Aktenzeichen 3 O 4791/14
SGB IX SGB IX § 53
SGB X SGB X § 116
BGB BGB § 249, § 280 Abs. 1, § 823
StVG StVG § 7
Leitsatz
1. Aus einem langjährigen Regulierungsverhalten der Berufsgenossenschaft kann nicht auf ein deklaratorisches Anerkenntnis geschlossen werden, nachdem sie sich von der alten Regulierungspraxis deutlich losgesagt hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Erstattung privatärztlicher Heilbehandlungskosten geht grundsätzlich nicht nach § 116 SGB X auf die Berufsgenossenschaft über, da wegen des Sachleistungsprinzips diese nicht zu erstatten sind. Von einem Forderungsübergang ist dagegen auszugehen, wenn die Berufsgenossenschaft ausnahmesweise die Kosten erstattet und sei es aus Kulanz. (Rn. 18 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Unfallversicherungsträger kann aufgrund seiner Ermessensbefugnis in Verbindung mit dem „alle geeigneten Mittel“-Gebot ausnahmsweise privatärztliche Heilbehandlungskosten erstatten, wenn er vor den beabsichtigten Behandlungen in Kenntnis gesetzt wird und sein Ermessen auszuüben kann. Ein Rechtsanspruch auf die nachträgliche Bezahlung besteht nicht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.932,38 € zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Hauptsache in Höhe von weiteren 7.272,00 € erledigt ist.
III. Die Beklagte wird verurteilt, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz aus 15.204,38 € vom 29.08.14 bis 09.06.15 sowie aus 7.932,38 € seit 10.06.15 zu bezahlen.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 90% und die Klägerin 10%.
VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 250,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist in Höhe von 7.932,38 € begründet und in Höhe von weiteren 7.272,00 € erledigt. Dieser Konsequenz folgen die Zinsen. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
I.
Die zulässige Klage ist in Höhe von 7.932,38 € begründet. Die Haftung dem Grunde nach (§§ 7 Absatz 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG) ist unstreitig.
1. Die Klageforderung ist nicht allein wegen der Existenz (Bindungswirkung) des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts München I unter dem Gz.: 19 O 15216/13 (Anlage K18) zuzusprechen. Die tatsächlichen (Erforderlichkeit) und rechtlichen (gesetzlicher Forderungsübergang) Fragestellungen mögen zwar paralleler Art gewesen sein, sind jedoch Tatsachen, die von der Rechtskraftwirkung eines Urteils nicht erfasst sind und daher hier keine Bindungswirkung haben (siehe Zöller, ZPO, 31. Auflage, Vor § 322, Rd. 31 und 32). Zudem hat sich das Urteil zu den Fragestellungen auch nicht ausdrücklich eingelassen. Die dortige Argumentation, dass die Beklagte die in Anspruch genommenen Leistungen jahrelang anstandslos bezahlt hatte, ist im hiesigen Rechtsstreit nicht fruchtbar zu machen, weil die Klägerin hier Leistungen begehrt, die zumindest weit überwiegend in einem Zeitraum nach dem 22.01.13 anfielen, dem Zeitpunkt, als sich die Beklagte von ihrer alten Praxishandhabung losgesagt hatte. Soweit die Klägerin anführt, die Beklagte habe durch ihr früheres langjähriges Regulierungsverhalten ein deklaratorisches Anerkenntnis abgegeben, dass sie binde, kann dem das Gericht für die Zukunft zumindest dahingehend nicht folgen, wenn und weil wie vorliegend diese Lossagung von der alten Praxis deutlich mitgeteilt wurde. Einen Rechtsanspruch auf Fortzahlung früher rein kulanzhalber regulierter Leistungen gibt es schlichtweg nicht.
