Aktenzeichen S 7 KR 1/19 ER
SGB XI § 14, § 15, § 38a
SGG § 86b Abs. 2 S. 1, S. 2
SGB V § 37 Abs. 2 S. 1, Abs. 3
SGB XII § 75
Leitsatz
1 Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen ist nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine ambulant betreute Demenz-Wohngemeinschaft ist nach § 1 Abs. 2 S. 2 häusliche Krankenpflege-Richtlinie ein sonstiger geeigneter Ort. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Einrichtungen ist nur dann und insoweit zu beschränken, als nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung selbst besteht. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, ab dem 02.01.2019 vorläufig für die Antragstellerin die Kosten häuslicher Krankenpflege in Form von Medikamentengabe 2 x täglich / 7 x wöchentlich zu übernehmen.
II. Diese Anordnung gilt längstens bis zum 31.12.2019, sofern die unter Ziffer I. aufgeführte Leistung ärztlich verordnet wird.
III. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast) begehrt die vorläufige Gewährung von Leistungen zur häuslichen Krankenpflege durch die Antragsgegnerin (Ag).
Die 1932 geborene Ast ist bei der Ag gesetzlich gegen Krankheit versichert. Sie ist an einer dementiellen Krankheit erkrankt und lebt in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft im „Haus der D.“ in A-Stadt. Dort ist entsprechend dem mit der D. A-Stadt abgeschlossenen Betreuungsvertrag eine Präsenzkraft für 24 Stunden am Tag anwesend. Für ihren Sohn, Herrn A., ist eine Vorsorgevollmacht erteilt.
Am 17.09.2018 wurde der Ast von ihrem behandelnden Arzt häusliche Krankenpflege in Form von Medikamentengabe 2 * täglich / 7 * wöchentlich verordnet.
Mit Bescheid vom 12.10.2018 bewilligte die Ag diese Leistung zunächst.
In einem weiteren Bescheid vom 16.10.2018 hob die Ag jedoch die Bewilligung für die Zeit nach dem 19.10.2018 wieder auf. Es wurde ausgeführt, dass das Sozialgericht Bayreuth in einer Entscheidung vom 16.05.2018 festgelegt habe, dass abhängig vom Betreuungs-/Servicevertrag zwischen dem Träger der Einrichtung und dem Versicherten einfache Behandlungspflege im Sinne der BSG-Entscheidung vom 25.02.2015 Bestandteil der vom Betreiber der Wohngemeinschaft sicher zu stellenden Leistungen sei und damit nicht als Maßnahme der häuslichen Krankenpflege zu finanzieren sei. Aufgrund dieses richterlichen Urteils hebe man die Entscheidung vom 12.10.2018 auf.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte der Ast mit Schreiben vom 23.10.2018 Widerspruch.
Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Fokus des BSG-Urteils vom 25.02.2015 nicht die häusliche Krankenpflege in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft, sondern häusliche Krankenpflege in einer stationären Einrichtung der Eingliederungshilfe stehe. Daraus die Ablehnung der Medikamentengabe in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft abzuleiten, sei rechtlich fragwürdig und durch die Sozialgerichte klärungsbedürftig.
Seine Mutter lebe nicht ein einer „Einrichtung der Eingliederungshilfe“ oder „stationären Einrichtung“, sondern in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft, die die fünf Kriterien nach Art. 2 Abs. 3 S. 3 Nr. 1-5 PfleWogG erfülle. Der „Träger der Einrichtung“ sei das Mietergremium, das Gremium der Selbstbestimmung, als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Zweck dieser Gesellschaft sei die Organisation des gemeinschaftlichen Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt sowie die Inanspruchnahme externer Pflege- und/oder Betreuungsleistungen. Das Mietergremium habe als gemeinsamen Dienstleister die D.station A-Stadt mit der Betreuung und der ambulanten Pflege der Mieter der Wohngemeinschaft beauftragt.
Laut der Ag sollten mit den 214,00 € des Wohngruppenzuschlags zum einen die zweckgebundenen Betreuungsleistungen und zugleich die Kosten für die Verordnung der Medikamentengabe finanziert werden. Dies sei zum einen nicht zulässig und auch nicht möglich, weil bei seiner Mutter 208,80 € (Kosten für die Medikamentengabe) zuzüglich der zusätzlichen Kosten für den Gemeinsamen Auftrag zur Gestellung einer Person nach § 38a SGB XI einen höheren Betrag ergeben würden als den Wohngruppenzuschlag von 214,00 €.
