Medizinrecht

Gutachtensaufforderung aufgrund eines konkreten Anlasses bei behördlichen Zweilfeln an der Fahreignung

Aktenzeichen  W 6 S 16.893

Datum:
13.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 166
FeV FeV § 11 Abs. 2, Abs. 6, Abs. 8, § 47 Abs. 1 S. 1
StVG StVG § 2, § 3 Abs. 1
ZPO ZPO § 114

 

Leitsatz

Der Schluss auf die Nichteignung der Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 S. 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. (redaktioneller Leitsatz)
Diese Anordnung ist rechtswidrig, wenn es an einer hinreichenden Darlegung der Gründe für die Zweifel an der Fahreignung fehlt. Sie ist ebenfalls rechtswidrig, wenn die Fahrerlaubnisbehörde nicht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens festgelegt hat, welche konkreten Fragen im Hinblick auf die Eignung der Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheides des Landratsamtes Aschaffenburg vom 18. August 2016 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und …, beigeordnet.

Gründe

I.
Die am 2. Dezember 1977 geborene Antragstellerin wendet sich gegen den Sofortvollzug der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.
Nach Mitteilung der Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 5. April 2016 schickte die Antragstellerin im Zeitraum vom 22. März 2016 bis 3. April 2016 insgesamt sieben E-Mails mit völlig wirren und unplausiblen Schilderungen, wonach sie unter nicht nachvollziehbaren Umständen angeblich verfolgt und bedroht werde, an die Polizei. Außerdem teilte die Polizei weitere Auffälligkeiten ab dem Jahr 2011 mit. Die Antragstellerin stehe zudem unter Betreuung.
Mit Schreiben vom 14. April 2016 forderte der Antragsgegner (vertreten durch das Landratsamt Aschaffenburg) die Antragstellerin auf, ein ärztliches Gutachten von einem Arzt in einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Unter anderem wurde in dem Schreiben vom 14. April 2016 ausgeführt, dass nach Mitteilung der Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 5. April 2016 dort mehrere E-Mails mit völlig wirren und unplausiblen Schilderungen eingegangen seien, wonach die Antragstellerin angeblich verfolgt und bedroht werde. Folgende Fragen seien zu klären:
Liegt bei der Antragstellerin eine Erkrankung vor, die nach Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt? Ist sie insbesondere in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen B, L, M) gerecht zu werden?
Nachdem das Gutachten nicht vorgelegt wurde, entzog der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 18. August 2016 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen. Mit der Entziehung erlösche die Fahrerlaubnis (Nr. 1). Weiter gab der Antragsgegner der Antragstellerin auf, den am 18. November 2002 unter der Führerschein-Nummer … durch das Landratsamt Aschaffenburg ausgehändigten Führerschein unverzüglich, jedoch innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheides, abzuliefern. Sofern die Antragstellerin dieser Aufforderung nicht nachkomme, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3). Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus: Die Nr. 1 des Bescheides stütze sich auf § 3 Abs. 1 StVG und § 11 Abs. 8 FeV. Die Antragstellerin habe das rechtmäßig geforderte Gutachten nicht vorgelegt. Nach der Entziehung sei der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde unverzüglich abzuliefern (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV).
Mit Schriftsatz vom 29. August 2016 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 6 K 16.892 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
Mit Schriftsatz vom 31. August 2016 ließ die Antragstellerin zur Begründung im Wesentlichen ausführen: Die vom Antragsgegner genannten Gründe betreffend die Eignungsbedenken für die Anordnung reichten nicht aus. Die Anordnung sei nicht konkret genug. Auch ergebe sich aus der Fragestellung und aus der Anordnung des Antragsgegners vom 14. April 2016, dass Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Fragestellung nicht gegeben seien. Der Untersuchungsauftrag dürfe sich nicht auf alle in der Anlage 4 erwähnten Krankheitsbilder beziehen, wenn die Möglichkeit bestehe, diese näher einzuschränken. Der Antragsgegner hätte der Antragstellerin detaillierter mitteilen müssen, worauf sich im Besonderen die Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr beziehe. Allein die Mitteilung, dass mehrere E-Mails mit wirren und unplausiblen Schilderungen bei der Polizeiinspektion Aschaffenburg eingegangen seien, vermöge diesen Anforderungen nicht zu genügen, zumal der Inhalt nicht wiedergegeben worden sei. Allein die Tatsache, dass eine amtliche Betreuung bestehe, reiche noch nicht aus.