2. Die Klägerin ist aktivlegitimiert, und zwar schon deswegen, weil die Klägerin nach den Sozialgesetzen die Kosten der selbstbeschafften privatärztlichen Heilbehandlung von der BG nicht verlangen kann, darauf jedenfalls keinen Rechtsanspruch hat. Ein gesetzlicher Forderungsübergang derartiger Erstattungsansprüche nach § 116 Abs. 1 SGB X kann daher nicht stattgefunden haben.
a) § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII bestimmt, dass die Leistungen zur Heilbehandlung und Teilhabe als Dienst- und Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden, soweit das SGB VII oder das 9. Buch keine Abweichungen vorsehen. Richtig ist damit die Ansicht der Klägerin, dass schon wegen des Sachleistungsprinzips grundsätzlich privatärztliche Behandlungen durch die BG nicht zu erstatten sind (siehe hierzu Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB VII, § 26 Rd. 5 SGB V, § 13, Rd. 5 – 7). Demnach kommen für Leistungen der Heilbehandlung und Teilhabe grundsätzlich nur Dienst- und Sachleistungen in Frage, weshalb kein Kostenerstattungsprinzip mit Rechtsanspruch auf Selbstbeschaffung von Leistungen mit Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Behandlungserbringer als Privatpatient und anschließender Kostenerstattung besteht. Selbst wenn die selbst beschaffte Maßnahme offensichtlich erforderlich und geeignet ist, also nach Art und Umfang in gleicher Weise vom Unfallversicherungsträger zu leisten gewesen wäre, ändert sich daran nichts, da anderenfalls dieser im Gesetz verankerte Naturalleistungsgrundsatz ins Leere liefe (Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB VII, § 26 Rd. 5). Zwar kann der Unfallversicherungsträger aufgrund seiner Ermessensbefugnisse nach § 26 Abs. 5 SGB VII in Verbindung mit dem „alle geeigneten Mittel“-Gebot ausnahmsweise bei besonderen Umständen abweichend verfahren. Dies gilt aber nur, wenn er vor den beabsichtigten Behandlungen vorher darüber in Kenntnis gesetzt wird und er überhaupt die Möglichkeit erhält, sein Ermessen auszuüben. Einen Rechtsanspruch auf die nachträgliche Bezahlung selbst beschaffter Leistungen hat die Klägerin ohnehin nicht.
b) § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII sieht zwar vom Sachleistungsprinzip Ausnahmen vor durch das 9. Buch. Solche Ausnahmen sind vorgesehen in §§ 9 Abs. 2, 15 Abs. 1 und 53 Abs. 1 – 3 SGB IX (Kassler Kommentar, SGB V, § 13, Rd. 10). Diese Ausnahmen sind jedoch vorliegend nicht einschlägig, auch nicht § 53 Abs. 1 – 3 SGB IX hinsichtlich der Fahrtkosten. Denn durch die Verweisung des § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII als Ausnahme zum Sachleistungsgrundsatz des § 26 Abs. 4 Satz 1 SGB VII liegt auf der Hand, dass nur solche Fahrtkosten gemeint sein können, die aufgrund von Fahrten zu Ärzten entstehen, die wiederum von der BG in Ausübung des Sachleistungsprinzips zur Verfügung gestellt werden, oder Fahrkosten für die anderen Ausnahmefälle, nicht aber generell Fahrtkosten infolge Fahrten des Versicherten zu ohne weiteres von diesem selbst beschafften Maßnahmen.
c) Dieses generelle Sachleistungsprinzip mit nur sehr wenigen Ausnahmen unter den engen Tatbestandsvoraussetzungen findet zudem auch Stütze in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. In einem Fall des Sozialgerichts Aachen, Urteil vom 17.03.2010, Az. S 8 U 71/09, wurden mit dieser Begründung der Ersatz selbst beschaffter privatärztlicher Leistungen abschlägig verbeschieden. Zugelassen hat das Bayerische Landessozialgericht den Ausnahmefall des § 13 Abs. 3 SGB V mit der Begründung, dass die BG die Deckung der Kosten einer dringlichen Operation vor Behandlungsbeginn zu Unrecht verweigert habe (Urteil vom 22.01.2008, Az. L 17 U 238/05, zitiert nach juris).
