kläger wurde dann inhaftiert und während der Haftzeit nahm er an Beratungsgesprächen einer Suchberatung teil. Auch war es zum damaligen Zeitpunkt bereits zu sozialen/zwischenmenschlichen Problemen als Folge des Drogenkonsums gekommen (kritische Anmerkungen der Angehörigen). Die Einschätzung des Drogenkonsums des Klägers zum damaligen Zeitpunkt mit „Anzeichen eines Übergangsstadiums von der Drogengefährdung zum Drogenmissbrauch“ im Sinne eines übermäßigen schädlichen Gebrauchs von Cannabis ist angesichts der Einlassungen des Klägers ohne weiteres nachvollziehbar.
Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf einen „einmaligen“ Rückfall am 20. Dezember 2016 nach sechsjähriger Abstinenz sowie erneuter Abstinenz von fast einem Jahr bezieht, ist dem entgegenzuhalten, dass bereits von einem „einmaligen“ Rückfall angesichts der Einlassungen des Klägers bei der PI M. und seiner Einlassungen im vorangegangenen Verfahren W 6 K 17.199 nicht ausgegangen werden kann. Der Kläger hatte bei der PI M. angegeben, „vor einer Woche zu Urlaubsbeginn 0,2 g Marihuana pro Abend zu sich genommen“ zu haben. In seinem Schreiben vom 7. Februar 2017 an das Landratsamt M. führte der Kläger aus, „den gelegentlichen Konsum“ habe er komplett eingestellt und im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24. Februar 2017 im vorangegangenen Verfahren W 6 K 17.199 ließ der Kläger vortragen, er habe gegenüber der Polizei ausgesagt, dass er nach langer Abstinenz erstmals vor einer Woche wieder Marihuana konsumiert habe und letztmals zwei Abende zuvor. Er konsumiere selten Cannabisprodukte, allerdings „gelegentlich“ im Sinne des Fahrerlaubnisrechts. Aus diesen Angaben des Klägers zu seinem Cannabiskonsum vor der Fahrt unter Cannabis-Einfluss am 20. Dezember 2016 ergibt sich, dass es sich am 20. Dezember 2016 nicht um einen einmaligen Rückfall gehandelt hat, sondern dass in den Tagen zuvor bereits ein mehrfacher Cannabiskonsum stattgefunden hatte.
1.3.2 Soweit der Kläger einwendet, die Anforderungen der Begutachtungsstelle an die Fahreignung gingen über die rechtlichen Anforderungen hinaus, insbesondere da Abstinenznachweise gefordert wurden, er als gelegentlicher Cannabis-Konsument jedoch nicht zur völligen Abstinenz verpflichtet sei, sondern nur glaubhaft machen müsse, das er das Erfordernis der Trennung des Konsums von Cannabis und dem Führen von Kraftfahrzeugen verstanden zu haben und dies vorliegend bereits durch die Erklärung weiter abstinent bleiben zu wollen und der nachvollziehbaren Angabe eines „einmaligen“ Rückfalls hinreichend glaubhaft gemacht zu haben, so ist auch dies nicht geeignet, das Gutachten zu erschüttern. Wie bereits oben dargestellt, fehlt es bereits an der Annahme eines „einmaligen“ Rückfalls am 20. Dezember 2016. Zwar ist grundsätzlich zutreffend, dass die Fahreignung nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV dann besteht bzw. bestehen bleibt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber den gelegentlichen Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs trennen kann und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder andere psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust festzustellen sind. Entsprechend kann nach Verlust der Fahreignung im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung gemäß der entsprechend anwendbaren Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV in der Regel dann wieder gewonnen werden, wenn nach Entgiftung (sofern erforderlich) und Entwöhnung, einer regelmäßig einzuhaltenden einjährigen Abstinenz und einer stabilen Einstellungsänderung die Rückkehr zu einem mit der Fahreignung nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV vereinbaren Konsummuster gewährleistet ist. Dies gilt – wie sich aus der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV ergibt – jedoch nur für den Regelfall. Abweichend hiervon ist (dauerhafte) Abstinenz dann zu verlangen, wenn der Betroffene selbst behauptet künftig abstinent leben zu wollen oder aus dem in der Vergangenheit praktizierten Konsummuster erkennbar wird, dass dieser sein Konsumverhalten nicht fahrerlaubnisverträglich kontrollieren kann. Von letzterem geht das Gutachten vom 30. Oktober 2017 erkennbar aus, wenn ausgeführt wird (S. 4 unten), dass die Frage der Verkehrsbehörde nur dann in einen für den Kläger günstigen Sinne beantwortet werden kann, wenn zukünftig von Drogenabstinenz auszugehen ist, wobei für eine dauerhafte Drogenabstinenz nach den Leitsätzen der Beurteilungskriterien eine tiefgreifende Aufarbeitung der den Drogenkonsum auslösenden und aufrechterhaltenden persönlichen Bedingungen erforderlich