Medizinrecht

Geltendmachung einer Prüfungsunfähigkeit

Aktenzeichen  Au 8 K 18.1003

Datum:
2.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18919
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayHSchG Art. 49 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Die Notwendigkeit der unverzüglichen Geltendmachung einer Prüfungsunfähigkeit gilt auch für den Prüfungsbewerber, der tatsächlich prüfungsunfähig war und in diesem Zustand an der Prüfung teilgenommen hat. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2 An die Unverzüglichkeit der Geltendmachung einer Prüfungsunfähigkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Mitwirkungspflicht des Prüfungsbewerbers gebietet es, dass er sich bei jedem Zweifel an seiner Prüfungsfähigkeit unverzüglich um eine (ärztliche) Aufklärung seines Gesundheitszustands bemüht und diese der Prüfungsbehörde mitteilt (ebenso BayVGH BeckRS 2007, 29040). (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger ist in den Prüfungsfächern „Volkswirtschaftslehre“, „Betriebswirtschaftslehre“ und „Englisch I“ zum Abschluss des ersten Studiensemesters (SS 2017) zu den Prüfungen ohne Angabe von Gründen nicht erschienen, obwohl der Kläger für diese Prüfungsfächer nach § 5 Abs. 1 Satz 2 APO (i.V.m. § 31 Abs. 1 APO, Teil B der APO für Module im Bachelorstudiengang „Wirtschaftsingenieurwesen“) als angemeldet gegolten hat. Die Prüfungsleistung in diesen Fächern hat die Beklagte deshalb nach § 11 Abs. 1 Satz 1 APO mit „nicht ausreichend“ bewertet.
Das gleiche gilt für das Prüfungsfach „Ingenieurgrundlagen“, in dem der Kläger zum Abschluss des ersten Studiensemesters (SS 2017) ebenfalls nicht an der (verpflichtenden) Modulprüfung (§ 5 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 APO) teilgenommen hat.
2. Gemäß § 13 Abs. 3 APO hat der Kläger die nach dem Abschluss des ersten Studiensemesters nicht bestandenen Prüfungen in den vier vorgenannten (Modul-) Prüfungsfächern im nächsten regulären Prüfungstermin im jeweiligen Prüfungsfach zu wiederholen, vorliegend also zum Abschluss des zweiten Studiensemesters (WS 2017/2018).
a) In den Prüfungsfächern „Volkswirtschaftslehre“, „Betriebswirtschaftslehre“ und „Englisch I“ ist der Kläger ohne Angabe eines Grundes zu den Prüfungen am 6. Februar 2018 und am 8. Februar 2018 nicht erschienen. Die Prüfungsleistungen sind somit nach § 11 Abs. 1 Satz 1 APO als „nicht ausreichend“ zu bewerten, so dass in diesen drei (Modul-)Prüfungsfächern (vgl. § 31 Abs. 1 APO) auch die jeweils erste Wiederholungsprüfung als nicht bestanden zu werten ist.
Für diese Prüfungsfächer hat der Kläger auch nachträglich – unabhängig von der Frage der Rechtzeitigkeit – keinen Rücktritt oder einen Grund für das Versäumnis erklärt. Die im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Atteste treffen jedenfalls für diese beiden Prüfungstage keine Aussage.
In diesen drei Prüfungsfächern konnte auch keine (nachträgliche) Anrechnung von Studienleistungen aus dem vom Kläger zuvor belegten Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik“ nach § 14 Abs. 2 APO erfolgen, wie sie der Kläger mit dem Widerspruchsschreiben vom 15. März 2018 erstmals bei der Beklagten beantragt hat.
