Aktenzeichen 10 B 19.1297
VwGO § 43, § 108 Abs. 1
Leitsatz
Steht nicht zweifelsfrei fest, dass einer bestandskräftigen Verpflichtung zuwider gehandelt wurde, tritt die Fälligkeit eines für diesen Fall angedrohten Zwangsgelds nicht ein und ist die diesbezügliche Feststellungsklage begründet. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 9 K 17.380 2019-12-16 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. Januar 2019 wird festgestellt, dass das mit Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2016 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 750,– Euro nicht zur Zahlung fällig geworden ist.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin auf Feststellung, dass das mit Bescheid vom 5. Januar 2016 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 750,– Euro nicht zur Zahlung fällig geworden ist, zu Unrecht abgewiesen.
Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet, da die Voraussetzungen für die Fälligstellung des Zwangsgeldes nicht vorliegen.
Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG definiert die Androhung eines Zwangsgeldes als aufschiebend bedingten Leistungsbescheid i.S.d. Art. 23 Abs. 1 VwZVG, weil bereits mit der Androhung für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Handlungspflicht eine Geldleistung gefordert wird. Erfüllt der Pflichtige die ihm auferlegte Pflicht nicht bzw. nicht rechtzeitig, so wird die Zwangsgeldforderung fällig (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG). Die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Leistungsbescheids liegen dann vor (Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG). Bestreitet der Pflichtige den Eintritt der Bedingung, so bestreitet er die Geldforderung der öffentlichen Hand und kann ein Interesse am Nichtbestehen der Zwangsgeldforderung geltend machen, das nach § 43 VwGO den Weg für eine Feststellungsklage eröffnet (Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand Okt. 2017, VwZVG, Art. 31 Anm. VIII. 4.)
Steht nicht zweifelsfrei fest, dass einer bestandskräftigen Verpflichtung zuwider gehandelt wurde, tritt die Fälligkeit nicht ein und die diesbezügliche Feststellungsklage ist begründet.
Die Klägerin war nach Nr. I. 1. des Bescheids der Beklagten vom 5. Januar 2016 verpflichtet, ihre drei Hunde außerhalb des eingefriedeten Anwesens stets an einer reißfesten Leine mit schlupfsicher angebrachtem Halsband zu führen. Diese Verpflichtung bestand aufgrund der Anordnung des Sofortvollzugs ab Zustellung des Bescheids an die Klägerin.
Zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 VwGO) steht jedoch nicht fest, dass die Klägerin am 28. Februar 2017 – wovon das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausgegangen ist – gegen die angeordnete Anleinpflicht für ihre drei Hunde verstoßen hat. Weder aus dem Schreiben der Zeugin S. vom 6. März 2017 noch aus deren Aussagen vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof ergibt sich mit der für die richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen Gewissheit, dass die Klägerin ihre Hunde am Hafen in H. im fraglichen Zeitpunkt hat frei herumlaufen lassen.
Die Aussage der Zeugin S. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, wonach sie am 28. Februar 2017 beobachtet habe, dass die Klägerin ihre Hunde am Hafen in H. hat unangeleint herumlaufen lassen, ist nicht hinreichend konsistent und teilweise widersprüchlich. Insgesamt bleibt die Aussage abgesehen von der geschilderten Bedrohung durch die Hunde detailarm und orientiert sich an dem im Schreiben vom 6. März 2017 wiedergegebenen Sachverhalt. Insbesondere konnte die Zeugin nicht überzeugend erklären, weshalb sie sich zu einer „Anzeige“ bei der Beklagten entschloss und an welchem Tag der angezeigte Vorfall tatsächlich stattgefunden hat. Demgegenüber hat die Klägerin von Anfang an vorgetragen, sie habe sich von 26. Februar bis 28. Februar 2017 mit ihren Hunden nicht im Gemeindegebiet aufgehalten.
Die Zeugin hat das Schreiben vom 6. März 2017 nach ihren Angaben ca. eine Woche nach dem in dem Schreiben geschilderten Vorfall verfasst. Anlass dafür war laut ihrer Aussage vor dem Verwaltungsgericht, dass sie danach eine Bekannte getroffen habe, die ihr erzählt habe, dass die Klägerin ihre Hunde an der Leine zu führen habe. Daraufhin habe sie das Schreiben aufgesetzt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie demgegenüber angegeben, ihre Motivation für das Schreiben sei gewesen, zu verhindern, dass mit den möglicherweise gefährlichen Hunden der Klägerin noch einmal etwas Schlimmeres passiere. Zu dem Schreiben vom 6. März 2017 habe sie sich erst entschlossen, als ihr eine aus dem Hundeverein bekannte Frau erzählt habe, dass für die Hunde der Klägerin eine Leinenpflicht angeordnet sei. Der Zeugin war nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof allerdings bereits vor dem 28. Februar 2017 aus Gesprächen bekannt, dass die Hunde der Klägerin „mehrere andere Hunde angegriffen und teils schwer verletzt haben“ sollen. Wäre es der Zeugin nur darum gegangen, zu verhindern, dass „etwas Schlimmeres passiert“, so hätte es nahe gelegen, unmittelbar nach dem Vorfall diesen bei der Beklagten anzuzeigen, um gegebenenfalls ordnungsrechtliche Maßnahmen gegen die Klägerin zu initiieren, gerade weil sich die Zeugin von den Hunden so stark bedroht gefühlt hatte, dass sie „unter Schock stand“. Eine Anzeige erst nachdem sie erfahren hatte, dass die Beklagte für die Hunde der Klägerin bereits ein Leinenzwang angeordnet hatte, ist im Hinblick auf die von der Zeugin beabsichtigte Prävention wenig schlüssig. Durch ihr Verhalten entsteht vielmehr der Eindruck, dass sie sich erst dann zur Anzeige entschlossen hat, als sie die Information über den bestehenden Leinenzwang erhielt, während sie vorher keinen Handlungsbedarf gesehen hat.
