Aktenzeichen L 11 AS 347/16
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 2a, § 251 Abs. 4
SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a, § 59 Abs. 1 S. 1
SGB VI § 3 S. 1 Nr. 3a
Leitsatz
Zur Auslegung eines Schreibens als Widerspruch.
Verfahrensgang
S 18 AS 184/15 ZVW 2016-04-21 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 21.04.2016 teilweise abgeändert und die Beigeladene verurteilt, über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14.01.2014 zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und teilweise begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Klage hinsichtlich der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung (Meldung bzw zuschussweise Übernahme von Beiträgen) für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 abgewiesen. Soweit sich die Berufung gegen die Abweisung der Untätigkeitsklage in Bezug auf den Widerspruch gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 14.01.2014 richtet, ist die Berufung begründet. Die Beigeladene ist zur Entscheidung über den vom Kläger dagegen erhobenen Widerspruch zu verurteilen.
Nach den vom SG durchgeführten Erörterungsterminen ist Streitgegenstand zuletzt noch die Untätigkeit der Beigeladenen hinsichtlich einer Entscheidung über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14.01.2014 sowie eine Verpflichtung des Beklagten in Bezug auf die (zuschussweise) Übernahme von Beiträgen für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 bzw eine Meldung entsprechender Zeiten. Soweit der Kläger ursprünglich noch 1.440 € „Landratskosten“ und 219 € für eine Kostenrechnung des Landgerichts vom Beklagten begehrt hat, hat er diese Klageteile wirksam in den Erörterungsterminen beim SG für erledigt erklärt. Soweit der Kläger zuletzt darauf verwiesen hat, alle seinerzeit zurückverwiesenen Begehren seien ungeklärt, könnte es sich um eine Klageänderung im Sinne von § 99 SGG handeln, mit der die letzten beiden Punkte („Landratskosten“ und Kostenrechnung Landgericht) erneut geltend gemacht werden. Eine solche Klageänderung ist aber nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält (§ 99 Abs. 1 SGG). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Der Beklagte hat vorliegend der Klageänderung widersprochen. Eine Sachdienlichkeit ist ebenfalls nicht anzunehmen, da die beiden Begehren mit den übrigen Streitgegenständen nicht in engerem Zusammenhang stehen.
Der Beigeladene ist zu verurteilen, über den Widerspruch des Klägers im Schreiben vom 28.01.2014 gegen den Bescheid vom 14.01.2014 zu entscheiden.
Nach § 88 Abs. 2 iVm Abs. 1 Satz 1 SGG ist eine Untätigkeitsklage zulässig, wenn seit der Einlegung eines Widerspruchs gegen einen Bescheid drei Monate vergangen sind. Sie ist begründet, wenn der Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Die Beigeladene hat mit Bescheid vom 14.01.2014 den Antrag des Klägers auf Erlass der Forderung abgelehnt. Das Schreiben des Klägers vom 28.01.2014 – bei der Beigeladenen am 03.02.2014 eingegangen – stellt einen Widerspruch dagegen dar. Ob ein Widerspruch eingelegt wird, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei der Rechtsbehelf nicht unbedingt als Widerspruch bezeichnet sein muss (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 83 Rn 2). Unter Berücksichtigung des Inhalts und des Betreffs ergibt die Auslegung, dass es sich bei dem Schreiben vom 28.01.2014 zweifelsfrei um einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.01.2014 gehandelt hat. Der Kläger bezieht sich in der Betreffzeile ausdrücklich auf den genannten Bescheid und seine Anträge auf Forderungserlass. Er bringt seine gegensätzliche Meinung zum Ausdruck, da er ausführt, er bestehe weiterhin auf dem Erlass. Damit wird deutlich, dass er den Bescheid vom 14.01.2014 nicht hinnehmen und einen Rechtsbehelf dagegen einlegen möchte. Dass er nicht ausdrücklich das Wort „Widerspruch“ gebraucht hat, ist unschädlich. Unerheblich sind seine Verweise darauf, es handele sich um das letzte Schreiben an die Beigeladene und alles gehe an das Gericht. Zum einen bedurfte es für das Widerspruchsverfahren keines weiteren Schreibens an die Beigeladene, zum anderen ist das Hinwenden an die Gerichte ebenfalls unschädlich. Für einen Widerspruch bedarf es weder einer Begründung noch eines Antrages (Leitherer aaO § 84 Rn 2). Auch wenn der Kläger bereits eine Vielzahl von Gerichts- und Widerspruchsverfahren bestritten hat, ist nicht erkennbar, dass er hinreichende Kenntnisse oder Sachkunde über das Verfahrensrecht hätte. Dies zeigt sich auch daran, dass oftmals nur schwer zu ermitteln ist, was das tatsächliche, rechtlich zutreffend einzuordnende Begehren des Klägers ist.
