Aktenzeichen L 5 KR 601/15
SGB X § 103, § 104, § 105
SGB IX § 14
BGB § 242
Leitsatz
1 Ein erstangegangener Rehabilitationsträger, der seine Zuständigkeit geprüft und bejaht hat, ist hinsichtlich einer möglichen Korrektur auf die Erstattungsansprüche der §§ 103 und 104 SGB X begrenzt (ebenso BSG BeckRS 2007, 46154). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Aufnahme eines Rehaantrags durch einen Rehaträger als lediglich aufnehmende Stelle und anschließende Übermittlung an einen anderen Rehaträger ist keine Weiterleitung iSv § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X beschränkt sich auf die Fälle, in denen der Anspruch erst nach Erbringung der Leistung weggefallen ist; für eine erweiternde Auslegung des § 103 Abs. 1 SGB X über den Wortlaut hinaus besteht keine Notwendigkeit. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei Kenntnis der Unzuständigkeit oder bei grob fahrlässiger Unkenntnis entfällt der Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X; in diesem Fall handelt der unzuständige Leistungsträger treuwidrig (§ 242 BGB), so dass es rechtsmissbräuchlich wäre, die Leistungen auf den an sich zuständigen Leistungsträger abwälzen zu wollen (ebenso BSG BeckRS 1985, 30714367). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
5 Aus der Gemeinsamen Empfehlung – aller Rehabilitationsträger – über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens (“Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung”) kann kein Erstattungsanspruch hergeleitet werden. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 1 KR 347/14 ES FdV 2015-09-11 Urt SGLANDSHUT SG Landshut
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.09.2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.333,22 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Es besteht keine Anspruchsgrundlage für einen Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte.
1. Zunächst besteht kein Anspruch auf Erstattung der Rehakosten nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX.
§ 14 Abs. 4 SGB IX räumt dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Rehabilitationsträger ein. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der (erstangegangene) Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen (zweitangegangenen) Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen der Rehabilitationsträger festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften (§ 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX). Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vor (vgl. BSG, Urt. v. 26.06.2007, Az.: B 1 KR 34/06 R). Dieser scheitert im vorliegenden Fall jedoch bereits daran, dass die Klägerin die Leistung an die Versicherte nicht nach § 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX, also als zweitangegangener Rehabilitationsträger, sondern als erstangegangener Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX bewilligt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist ein erstangegangener Rehabilitationsträger, der seine Zuständigkeit geprüft und bejaht hat, hinsichtlich einer möglichen Korrektur auf die Erstattungsansprüche der §§ 103 und 104 SGB X begrenzt (vgl. BSG, Urteil vom 26.6.2007, Az.: B 1 KR 34/06 R, Rz. 21 ff nach juris).
Zwar ist festzustellen, dass die Beklagte den Antrag des Versicherten am 28.10.2008 aufgenommen und auf Bl. 3 Rückseite gestempelt sowie auf Bl. 1 mit ihrem Eingangsstempel versehen hat. Aber der Versicherte hat den Rehabilitationsantrag auf einem Formular der Klägerin (Vordruck G100) mit dem Logo und Schriftzug der Deutschen Rentenversicherung gestellt. Wie aus dem Formularteil Nr. 18 auf der Blattrückseite 3 zu ersehen ist, handelte es sich insoweit um ein Ausfüllen für den Versicherten zur „Antragstellung über die Krankenkasse“. Dementsprechend hat die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger ihre Zuständigkeit für die Prüfung und Bewilligung der stationären Rehabilitationsleistung bejaht und den Bescheid vom 14.11.2008 erlassen. Dieser Sachverhalt ist zwischen den Beteiligten auch nicht strittig. Die Beklagte hat damit in Erfüllung ihrer Pflichten aus §§ 13 ff, 16 Abs. 2 SGB I den Antrag lediglich als aufnehmende Stelle entgegengenommen. Dieses Vorgehen ist nicht unüblich und entspricht auch der Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) bestimmten Verfahrens (Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung) in der Fassung vom 8.11.2005, wonach keine Weiterleitung i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX vorliegt, wenn ein Rehabilitationsträger einen Antrag erkennbar für einen anderen Rehabilitationsträger aufnimmt (z.B. auf dessen Antragsvordrucken – vgl. § 2 Abs. 3 der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung).