sei, um künftige Rückfälle zu verhindern. Dieser Ansatz ist nicht zu beanstanden. Wie bereits auf Seite 2 des Gutachtens (letzter Absatz) dargestellt, sind die an den Betroffenen zu stellenden Anforderungen bezüglich der Bejahung der Fahreignung nicht in einem allgemeinen Sinn zu beantworten sondern unter Berücksichtigung des anlassgebenden Vorfalls, der Aktenlage sowie der Vorgeschichte, die einer fachwissenschaftlichen Auswertung unterzogen werden. Im Folgenden stellen die Gutachterinnen in Übereinstimmung mit dem Beurteilungskriterien für die Urteilsbildung in der Fahreignung dar, dass sich „hieraus“ die Anforderungen ableiten, die an eine günstige Prognose zu stellen sind. Diese sogenannte Hypothesen-Bildung stellt die Grundlage der Befunderhebung dar, deren Ergebnisse dann unter III. des Gutachtens dargestellt werden. Die Hypothesenbildung erfolgt somit nicht allgemein sondern anhand des konkret zu beurteilenden Falles und ist damit „anlassbezogen“ im Sinne der Anlage 4a zur FeV. In den Beurteilungskriterien für die Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung der DGVP und der DGVM (3. A., September 2013, S. 73, 89. 90) wird hierzu ausgeführt, dass die diagnostische Hypothese eine begründete Annahme darstellt, die in ihrer Formulierung eine diagnostische Wertsetzung mit daraus abgeleiteten Veränderungsvoraussetzungen für eine positive Beurteilung verknüpft. Dabei liegt den Untersuchungsanlässen und Fragestellungen die generelle Hypothese zu Grunde, dass das Verhalten im Straßenverkehr auch wesentlich durch Faktoren beeinflusst wird, die mit der Person des Fahrers im Zusammenhang zu sehen sind. Dies sind vor allem individuelle psychische und körperlich-geistige Faktoren, die das menschliche Verhalten im Regelkreis des Verkehrs modifizieren. Bei der Hypothesenbildung ist es somit von der individuellen Entwicklung (z.B. Verkehrsvorgeschichte, Suchtmittelbiografie etc.) abhängig, welche Hypothesen vom Gutachter im Sinne eines Anforderungsprofils im Einzelfall genauer überprüft werden müssen. Es handelt sich somit bei Hypothesen nicht um einen starren Fragenkatalog, vielmehr ist die in der Anlage 15 (nunmehr Anlage 4a) FeV aufgestellte Forderung nach Anlassbezogenheit auch bei der Festlegung der zu prüfenden Hypothesen durch den Gutachter zu berücksichtigen.
Soweit die Gutachterinnen nunmehr im Falle des Klägers für eine positive Beurteilung die Annahme einer künftigen Drogenabstinenz zu Grunde legen, ist dies für das Gericht angesichts der Erkenntnisse aus der anlassgebenden Aktenlage, den Einlassungen des Klägers zu seinem Drogenkonsum in der Vergangenheit und anlässlich der Fahrt unter Cannabis-Einfluss (S. 6, 10 – 12 des Gutachtens) sowie den daraus gezogenen Bewertungen der Befunde (unter IV.) nachvollziehbar und plausibel. Der Kläger gab im Rahmen des ärztlichen Untersuchungsgesprächs sowie im Rahmen des psychologischen Untersuchungsgesprächs zu seinem Drogenkonsum im Wesentlichen an, dass er bereits mit 16/17 Jahren Cannabis mit Freunden ausprobiert habe. Er sei in einer Kifferclique gewesen. Er habe sowohl Joints als auch Bongs ein- bis zweimal die Woche, bisweilen auch des Öfteren, bis zu seiner Inhaftierung geraucht. Aufgehört habe er, weil er inhaftiert worden war, er keine Ausbildung hatte und sein Sozialleben dahingeglitten sei. Er sei dann zu der Einsicht gekommen, dass er sich beruflich mehr engagieren wolle. Eigentlich habe er ganz aufhören wollen mit Cannabis. Der Cannabiskonsum habe ihm Spaß gemacht. Trotz kritischer Anmerkungen der Angehörigen zu seinem Cannabiskonsum habe er weiterhin konsumiert. Während seiner Inhaftierung im Jahr 2009/2010 habe er zwei- bis dreimal im Monat eine Suchtberatung gehabt. Nach der Inhaftierung habe er nicht mehr Cannabis konsumiert. Zu dem anlassgebenden Vorfall am 20. Dezember 2016 gab der Kläger an, es sei ein Zufall gewesen, er habe einen alten Kifferbekannten getroffen. Er habe dann durch eine dumme Entscheidung an dem Abend auch wieder geraucht. Er habe beruflich alles im Griff gehabt und gedacht, jetzt probiere er es mal wieder. Von der Droge habe er sich einen gemütlichen Abend erwartet. Es sei ein gemütliches Beisammensein gewesen, hinterher habe er es bereut. Auf die Frage der Gutachterin, ob er sich nicht überlegt habe, ob er fahrtüchtig gewesen sei, erklärte der Kläger: Nein, es sei eine einmalige Sache gewesen, er habe gar nicht mehr darüber nachgedacht und sei einfach gefahren. Auf die Frage, wie er es künftig halten wolle, erklärte er, wolle nichts mehr nehmen, es sei ihm eine Lehre gewesen, denn der Führerschein sei ihm wichtiger als Cannabis zu konsumieren.