Mit Schriftsätzen vom 6. und 7. September 2016 ließ die Antragstellerin noch mitteilen, dass ihre Betreuung laut Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 27. Juli 2016 aufgehoben worden sei.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 7. September 2016,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte das Landratsamt Aschaffenburg im Wesentlichen aus: Mit Polizeibericht vom 5. April 2016 sei die Fahrerlaubnisbehörde darüber informiert worden, dass die Antragstellerin seit mehreren Jahren psychisch auffällig sei. Dem Polizeibericht sei weiter zu entnehmen, dass die Vorkommnisse in kurzer Zeit deutlich zugenommen hätten. Ferner werde durch die damalige Betreuung bestätigt, dass keinerlei Einsicht in die Krankheit vorliege. Die ebenfalls beiliegenden E-Mails seien auffällig, so dass berechtigte Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr angemeldet seien. Die Fragestellung in der Gutachtensaufforderung sei bewusst allgemein formuliert worden. Der Grund für die Auffälligkeiten der Antragstellerin könne in den verschiedensten Erkrankungen liegen, so könnten physische Erkrankungen vorliegen, wie z. B. Tumore, Aneurysmen etc. oder eben Erkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis, die alle solche Auswirkungen haben könnten. Die Auffälligkeit sei so stark gewesen, dass im Hinblick auf die allgemeine Verkehrssicherheit den übrigen Verkehrsteilnehmern nicht zuzumuten gewesen sei, dass die Antragstellerin der Fahrerlaubnisbehörde zuerst mitteilt, welche Erkrankungen genau vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Gerichtsakten und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheides) sowie gegen die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 Satz 1 des Bescheides) entfällt im vorliegenden Fall, weil die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – ZfSch 2015, 714 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung). Die Zwangsmittelandrohung (Nr. 2 Satz 2 des Bescheides) ist gemäß Art. 21a VwZVG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bzw. ihres Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen.
Ausgehend von oben genannten Grundsätzen ist nach summarischer Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, festzustellen, dass der Bescheid vom 18. August 2016 rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, weil der Antragsgegner nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung der Antragstellerin schließen durfte, da die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens vom 14. April 2016 rechtswidrig war.
Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es angesichts der aktenkundigen Feststellungen (vgl. Aktenvermerk der Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 5.4.2016 samt Anlagen) eine ärztliche Begutachtung der Antragstellerin gemäß § 11 Abs. 2 FeV für geboten hält. Allerdings bedarf es dafür einer neuen, rechtmäßigen Gutachtensaufforderung.
Nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage durfte der Antragsgegner nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung der Antragstellerin schließen. Denn der Schluss auf die Nichteignung der Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung gebunden (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 11 FeV Rn. 55; Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Jahnke/Hühnermann/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 3 StVG Rn. 7c und 7e – jeweils m. w. N.).
An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind auch formal strenge Maßstäbe anzulegen, weil die Antragstellerin die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt anfechten kann. Sie trägt das Risiko, dass ihr gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort formulierte Fragestellung sowie die dort genannten Rechts- und Beurteilungsgrundlagen gebunden. Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder der Antragstellerin, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16/14 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 21 mit Anmerkung Liebler, jurisPR-BVerwG 10/2015 vom 8.5.2015, Anm. 2; VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris; B.v. 8.9.2015 – 10 S 1667/15 – Blutalkohol 52, 428-431 [2015]; U.v. 11.8.2015 – 10 S 444/14 – VRS 129, 95-106 [2015]; U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592; U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428; BayVGH, B.v. 25.7.2016 – 11 CS 16.1256 – juris; B.v. 24.7.2015 – 11 CS 15.1203 – SVR 2016, 189; B.v. 24.11.2014 – 11 ZB 13.2240 – juris; U.v. 12.3.2012 – 11 B 10.955 – SVR 2012, 396; Saarl. OVG, B.v. 14.6.2016 – 1 B 133/16 – juris; OVG NRW, B.v. 7.2.2013 – 16 E 1257/12 – SVR 2013, 314; Zwerger, juris-PR-Verkehrsrecht 3/2014 vom 12.2.2014, Anm. 6).
An einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung fehlt es hier.
Die Gutachtensaufforderung ist allerdings nicht deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner ein ärztliches Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 FeV gefordert hat. Der Aktenvermerk der Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 5. April 2016 mit der Darstellung der Auffälligkeiten der Antragstellerin in den vergangenen Jahren ab 2011 bis 2016 und die weiter beiliegenden E-Mails der Antragstellerin vom 22. März 2016 bis 3. April 2016 sind hinreichende Tatsachen, die Bedenken gegen die Kraftfahreignung der Antragstellerin begründen. Danach besteht bei der Antragstellerin hinreichender Anlass, ihre Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begutachten zu lassen. Denn gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bestehen Bedenken insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf einer Erkrankung oder einem Mangel nach der Anlage 4 oder 15 FeV hinweisen. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift muss eine solche Erkrankung nicht etwa bestehen. Vielmehr darf eine Begutachtung bereits dann angeordnet werden, wenn Tatsachen auf eine solche Erkrankung hinweisen. Die polizeilicherseits mitgeteilten Auffälligkeiten der Antragstellerin stellen Tatsachen dar, die insbesondere auf eine Erkrankung nach der Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV hinweisen und es erforderlich machen abzuklären, ob eine psychische Störung in diesem Sinne bei der Antragstellerin vorliegt und falls ja, ob diese Störung ihre Fahreignung ausschließt oder nicht (vgl. VGH BW, U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428). Nach den Erkenntnissen der Polizei ist die Antragstellerin wiederholt auffällig gewesen, habe sich unter anderem auch schon wegen ihrer psychischen Verfassung in einer Klinik befunden und habe zusammenhanglos und wirr irgendwelche Vorfälle geschildert und den Eindruck gemacht unter Verfolgungswahn zu leiden. Des Weiteren ergibt sich aus den vorgelegten E-Mails, dass die Antragstellerin sich verfolgt, bedroht und gestalkt gefühlt habe und dass ihr Reiki Krafttier fetischiert worden sei und damit eine Art Voodoo verübt worden sei. Die E-Mails sind zusammenhanglos. Des Weiteren hat die damalige Betreuerin bestätigt, dass die Antragstellerin krankheitsuneinsichtig sei. Die Verhaltensauffälligkeiten und die von der Antragstellerin in der Vergangenheit gezeigte gestörte Realitätswahrnehmungen geben hinreichenden Anlass, ihre Kraftfahreignung und die Anordnung als neurologischpsychiatrischen Begutachtung weiter abzuklären. Denn eine Person, die in ihrem Umfeld ablaufende Vorgänge eine nicht der Realität entsprechenden Bedeutung beimisst, bietet nicht die Gewähr dafür, dass sich aus ihrer motorisierten Teilnahme am Straßenverkehr keine Schäden für hochrangige Rechtsgüter Dritter ergeben können (vgl. auch VGH BW, U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428).
Obwohl danach ein gutachterlicher Aufklärungsbedarf unter den konkreten Umständen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensaufforderung gegeben war und auch noch heute gegeben ist, ist die Gutachtensaufforderung vom 14. April 2016 gleichwohl rechtswidrig, weil sie nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV entspricht. Denn zum einen fehlt es dort an der hinreichenden Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung der Gutachtensaufforderung gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Darüber hinaus und selbstständig tragend ist ein Verstoß gegen § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV gegeben, weil die Fahrerlaubnisbehörde nicht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens festgelegt hat, welche konkreten Fragen im Hinblick auf die Eignung der Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (vgl. nur VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris; BayVGH, B.v. 25.7.2016 – 11 CS 16.1256 – juris).
Nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV sind in der Gutachtensanordnung die Gründe für die Zweifel an der Eignung darzulegen, wobei an der Einhaltung der formellen Kriterien strenge Anforderungen zu stellen sind (BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 11 CS 15.1203 – SVR 2016, 189). In der Aufforderung müssen die dem Betroffenen zur Last gelegten Umstände, die Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen, eindeutig und nachvollziehbar dargelegt werden, d. h. die Aufforderung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein und der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Diese Anforderungen können nicht dadurch relativiert werden, die Betroffene wisse ohnehin, worum es geht. Ferner müssen in der Anordnung die Umstände, die der Betroffenen bereits bekannt sind, zumindest so umschrieben sein, dass für sie ohne weiteres erkennbar ist, was im Einzelnen zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird und welche Problematik auf welche Weise aufgeklärt werden soll. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann die Betroffene einschätzen, ob sie sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts und der großen Belastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte (vgl. VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris; U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428; OVG NRW, B.v. 7.2.2013 – 16 E 1257/12 – SVR 2013, 314).
Diese Vorgaben erfüllt die Gutachtensaufforderung vom 14. April 2016 nicht. Dort ist nur allgemein auf die vorliegende Mitteilung der Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 5. April 2016 verwiesen, nach der dort mehrere E-Mails eingegangen seien mit völlig wirren und unplausiblen Schilderungen, wonach die Antragstellerin angeblich verfolgt und bedroht worden sei. Außerdem gehe aus dem Polizeibericht hervor, dass die Antragstellerin amtlich betreut werde. In der Aufforderung werden indes weder die Anzahl der betreffenden E-Mails benannt, noch deren konkreter Inhalt oder der Zeitraum, in dem diese E-Mails eingegangen sind, so dass für die Antragstellerin nicht klar ist, welche E-Mails konkret gemeint sind, zumal sie noch weitere E-Mails geschrieben haben könnte. Des Weiteren fehlen weitere Inhalte des polizeilichen Aktenvermerks. Entsprechende Angaben erfolgten – teilweise – erst später in den Gründen des Bescheides vom 18. August 2016 sowie wie in der Antragserwiderung vom 7. September 2016 im vorliegenden Gerichtsverfahren. Die in der Gutachtensanordnung vom 14. April 2016 nur pauschal erwähnten E-Mails wurden dem Bevollmächtigten der Antragstellerin auf dessen Anforderung erst im Juni 2016 übersandt. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung ist indes der Zeitpunkt ihres Erlasses. Eine unberechtigte Aufforderung zur Gutachtensbeibringung kann nicht nachträglich geheilt werden. Aus der Gutachtensanordnung vom 14. April 2016 ist weiter nicht zu entnehmen, dass nur die allgemein angesprochenen E-Mails allein für sich Grundlage der Begutachtung sein sollten. Realitätsnah ist anzunehmen, dass der ganze polizeiliche Aktenvermerk und dessen Inhalt als Teil der Behördenakten Grundlage für die Begutachtung sein sollte. Gerade das sich aus dem polizeilichen Aktenvermerk samt Anlagen ergebende Gesamtbild begründet den Anlass einer Begutachtung, nicht einzelne nicht näher konkretisierte E-Mails.