Auch für eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 4 SGB IX ist vorliegend kein Raum. Es ist nicht zu erkennen, dass – neben den umfassenden Erstattungsregelungen der §§ 102 ff. SGB X – eine Regelungslücke besteht.
2. Es besteht auch kein Anspruch nach den allgemeinen Erstattungsvorschriften der Leistungsträger untereinander (§§ 102ff. SGB X).
a) Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor. Gemäß § 102 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Die Klägerin hat als Rehabilitationsleistungsträgerin Sozialleistungen erbracht, indem sie der Versicherten medizinische Leistungen zur Rehabilitation gewährt hat.
Der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X setzt voraus, dass der Leistungsträger auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Es muss also eine Vorschrift vorhanden sein, die den Leistungsträger ermächtigt oder verpflichtet, nach den Voraussetzungen der dortigen Vorschrift vorläufige Leistungen zu erbringen (z.B. § 43 SGB I, hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit § 2 Abs. 3 SGB X). Die vorläufige Leistung muss von dem Sozialleistungsträger ausdrücklich als solche erbracht worden sein (Grube in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 102 SGB X, Rn. 26). Dies ist vorliegend nicht gegeben, zumal der Bewilligungsbescheid vom 14.11.2008 nicht Entsprechendes enthält (aA SG Karlsruhe, Urt. v. 26.07.2016, Az.: S 14 KR 1317/15).
b) Es fehlt auch an den Tatbestandsvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 103 Abs. 1 SGB X.
Da die Klägerin als erstangegangener Träger die Rehaleistungen in Bejahung ihrer Zuständigkeit erbracht hat, ist § 103 SGB X als Anspruchsgrundlage zwar nicht grundsätzlich auszuschließen (BSG, Urt. v. 26.06.2007, a.a.O.), denn sie muss im Nachhinein zu einer Korrektur im Rahmen der Erstattung befugt sein. Gemäß § 103 SGB X ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger aber nur dann erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist, es sei denn, er hat bereits selbst geleistet bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat erbracht“) besteht dieser Erstattungsanspruch jedoch nur, wenn die Verpflichtung zur Leistungserbringung erst nachträglich, also nach Erbringung der Leistung entfällt (so übereinstimmend die Kommentarliteratur, vgl. Prange in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 103 SGB X, Rz. 40; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 103 SGB X Rz. 10, Kater in KassKomm, SGB X, § 103 SGB X Rz. 26; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, § 103 Rz. 5f.; Weber in BeckOK SozR, § 103 SGB X, Rz. 12; aA BayLSG, Urt. v. 27.02.2014, Az: L 4 KR 460/11). Dieses Tatbestandsmerkmal ist vorliegend nicht erfüllt.
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) werden Leistungen zur Teilhabe nicht für Versicherte erbracht, die eine Rente wegen Alters von wenigstens zwei Dritteln der Vollrente beziehen oder beantragt haben. Danach bestand zwar noch zum Zeitpunkt der Beantragung der Reha (am 28.10.2008) und der Bewilligung der Leistung Bescheid vom 14.11.2008) ein Anspruch des Versicherten gegen die Klägerin. Die Zuständigkeit entfiel aufgrund der Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI aber vor deren Durchführung (ab dem 29.12.2008), weil der Versicherte am 19.11.2008 eine Altersrente für Schwerbehinderte und damit eine Vollrente im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI beantragt hatte. Die Verpflichtung der Klägerin zur Leistungserbringung ist mit Eingang des Rentenantrags bei der Klägerin, damit ca. fünf Wochen vor Leistungserbringung entfallen.