d) Im Zuge dessen ist die Ansicht der Beklagten, es könne keine Deckungslücke geben, falsch. Dies zeigt nicht nur der vorliegende Fall. Im Urteil des Bundessozialgerichtes vom 03.04.2014 (Az. B 2 U 21/12 R, zitiert nach juris) hat das Bundessozialgericht unter Rn. 28 andeutet, dass es durchaus Leistungen geben kann, die beispielsweise von einem Krankenvollversicherungsvertrag erfasst werden, aber „nicht vom Leistungskatalog des SGB VII erfasst werden“ und daher der berufsgenossenschaftliche Unfallträger nicht eintrittspflichtig ist. Sinn und Zweck des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist es, zu vermeiden, dass der Schädiger durch die dem Geschädigten zufließenden Sozialleistungen haftungsfrei gestellt oder aber der Geschädigte doppelt entschädigt (bereichert) wird (BGH NJW 2003, 3193, 3194, dort unter e) m.w.N.). Es ist daher vorliegend bei den von der Klägerin selbst beschafften Leistungen nur dann von einem gesetzlichen Forderungsübergang auf die BGHW nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auszugehen, wenn diese der Klägerin die selbst beschafften Leistungen tatsächlich erstattet, sei es auch in nachträglich ausgeübter Kulanz, wie es vorliegend bei den ursprünglich begehrten Behandlungs- und Fahrtkosten für die osteopatischen Behandlungen bei Hanna K. der Fall war, um eine Doppelentschädigung beziehungsweise Bereicherung der Klägerin zu vermeiden (siehe auch BGH NJW 2004, 3324, 3325 unter a)).
3. Die Klägerin kann die privatärztlichen Behandlungskosten bei Frau Dr. M.R. nebst Taxikosten nur zum Teil als medizinisch notwendig zur Erhaltung und Verbesserung des derzeitigen Gesundheitszustandes der Klägerin verlangen (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB). Zuzusprechen sind nur 6.822,38 €.
a) Als notwendige Heilbehandlung ist nach ständiger Rechtsprechung jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder auch auf Linderung der Krankheit abzielt. Grundsätzlich sind nur solche Behandlungen anzuerkennen, die nach Auffassung der Schulmedizin wissenschaftlich allgemein als erfolgversprechend anerkannt sind. Von diesem Grundsatz sind jedoch dann Ausnahmen zu machen, etwa wenn bei unheilbaren Krankheiten Behandlungsmethoden zur Linderung fehlen, wenn die Schulmedizin für ein bestimmtes Leiden zwar Behandlungsmethoden entwickelt hat, diese jedoch im konkreten Fall ungeeignet sind. Voraussetzung für angewandte „Außenseitermethoden“ ist, dass sie auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruhen und bei einer ex ante Betrachtung zumindest eine gewisse Aussicht auf Erfolg (Heilung, Linderung, Verhinderung von weiterer Verschlechterung) versprechen. Die Anforderungen an den möglichen Behandlungserfolg hängen vom Grad der Schwere der Verletzung/Erkrankung und den damit verbundenen Leiden des Geschädigten ab (ständige Rechtsprechung).
b) Die sachverständige Begutachtung durch die medizinischen Sachverständigen Dr. B. auf dem unfallchirurgischem Fachgebiet sowie Dr. N. auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet ergab nur eine teilweise medizinische Notwendigkeit. Hierzu wird verwiesen auf die Anhörung der beiden Sachverständigen in der Sitzung vom 10.11.15 (Bl. 63 ff. d.A.).