Darüber hinaus ist selbstständig tragend die Gutachtensaufforderung vom 14. April 2016 auch deshalb rechtswidrig, weil die dortige Fragestellung nicht auf relevante Erkrankungen beschränkt ist. Die Gutachtensaufforderung stellt generell die Frage, ob bei der Antragstellerin eine Erkrankung vorliege, die nach der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stelle. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV verlangt aber eine konkrete Festlegung der Fragen. Aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelungen in § 11 Abs. 6 FeV folgt, dass schon in der Gutachtensanordnung selbst die Konkretisierung des Untersuchungsthemas zu erfolgen hat, weil die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Die Antragstellerin muss in der Beibringungsanordnung zweifelsfrei erkennen können, welche Problematik in welcher Weise geklärt werden soll. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schließt überschießende – vom Untersuchungsanlass her gesehen nicht erforderliche – Untersuchungsvorgaben oder -inhalte mit Blick auf die damit einhergehenden Eingriffe in die Rechte der Betroffenen aus. Die nach dem Wortlaut eindeutig zu weit reichende Fragestellung in der Gutachtensanordnung erfährt auch keine ausreichende Eingrenzung der gutachterlich zu klärenden Fragen durch Einbeziehung ihrer übrigen Gründe, da die Darlegung der Gründe für die Begutachtung – wie bereits ausgeführt – unzureichend ist und vom Antragsgegner laut Antragserwiderung vom 7. September 2016 auch bewusst weit gefasst sein sollte. Nur auf Basis der Fragestellung kann sich der Betroffene darüber schlüssig werden, ob er sich – unbeschadet der Rechtfertigung der Anordnung – der Untersuchung seiner Persönlichkeit und gegebenenfalls den körperlichen Eingriffen und der psychologischen Exploration aussetzen will, die mit der Eignungsbegutachtung einhergehen können. Für eine Fragestellung, die ausnahmslos alle Krankheitsbilder der Anlage 4 zur FeV erfasst, fehlt hier jede Rechtfertigung. Die Fragestellung darf gerade nicht derartig weit sein, dass damit die mit der Begutachtung betraute Person oder Stelle ermächtigt wird, die Gesamtheit der in der Anlage 4 zur FeV erwähnten Krankheitsbilder zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Denn in der Anlage 4 zur FeV werden in umfassender Weise sämtliche physische und psychischen Krankheiten und Mängel aufgeführt, welche die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen und aufheben können (vgl. VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris; U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428; BayVGH, B.v. 25.7.2016 – 11 CS 16.1256 – juris; BayVGH, B.v. 24.11.2014 – 11 ZB 13.2240 – juris).
Demgegenüber erscheint vorliegend gerade angesichts des polizeilichen Aktenvermerks vom 5. April 2016 lediglich klärungsbedürftig, ob die Antragstellerin an einer neurologischen oder psychischen Erkrankung im Sinne der Nr. 6 oder 7 der Anlage 4 zur FeV leidet. Der Antragsgegner war gehalten, die Fragestellung entsprechend einzugrenzen. Soweit erforderlich kann sich die Fahrerlaubnisbehörde des Sachverstands des öffentlichen Gesundheitsdienstes, konkret des Gesundheitsamtes im Haus, bedienen (vgl. VGH BW, U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428).
Dass das Landratsamt Aschaffenburg im Ergebnis selbst nicht von der Erforderlichkeit einer umfassenden Aufklärung aller Krankheitsbilder der Anlage 4 zur FeV ausgeht, zeigt sein Schreiben vom 24. Mai 2016 an den Bevollmächtigten der Antragstellerin, wonach es selbst anmerkt, dass die Äußerungen der Antragstellerin befürchten lassen, dass sie an einer Erkrankung aus dem Bereich der psychischen Störung leide. Auch im streitgegenständlichen strittigen Bescheid vom 18. August 2016 führt der Antragsgegner aus, dass der Bericht der Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 5. April 2016 psychische Auffälligkeiten der Antragstellerin feststellt. Demgegenüber ist in der Antragserwiderung vom 7. September 2016 zur Rechtfertigung der Fragestellung allerdings vorgebracht, dass der Grund der Auffälligkeiten der Antragstellerin in verschiedensten Erkrankungen liegen könne, so könnten physische Erkrankungen vorliegen, wie z. B. Tumore, Aneurysmen etc. oder eben Erkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis, die solche Auswirkungen haben könnten. Aber selbst wenn dem so wäre, wäre dem Antragsgegner versagt, gleichwohl alle Krankheitsbilder der Anlage 4 zur FeV abzufragen. Indes werden in der Gutachtensaufforderung keinerlei Anhaltspunkte genannt, welche Krankheitsbilder das Prüfprogramm umfassen soll bzw. nicht umfassen darf.