Es besteht keine Notwendigkeit für eine erweiternde Auslegung des § 103 Abs. 1 SGB X über den Wortlaut hinaus. § 103 SGB X ist nur als ein technischer Annex des materiellen Sozialrechts mit seinen Antikumulationsregelungen zu sehen. Diese sollen die beteiligten Leistungsträger entsprechend dem ihnen zugewiesenen sozialen Risiko auf der Finanzierungsebene für den Sozialleistungsbedarf des Berechtigten (jeweils anteilig) in Anspruch nehmen. Für die Zukunft wird dies durch eine Anpassung der zuerst festgestellten Leistung mit Hilfe des sich z. B aus den §§ 45, 48 SGB X ergebenden Instrumentariums sichergestellt (s.u. Ziffer 4.). § 103 SGB X hat nur die Aufgabe, in der Vergangenheit eingetretene und – rückschauend betrachtet – materiell-rechtlich nicht gedeckte Finanzierungslasten im Verhältnis unmittelbar zwischen den Leistungsträgern zu korrigieren (Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 103 SGB X, Rz. 10). Im Verhältnis der Versicherungsträger untereinander gilt jedoch, dass sie im Hinblick auf die vielfältige gegenseitige Abhängigkeit von Sozialleistungen zur engen Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) und auch Rücksichtnahme auf die Belange des anderen Leistungsträgers verpflichtet sind. Hieraus folgt eine allgemeine, der Kooperationsbeziehung immanente Verpflichtung, eine Entscheidung zu korrigieren, die offensichtlich fehlerhaft ist und einem anderen Leistungsträger zum Nachteil gereicht, oder zumindest ihn so zu stellen, als wenn von Anfang an richtig entschieden worden wäre (vgl. BSG, Urt. v. 17.06.1993, Az.: 13/5 RJ 13/90).
c) Es besteht kein Anspruch nach § 104 SGB X. Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X sind nicht erfüllt. Die Klägerin ist als Rentenversicherungsträger kein nachrangig verpflichteter Leistungsträger gewesen, als sie die Leistung bewilligt hat. Vielmehr war sie selbst der zuständige verpflichtete Leistungsträger. § 40 Abs. 4 SGB V beruft die beklagte Krankenkasse nur zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 40 Abs. 1 und 2 SGB V, wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften solche Leistungen nicht erbracht werden können. An Ausnahmetatbeständen fehlt es, damit ist die Beklagte zunächst in einem Nachrangigkeitsverhältnis gestanden. Ab dem Eintritt des Ausschlusstatbestands nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI fällt die Zuständigkeit der Klägerin vollständig weg, sodass ab diesem Zeitpunkt kein Vorrang-/Nachrangverhältnis mehr denkbar ist. Somit gibt es zu keinem Zeitpunkt eine Vorrangigkeit der Beklagten.
d) Ein Anspruch nach § 105 SGB X ist ausgeschlossen.
§ 105 SGB X betrifft den Erstattungsanspruch des irrtümlich Leistenden und deshalb bei objektiver Betrachtung des von Anfang an unzuständigen Leistungsträgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger. Diese Anspruchsgrundlage ist gegenüber den anderen Erstattungsregelungen nur nachrangig anzuwenden, da die Leistung des unzuständigen Leistungsträgers von Anfang an ohne Rechtsgrund erfolgte. Die anderen Erstattungsansprüche behandeln hingegen Fallkonstellationen, in denen Leistungsträger zumindest anfänglich Leistungen in rechtskonformer Weise erbringen konnten.
Ein Erstattungsanspruch aus § 105 Abs. 1 SGB V scheitert daran, dass die Klägerin zunächst zuständig gewesen war, im Zeitpunkt der Leistungserbringung jedoch in Kenntnis – oder, wenn in Unkenntnis, aufgrund grober Fahrlässigkeit mangels Informationsaustausch der einzelnen Abteilungen im Hause der Klägerin – ihrer eigenen Zuständigkeit geleistet hat (Weber in BeckOK SozR, § 105 SGB X, Rz. 11f m.w.N.). Bei bewusster Kenntnis der Unzuständigkeit entfällt der Erstattungsanspruch; auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis. Ein Rentenversicherungsträgers hat über die Versicherungsnummern und Kontenspiegel die Möglichkeit, sämtliche Anträge und Verfahren ihres Versicherten zu überblicken. In diesem Fall handelt der unzuständige Leistungsträger treuwidrig (§ 242 BGB), denn der Grundsatz von Treu und Glauben besagt, dass der Erstattungsanspruch des § 105 SGB V ausgeschlossen ist, „wenn der unzuständige Leistungsträger sich bewusst über seine örtliche oder sachliche Unzuständigkeit hinwegsetzt oder in sonstiger Weise vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Rechtsnormen oder gegen schutzwürdige Interessen des zuständigen Leistungsträgers verstoßen hat“. Es wäre demnach in einem solchen Fall rechtsmissbräuchlich, die Leistungen auf den an sich zuständigen Leistungsträger abwälzen zu wollen (BSG, Urt. v. 17.7.1985, Az.: 1 RA 11/84). Jede andere Auffassung würde die differenzierte Aufgabenverteilung im gegliederten Sozialleistungssystem ad absurdum führen (Roos in v. Wulffen/Schütze, SGB X § 105 Rz. 10).