aa) Der Sachverständige Dr. B. konnte für sein Fachgebiet bestätigen, dass die Kosten für die symptomatische Schmerztherapie, die Akupunktur-Behandlung, die Chirotherapie, die Übungsbehandlung, die Osteopathie, sowie die Punkt- und Meridianmassage allesamt Maßnahmen zur Schmerzlinderung sind und von einer Ärztin für physikalische und rehabilitative Medizin (Frau Dr. M.R.) erbracht werden können. Es sind etablierte therapeutische Behandlungsmethoden und keine Außenseitermethoden. Sie können allein oder in kombinierter Anwendung zu einer Schmerzlinderung führen, dies ist erwiesen. Der Sachverständige Dr. B. konnte abschließend bestätigen, dass diese von Frau Dr. M.R. bei der Klägerin durchgeführten Maßnahmen in ein multimodales Konzept namens multimodale Schmerztherapie passen. Dass in diesem Verfahren auf eine Rückmeldung des Patienten abzustellen ist, welche der einzelnen Behandlungen verbessernde Wirkung zeigen oder nicht, liegt in der Natur der Sache. Insoweit glaubt das Gericht auch den Angaben der Klägerin in der Sitzung, dass die angewendeten Maßnahmen ihr Linderung verhalfen. Sie waren daher erforderlich.
bb) Nicht medizinisch erforderlich ist jedoch die von Frau Dr. M.R. angewendete EMDR-Methode. Sie wurde nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen Dr. N. im aktuellen Fall nicht in sinnvoller Weise angewendet. Der Sachverständige hatte den Eindruck, dass insoweit eine verselbständigte und automatisierte Behandlung ablief. Der Sache nach konnte der Sachverständige aus psychiatrischer Sicht keine PTBS bei der Klägerin bestätigen, aber eine Anpassungsstörung (mit von der Symptomatik her zumindest auftretenden Elementen einer PTBS). Unabhängig davon ist eine psychotherapeutische Behandlung in Form von EMDR grundsätzlich denkbar, aber nur im Rahmen aufgestellten Gesamtbehandlungsplanes, weil jedes psychotherapeutische Verfahren allgemein die Erstellung eines Gesamtbehandlungsplanes voraussetzt. So muss immer wieder ein psychopathologischer Befund erhoben werden und Behandlungsziele formuliert werden. Nach diesen Leitlinien bedarf EMDR regelhaft einer Einbettung in ein anderes psychotherapeutisches Verfahren, nämlich Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Des Weiteren sollte der die Methode anwendende Psychotherapeut über eine im Rahmen seiner Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten bzw. seiner Aus- oder Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder zum Facharzt für Psychotherapie erworbene Fachkunde in Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie verfügen. Darüber hinaus sollte eine umfassende psychotraumatologische Kompetenz vorliegen, damit nämlich die Methode sinnvoll eingesetzt werden kann oder beispielsweise auch Kontraindikationen erkannt werden. Es kann also durchaus mal während der Behandlung zu einer Dekompensation kommen und da wäre die EMDR kontraindiziert. Im vorliegenden Fall konnte der Sachverständige Dr. N. einen solchen Gesamtbehandlungsplan mit der Formulierung konkreter Ziele nicht feststellen. Weder liegen aussagekräftige Behandlungsberichte mit psychopathologischen Befunden vor, noch ist hier die EMDR in ein anderes psychotherapeutisches Verfahren eingebettet (also verhaltenstherapeutisch oder tiefenpsychologisch). Schließlich verfügt Frau Dr. M.R. weder über eine Ausbildung oder Zusatzbezeichnung als Psychotherapeutin, noch hat sie einen erkennbaren Nachweis einer Ausbildung in Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie, noch ist sie Fachärztin psychosomatischer Medizin und Psychotherapie, noch ist sie Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und ihre Qualifikation in Psychotraumatologie ist unklar. Sie befasst sich ausweislich ihrer eigenen Angaben im Internet mit Psychotraumatologie und gibt auch Kurse für Behandlung, hat aber keinen Nachweis, dass sie eine entsprechende Ausbildung abgeschlossen hat.
