Aktenzeichen Au 4 K 17.32375
Leitsatz
1 Mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG darstellen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei Krankheitsfällen iRv § 60 Abs. 7 AufenthG sind als medizinische Fachfragen entscheidungserheblich die Diagnose von Art und Schwere der Erkrankung sowie die prognostische Einschätzung des Krankheitsverlaufs bzw. der gesundheitlichen Folgen nach Rückkehr in das Heimatland im Lichte der dortigen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für den Fall, dass die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt, soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch nach der Neufassung des § 60 Abs. 7 AufenthG ein Abschiebungsverbot angenommen werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die psychiatrische Versorgung in Pakistan ist, gemessen an europäischen Standards, dürftig, 90% der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit sind privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch, es besteht ein akuter Mangel an psychosozialen Fachkräften und ein relativ geringer Bewusstseinsstand für psychische Gesundheit. Schließlich halten das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie Personen davon ab, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. April 2017, Az. 7021725-461, wird in den Ziffern 4 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Da die Klägerseite rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt hat, gilt der Gerichtsbescheid vom 13. November 2018 als nicht ergangen (§ 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der begehrten Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet; insoweit und damit auch hinsichtlich der in Nr. 5 und Nr. 6 getroffenen Entscheidungen ist der streitgegenständliche Bescheid vom 21. April 2017 rechtswidrig. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil dem Kläger die sonst geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Hinsichtlich des Nichtbestehens von Ansprüchen auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes folgt das Gericht gem. § 84 Abs. 4 VwGO der Begründung des in dieser Sache ergangenen Gerichtsbescheids vom 13. November 2018 und sieht insoweit von einer Darstellung ab. Dabei kann offen bleiben, ob angesichts der sogleich zu erörternden gesundheitlichen Situation des Klägers in vollem Umfang auf den Ausführungen im Gerichtsbescheid zum Bestehen internen Schutzes gem. § 3e AsylG (hinsichtlich des subsidiären Schutzes i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) festzuhalten ist, da im Gerichtsbescheid die klägerseits geltend gemachten Ansprüche nicht allein unter diesem Gesichtspunkt verneint wurden. Im Übrigen hat der Kläger vor dem Bundesamt allein eine private Familienfeindschaft wegen einer Grundstücksangelegenheit geltend gemacht (vgl. zusammenfassend Anhörungsniederschrift Bundesamt S. 5). Insoweit ist eine landesweite Bedrohensmächtigkeit der klägerischen Verwandten ebenso wenig erkennbar wie das Vorliegen der Voraussetzungen, die § 3c Nr. 3 AsylG für eine Verfolgung (§ 3 Asyl) bzw. Bedrohung (§ 4 AsylG) durch nichtstaatliche Akteure aufstellt.
Jedoch steht dem Kläger nach den im gem. § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Erkenntnissen ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Für den Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt ebenfalls der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 – 10 B 20/10 – juris Rn. 6).
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis i.R.v. § 60a Abs. 2-5 AufenthG berücksichtigt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris Rn. 9).
Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3/11 – BVerwGE 142, 179 – juris Rn. 34; B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a. – juris Rn. 3; U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – BVerwGE 127, 33 – juris Rn. 15; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 105, 383 – juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 ZB 15.30054 – juris Rn. 10 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris).
Der Gesetzgeber geht nunmehr in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausdrücklich davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG n.F. darstellen (amtliche Begründung zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG n.F., BT-Drs. 18/7538, S. 18; vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 10). Bereits nach der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG a.F. galt, dass eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen ist, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 ZB 15.30054 – juris Rn. 10 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris).
Ein strengerer Maßstab als bei direkter Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt in Krankheitsfällen ausnahmsweise nur dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt allerdings bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es – etwa bei AIDS – um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht. In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer – entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall – landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – BVerwGE 127, 33 – juris Rn. 16).
Bei individuellen Gefahren können die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG demnach bereits dann erfüllt sein, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert, da die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind. Dies kann etwa der Fall sein, soweit eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich jedoch darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3/11 – BVerwGE 142, 179 – juris Rn. 34; B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris Rn. 4; U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris Rn. 9).
Mit dem Begriff der „alsbaldigen“ Verschlimmerung ist einerseits kein in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, U.v. 27.4.1998 – 9 C 13.97 – InfAuslR 1998, 409), andererseits aber auch keine sofortige, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebungszielstaat eintretende Entwicklung (BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 326). Für die alsbaldige Verschlechterung muss eine beachtliche Wahrscheinlichkeit sprechen (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 329); dies ergibt sich bereits aus dem Gefahrbegriff (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – BVerwGE 71, 180 – juris Rn. 17). Es müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr vorliegen (BVerfG, B.v. 31.5.1994 – 2 BvR 1193/93 – NJW 1994, 2883 – juris Rn. 13). Eine zukünftige Entwicklung ist dann beachtlich wahrscheinlich, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Entwicklung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162; vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 23.7.2014 – 19 B 12.1073 – juris Rn. 34).