Vor dem Hintergrund eines langjährigen Drogenkonsums (mehrmals pro Woche) in einer Kifferclique, der erst durch eine Inhaftierung des Klägers mit einer dort stattgefundenen Suchtberatung beendet wurde sowie einem (mehr als einmaligem) Rückfall nach (behaupteter) langjähriger Drogenabstinenz nach der Inhaftierung ohne nachvollziehbaren Grund („alten Bekannten aus der Kifferclique getroffen“, „war eben ein gemütliches Beisammensein“) sowie der Fahrt unter Cannabis-Einfluss am 20. Dezember 2016, ist für das Gericht ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Gutachter für die Beantwortung der Frage nach dem künftigen Trennungsvermögen des Klägers Abstinenz fordern, diesen Verzicht auf den künftigen Drogenkonsum jedoch (noch) nicht gewährleistet sehen. Zu Recht wird im Gutachten (S. 14, 2. Abs.) darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar angibt, künftig auf Cannabis verzichten zu wollen, dieser ähnliche Vorsätze bereits früher gefasst hatte, jedoch nicht in der Lage gewesen war, diese dauerhaft umzusetzen und zudem ein Kfz unter Cannabis-Einfluss geführt hat. Zu Recht gehen die Gutachterinnen in der Bewertung der Befunde (IV.) auch davon aus, dass die Angaben des Klägers nur eingeschränkt verwertbar sind, da der Drogenkonsum beschönigt wird, sich Widersprüche zu fachlichem Erfahrungswissen zeigen und zudem Hintergründe und Motive nur ansatzweise benannt wurden.
Da zur Wiedererlangung der Fahreignung nicht nur regelmäßig der Nachweis einer einjährigen Abstinenz erforderlich ist sondern auch ein tiefgreifende und stabiler Einstellungswandel hinzutreten muss, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (siehe die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrteignung, Stand: Dezember 2016, Nr. 3.14.1), ein solcher aus den Angaben des Klägers jedoch nicht erkennbar wird, ist nachvollziehbar, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung (10.10.2017) seitens der Gutachterinnen keine positive Prognose vertretbar war. Maßgeblich für das Ergebnis der Begutachtung waren somit nicht nur die zum damaligen Zeitpunkt noch fehlenden (aktuellen) Abstinenzbelege sondern vor allem der nicht erkennbare stabile Einstellungswandel des Klägers zu seinem Drogenkonsum. Dies wurde in der ergänzenden Stellungnahme der TÜV Süd … … GmbH vom 28. März 2018 auch nochmals bestätigt, in der ausgeführt wird, dass auch unter Berücksichtigung des nachträglich vorgelegten Abstinenzbelegs (Haaranalyse über 6 Monate) die Prognose des Gutachtens ungünstig ausgefallen wäre, da insbesondere nicht zu erkennen gewesen sei, dass nach Haft und therapeutischen Maßnahmen die Motive und Hintergründe des Konsums und des Rückfalls in frühere Verhaltensgewohnheiten noch nicht ausreichend aufgearbeitet und darüber hinaus keine tragfähigen Strategien entwickelt wurden, zukünftigen Konsum zuverlässig zu vermeiden. Auch das Landratsamt hat in seiner Klageerwiderung ausgeführt, dass es nicht in erster Linie die fehlenden Abstinenzbelege waren, die das Landratsamt zur Bewertung der Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen veranlassten.
Aus den genannten Gründen ist auch der Einwand des Klägers, die Begutachtungsstelle habe die neuere VGH-Rechtsprechung bei erstmaliger Fahrt unter Cannabis-Einfluss bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten nicht nachvollziehen können, nicht durchgreifend.