Hinsichtlich der ansonsten von Frau Dr. M.R. angesetzten Verfahren, wie Homöopathie, TCM und Ähnliches konnte der Sachverständige Dr. N. eine gewisse Evidenz für die Wirksamkeit in diversen Studien bestätigen, so von Akupunktur bei diversen Schmerzzuständen, z. B. Fibromyalgie-Syndrom, Spannungskopfschmerz, Rückenschmerzen, wie auch den letztlichen Konsens unter den mit der Behandlung psychischer Erkrankungen befassten Fachgesellschaften, dass zumindest bei Patienten mit funktionellen oder somatoformen Körperbeschwerden erwogen werden kann, komplementäre Heilverfahren, wie Homöopathie, TCM oder Ähnliches zeitlich begrenzt einzusetzen, sofern diese Behandlungen sich in das Krankheitsmodell des Patienten schlüssig integrieren lassen. Auch hier tendierte der Sachverständige Dr. N. zwar dazu, dass dies dem Krankheitsmodell der Klägerin auch tatsächlich entspricht. Aber auch hier gilt, dass die komplementären Verfahren Bestandteil eines Gesamtbehandlungsplanes sein sollten. Die Wirksamkeit sollte regelmäßig überprüft werden. Denn in der Regel betrifft dies eine andere Patientengruppe, nämlich Patienten mit somatoformen Körperbeschwerden, also Patienten mit körperlichen Beschwerden auf Grund psychischer Ursache. Dies kann bei der Klägerin übertragen werden, also durchaus diese Behandlungen einsetzen, allerdings nicht unkontrolliert und unbefristet, im Rahmen eines zwingenden Behandlungsplans, einer Befunderhebung und Überprüfung eines Arztes, der die Grunderkrankung diagnostizieren kann. Dies ist bei Frau Dr. M.R. mangels Zusatzbezeichnung Psychotherapie oder eine der oben genannten Zusatzbezeichnungen nicht der Fall.
Die therapeutischen Behandlungen für ausgleichende Punkt- und Meridianmassage, wie auch osteopathische Behandlungen (Frau K.) bestätigte der Sachverständige Dr. N. aus seiner Fachsicht ebenfalls als komplementäre Heilverfahren, die bei der Patientengruppe mit somatoformen Körperbeschwerden und auch bei der Klägerin grundsätzlich zum Einsatz kommen können, aber ebenfalls unter den genannten Bedingungen eines Behandlungsplans und der entsprechenden Fachkompetenz des verordnenden Arztes. Da diese Maßnahmen jedoch bereits aus unfallchirurgischer Sicht erforderlich sind (siehe oben Sachverständiger Dr. B.) hat die Klägerin deren medizinische Erforderlichkeit vorliegend nachgewiesen.
Dem Sachverständigen Dr. N. fiel abschließend die Unstimmigkeit auf, dass von Frau Dr. M.R. die GOÄ-Ziffern 804 und 806 abgerechnet wurden, psychiatrische Untersuchungen durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, wobei Frau Dr. M.R. diese Ausbildung nicht hat. Die EMDR-Behandlung wird abgerechnet unter Ziffer 30a GOÄ, eine Ziffer 30a in der GOÄ es nicht gibt, das „a“ wohl „analog“ bedeuten solle, dies eigentlich dann einzuführen wäre als „analog Ziffer 30“, dies jedoch ein homöopathisches Erstgespräch ist und nur einmal im Jahr abgerechnet werden darf, die EMDR aber auch kein Erstgespräch ist. EMDR müsste vielmehr abgerechnet werden wie Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologische Therapie, dies allerdings weniger Geld bringt. Vor diesem Hintergrund sind daher vorliegend Positionen mit den GOÄ-Ziffern 804, 806 oder 30a nicht medizinisch erforderlich und daher nicht ansatzfähig.