3. Die Klägerin kann keinen Anspruch aus der Gemeinsamen Empfehlung – aller Rehabilitationsträger – über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens („Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitserklärung“) herleiten.
Die auf den Sachverhalt anwendbare Fassung der Empfehlung vom 08.11.2005 regelt hinsichtlich der Erstattung (§ 5) nur das Szenario der Antragsweiterleitung. Dieses liegt nicht vor. Auch auf die Folgefassung (vom 28.09.2010, Inkrafttreten am 01.12.2010) kann sich die Ansicht der Klägerin, unabhängig von dem Rechtscharakter und der intertemporalen Anwendbarkeit der Empfehlung, nicht stützen. In § 5 S. 2 ist Folgendes geregelt: „Außerdem kann der erstangegangene Träger, wenn der Anspruch auf Rehabilitation durch Eintritt eines gesetzlichen Ausschlussgrundes nachträglich entfallen ist, einen Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X gegen den zuständigen Träger geltend machen“. Aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 103 SGB X gilt auch hier die Beschränkung auf die Fälle, in denen der Anspruch erst nach Erbringung der Leistung weggefallen ist (aA Bayer. LSG, Urt. v. 27.02.2014, a.a.O.). Dem Wortlaut der Empfehlung ist nicht zu entnehmen, dass die Rehabilitationsträger auch den Fall des Wegfalls der Zuständigkeit vor der Leistungserbringung erfasst haben.
4. Das Ergebnis entspricht den gesetzlichen Wertungen der Risikoverteilung zwischen den Leistungsträgern.
a) Die Klägerin hätte es – in Gegensatz zur Beklagten – in der Hand gehabt, die Leistungserbringung gegenüber dem Versicherten zu verweigern.
aa) Die Klägerin weist selbst darauf hin, den Bewilligungsbescheid mit einer auflösenden Bedingung versehen zu haben. Dabei kann offenbleiben, inwieweit die Nebenbestimmung den Anforderungen des § 32 Abs. 2 SGB X entspricht, weil die Klägerin zu keinem Zeitpunkt von der Bedingung gebrauch gemacht hat. Zudem hätte sie die Möglichkeit gehabt, sich im Bescheid einen Widerruf (§ 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X) für den Fall der Rentenantragstellung vorzubehalten.
bb) Die Klägerin wäre berechtigt gewesen, den Bewilligungsbescheid nach § 48 SGB X aufzuheben.
Der Reha-Bewilligungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Dauerwirkung zeitigt ein Verwaltungsakt, der sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert (siehe die Begründung zu § 43 Abs. 3 des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 8/2034). Eine Dauerwirkung ist bereits dem Verwaltungsakt beizumessen, der in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus Wirkung entfaltet (BSG, Urt. v. 16. 02. 1984, Az.: 1 RA 15/83 unter Hinweis auf die Legaldefinition in § 31 SGB X; BSG, Urt. v. 28. 09.1999, Az.: B 2 U 32/98 R), bzw. dessen rechtliche Wirkungen sich über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse zeitliche Dauer erstrecken (BSG, Urt. v. 30. 01.1985, Az.: 1 RJ 2/84). An die Dauer sind also keine zu strengen Anforderungen zu stellen, in Betracht kommen auch zeitlich begrenzte Sozialleistungen und zwar selbst dann, wenn sie lediglich für eine kurze Zeitspanne bewilligt werden.
