Aktenzeichen S 10 KR 30/18
SGB V § 2 Abs. 1a, § 27 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1 S. 1
SGG § 183, § 192
Leitsatz
Selbst bei Annahme eines Systemversagens bezüglich eines grundsätzlichen Anspruchs von Versicherten mit Transidentität auf dauerhafte Haarentfernung zulasten der GKV auch an anderen Körperbereichen als an Gesicht, Hals oder Händen kommt keinesfalls ein Anspruch auf dauerhafte Haarentfernung mittels der begehrten Laserepilation in Betracht. Denn auch insoweit ist der Grundsatz zu beachten, dass unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots Versicherten mit Transidentität zu Lasten der GKV kein Zugang zu kosmetischen Maßnahmen zu gewähren ist, der anderen Versicherten von vornherein verwehrt wird. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der gegenständliche Bescheid ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhindern oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Dabei gilt als Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinn ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf, oder – zugleich oder ausschließlich – Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, wobei als „regelwidrig“ ein Zustand anzusehen ist, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht (vgl. z.B. BSGE 35, 10, 12 m.w.N.).
Die Körperbehaarung stellt für sich genommen keinen krankhaften Befund in diesem Sinne dar. Die Einschränkungen, die sich für die Klägerin hieraus ergeben, liegen auch nach ihrem eigenen Vortrag ausschließlich im psychischen und sozialen Bereich. Insoweit gilt grundsätzlich, dass psychische Beeinträchtigungen aufgrund einer körperlichen Abweichung vorrangig mit Mitteln der Psychiatrie zu behandeln sind und grundsätzlich keinen Anspruch auf operativen Eingriff in ein gesundes Organ begründen (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 19/07 R). Anderes gilt jedoch für die notwendige Behandlung der Transidentität. Hierzu können nach den insoweit wegweisenden Urteilen des BSG vom 11.09.2012 (Az.: B 1 KR 11/12 und B 1 KR 9/12) auch operative Eingriffe in den gesunden Körper gehören.
En Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Maßnahmen bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichenden Maßnahmen müssen zudem zur Behandlung erforderlich sein (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.2012, Az.: B 1 KR 11/12 R). Die medizinische Indikation ist hier bei gesicherter Mann-zu-Frau-Transidentität unstreitig, geschlechtsangleichende Maßnahmen wurden von der Beklagten auf dieser Grundlage bereits gewährt, eine erneute Prüfung, ob die Linderung des psychischen Leidensdrucks grundsätzlich auch ohne geschlechtsangleichende Maßnahmen möglich wäre, entfällt damit.
Besteht eine Indikation für geschlechtsangleichende Maßnahmen, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Gesichtspunkte das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen (BSG, a.a.O.). Das BSG betont dabei, dass den Betroffenen dadurch kein Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen eingeräumt werde. Die Ansprüche seien vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist. Die Grenze trage auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Rechnung. Die Grenzziehung vermeide es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nichttranssexuellen Versicherten von vornherein versperrt sei.
In seiner weiteren Entscheidung vom 11.09.2012 (Az.: B 1 KR 9/12 R) weist das BSG aber auch darauf hin, dass zur Bestimmung des erforderlichen Ausmaßes der Behandlung nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen sei, dass dem Anspruch mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan sei. Der rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließe es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründe einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit. Innerer Anspruch des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen sei es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte bestehe, bleibe hiervon unberührt (BSG, a.a.O).