Da die Beigeladene bis heute nicht über den Widerspruch entschieden hat – insofern kann auch die Stellungnahme im Klageverfahren mangels erkennbarer Absicht der Beigeladenen damit über den Widerspruch des Klägers entscheiden zu wollen, nicht als Widerspruchsentscheidung angesehen werden -, mehr als drei Jahre seit dessen Eingang vergangen sind und ein wichtiger Grund für die Verzögerung nicht erkennbar oder vorgetragen ist, ist die Untätigkeitsklage zulässig und begründet. Die Beigeladene war zur Entscheidung über den Widerspruch zu verurteilen. Dabei wird sie auch ihre Zuständigkeit für den Erlass des Bescheides vom 14.01.2014 überprüfen müssen. Die Aufgabenübertragung bezüglich der Prüfung und Entscheidung über einen Erlass der Forderung dürfte sich nicht auf die Trägerversammlung vom 07.11.2014 stützen lassen, da diese zeitlich erst nachgelagert erfolgte und unklar ist, ob die Versammlung nur dem Bericht des Geschäftsführers über die Budgetzahlen zugestimmt hat oder die Aufgabenübertragung – nachträglich – als solche genehmigt worden ist.
Soweit der Kläger die (zuschussweise) Übernahme von Beiträgen für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 bzw eine Meldung entsprechender Zeiten begehrt, ist die Berufung unbegründet.
Eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bestand in der Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 aufgrund der lediglich darlehensweisen Leistungsbewilligung (Bescheid vom 18.12.2009 idG des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, Bescheid vom 04.06.2009 idF des Änderungsbescheides vom 17.07.2009 idG des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2009, Bescheid vom 07.12.2009 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2010 und Bescheid vom 14.06.2010 idG des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011) nicht. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a HS 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Personen in der Zeit, für die sie Alg II nach dem SGB II beziehen versicherungspflichtig, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird. Für die gesetzliche Pflegeversicherung scheidet eine Versicherungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) bei lediglich darlehensweisem Bezug von Alg II ebenfalls aus. Da die Bewilligung als Darlehen in den genannten Bescheiden auch rechtskräftig ist – die dagegen gerichteten Klagen hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2011 abgewiesen (S 9 AS 195/09), der Senat hat die Berufung mit Urteil vom 02.02.2012 (L 11 AS 162/11) zurückgewiesen und die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (Beschluss vom 10.05.2012 – B 4 AS 64/12 B) war ohne Erfolg – kann insofern keine Versicherungspflicht begründet werden. Beiträge zur Krankenversicherung waren vom Bund daher nach § 251 Abs. 4 SGB V (bzw iVm § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI für die gesetzliche Pflegeversicherung) für diese Zeit nicht zu tragen. Der Beklagte hat mit Bescheiden vom 15.05.2009, 05.06.2009, 17.03.2010 und 14.06.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2010) für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 auch Darlehen für die freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gewährt. Ein Anspruch auf Gewährung der Leistungen als Zuschuss bestand damit nicht.
Zu Recht erfolgte auch keine Zahlung von Beiträgen oder eine Meldung zur Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010. Nach § 3 Satz 1 Nr. 3a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) waren in dieser Zeit zwar Bezieher von Alg II in der Rentenversicherung versicherungspflichtig. Dies galt jedoch nicht, wenn die Leistungen – wie vorliegend – nur darlehensweise gewährt wurden (§ 3 Satz 1 Nr. 3a Buchst a SGB VI). Die darlehensweise Gewährung für den genannten Zeitraum ist rechtskräftig (siehe oben).
Die Berufung war nach alledem in Bezug auf die (zuschussweise) Übernahme von Beiträgen für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 bzw eine Meldung entsprechender Zeiten unbegründet und daher zurückzuweisen. Hinsichtlich der Verpflichtung der Beigeladenen zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.01.2014 war die Berufung begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.