1.3.3 Soweit der Kläger einwendet, die Gutachterinnen der Begutachtungsstelle seien gegen ihn voreingenommen gewesen, was sich bereits in der Begrüßung gezeigt habe und in der Bewertung, der Kläger habe eine „deutlich eingeschränkte Offenheit“ gezeigt, obwohl er offen über seinen Konsum in der Vergangenheit berichtet habe, so sind auch diese Einwendungen nicht durchgreifend. Aus dem Gutachten selbst lassen sich Voreingenommenheit oder Emotionen der Gutachterinnen nicht entnehmen. Das Gutachten ist fachlich nachvollziehbar begründet. Der Hinweis auf die nur „eingeschränkte Verwertbarkeit“ der Angaben des Klägers wird auf Seite 13 des Gutachtens damit begründet, dass seine Darstellungen zum früheren Drogenkonsum teilweise im Sinne der sozialen Erwünschtheit beschönigt wurden, sich Widersprüche zu fachlichem Erfahrungswissen zeigten und Hintergründe und Motive nur ansatzweise benannt wurden. Diese Begründung ist anhand der Angaben des Klägers im Rahmen der Begutachtung ohne weiteres nachvollziehbar. So gab der Kläger – befragt nach den Hintergründen und Motiven seines Cannabiskonsums – an (S. 11), es habe ihn beruhigt und entspannt bzw. es habe Spaß gemacht. Die Frage nach kritischen Anmerkungen von Angehörigen beantwortete der Kläger dahingehend, die Eltern und die Freundin hätten gesagt, es sei schädlich und es gebe wichtigeres im Leben als Cannabis zu nehmen. Er habe dann versucht Berufliches und Cannabiskonsum zu kombinieren. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger zuvor (S. 11, 1. Abs.) angegeben hatte, er habe (erst) aufgehört Cannabis zu konsumieren, als er inhaftiert worden war, er habe keine Ausbildung gehabt und sein Sozialleben sei dahin geglitten und er habe eigentlich ganz mit Cannabis aufhören wollen, können diese Angaben nur als Beschönigung und Verharmlosung des Cannabiskonsums bezeichnet werden. Fachlich nicht nachvollziehbar sind z.B. die Angaben des Klägers, er habe am Vorabend des 20. Dezember 2016 „ca. zwischen 18:00 Uhr und 22:00 Uhr“ Cannabis konsumiert. Die anlässlich der Blutentnahme am 20. Dezember 2016, um 15:46 Uhr, somit 17 1/2 Stunden später, festgestellte THC-Konzentration von 1,36 ng/ml lässt jedoch – bei Berücksichtigung der Abbaugeschwindigkeit von THC im Blut – auf einen weiteren zeitnäheren oder intensiveren Konsum als den vom Kläger angegebenen schließen (Hettenbach/Kalus/Möller/Pieß-kalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. A. 2016, § 3 Rn. 234).
1.3.4 Soweit der Kläger noch einwendet, die polytoxikologische Untersuchung anlässlich der Begutachtung sei negativ verlaufen und die von ihm seit 20. Dezember 2016 eingehaltene Abstinenz sei als wahr zu unterstellen, so ist auch dieser Einwand nicht geeignet das Gutachten zu erschüttern. Im Gutachten selbst wird dargestellt, dass die Urinscreenings negativ verliefen und sich keine Hinweise auf eine derzeitigen Drogenkonsum finden lassen (S. 7 und 12). Die Behauptung des Klägers, seit dem 20. Dezember 2016 abstinent zu leben, wird im Gutachten nicht grundsätzlich in Frage gestellt jedoch dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine stabile Drogenabstinenz ohne entsprechende Abstinenzbelege noch nicht im erforderlichen Umfange gegeben sind (S. 12 unten). Als Beleg für die noch bestehende oder wiedererlangte Fahreignung (Nr. 9.2.2 i.V.m. 9.5 der Anlage 4 zur FeV) bezüglich des Trennungsvermögens von Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen ist regelmäßig eine einjährige Abstinenz nachzuweisen. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im Falle des Klägers – abweichend vom Regelfall – eine kürzere Zeit ausreichend wäre, kann auch der im Nachhinein vorgelegte Abstinenzbeleg, der einen Zeitraum von ca. sechs Monaten vor dem 18. Dezember 2017 (somit ca. ab Mitte Juni 2017) erfasst, im zugrunde liegenden Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht ausschlaggebend für die Bewertung der Fahreignung des Klägers sein.
Das Gutachten ist somit insgesamt verwertbar und konnte vom Landratsamt bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden. Das Landratsamt hat das Gutachten erkennbar auch lediglich als Hilfsmittel für die Beurteilung der Fahreignung des Klägers genutzt. Aus der vorgelegten Verfahrensakte (siehe insbesondere die Anmerkungen im vorgelegten Gutachten) ist erkennbar, dass das Gutachten kritisch hinterfragt wurde.
2. Auch die übrigen Regelungen des Bescheids (Nr. 2 – 6) sind nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Landratsamtes vom 30. November 2017 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage konnte somit keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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