Soweit sich hieraus ein Spannungsfeld ergibt – einerseits Anspruch der Versicherten mit Mann-zu-Frau-Transidentität auf Angleichung an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts über den bei Entstellung bestehenden Anspruch hinaus, andererseits kein weitergehender Anspruch auf kosmetische Operationen als für nicht-transsexuelle Versicherte – ist dieses zur Überzeugung des Gerichts dadurch aufzulösen, dass die Ausführungen des BSG, wonach auf die Annäherung an das Erscheinungsbild an das andere Geschlecht aus der Sicht eines verständigen Betrachters abzustellen sei, dahingehend auszulegen sind, dass es durchaus auf das Erscheinungsbild im gesellschaftlichen Alltag ankommt, dort aber – über die Beseitigung von Entstellungen hinaus – eine mögliche weitgehende Angleichung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts zu gewähren ist. Dies umfasst nach Ansicht des Gerichts eine Angleichung des Erscheinungsbilds bei im gesellschaftlichen Alltag üblicher, auch den Jahreszeiten angepasster Kleidung, so dass nach Ansicht des Gerichts auch Maßnahmen zur möglichen Angleichung von z.B. bei im gesellschaftlichen Alltag üblicher sommerlicher Kleidung mit ausgeschnittenem Dekollete erkennbaren Körperarealen erfasst sind. Soweit hier im sichtbaren Bereich ein Haarwuchs vorliegt, der im Widerspruch zum im Übrigen weiblichen Erscheinungsbild der Klägerin steht, kommt zur Überzeugung des Gerichts in diesem Bereich ein Anspruch auf dauerhafte Haarentfernung in Betracht.
Zwar ist im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä), dem sozialversicherungsrechtlichen Verzeichnis, nach dem die Leistungen der GKV abgerechnet werden, nur die Epilation im Gesicht und/oder am Hals bzw. an einer Hand und/oder den Händen vorgesehen, wobei hier der Bewertungsausschuss mit Beschluss zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM-Ä 2008) mit Wirkung zum 01.10.2017 die bereits im EBM-Ä 2008 enthaltene Epilation mittels Elektrokoagulation um die „Epilation mittels Lasertechnik bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus im Rahmen geschlechtsangleichender Maßnahmen“ ergänzt hat. Insoweit handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts bei der hier begehrten Laserepilation an anderen Körperregionen nicht etwa um eine neue Behandlungsmethode, die zur Erbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen einer Empfehlung des G-BA gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V bedürfte. Denn entscheidend für die Qualifikation als „neue Behandlungsmethode“ in diesem Sinne ist allein, ob die Methode schon bisher für den Einsatz in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung anerkannt war oder nicht. Wegen dieser Unterschiedlichkeit kann es Leistungen geben, die vom Bewertungsausschuss nach § 87 SGB V als zulasten der GKV abrechenbare Leistungen in den EBM aufgenommen werden können, ohne dass es einer vorherigen Entscheidung des G-BA bedarf (vgl. Flint in: Hauck/Noftz, SGB, 11/12, § 135 SGB V, Rn.49). Hier ist die Laser-Epilation im Gesicht, am Hals oder an den Händen bei Mann-zu-Frau-Transidentität bereits im EBM-Ä enthalten. Der MDK weist in seiner Stellungnahme vom 07.11.2017 ausdrücklich darauf hin, dass die Enthaarung mittels Laser auch an anderen Körperregionen durchgeführt werden kann. Durch die Leistungserbringung für Versicherte mit Transidentität auch an anderen Körperbereichen erfährt die Methode zur Überzeugung des Gerichts in ihrer Indikation oder in der Art der Erbringung keine wesentliche Änderung.
Unabhängig davon gilt aber grundsätzlich, dass Leistungen, die im EBM-Ä nicht enthalten sind, nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen berechnet werden dürfen. Dies gilt selbst dann, wenn sie zu einer Behandlungsmethode gehören, für die der G-BA bereits eine positive Empfehlung abgegeben hat. Entsprechendes muss auch für die nicht im EBM-Ä erfasste Laserbehandlung außerhalb des Gesichts, am Hals oder an den Händen gelten.