Dass das angezeigte Ereignis tatsächlich am Faschingsdienstag, dem 28. Februar 2017, stattgefunden hat, ist trotz der Erläuterungen der Zeugin und der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht hinreichend nachvollziehbar. Offensichtlich ist, dass es sich bei dem von der Zeugin im Schreiben vom 6. März 2017 angegebenen Datum „27.03.2017“ um einen Schreibfehler handelt. Die Fälligstellung des Zwangsgeldes erfolgte mit Schreiben vom 27. März 2017 mit der Begründung, dass die Klägerin am 27. Februar 2017 am Hafen in H. ihre Hunde ohne Leine hat frei herumlaufen lassen. Die Vertreterin der Beklagten hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass sie aufgrund der offensichtlich fehlerhaften Datumsangabe persönlich ein Gespräch mit der Zeugin über diesen Umstand geführt und aufgrund der berichtigenden Angaben der Zeugin dann den 27. Februar 2017 als den zutreffenden Tag dieser Beobachtung bezeichnet habe. Sie habe diesbezüglich ausdrücklich bei der Zeugin nachgefragt. Die Zeugin, die bereits bei diesem Gespräch Gelegenheit hatte, sich über die Richtigkeit der Datumsangabe zu vergewissern, hat sich gegenüber der Beklagten im Bewusstsein, dass ihr ein Fehler unterlaufen war, auf den 27. Februar 2017 festgelegt. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, als sie darauf hingewiesen worden war, dass es sich bei dem von ihr angegebenen Tag des Vorfalls, dem Faschingsdienstag, datumsmäßig um den 28. Februar 2017 gehandelt habe, hat sie eingeräumt, dass auch die Angabe 27. Februar 2017 nicht zutreffend gewesen sei. Sie sei sich sicher, dass es der Dienstag gewesen sei, weil sie an diesem Tag nicht gearbeitet habe. Diese Erklärung der Zeugin ist jedoch nicht zwingend, weil sie nach ihren eigenen Angaben auch am Rosenmontag, dem 27. Februar 2017, nicht gearbeitet hat, sodass sich hieraus kein überzeugender Schluss auf das genaue Datum der Beobachtung ergibt. Auch das weitere Vorbringen, sie sei sich deshalb sicher, weil ihr Mann in der Arbeit gewesen sei und Montag und Dienstag gearbeitet habe, während er am Sonntag frei gehabt habe, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass sich der Vorfall zweifelsfrei am Faschingsdienstag ereignet hat. Die Einlassung der Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, sie sei sich zu 100% sicher, dass das von ihr geschilderte Ereignis mit den Hunden der Klägerin am Faschingsdienstag gewesen sei, ist angesichts der dargestellten Vorgeschichte nicht überzeugend.
Zudem ist festzustellen, dass sich die Zeugin einerseits an verschiedene Umstände (Hund hatte den Kamm aufgestellt; Ehemann war in der Arbeit) genau erinnern, andererseits aber nicht angeben konnte, welches Wetter an den Tag herrschte oder welche Kleidung die Klägerin trug, obwohl sie es für ausgeschlossen hält, dass sie diese mit einer anderen Frau verwechselt hat, sie also die Klägerin ganz bewusst wahrgenommen haben müsste.
