Medizinrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen Verlegung des Versammlungsortes aus Gründen des Infektionsschutzes

Aktenzeichen  10 CS 20.1237

Datum:
22.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14529
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
4. BayIfSMV § 7 S. 1
BayVersG Art. 15
GG Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Die (kurzfristige) Beanspruchung öffentlichen Raums durch Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG ist gerade in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht a priori weniger schutzwürdig als die Beanspruchung durch Verkehrsteilteilnehmer, Ladeninhaber, Gastronomen, Touristen, Passanten und andere Straßennutzer. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Vertreter des öffentlichen Interesses trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Beschränkung einer von der Antragstellerin für den 23. Mai 2020 unter dem Motto „Nicht ohne uns – Auseinandersetzung mit den ‚Corona-Maßnahmen‘ …“ angezeigten Versammlung auf dem M1.platz in B. Die Antragstellerin erwartet ca. 30 teilnehmende Personen; bei mehr als 50 „werde man ausschließen“.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2020 (Nr. 2.1) verfügte die Antragsgegnerin im Wege einer versammlungsrechtlichen Beschränkung die Verlegung der Veranstaltung auf den Busparkplatz am Margaretendamm in B. Das Verwaltungsgericht Bayreuth ordnete mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Mai 2020 die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen diese Beschränkung an.
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus: Die streitgegenständliche Versammlung sei eine sog. privilegierte Versammlung im Sinn des § 7 Satz 1 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV), weshalb sie keiner Ausnahmegenehmigung nach § 7 Satz 2 i.V.m. § 5 Satz 2 4. BayIfSMV bedürfe. Beschränkungen richteten sich nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Für die infektionsschutzrechtliche Gefahrenprognose sei vor allem auch die Versammlungsörtlichkeit und -zeit von großer Bedeutung; hier seien vor allem räumliche Aspekte wie Platzbedürfnisse der angemeldeten Versammlung, die Frequentierung der Örtlichkeit während des Versammlungszeitraums durch Passanten sowie die außerhalb des Versammlungsbereichs noch zur Verfügung stehenden Flächen für Passanten, weitere Verkehrsteilnehmer und insbesondere der Einsatz- und Rettungskräfte zu berücksichtigen.
Die durch den streitgegenständlichen Bescheid verfügte Verlegung des Versammlungsortes könne bei summarischer Prüfung nicht als rechtmäßig bestätigt werden.
Zwar sei bei Durchführung der Versammlung auf dem mitten in B. gelegenen M1.platz am Samstagnachmittag durchaus mit einer erheblichen Anzahl von Passanten zu rechnen. Auch möge es zutreffen, dass angesichts der Aktualität und des großen Meinungsspektrums nicht wenige Passanten und sonstige Interessierte auf die Versammlung aufmerksam würden und sich dieser näherten. Es liege auf der Hand, dass damit die konkrete Gefahr gegeben sei, dass der infektiologisch derzeit für notwendig erachtete Mindestabstand nicht in jedem Fall sogleich eingehalten werde. Art. 15 BayVersG rechtfertige grundsätzlich jedoch nur Eingriffe aufgrund von Gefahren, die von der angemeldeten Versammlung selbst hervorgerufen würden; vor Störungen von außen sei die Versammlung primär zu schützen. Es sei den dem Gericht vorliegenden Unterlagen in Verbindung mit den Ausführungen der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid unter Berücksichtigung des hohen Schutzgehalts des Art. 8 GG nicht hinreichend zu entnehmen, dass etwaigen Verstößen gegen die geltenden Abstandsregelungen und sonstigen Zuwiderhandlungen vor allem auch außerhalb des Kreises der Demonstrationsteilnehmer durch die Sicherheitsbehörden nicht wirksam begegnet werden könnte. Es sei nicht dargetan, dass es den Polizeibehörden nicht möglich wäre, vor Ort auf die Einhaltung des geltenden Rechts hinzuwirken. Hinreichende Anhaltspunkte ergäben sich insbesondere nicht aus der im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahme der zuständigen Polizeiinspektion; soweit darin der Platzbedarf angesprochen werde, sei dem Gericht die Örtlichkeit im Wesentlichen bekannt bzw. könne anhand von Luftbildern ausreichend eingeschätzt werden. Es sei keine hinreichende Begründung ersichtlich, dass eine grundlegende Steuerung der verschiedenen Personengruppen, seien es Teilnehmer, Interessierte, Passanten und sonstige Personen, auf diesem zentral gelegenen Platz mit erheblichen Ausmaßen nicht möglich wäre und/oder dass gegen etwaige Zuwiderhandlungen nicht wirksam eingeschritten werden könnte, ohne Unbeteiligte, Polizeikräfte und andere Personen einer nicht vertretbaren Gefährdung auszusetzen.
