Aktenzeichen L 11 AS 694/17 B ER
SGB II SGB II § 6d, § 44b
Leitsatz
1. Kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II gegen die Bundesagentur für Arbeit.
2. Die Aufgabenwahrnehmung und die Erbringung der Leistungen nach dem SGB II obliegt ausschließlich einem JobCenter. Dieses nimmt die Aufgaben im eigenen Namen wahr, besitzt die Befugnisse zum Erlass von Bescheiden und ist Behörde. Es ist im sozialgerichtlichen Verfahren passivlegitimiert. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Agentur für Arbeit scheidet wegen der Zuständigkeit des JobCenters aus. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 2 AS 879/17 ER 2017-08-15 Bes SGNUERNBERG SG Nürnberg
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.08.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II – Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller (ASt) hat beim Sozialgericht Nürnberg (SG) einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf eine Weitergewährung von Alg II ab 01.07.2017 durch die Antragsgegnerin (Ag) und den Jobcenter Nürnberger Land (JC) beantragt. Über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den JC hat das SG – nach verfahrensrechtlich nicht nachvollziehbarer Änderung der Bezeichnung des Ag und Abgabe an eine andere Kammer – mit Beschluss vom 12.08.2017 (S 10 AS 827/17 ER) entschieden. Dabei hat es über den Antrag gegen den Ag „Bundesagentur für Arbeit“ nicht entschieden, obwohl im Rahmen der Abgabe keine Trennung vorgenommen worden war. Die dagegen zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhobene Beschwerde (L 11 AS 681/17 B ER) hat der ASt zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 15.08.2017 hat das SG – nach Fortführung des (eigentlich insgesamt an die 10. Kammer abgegebenen) Verfahrens -den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf die Ag abgelehnt. Die Ag sei nicht passiv legitimiert, da sie für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II nicht zuständig sei. Zuständig sei der JC.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum LSG eingelegt. Im Beschluss seien falsche Daten und Ausführungen gemacht worden. Was ua Schadenersatzforderungen anbelange, sei letztlich doch die Ag zuständig. Zur Vermeidung von rechtlichen Nachteilen und zur Fristwahrung müsste gegen die Beschlüsse erst einmal Beschwerde eingelegt werden.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Vorliegend stellt § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes dar. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 42/76 – BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 – 2 BvR 745/88 – NJW 2003, 1236). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt – voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 86b Rn 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breithaupt 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12).
Unabhängig von der Frage einer etwaigen Passivlegitimation der Ag ist diese jedenfalls auch in der Sache nicht zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zuständig, womit es an einem Anordnungsanspruch fehlt. Zwar ist die Ag nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II Träger für einen Teil der Leistungen des SGB II. Die Aufgabenwahrnehmung und die Erbringung der Leistungen nach dem SGB II obliegt aber ausschließlich dem JC (§ 44b SGB II iVm § 6d SGB II). Er nimmt die Aufgaben im eigenen Namen wahr, besitzt die Befugnisse zum Erlass von Bescheiden, ist Behörde iSv § 1 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und ist selbst passivlegitimiert (vgl im Einzelnen; Weißenberger in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 44b Rn 13). Der ASt kann daher nur vom JC selbst Leistungen begehren. Diesbezüglich erfolgte auch eine Entscheidung im Verfahren gegen den JC (S 10 AS 827/17 ER). Die Ag ist dagegen für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II, wie sie der ASt beantragt hat, nicht zuständig.
Die Beschwerde des ASt war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).