Die Anrechnung von Studien- und Prüfungsleistungen auf Antrag des Studierenden ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 APO möglich. Diese Anrechnung ist jedoch nach § 14 Abs. 2 Satz 1 a.E. APO dann ausgeschlossen, wenn die Prüfungsleistungen in diesen Fächern bereits als nicht bestanden gewertet worden sind. Dies ist vorliegend deshalb der Fall, weil mit der Nichtteilnahme des Klägers an diesen Prüfungen zum Abschluss des ersten Studiensemesters diese als (erstmals) nicht bestanden gewertet worden sind.
b) In dem vierten (Modul-) Prüfungsfach „Ingenieurgrundlagen“ hat der Kläger am 29. Januar 2018 an der Prüfung teilgenommen, er hat die Prüfung nicht bestanden (Note 5). Von dieser Prüfung konnte der Kläger nicht wirksam zurücktreten, da er die von ihm vorgetragene unerkannte Prüfungsunfähigkeit nicht unverzüglich im zeitlichen Zusammenhang mit der Prüfung vom 29. Januar 2018 schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht hat.
aa) Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 APO ist der Rücktritt von einer Prüfung unverzüglich schriftlich anzuzeigen und glaubhaft zu machen. Bei Krankheit als Rücktrittsgrund ist ein ärztliches Attest vorzulegen, das die medizinischen Befundtatsachen enthält und die Umstände nennt, die für die Beurteilung der Prüfungsunfähigkeit erheblich sind (§ 11 Abs. 2 Satz 2 APO). Das ärztliche Attest muss auf einer Untersuchung beruhen, die vor oder am Tag der jeweiligen Prüfung erfolgt ist (§ 11 Abs. 2 Satz 3 APO). Eine während der Prüfung eintretende Prüfungsunfähigkeit muss unverzüglich bei der Prüfungsaufsicht geltend gemacht werden, die Pflicht zur nachträglichen schriftlichen Anzeige und Glaubhaftmachung bleibt davon unberührt (§ 11 Abs. 2 Satz 5 APO).
Diese formalen Voraussetzungen für die Anzeige und die Glaubhaftmachung der Prüfungsunfähigkeit sind dem Kläger über das Intranet der Beklagten bekanntgegeben worden. Nach dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Auszug der Beklagten aus dem den Studierenden zugänglichen Intranet-Bereich und dem zugehörigen Informationsschreiben der Hochschule an die Studierenden (Bl. 74 ff. der Gerichtsakte) sind die Notwendigkeit einer unverzüglichen Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit dem Kläger bekannt gewesen.
bb) Die Notwendigkeit einer unverzüglichen Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit gilt auch für den Prüfungsbewerber, der tatsächlich prüfungsunfähig war, und in diesem Zustand an einer Prüfung teilgenommen hat. Denn eine den Grundsatz der Chancengleichheit zu Lasten der Mitbewerber verletzende zusätzliche Prüfungschance verschafft sich nicht nur der Prüfungsbewerber, der durch eine nachträglich vorgetäuschte Prüfungsunfähigkeit die Genehmigung des Rücktritts erreicht, sondern auch derjenige, der tatsächlich prüfungsunfähig war, sich aber in Kenntnis seines Zustands der Prüfung unterzogen hat, um sich im Falle des Misserfolgs durch den nachträglich erklärten Rücktritt den Rechtswirkungen der fehlgeschlagenen Prüfung zu entziehen (BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 7 ZB 06.509 – juris Rn. 12).
cc) Der Kläger hat es unter Beachtung dieser Anforderungen unterlassen, die geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen.
Nach dem E-Mail-Verkehr des Klägers mit dem Prüfungsreferat der Beklagten hat der Kläger am 12. Februar 2018 (Bl. 12 der Behördenakte) dem bereits am 25. Januar 2018 gestellten „Härtefallantrag“ das ärztliche Attest vom 9. Februar 2018 (Bl. 6 der Behördenakte), aus dem sich eine Prüfungsunfähigkeit für den Prüfungstag am 29. Januar 2018 ergibt, beigefügt. Damit ist der Beklagten zwar – entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung, dass dies erst mit dem Widerspruchsschreiben vom 15. März 2018 der Fall gewesen sein soll – erstmals am 12. Februar 2018 eine Prüfungsunfähigkeit des Klägers bekannt geworden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob mit dem „Härtefallantrag“ bereits eine eindeutige Willenserklärung (zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 7 ZB 06.509 – juris Rn. 13) gegenüber der Prüfungsbehörde zum Rücktritt von der Prüfung vom 29. Januar 2018 zum Ausdruck gebracht worden ist. Denn jedenfalls war auch der mit dem Schreiben vom 12. Februar 2018 erst nach zwei Wochen nach dem Prüfungstag vom 29. Januar 2018 erklärte Rücktritt von der Prüfung nicht mehr unverzüglich.
