Aktenzeichen L 5 KR 182/16 NZB
SGG SGG § 144 Abs. 2 Nr. 1, § 145 Abs. 4 S. 3
Leitsatz
Krankenhausabrechnungsstreit wegen Aufwandspauschale: Die vermeintlich sachliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt keinen Grund dar, eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Berufung zuzulassen, weil diese nicht zu den in § 144 II SGG genannten Zulassungsgründen zählt.
Tenor
I.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. März 2016 wird zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 300,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 EUR streitig.
Die Klägerin betreibt die Kliniken A.-A-Stadt. Im Krankenhaus A-Stadt wurde die Versicherte der Beklagten, Frau C., in der Zeit vom 30.10.2013 bis 11.11.2013 stationär behandelt.
Nach zunächst vollständiger Bezahlung der Rechnung beauftragte die Beklagte den MDK mit einer Fallprüfung dahingehend, ob die Nebendiagnose T83.5 korrekt kodiert sei, die Prozedur 920000 kodierbar gewesen sei sowie ob die abgerechneten Zusatzentgelte korrekt seien. In seinem Gutachten vom 13.11.2014 bestätigte der MDK die Abrechnung der Klägerin. Mit Schreiben vom 06.01.2015 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Aufwandspauschale gemäß § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V ab. Es sei bei der Prüfung um die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Fallabrechnung gegangen.
Am 23.04.2015 hat die Klägerin Zahlungsklage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Klagebegründung ist vorgetragen worden, dass der Klägerin der geltend gemachte Zahlungsanspruch gemäß § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V zustehe. Es sei nämlich festzustellen, dass die sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung keine Grundlage im Gesetz fände. Im Übrigen sprächen aber der Prüfanlass, die Frage nach der Korrektheit der Kodierung der Nebendiagnosen, der Prozeduren und der Abrechnung der Zusatzentgelte für eine Auffälligkeitsprüfung. Es sei ebenfalls bereits aus der Prüfanzeige ersichtlich, dass sowohl die Beklagte als auch der MDK eine Auffälligkeitsprüfung durchgeführt wissen wollten. Die nunmehrige Auffassung der Beklagten widerspräche ausdrücklich dem Prüfauftrag und verstoße gegen den zwischen den Beteiligten geltenden Grundsatz von Treu und Glauben analog § 242 BGB.
Die Beklagte hat hierauf erwidert, dass nach der Rechtsprechung des BSG die Zahlung eine Aufwandspauschale ausschließlich im Rahmen einer Auffälligkeitsprüfung gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Betracht käme. Auffälligkeitsprüfungen in diesem Sinne seien jedoch der wirtschaftlichen Erbringung von Krankenhausleistungen zuzuordnen. Gemäß § 275 Abs. 1 SGB V seien die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich sei, verpflichtet, eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Anders als bei der Prüfung auf wirtschaftliche Leistungserbringung werde jedoch bei der Prüfung von Krankenhausrechnungen auf deren sachlich-rechnerische Richtigkeit die gutachterliche Stellungnahme des MDK nicht deshalb eingeholt, weil dies Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder der Krankheitsverlauf bei der Krankenhausbehandlung erforderlich machen würden, sondern weil Anhaltspunkte vorlägen, die die Einhaltung von Abrechnungs- und/oder Kodiervorschriften in Frage stellten. Mit Urteil vom 15.03.2016 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 300,00 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Der Rechtsanspruch der Klägerin auf Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 EUR ergebe sich aus § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V. Danach habe die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 EUR zu entrichten, falls die Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Die vom MDK durchgeführte Prüfung habe nicht zu einer Minderung des Rechnungsbetrages geführt, so dass insgesamt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V entsprechend ihrem Wortlaut erfüllt seien. Entgegen der Annahme der Beklagten habe es sich bei dieser Rechnungsprüfung tatsächlich um eine Auffälligkeitsprüfung gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V gehandelt, und nicht um eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen das Urteil nicht zugelassen.
Dagegen hat die Beklagte am 22.04.2016 Beschwerde eingelegt. Zwar habe das Sozialgericht keinen offenen Widerspruch zu den vom BSG im Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R aufgestellten Rechtssätzen geäußert. Jedoch stehe die Entscheidungsfindung des Sozialgerichts im Widerspruch zu der bestehenden Rechtsprechung des BSG. Der gleiche Sachverhalt wäre vom BSG in rechtlicher Hinsicht anders beurteilt worden. Ferner habe der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung, da die Abgrenzung einer Auffälligkeitsprüfung gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V von einer sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.
Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 15.03.2016 zuzulassen.