Letztlich sind bei Krankheitsfällen i.R.v. § 60 Abs. 7 AufenthG als medizinische Fachfragen entscheidungserheblich die Diagnose von Art und Schwere der Erkrankung sowie die prognostische Einschätzung des Krankheitsverlaufs bzw. der gesundheitlichen Folgen nach Rückkehr in das Heimatland im Lichte der dortigen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a. – juris Rn. 4).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) davon auszugehen, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zumindest in verfassungskonformer Anwendung, gegeben sind.
Anders als noch im Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheids liegen nunmehr – zumindest im Wege einer Gesamtschau – zureichende, i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG qualifizierte, ärztliche Bescheinigungen betreffend die Erkrankung des Klägers in psychischer Hinsicht vor. Insbesondere der in der mündlichen Verhandlung übergebene Arztbrief der Bezirkskliniken Schwaben vom 28. Januar 2019 weist – in psychischer Hinsicht – eine Anpassungsstörung, eine organische affektive Störung, eine organische wahnhafte Störung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung aus. Näher substantiiert worden war die diagnostische Einordnung bereits mittels ärztlichen Attests vom 27. November 2018. Aus den eingereichten ärztlichen Unterlagen ergibt sich weiter, dass der Kläger mehrfach – teilweise über mehrere Wochen – in stationärer Behandlung im Bezirkskrankenhaus Augsburg gewesen ist (24.4. bis 23.5.2019; 25.11. – 21.12.2018; 20.1.2019 – 28.1.2019), zum Teil nach beabsichtigten suizidalen Handlungen. Der Kläger befindet sich gemäß der in der mündlichen Verhandlung übergebenen Therapiebestätigung Refugio vom 11. März 2019 (auf die Versorgung durch diese verweist der Arztbrief des Bezirkskrankenhauses Augsburg vom 28.1.2019, S. 3) weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung. Nach dieser Bestätigung ist der Kläger ebenso in psychiatrischer Behandlung in der Ambulanz des Bezirkskrankenhauses; dementsprechend richtet sich der Arztbrief vom 28. Januar 2019 an die weiterbehandelnden Kollegen der dortigen psychiatrischen Institutsambulanz. Angesichts der danach akut therapiebedürftigen psychischen Erkrankungen des Klägers, die auch schon mehrfach zu stationären Aufenthalten in einer spezialisierten Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik geführt haben, bestehen für das Gericht nunmehr am Vorliegen von zumindest i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG schwerwiegenden Erkrankungen keine Zweifel.
Zwar beruhen die ärztlichen Aussagen auch auf Angaben des Klägers zu dem von ihm in Pakistan Erlebten, welche das Gericht, wie im Gerichtsbescheid (Rn. 15 f.; vgl. auch Rn. 21) ausgeführt, nicht für stimmig hält. Allerdings ist beim Kläger nicht nur eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden, bei der die Frage, ob das Vorbringen des Klägers zum belastenden Ereignis glaubhaft ist, Sache des Tatrichters ist (vgl. Gerichtsbescheid, Rn. 21). Im Übrigen ist das Klägervorbringen ärztlicherseits mehrfach als wahnhaft, z.T. auch als paranoid-halluzinatorisch, eingestuft worden (ärztliche Atteste bzw. Briefe des Bezirkskrankenhauses Augsburg vom 14.8.2018, 27.11.2018 und vom 29.1.2019), so dass es ausweislich ärztlicher Beurteilung für die beim Kläger diagnostizierten Krankheitsbilder nicht entscheidend darauf ankommt, ob das vom ihm Vorgebrachte sich tatsächlich so zugetragen hat. Dementsprechend wird ärztlicherseits auch berücksichtigt, dass der Kläger in das von ihm vorgebrachte Verfolgungserleben sogar die ärztlichen Behandler einbezieht, die mit seinem Bruder in Pakistan in Verbindung stehen könnten (Arztbrief vom 29.1.2019, S. 2 und S. 3).