Durch die Rentenantragstellung des Versicherten am 19.11.2008 haben sich die tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich eines Anspruchs auf Rehaleistung zu Lasten der Rentenversicherung wesentlich geändert. Aufgrund von § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI hätte der Bescheid vom 14.11.2008 in dieser Form ab Eingang des Rentenantrags bei der Klägerin in dieser Form nicht mehr ergehen dürfen. Daher war die Bewilligung mit Wirkung für die Zukunft im Rahmen einer gebundenen Entscheidung aufzuheben (§ 48 Abs. 1 S.1 SGB X). Hinsichtlich zukünftiger Leistungen, d.h. Leistungen, die nach Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids gewährt werden sollen, vorliegend die Gewährung der gesamten Rehaleistungen, hätte dem Versicherten auch kein Vertrauensschutz zugestanden.
b) Es kann im Ergebnis offenbleiben, ob die Klägerin durch § 14 Abs. 1 SGB IX verpflichtet gewesen wäre, mangels zeitgerechter Weiterleitung zu prüfen, ob bei einem Wegfall der Voraussetzungen nach einer Bewilligung gemäß SGB VI und einer Beseitigung der Bewilligung (durch § 32 Abs. 2 Nr. 3 oder § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X) ein Anspruchs des Versicherten nach dem SGB V besteht, denn die Klägerin hat ausschließlich die Anspruchsgrundlage der Leistungen nach dem SGB VI geprüft und die entsprechenden Leistungen in der Folge erbracht.
In diesen Fällen findet § 14 SGB IX keine Anwendung. § 14 SGB IX soll im Interesse behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen durch rasche Klärung von Zuständigkeiten Nachteilen des gegliederten Systems entgegenwirken. Streitigkeiten über Zuständigkeitsfragen einschließlich der vorläufigen Leistungserbringung bei ungeklärter Zuständigkeit oder bei Eilbedürftigkeit sollen nicht mehr zulasten der behinderten Menschen bzw. der Schnelligkeit und Qualität der Leistungserbringung gehen. Die zeitgerechte, zügige Erbringung von Leistungen zur Teilhabe liegt im Interesse der Leistungsberechtigten, aber auch der zuständigen Rehabilitationsträger (BT-Drucks. 14/5074 S. 102 f.). Jedoch kann eine Bestimmung der Zuständigkeit im Außenverhältnis nicht auf das Innenverhältnis der Rehaträger untereinander übertragen werden.
aa) Die Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB IX gilt nur, wenn sich auf den Leistungsgesetzen nichts anderes ergibt (§ 7 SGB IX). Obgleich mit dem SGB IX angestrebt wird, die Leistungen im Dienste des Teilhabeziels so weit wie möglich zu vereinheitlichen, erweitert das SGB IX das Leistungsspektrum nicht über die trägerspezifischen Leistungsgrenzen heraus (vgl. Luthe in jurisPK-SGB IX, § 7, Rz. 11). Ausschlussgründe, wie vorliegend § 12 SGB VI, gehen der Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX vor (Luthe in jurisPK-SGB VI, § 12, Rz. 39). Im Recht der Rentenversicherung ergeben sich die Voraussetzungen der Leistungen aus den §§ 9 -12 SGB VI, denn die Eigenarten der rentenrechtlichen Rehavoraussetzungen genießen gegenüber dem SGB IX Vorrang (vgl. z.B Jabben in BeckOK SozR, § 7 SGB IX, Rz. 4).
bb) Ein besonderes Schutzbedürfnis des Versicherten, zügig und zeitgerecht Leistungen zur Teilhabe zu erhalten, ist vorliegend auch nicht zu erkennen. Der Versicherte hat in seinem Rehaantrag am 28.10.2008 erklärt, in den nächsten sechs Monaten keinen Rentenantrag zu stellen. Mit Bescheid vom 14.11.2008 ist die Rehamaßnahme bewilligt worden, jedoch zugleich mitgeteilt worden, dass die Zuständigkeit der Rentenversicherung bei Rentenantragstellung nicht mehr gegeben sei. Unmittelbar nach Erhalt der Bewilligung (19.11.2008) hat der Versicherte in Kennenmüssen oder Kenntnis davon, dass die Rehamaßnahme bewilligt worden ist, um die Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit oder sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern, einen Rentenantrag gestellt. Es wäre also dem Versicherten ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen, nach dem Eintritt der auflösenden Bedingung, nach einem Widerruf oder der Aufhebung des Bewilligungsbescheids einen Neuantrag bei der Beklagten auf medizinische Reha nach dem SGB V zu stellen und die Entscheidungsfristen abzuwarten.
c) Letztlich darf der Beklagten durch die Erstattungsregelungen nicht das Recht auf Ermessensausübung verwehrt werden.