Allerdings kommt hier insoweit, als das Gericht davon ausgeht, dass bei gesicherter Mann-zu-Frau-Transidentität zur Erfüllung des Anspruchs auf Angleichung des Erscheinungsbilds an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts ein Anspruch auf dauerhafte Haarentfernung auch an anderen Körperregionen als im Gesicht, am Hals oder an den Händen, insbesondere im Dekolletebereich bestehen kann (s.o.), die Annahme eines Systemversagens in Betracht. Denn dieser Anspruch wird durch die im EBM-Ä vorgesehenen Leistungen nicht abgedeckt. Die Grenze der von den Gerichten zu respektierenden Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit des Bewertungsauschusses kann nach der Rechtsprechung dann überschritten sein, wenn dieser einer Behandlungsmethode die Aufnahme in den EBM-Ä versagt, obwohl an der medizinisch-fachlichen Eignung der Methode, ihrer Unentbehrlichkeit für eine umfassende vertragsärztliche ambulante Versorgung der Versicherten, an ihrer Wirtschaftlichkeit sowie an der Finanzierbarkeit ihres Einsatzes vernünftige Zweifel nicht bestehen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15.04.2010, Az.: L 10 KR 5/10 B ER).
Selbst bei Annahme eines Systemversagens bezüglich eines grundsätzlichen Anspruchs von Versicherten mit Transidentität auf dauerhafte Haarentfernung zulasten der GKV auch an anderen Körperbereichen als an Gesicht, Hals oder Händen kommt aber zur Überzeugung des Gerichts keinesfalls ein Anspruch der Klägerin auf dauerhafte Haarentfernung mittels der begehrten Laserepilation in Betracht. Denn auch insoweit ist der Grundsatz zu beachten, dass unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots Versicherten mit Transidentität zu Lasten der GKV kein Zugang zu kosmetischen Maßnahmen zu gewähren ist, der anderen Versicherten von vornherein verwehrt wird (BSG, Urteil vom 11.09.2012, Az.: B 1 KR 9712 R). Nach den Vorgaben des EMB-Ä ist die Laserepilation nur bei Mann-zu-Frau-Transidentität indiziert, bei nicht-transsexuellen Versicherten, die unter Hirsutismus leiden, kommt dagegen ausschließlich die Erbringung der Elektrokoagulation zu Lasten der GKV in Betracht. Eine Rechtfertigung für die Erbringung der Laser-Epilation insbesondere im Gesicht und am Hals für Versicherte mit Transidentität kann zur Überzeugung des Gerichts darin gesehen werden, dass hier bei geborenen Männern ein besonders starker Haarwuchs (Bartwuchs) vorhanden ist, der mit dem entstellenden Haarwuchs einer geborenen Frau, für die die Epilation durch Elektrokoagulation als ausreichend angesehen wird, nicht vergleichbar ist (vgl. SG Dresden, Urteil vom 05.08.2010, Az.: S 16 KR 54/09). Dies kann aber zur Überzeugung des Gerichts für den Haarwuchs geborener Männer an anderen Körperbereichen, der üblicherweise in seiner Intensität nicht dem Bartwuchs im Gesicht entspricht, nicht grundsätzlich angenommen werden. Insoweit besteht kein Grund, Versicherten mit Transidentität zur dauerhaften Haarentfernung an diesen Körperregionen leistungsrechtlichen Zugang zur Laserepilation zu gewähren, der anderen Versicherten, die an Hirsutismus leiden und die insoweit auf die Elektrokoagulation verwiesen werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.10.2012, Az.: L 1 KR 443/11; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.07.2015, Az.: L 1 KR 108/11; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.02.2016, Az.: L 5 KR 226/15), von vornherein verwehrt ist. Aus diesem Grund kann auch ein – neben dem Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen – zu prüfender Anspruch auf Durchführung der Laserepilation unter der Voraussetzung einer entstellenden Wirkung des Haarwuchses nicht angenommen werden.
Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Gewährung der Haarentfernung durch Elektrokoagulation war hier aufgrund des ausschließlich auf die Gewährung der Laserepilation gerichteten Klageantrags nicht zu prüfen. Der Antrag auf Gewährung einer Laserepilation ist aus den dargestellten Gründen abzulehnen, die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 192 SGG.