cc) Das Gericht folgt diesen beiden fachlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. B. und Dr. N. vollumfassend. Zweifel an der fachlichen Richtigkeit der Ergebnisse und Bewertungen der Sachverständigen bestehen nicht. Die beiden Gutachter kennen die Klägerin schon aus ihren Begutachtungsaufträgen für die BGHW, haben die gesamten medizinischen Unterlagen in ihre Begutachtung einbezogen und ausgewertet. Die fachlich-medizinischen Zusammenhänge haben sie im Rahmen der Anhörung verständlich und nachvollziehbar erläutert, Nachfragen der Parteien klar und überzeugend beantwortet.
dd) Dass die Sachverständigen im Übrigen auf Frage des Beklagtenvertreters bestätigt haben, dass die Berufsgenossenschaften auch ihrerseits sehr gute Behandlungsmöglichkeiten wie die angesprochenen Therapien im Rahmen ihres Sachleistungsprinzips anbieten, ändert in rechtlicher Hinsicht nichts an der Tatsache der medizinischen Erforderlichkeit dieser Maßnahmen (außer EMDR und Homöopathie), damit an der Ersatzfähigkeit nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gegenüber dem Schädiger beziehungsweise dessen Pflichtversicherung.
c) Unter Berücksichtigung dieser Umstände sind damit folgende Kosten (in Summe 6.822,38 €) zu ersetzen.
aa) Aus der Rechnung von Frau Dr. M.R. vom 15.04.13, Anlage K 35, kann die Klägerin nur 836,09 € ersetzt verlangen. Vom Rechnungsbetrag über 1.448,65 € waren als nicht medizinisch erforderlich abzuziehen: 120,65 € vom Behandlungstag 22.01.13, 33,51 € vom Behandlungstag 29.01.13, 20,10 € vom Behandlungstag 05.02.13, 33,51 € vom Behandlungstag 19.02.13, 33,51 € vom Behandlungstag 26.02.13, 33,51 € vom Behandlungstag 05.03.13, 183,61 € vom Behandlungstag 12.03.13, 120,65 € vom Behandlungstag 19.03.13, sowie 33,51 € vom Behandlungstag 26.03.13.
bb) Aus der Rechnung von Frau Dr. M.R. vom 03.07.13, Anlage K 37, kann die Klägerin nur 830,00 € ersetzt verlangen. Vom Rechnungsbetrag über 995,51 € waren als nicht medizinisch erforderlich abzuziehen: 20,10 € vom Behandlungstag 23.04.13, 33,51 € vom Behandlungstag 30.04.13, 20,10 € vom Behandlungstag 28.05.13, sowie 91,80 € vom Behandlungstag 04.06.13.
cc) Aus der Rechnung von Frau Dr. M.R. vom 29.10.13, Anlage K 39, kann die Klägerin nur 1.106,61 € ersetzt verlangen. Vom Rechnungsbetrag über 1.400,22 € waren als nicht medizinisch erforderlich abzuziehen: 30,84 € vom Behandlungstag 09.07.13, 30,84 € vom Behandlungstag 23.07.13, 120,65 € vom Behandlungstag 13.08.13, 33,51 € vom Behandlungstag 03.09.13, 46,93 € vom Behandlungstag 10.09.13, sowie 30,84 € vom Behandlungstag 01.10.13.
dd) Aus der Rechnung von Frau Dr. M.R. vom 05.02.14, Anlage K 41, kann die Klägerin nur 1.116,49 € ersetzt verlangen. Vom Rechnungsbetrag über 1.167,49 € waren als nicht medizinisch erforderlich abzuziehen: 50,99 € vom Behandlungstag 03.12.13.
ee) Aus der Rechnung von Frau Dr. M.R. vom 03.0414, Anlage K 43, kann die Klägerin nur 830,19 € ersetzt verlangen. Vom Rechnungsbetrag über 1.340,20 € waren als nicht medizinisch erforderlich abzuziehen: 183,61 € vom Behandlungstag 21.01.14, 91,80 € vom Behandlungstag 11.03.14, 50,99 € vom Behandlungstag 18.03.14, sowie 183,61 € vom Behandlungstag 25.03.14.