Das leistungsrechtliche Ermessen eines Sozialträgers kann durch die Bestimmungen des SGB IX oder die allgemeinen Erstattungsregelungen des SGB X nicht außer Kraft gesetzt werden. Rechtsgrundlage für eine Leistungserbringung durch die Beklagte ist §§ 11 Abs. 2, 40 SGB V. Nach § 40 Abs. 1 SGB V erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht. Dazu entscheidet die Krankenkasse in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens das „Wie“ (Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung) der Maßnahme (§ 40 Abs. 3 S. 1 SGB V). Das bezüglich der Art und Weise der Leistungserbringung bestehende Auswahlermessen lässt der Kasse nach §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG einen Freiraum, unter verschiedenen Rechtsfolgen nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Einzelfallverhältnisse auszuwählen. Die Ermessenausübung eines Leistungsträgers kann durch die Erstattungsvorschriften zumindest dann nicht umgangen werden, wenn der bewilligende Leistungsträger nicht zur Leistung verpflichtet ist bzw. die Erbringung der Leistung durch Widerruf oder Aufhebung verhindern kann. Dies gilt im Hinblick auf die Kooperations- und Rücksichtnahmepflichten der Leistungsträger untereinander auch dann, wenn der Zweck einer medizinischen Rehamaßnahme zu den gleichen Ergebnissen führen soll.
Zudem kann unter folgenden Aspekten die Durchführung einer Rehamaßnahme nach den gesetzlichen Vorschriften bzw. den Leitlinien mit Normcharakter je nach Leistungsträger variieren:
aa) Das Vorrangverhältnis der ambulanten Leistungserbringung im SGB V (§ 40 Abs. 2 SGB V) ist allein von medizinischen Gründen geprägt, während im Recht der Rentenversicherung über § 19 Abs. 2 SGB IX die Flexibilität nach dem Bedürfnissen des Versicherten, insbesondere im Hinblick auf die familiäre Situation, im Vordergrund steht (BT-Drucks. 14/5074 S. 104). Vorliegend ist aus den Akten nicht machvollziehbar, aus welchen Gründen der Prüfarzt der Klägerin die stationäre Reha einer ambulanten, bspw. in Form einer multimodalen Schmerztherapie vorgezogen hat.
bb) Im Hinblick auf die Dauer der Maßnahme sehen SGB V und SGB VI eine Dauer von längstens drei Wochen vor (§ 40 Abs. 3 S. 2 SGB V, 15 Abs. Abs. 3 SGB VI). Die Festlegung einer Regel-Obergrenze fixiert im Wege einer Soll-Vorschrift klar die Dauer, die nur unter den genannten strengen Voraussetzungen erweitert werden kann (vgl. BSG, Urt. v. 30.5.2006, Az.: B 1 KR 17/05 R). Vorliegend ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen dem Versicherten von vorneherein eine fünfwöchige Maßnahme bewilligt wurde. Nach den Begutachtungsrichtlinien „Vorsorge und Rehabilitation“ des GKV-Spitzenverbandes (vom Oktober 2005) sind längere Maßnahmen regelmäßig nur bei neurologischen Akuterkrankungen und Abhängigkeitserkrankungen angezeigt.
Im Ergebnis sprechen sowohl der Wortlaut der Erstattungsvorschriften und die in § 105 SGB X zum Ausdruck kommende Wertung gegen einen Erstattungsanspruch der Beklagten. Die Zielrichtung des § 14 SGB IX ist dadurch nicht gefährdet. Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, §§ 47 Abs. 1 S.1, § 154 Abs. 1 VwGO.
6. Der Streitwert basiert auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, §§ 47 Abs. 1 S.1, 52 Abs. 1 GKG unter richtet sich nach dem mit der Einlegung der Berufung (Schreiben der Klägerin vom 21.12.2015) gestellten Antrag.
7. Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 1 iVm Abs. 2 SGG).