Die Erkrankungen des Klägers würden sich auch i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern. Insoweit steht im vorliegenden Fall nicht allein eine Gefahr durch die Abschiebung als solche als inländisches Vollstreckungshindernis im Raume. Denn ärztlicherseits wird – für das Gericht nicht in Frage zu stellen – zu den beim Kläger gestellten Diagnosen nicht (nur) eine Angst vor der Abschiebung, sondern (ggfs. auch wahnhaft) eine Verfolgung durch Angehörige in Pakistan angeführt (vgl. erneut Arztbrief vom 29.1.2019, S. 2 und S. 3). Konkret ist im ärztlichen Attest vom 27. November 2018 (S. 9) ausgeführt worden, dass die Stressbelastung im Falle einer erzwungenen Abschiebung mit größter Wahrscheinlichkeit eine Exazerbation der Psychose mit starken psychotischen Ängsten und auch einem hohen Risiko für suizidale Handlungen zur Folge hätte. Gerade für den hier ausweislich ärztlicher Beurteilung anzunehmenden Fall, dass die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt, soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch nach der Neufassung des § 60 Abs. 7 AufenthG ein Abschiebungsverbot angenommen werden (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18).
Vor diesem Hintergrund steht dem Vorliegen eines Abschiebungsverbots nicht entgegen, dass in Pakistan in staatlichen Krankenhäusern bei – nicht weiter zu begründender – Bedürftigkeit kostenlose Behandlungsmöglichkeiten bestehen, dass die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt ist und dass diese Versorgung mit Blick auf die Kosten für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.8.2018, Nr. IV.1.2, S. 24) und dass gem. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die medizinische Versorgung in Pakistan nicht mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig zu sein braucht.
Im Übrigen lässt sich aus allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen schließen, (EASO, Länderüberblick Pakistan, August 2015, Nr. 1.7.4, S. 42, abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/BZ0415498DEN1.pdf) und wurde in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeitet (VG Bayreuth, U.v. 29.1.2018 – B 5 K 16.31983 – juris Rn. 26 m.w.N.), dass die psychiatrische Versorgung in Pakistan, gemessen an europäischen Standards, dürftig ist, dass 90% der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch sind, dass ein akuter Mangel an psychosozialen Fachkräften und ein relativ geringes Bewusstseinsstandes für psychische Gesundheit besteht, und dass das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie Personen davon abhält, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Dem ist die Situation des Klägers gegenüberzustellen, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) akut psychotherapeutisch und ambulant psychiatrisch behandlungsbedürftig ist. Eine signifikante Änderung seines Gesundheitszustands ist nicht erkennbar, so dass auch das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einer auf psychische Erkrankungen spezialisierten Klinik, wie mehrfach im vergangenen Jahr, jederzeit wieder möglich erscheint. Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass für den Kläger diese derzeit für ihn nötige medizinische Versorgung (Psychotherapie, ambulante psychiatrische Behandlung, Bereitstehen eines Platzes, wenn und sobald erforderlich, für einen stationären Krankenhausaufenthalt) bei der beschriebenen medizinischen Versorgungslage in Pakistan in Bezug auf psychische Erkrankungen gewährleistet wäre. Nachdem sich aus den klägerseits vorgelegten Bestätigungen nicht ergibt, dass sich bisher trotz der mehrfachen und laufenden medizinischen Behandlung eine signifikante Verbesserung seines Gesundheitszustands ergeben hat, muss auch davon ausgegangen werden, dass sich seine Krankheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Folge der Abschiebung, nämlich wegen des Nichtzurverfügungstehens der erforderlichen medizinischen Behandlung, wesentlich, zumal lebensbedrohend, verschlechtern würde (vgl. im Übrigen erneut ärztliches Attest vom 27.11.2018, unter Nr. 4). Von einer maßgeblichen Unterstützung des Klägers, die notwendige Behandlung zu erreichen, durch Verwandte kann nicht ausgegangen werden. Zum einen ist der Gesundheitszustand des Klägers nach ärztlicher Beurteilung gerade auf eine – wenn auch wohl wahnhaft – angenommene Verfolgung durch Angehörige zurückzuführen. Zum anderen ist selbst, wenn von einer gewissen finanziellen Unterstützung durch Dritte ausgegangen würde, nicht anzunehmen, dass objektiv betrachtet die für den Kläger derzeit erforderlichen Behandlungskapazitäten in Pakistan vorhanden wären. Schließlich stellt in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung in Pakistan auch der streitgegenständlichen Bescheid (vgl. S. 9 f.) nicht auf eine Unterstützung des Klägers durch Dritte ab.
Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt daher vor.
Ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 – LS 1, juris).
Die Gewährung von Abschiebungsschutz hat zur Folge, dass sich die in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG) und damit auch die Befristungsentscheidung in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG) als rechtswidrig erweisen und aufzuheben waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und trägt den jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten Rechnung. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.