ff) Die Klägerin kann die Taxifahrten für die Behandlungen zu Frau Dr. M.R. wie beantragt verlangen (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Klägerin hat mit den entsprechenden Zusammenstellungen nebst einzelnen Taxibelegen die Entstehung der Kosten urkundlich nachgewiesen. Wie aus den Anlagen hervorgeht, handelte es sich um Behandlungen / Fahrten in München, so dass der Klägerin nicht vorgeworfen werden kann, überhöhte Fahrtkosten durch Fahrtkosten nach Kreuth abrechnen zu wollen. Nachgewiesen sind:
Anlage K 36 zu 463,00 €, Anlage K 38 zu 319,00 €, Anlage K 40 zu 418,00 €, Anlage K 42 zu 415,00 € sowie Anlage K 44 zu 488,00 €.
Zwar hat der Sachverständige Dr. B. in der Anhörung vom 10.11.15 noch seine fachliche Stellungnahme so abgegeben, dass er die Klägerin grundsätzlich für gehbehindert hält, aber nicht für so schwer, dass es ihr nicht zuzumuten wäre, gerade in München öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (Protokoll Seiten 9/10, Bl. 70/71 d.A.). Der Sachverständige Dr. B. hat jedoch in einer späteren gutachterlichen Stellungnahme für die BGHW (Anlage K87) die Verwendung eines Taxis aufgrund der eng getakteten Behandlungstermine der Klägerin an verschiedenen Orten in München dauerhaft für erforderlich gehalten, einem Umstand, dem in der Sitzung vom 11.10.15 noch keine ausreichende Beachtung geschenkt wurde. Dem schließt sich das Gericht auch vorliegend an, weil bei der wertenden Betrachtung der Erforderlichkeit der Benutzung eines Taxis und der Zumutbarkeit von Alternativen für die Klägerin auch für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht außer Acht zu lassen ist, dass die Klägerin dauerhaft ein vielschichtiges Programm von Arztbehandlungen und Physiotherapie (im weitesten Sinne) nur zum Erhalt ihres Gesundheitszustandes absolvieren musste, auch in dem parallelen Empfang der oben beschriebenen Sachleistungen durch die BGHW (siehe zu den BGHW-Sachleistungen Schriftsatz Klägervertreterin vom 17.03.16, Seite 1, 4. Absatz, 1. Satz „Ergänzend…“, insoweit unstreitig). Es ist der Klägerin schon angesichts dieses Programms vorliegend nicht zuzumuten, auch nicht psychisch (Stichwort Anpassungsstörung, Sachverständigengutachten Dr. N.), zusätzliche Zeit ihres ohnehin seit dem Unfall sehr beschwerlichen Lebens mit Fußwegen und Wartezeiten zu/in öffentlichen Verkehrsmitteln zu vergeuden, selbst wenn sie dort einen Schwerbehindertensitz Platz beanspruchen kann. Hier ist auch zu sehen, dass allein die Einforderung eines Schwerbehindertensitzplatzes in den öffentlichen Verkehrsmitteln mittels Ausweis und erforderlichenfalls mündlichen Erläuterungen für den Betroffen nicht gerade als vergnüglich zu bezeichnen ist. Ob die Klägerin im Jahre 2010 aufgrund ihrer Gehbehinderung auch noch gestürzt ist (dies ist streitig), ist daher nicht mehr von Bedeutung und kann dahinstehen.
Dass im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung einzelne Positionen der Rechnung von Frau Dr. M.R. nicht ersatzfähig sind (EMDR und Homöopathie), ändert nichts an der Erforderlichkeit der ansonsten an diesen Tagen getätigten Behandlungen und kann daher die Ersatzfähigkeit der Taxikosten nicht zu Fall bringen.