Für das zeitliche Kriterium der „Unverzüglichkeit“ ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Mitwirkungspflicht des Prüfungsbewerbers gebietet es, dass er sich bei jedem Zweifel an seiner Prüfungsfähigkeit, unabhängig von einer zutreffenden Einschätzung der Auswirkungen der Erkrankung, unverzüglich um eine (ärztliche) Aufklärung seines Gesundheitszustandes bemüht und diese der Prüfungsbehörde mitteilt (BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 7 ZB 06.509 – juris Rn. 12).
Der Kläger hat sich am 31. Januar 2018 in ärztlicher Behandlung befunden. Dies geht aus dem von ihm im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Attest vom 31. Januar 2018 (Bl. 57 der Gerichtsakte) hervor. In diesem ärztlichen Attest wird dem Kläger wegen „posttraumatischer Kopfschmerzen“ Prüfungsunfähigkeit für diesen Tag attestiert. Die Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit auch für die Prüfung am 29. Januar 2018 und deren ärztliche Bestätigung zur Glaubhaftmachung wäre dem Kläger damit erkennbar bereits im Zusammenhang mit dieser ärztlichen Untersuchung möglich gewesen.
Hinzu kommt, dass dem Kläger aufgrund des ihm gewährten Nachteilsausgleichs im Rahmen des Studiengangs „Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik“ und seines nunmehr am 23. Januar 2018 im jetzigen Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen“ erneut beantragten Nachteilsausgleichs bekannt gewesen ist, dass Zweifel an seiner uneingeschränkten Prüfungsfähigkeit bestehen. Vor diesem Hintergrund ist ein Zuwarten des Klägers zur ärztlichen Klärung der Prüfungsfähigkeit für die von ihm abgelegte Prüfung vom 29. Januar 2018 bis zum 9. Februar 2018 in keiner Weise nachvollziehbar.
Hieran ändert auch das am 26. April 2019 vorgelegte ärztliche Attest vom 28. März 2019 nichts. Das Attest, das dem Kläger eine unzureichende Fähigkeit zur Selbsteinschätzung bescheinigt, die dazu geführt habe, dass er es als gerechtfertigt erachtet habe, das die für den 29. Januar 2018 bestehende Prüfungsunfähigkeit belegende Attest erst mit Besserung seines gesundheitlichen Zustandes einzureichen, vermag nicht zu erklären, warum der Kläger seine Prüfungsunfähigkeit vom 29. Januar 2018 nicht bereits im Zusammenhang mit der ärztlichen Untersuchung am 31. Januar 2018 ärztlich bestätigen ließ. Es erschließt sich nicht, warum der Kläger am 31. Januar 2018 in der Lage war, sich für diesen Tag seine Prüfungsunfähigkeit bescheinigen lassen, für den Prüfungstag des 29. Januars 2018 aber auf eine Besserung seines Gesundheitszustands bis zum 12. Februar 2018 gewartet hat.
Der Kläger hat mit dem Schreiben vom 12. Februar 2019 und dem dabei vorgelegten ärztlichen Attest vom 9. Februar 2018 somit nicht unverzüglich seine Prüfungsunfähigkeit für die Prüfung vom 29. Januar 2018 im (Modul-) Prüfungsfach „Ingenieurgrundlagen“ geltend gemacht. Ein wirksamer Rücktritt von der Prüfung ist damit ausgeschlossen, so dass die Beklagte zu Recht das Nichtbestehen auch dieser (Modul-) Prüfung festgestellt hat.
c) Der Kläger hat somit in allen vier (Modul-) Prüfungsfächern „Volkswirtschaftslehre“, „Betriebswirtschaftslehre“, „Englisch I“ und „Ingenieurgrundlagen“ die erste Wiederholungsprüfung im Grundstudium nicht bestanden und nach § 13 Abs. 6 Satz 2 APO den Prüfungsanspruch damit endgültig verloren.
3. Mit dem endgültigen Verlust des Prüfungsanspruchs gemäß § 13 Abs. 6 Satz 2 APO ist nach Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 BayHSchG die Exmatrikulation verbunden. Die Klage gegen den Bescheid vom 20. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids bleibt daher auch insoweit erfolglos.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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