Hiergegen wendet sich die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth aufzuheben und den Antrag abzulehnen, und trägt vor, der vom Verwaltungsgericht herangezogene Prognosemaßstab sei unzutreffend auf Gefahren, die von der angemeldeten Versammlung selbst hervorgerufen werden, verengt. Dieser für gewalttätige Gegendemonstrationen entwickelte Maßstab passe nicht auf infektionsschutzrechtliche Gefahren. Der Infektionsschutz ziele generell auf eine Eindämmung der Ausbreitung einer Pandemie, indem menschliche Kontakte auf das notwendige Minimum reduziert würden. Bereits das Zusammenkommen der Versammlungsteilnehmer an sich begründe daher eine erhöhte Verbreitungsgefahr, die nur vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG, Art. 113 BV hinzunehmen sei. Die Versammlungsfreiheit umfasse aber nicht das Recht, Dritte an Leib und Leben zu gefährden, die an stark frequentierten Orten zwangsläufig in die Nähe der Versammlung gerieten und dort häufig größere Ansammlungen von Zuschauern bzw. Interessierten bildeten. Dass derartige Infektionsgefahren hier konkret zu befürchten seien, ergebe sich aus den beigefügten polizeilichen Stellungnahmen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Sie zeigt bei einer aufgrund der Eilbedürftigkeit nur möglichen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Bewertungen des Verwaltungsgerichts auf (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Die vorgelegten polizeilichen Stellungnahmen vom 13. Mai 2020 und vom 20. Mai 2020 waren bereits Grundlage des streitgegenständlichen Bescheids und der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Die Stellungnahme vom 13. Mai 2020 bezieht sich außerdem auf Versammlungen anderer Veranstalter, ohne dass klar wird, inwieweit die dort geschilderten Wahrnehmungen für die hier im Streit stehende Versammlung von Bedeutung sind; die Polizei weist selbst darauf hin, dass die Antragstellerin sich von der dortigen Versammlung distanziert habe. Der Vertreter des öffentlichen Interesses will hieraus sowie aus der neuerlichen Äußerung des Polizeipräsidiums vom 22. Mai 2020 lediglich ableiten, dass trotz der nicht vorhandenen Personengleichheit der Versammlungsleiter, zumindest was die Zielgruppe der Versammlungsteilnehmer betrifft, ein ähnliches Verhalten in Bezug auf die Einhaltung infektionsschutzrechtlicher Aspekte zu erwarten sei. Ein konkreter Bezug zu der hier streitgegenständlichen Versammlung wird allerdings nicht hergestellt.
Mit der Regelung in § 7 Satz 1 4. BayIfSMV hat der Verordnungsgeber zum Ausdruck gebracht, dass Versammlungen unter den dort genannten Voraussetzungen generell in infektionsschutzrechtlicher Hinsicht vertretbar sind und es daher der Darlegung besonderer Umstände des Einzelfalles bedarf, um insoweit auf der Grundlage von Art. 15 BayVersG aus Gründen des Infektionsschutzes Beschränkungen anzuordnen. Dabei kommt eine räumliche Verlegung als Eingriff in das sich aus Art. 8 GG ergebende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters aus infektionsschutzrechtlichen Gründen daher nur dann in Betracht, wenn infektionsschutzrechtliche Risiken, die sich aus der Frequentierung des Versammlungsortes ergeben, nicht durch polizeiliche Maßnahmen beseitigt werden können. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor; auf die zutreffende Einschätzung des Verwaltungsgerichts kann verwiesen werden. Auch insoweit ergibt sich aus der nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts verfassten Äußerung des Polizeipräsidiums vom 22. Mai 2020 nichts anderes.
Die Begegnung von Menschen im „stark frequentierten“ öffentlichen Raum ist Normalität. Dass derzeit von den Nutzern des öffentlichen Raums erwartet werden kann und muss, aus infektionsschutzrechtlichen Gründen einen Mindestabstand einzuhalten, mag zur einer Verknappung des öffentlichen Raumes führen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Versammlungen, die den Mindestabstand wahren, aus den Innenstädten ohne weiteres herausgehalten werden können. Die (kurzfristige) Beanspruchung öffentlichen Raums durch Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG ist gerade in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht a priori weniger schutzwürdig als die Beanspruchung durch Verkehrsteilteilnehmer, Ladeninhaber, Gastronomen, Touristen, Passanten und andere Straßennutzer.
Die vom Vertreter des öffentlichen Interesses angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Mai 2020 (1 BvR 1004/20 – juris Rn. 6) stützt seine Rechtsauffassung nicht. Diese Entscheidung bezog sich auf einen geplanten Aufzug mit mehr als 50 Personen (vgl. die Ausgangsentscheidung OVG Bremen, B.v. 1.5.2020 – 1 B 137/20 – juris). Insofern hatte das Bundesverfassungsgericht ebenso wie das Oberverwaltungsgericht eine stationäre Versammlung „an einem Versammlungsort, der mithilfe ausreichender Polizeikräfte und Absperrgittern abgesichert ist, bei Beachtung weiterer infektionsschutzrechtlicher Auflagen – je nach Versammlungsort – für grundsätzlich möglich gehalten“, was aber aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten (u.a. angekündigte Gegendemonstrationen) und zeitlichen Verhältnisse nicht mehr realisiert werden konnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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