4. Die Klägerin kann die Kosten der selbst beschafften Therapie für ausgleichende Punkt- und Meridian-Massage (APM-Massage) in Höhe von 700,00 € (Rechnung vom 11.02.14, Anlage K 75) nebst Taxikosten in Höhe von 410,00 € (Anlage K 76), in Summe also weitere 1.100,00 €, von der Beklagten verlangen. Die Behandlung war medizinisch erforderlich, wie der Sachverständige Dr. B. aus unfallchirurgischer Fachsicht in seiner Anhörung vom 10.11.15 überzeugend bestätigte (Protokoll Seite 3, Bl. 64 d.A. sowie oben unter I. 3. b) aa)). Hinsichtlich der vorliegenden Erforderlichkeit der Taxikosten wird verwiesen auf I. 3. c) ff).
5. Die Summe der unter 3. und 4. zugesprochenen Beträge ergibt 7.932,38 €. Dies ist der tenorierte Hauptsachebetrag unter I.
II.
Die Hauptsache ist in Höhe von weiteren 7.272,00 € erledigt. Dies war infolge der nur einseitigen Teilerledigungserklärung der Klägerin festzustellen. Es handelt sich um die von der Klägerin verauslagten Kosten der Osteopathie, nebst Fahrtkosten in Form von Taxikosten, urkundlich nachgewiesen mit den Anlagen K 45 bis K 74, bestehend aus den Einzelpositionen 322,00 €, 106,50 €, 350,00 €, 139,50 €, 350,00 €, 122,50 €, 350,00 €, 137,50 €, 350,00 €, 145,00 €, 350,00 €, 145,00 €, 350,00 €, 133,50 €, 350,00 €, 135,50 €, 350,00 €, 137,50 €, 350,00 €, 145,50 €, 350,00 €, 110,00 €, 350,00 €, 152,00 €, 350,00 €, 131,00 €, 350,00 €, 153,50 €, 350,00 € sowie 155,50 €. Die ursprüngliche Klage war insoweit zulässig und begründet, insbesondere medizinisch erforderlich, wie der Sachverständige Dr. B. aus unfallchirurgischer Fachsicht in seiner Anhörung vom 10.11.15 überzeugend bestätigte (Protokoll Seite 3, Bl. 64 d.A. sowie oben unter I. 3. b) aa)). Die tatsächliche Zahlung dieser Kosten durch die BGHW am 09.06.15 ohne Verordnung, rückwirkend und kulanzhalber war das erledigende Ereignis nach Rechtshängigkeit (Zustellung der Klage am 02.01.15) und führte, wie oben unter I. 2. d) am Ende beschrieben, zum gesetzlichen Forderungsübergang auf die BGHW nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
III.
Die Entscheidung zu den Zinsen fußt auf §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen des Verzuges waren unstreitig, insbesondere die eine Regulierung ablehenenden Schreiben der Beklagten vom 14.08.14 sowie 28.08.14 (Anlagen K 27 und K 28). Da die Klägerin die Hauptsache in Höhe von 7.272,00 € für erledigt erledigt hat, nicht aber die dazugehörigen Zinsen, waren die Zinsen bis zum Erledigungsereignis am 09.06.15 aus 15.204,38 € (6.822,38 € + 1.110,00 € + 7.272,00 €) zuzusprechen, nachdem die ursprüngliche Klage auch hinsichtlich des Teilerledigungsbetrages von 7.272,00 € zulässig und begründet war (siehe II.), danach aus 7.932,38 € (6.822,38 € + 1.110,00 €).
IV.
Soweit nicht zugesprochen, war die Klage im Übrigen abzuweisen. Dies betrifft hauptsächlich die hier vorgenommenen Kürzungen der Rechnungen Dr. M.R., aber auch eine geringfügige Zuvielforderung, die rechnerisch unschlüssig blieb (siehe schon Protokoll vom 09.07.15, Seite 2, Bl. 53 d.A.).
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
VI.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 709 Satz 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.