Die vorstehenden Fehler machen die gesamte Gutachtensaufforderung rechtswidrig. Die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständige rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus (vgl. VG Augsburg, B.v. 25.3.2014 – Au 7 S 14.306 – juris; BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – VD 2013, 128; VGH BW, B.v. 30.6.2011 – 10 S 2785/10 – NJW 2011, 3257; VG Osnabrück, B.v. 16.1.2013 – 6 B 73/12 – juris). Insbesondere konnte nicht dem ärztlichen Gutachter oder gar der Antragstellerin überlassen bleiben, die Gutachtensfragen einschränkend zu beantworten bzw. beantworten zu lassen. Die Fahrerlaubnisbehörde selbst muss konkret den gesamten Untersuchungsrahmen klar umreißen und dem Gutachter mitteilen. Die Beantwortung der Frage, ob die Fahreignung aufklärungsbedürftig ist und ob sowie durch wen und in welchem Umfang, obliegt allein dem Antragsgegner. Der Antragstellerin kann bei einer Fragestellung wie hier vorliegend nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde (vgl. VGH BW, U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – NZV 2014, 428; OVG NRW, B.v. 7.2.2013 – 16 E 1257/12 – SVR 2013, 314; Zwerger, juris-PR-Verkehrsrecht 3/2014 vom 12.12.2014, Anm. 16).
Auch und gerade aus der Gesamtschau der Gutachtensaufforderung mit dem pauschalen Hinweis auf polizeilich mitgeteilte E-Mails und der umfassenden Fragestellung betreffend die gesamte Anlage 4 zur FeV war und ist weder für die Antragstellerin noch für einen eventuellen Gutachter eindeutig zu entnehmen, welche Krankheitsbilder untersucht werden sollen und welche nicht.
Nach alledem durfte der Antragsgegner aufgrund der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens nicht auf die Nichteignung der Antragstellerin schließen. Vielmehr sind die Gutachtensaufforderungen vom 14. April 2016 und damit auch der sich darauf stützende Entziehungsbescheid vom 18. August 2016 nach summarischer Prüfung – in einer während des laufenden Gerichtsverfahrens nicht heilbaren Weise – rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Rechtswidrigkeitsfolge erstreckt sich auch auf die Anforderung, den Führerschein abzuliefern, und die Zwangsmittelandrohung.
Vor diesem Hintergrund ist es unter Abwägung der gegenseitigen Interessen gerechtfertigt, die aufschiebende Wirkung der Klage – wie tenoriert – wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil eine Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen gegenwärtig zwar aufklärungsbedürftig ist, aber gerade noch nicht feststeht. Im Fall der Antragstellerin kann angesichts der aktenkundigen Feststellungen weder von einem feststehenden Fall der Fahreignung, noch von einem feststehenden Fall der Ungeeignetheit als sicher ausgegangen werden, zumal die ebenfalls vom Antragsgegner angeführte Betreuung der Antragstellerin mittlerweile aufgehoben wurde. Daher ist es dem Antragsgegner zu empfehlen, alsbald eine neue rechtmäßige Gutachtensaufforderung zu erlassen. Der Antragstellerin ist gleichermaßen dringend anzuraten, einer Gutachtensaufforderung, die die Vorgaben des § 11 Abs. 6 FeV beachtet, Folge zu leisten. Andernfalls könnte und müsste zu ihren Lasten ein neuer Entziehungsbescheid ergehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG. Wegen der Höhe des Streitwerts folgt das Gericht den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Hiernach ist für die Fahrerlaubnis der Klasse B, die nach § 6 Abs. 3 FeV die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und M mit einschließt, gemäß Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs der Auffangwert von 5.000,00 EUR anzusetzen, der nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist, so dass letztlich 2.500,00 EUR festzusetzen waren.
Nach den vorstehenden Ausführungen war der bedürftigen Antragstellerin gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 ff. ZPO wegen hinreichender Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Bevollmächtigter beizuordnen.

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