Widersprüche weisen die Angaben der Zeugin auch hinsichtlich des Zeitpunkts auf, an dem diese die Klägerin erkannt haben will. Im Schreiben vom 6. März 2017 gibt sie an, dass sie die Klägerin anhand ihrer Hunde bereits erkannt hatte, als diese die Hunde aus dem Auto springen ließ. In der mündlichen Verhandlung hat sie ausgesagt, sie habe die Klägerin beim Aussteigen der Hunde noch nicht erkannt, weil sie ca. 50 bis 60 Meter entfernt gewesen sei. Sie habe die Klägerin erst erkannt, als diese ihren Hund zurückgerufen habe und ca. 20 Meter von ihr entfernt gewesen sei. Die Frage, wer die Person gewesen sei, die die Hunde ausgeführt habe, hat sie vor dem Verwaltungsgericht dahingehend beantwortet, dass sie die Klägerin erkannt habe, weil diese vor etlichen Jahren ihr Pferd trainiert habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie diese Aussage dahingehend konkretisiert, dass dies vor ca. 10 Jahren gewesen sei, sie der Klägerin aber auch sonst gelegentlich über den Weg laufe und sie es deshalb für ausgeschlossen halte, dass sie diese mit einer anderen Frau verwechselt habe. Damit wollte die Zeugin erklären, warum sie die Klägerin nach so langer Zeit bei dem ersten Zusammentreffen aus ca. 20 Meter Entfernung zweifelsfrei erkannt hat. Nicht überzeugend ist die Aussage auch, soweit die Zeugin auf Nachfrage angibt, sie könne sich nicht erklären, wieso sie die Klägerin am 28. Februar 2017 am Hafen in H. erkannt habe, während diese angebe, sie sei zum fraglichen Zeitpunkt in B.M. gewesen. Wäre sich die Zeugin tatsächlich so sicher, wie behauptet, dass es sich bei der Frau mit den Hunden am Hafen in H. um die Klägerin gehandelt hat, so hätte sie – wie die Beklagte und das Verwaltungsgericht dies getan haben – das „Alibi“ der Klägerin wohl als Schutzbehauptung abgetan. Bemerkenswert ist im Übrigen auch die Angabe der Zeugin, dass sie die Klägerin mit ihren Hunden vor dem 28. Februar 2017 nie am Hafen in H. gesehen habe, obwohl sie seit sechs Jahren dort mit ihrem Hund regelmäßig spazieren geht und auch die Klägerin vor der Anordnung des Leinenzwangs ihre Hunde häufiger ausgeführt dort ausgeführt hat, andererseits sie die Klägerin aber auch sonst gelegentlich sieht.
Nicht außer Betracht bleiben kann, dass die Beklagte, nachdem die Klägerin im Klageverfahren vorgetragen hat, dass sie sich am 27. Februar 2017 beim Zeugen Sch. außerhalb des Gemeindegebiets aufgehalten hatte, dies als Schutzbehauptung bezeichnet und mit Schreiben vom 26. September 2017 (Bl. 47 der VG-Akten) nochmals bekräftigt hat, dass die Zeugin S. auf Rückfrage das Datum ausdrücklich bestätigt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Zeugin ihre Angaben dahingehend korrigiert, dass sie der Klägerin mit ihren Hunden „sicher“ am 28. Februar 2017 begegnet sei. Die Klägerin hat demgegenüber von Anfang an konsistent und widerspruchsfrei vorgetragen, sie habe ihren Cousin, den Zeugen Sch., mit ihren Hunden vom 26. Februar 2017 bis 28. Februar 2017 besucht und sei erst in den späten Abendstunden zurückgekehrt (Schriftsatz vom 28.8.2018).
Wegen der aufgezeigten Ungereimtheiten tragen die Angaben der Zeugin S. nach Überzeugung des Senats die Feststellung der Beklagten bzw. des Verwaltungsgerichts nicht, die Klägerin habe am 28. Februar 2017 gegen die Verpflichtung aus Nr. I. 1. des Bescheids vom 5. Januar 2016 verstoßen, so dass das angedrohte Zwangsgeld fällig geworden. Dass das angezeigte Geschehen an einem anderen Tag des Faschingswochenendes stattgefunden haben könnte, wird im Übrigen weder von der Behörde noch vom Verwaltungsgericht für wahrscheinlich gehalten.
Hinzu kommt – ohne dass noch entscheidungserheblich darauf ankäme -, dass der von der Klägerin benannte Zeuge Sch. deren Angaben, sie habe sich von 26. Februar bis 28. Februar 2017 bis zum Einbruch der Dunkelheit in B.M. aufgehalten, bestätigt hat. Ein Vergleich der Angaben aus der Anhörung der Klägerin mit der Aussage des Zeugen Sch. lässt zwar vermuten, dass sich beide bezüglich Details der Aussage abgestimmt haben. Dies gilt wohl insbesondere hinsichtlich der Umstände des Besuchs und der Zeitangaben. Andererseits hat der Zeuge auch ohne entsprechende Nachfragen des Senats konkrete Einzelheiten (z.B. Örtlichkeiten der Spaziergänge mit den Hunden) erwähnt, die bei der Anhörung der Klägerin nicht zur Sprache kamen. Dies spricht zur Überzeugung des Senats dafür, dass sich die geschilderten Spaziergänge auch tatsächlich so zugetragen haben. Insgesamt ist der Senat davon überzeugt, dass die Aussage des Zeugen Sch. in einigen Punkten abgestimmt wurde, um sie womöglich glaubwürdiger wirken zu lassen, der Kern der Aussage – Aufenthalt der Klägerin in B.M. vom 26. Februar bis 28. Februar 2017 – aber den Tatsachen entspricht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.