Die Klägerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Gründe die Berufung zuzulassen, seien nach Auffassung der Klägerin nicht ersichtlich.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet (§ 145 Abs. 4 S. 3 SGG). 1. Es liegt keiner der in § 144 Abs. 2 SGG normierten Zulassungsgründe vor. Ob das Sozialgericht den Rechtsstreit in der Sache richtig entschieden hat, ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Die vermeintlich sachliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt nach § 144 Abs. 2 SGG keinen Grund dar, eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Berufung zu zulassen, weil diese nicht zu den genannten Zulassungsgründen zählt.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Grundsätzliche Bedeutung kommt einem Rechtsstreit nur zu, wenn von der Entscheidung der Rechtssache erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (BSG Beschluss vom 25.09.2002 – B 7 AL 142/02 B, Rn. 6 ff – zitiert nach juris). Klärungsfähigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn es auf die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall ankommt, wenn sie also für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht (BSG, Beschluss vom 30.02.2005 – B 4 RA 257/04 B), weil sie sich beispielsweise unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder – wie vorliegend – die Frage bereits höchstrichterlich geklärt ist. Mit Urteilen vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13, vom 23.06.2015 – B 1 KR 23/14 R, B 1 KR 23/14 R, B 1 KR 29/13 sowie vom 25.10.2016 – B 1 KR 22/16 R, B 1 KR 16/16 R, B 1 KR 18/16 R und B 1 KR 19/16 R hat sich das BSG mit dem Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1c SGB V ausführlich beschäftigt und die verschiedenen Prüfungsregime abgegrenzt. Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes sind somit nicht erfüllt. Im Übrigen hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform der Strukturen in der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz -KHSG – vom 10.12.2015, BGBl I 2229) § 275 Abs. 1c SGB V mit Wirkung zum 01.10.2016 um einen Satz 4 ergänzt, wonach als Prüfung nach Satz 1 jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen ist, mit der die Krankenkasse den Medizinischen Dienst beauftragt und die eine Datenerhebung durch den Medizinischen Dienst beim Krankenhaus erfordert. Mit dieser Regelung wird klargestellt, dass sich die Fristen- und Anzeigeregelungen des Satzes 2 und die Regelungen zur Aufwandspauschale in Satz 3 auf jede Prüfung der Abrechnung einer stationären Behandlung beziehen, mit der eine Krankenkasse den MDK beauftragt und die eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordert. Nach der Gesetzesbegründung gilt dies sowohl für die vom 1. Senat des BSG angesprochene Auffälligkeitsprüfung als auch für die Prüfungen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit (BT-Drs. 18/6586 S. 110). Damit kann wegen der erfolgte Klarstellung des Gesetzgebers durch das vorliegende Verfahren auch keine Fortentwicklung des Rechts ab dem 01.10.2016 erreicht werden. Für Fälle bis zum 31.12.2015 hat das BSG mit Urteilen vom 25.10.2016 – B 1 KR 22/16 R, B 1 KR 16/16 R, B 1 KR 18/16 R und B 1 KR 19/16 R die Reichweite und die Abgrenzung verschiedener Prüfungsregime definiert.
b) Es liegt auch keine Divergenzentscheidung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor, weil das Sozialgericht nicht von einer Entscheidung eines der in der Norm genannten Gerichte abgewichen ist. Eine Divergenz i. S. des § 144 Abs. 2 Nr. 2 setzt voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines der in Abs. 2 Nr. 2 genannten Gerichte zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 67; SozR 3-1500 § 160a Nr. 34; BSG 16.7.04, B 2 U 41/04 B, SozR 4-1500 § 160a Nr. 4; BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302; BGH 9.7.07, II ZR 95/06, NJW-RR 07, 1676). Ein abstrakter Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalles bezogener rechtlicher Aussage (vgl. BAG 10.7.84, 2 AZN 337/84 ; Krasney/Udsching IX 78). Vorliegend hat das Sozialgericht gerade keine neuen von den in der Norm genannten Gerichten abweichenden Rechtssätze aufgestellt. Ein Rechtsirrtum im Einzelfall genügt für eine Divergenzentscheidung gerade nicht. Insbesondere hat das Sozialgericht ausdrücklich die vom BSG a. a. O vorgenommene Differenzierung zwischen sachlich-rechnerischer Prüfung und Auffälligkeitsprüfung anerkannt. Streitgegenständlich ist alleine eine die sachlich richtige Würdigung des Einzelfalls. Die vermeintlich sachliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung stellt nach § 144 Abs. 2 SGG jedoch keinen Zulassungsrund dar.
c) Die Beklagte hat auch keinen der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangel i. S. von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG – eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Anwendung einer verfahrensrechtlichen Bestimmung auf dem Weg zur Entscheidung – geltend gemacht, auf dem die Entscheidung des SG beruhen kann. Ein Verfahrensmangel ist auch sonst nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG). Mit diesem Beschluss ist damit das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.03.2016 rechtskräftig.