Mit Bescheid vom 28.11.2018 wies die Ag den Widerspruch der Ast zurück.
Nach den Entscheidungen des BSG vom 25.02.2015 (B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R) sowie der Entscheidung vom 22.04.2015 (B 3 KR 16/14 R) handle es sich bei der Medikamentengabe um einfachste Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege, die von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen ohne weiteres ausgeführt werden können, vgl. § 37 Abs. 3 SGB V.
Die Ast sei in einer Wohngemeinschaft untergebracht, für die ein Gesellschaftsvertrag nach §§ 705ff BGB abgeschlossen worden sei. Zudem sei ein Betreuungsvertrag mit der D. A-Stadt geschlossen worden. Aus diesem Vertrag gehe hervor, dass für die Ast ab dem 24.01.2018 täglich in der Zeit von 0 Uhr bis 24 Uhr eine Präsenzkraft zur Verfügung stehe.
Nach § 1 des Betreuungsvertrages erbringe die Präsenzkraft insbesondere Hilfestellungen bei Schriftverkehr und Kommunikation, Leistungen der gemeinschaftlichen sozialen Betreuung innerhalb der Wohngemeinschaft, Begleitung bei Exkursionen im Umfeld zur Teilnahme am sozialen Leben, Unterstützung beim gemeinen Zubereiten von Mahlzeiten, Unterstützung bei der sonstigen gemeinschaftlichen Haushaltsführung sowie Vermittlung von Sicherheit zur Nacht.
Die Präsenzkraft sei damit jedenfalls in der Lage, ggf. nach Anleitung, einfachste Maßnahmen – wie die Medikamentengabe – wie sie in einem Haushalt grundsätzlich von jedem Erwachsenen erbracht würden, durchzuführen.
Die Tatsache, dass am Ende des Betreuungsvertrags pflegerische und hauswirtschaftliche Leistungen ausgeschlossen seien, sei hierbei unschädlich.
Mit Schreiben vom 18.12.2018, bei Gericht eingegangen am 02.01.2019, erhob der Bevollmächtigte der Ast hiergegen Klage zum Sozialgericht Nürnberg, die unter dem Aktenzeichen S 7 KR 7/19 geführt wird.
Gleichzeitig wurde der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Weiterfinanzierung der Medikamentengabe, auch rückwirkend zum 20.10.2018, beantragt. Sollte die Ast die streitigen Leistungen in Höhe von ca. 200 € monatlich selbst finanzieren müssen, so wäre ihr aus finanziellen Gründen ein Verbleib in der Wohngruppe nicht mehr möglich.
Auf die Klage-/Antragsschrift vom 18.12.2018 wird verwiesen.
Auf Nachfrage der Vorsitzenden wurde mitgeteilt: Für das Folgequartal 1/2019 liege eine weitere Verordnung häuslicher Krankenpflege vor. Die Kostenübernahme sei seitens der Ag unter Verweis auf die im Bescheid vom 16.10.2018 genannten Gründe abgelehnt worden.
Die Ast beantragt (sinngemäß) die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, die Kosten der verordneten häuslichen Krankenpflege in Form von Medikamentengabe 2* täglich / 7 * wöchentlich auch über den 19.10.2018 hinaus zu übernehmen.
Die Ag beantragt den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat weitgehend Erfolg.
Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG – Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG – Regelungsanordnung). Eine solche Regelungsanordnung wird im vorliegenden Fall beantragt. Die erforderlichen Tatsachen hierzu, insbesondere der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 der Zivilprozessordnung – ZPO).
Der Anordnungsanspruch betrifft die Rechtsposition, deren Durchsetzung in der Hauptsache begehrt wird. Der Anordnungsgrund beinhaltet die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung. Sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht begründet.
1. Der Antrag hat keinen Erfolg, soweit er auf Leistungen gerichtet ist, die bereits in der Vergangenheit liegen.
Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig – noch – bestehender Notlagen notwendig sind. Regelungen über die einstweilige Bewilligung von Geldleistungen können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RdNr. 259 m.w.N.). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen, ist nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens.
2. Darüber hinaus hat die Ast jedoch einen Anordnungsanspruch für die Zukunft glaubhaft gemacht. Nach der Ansicht des Gerichts hat die Ast einen Anspruch auf die Gewährung von häuslicher Krankenpflege durch die Ag aus § 37 SGB V.
Dessen Absatz 2 Satz 1 lautet: „Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist.“ Gemäß § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person dem Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. § 37 Abs. 6 SGB V bestimmt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 festlegt, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Diesem Auftrag ist der Gemeinsame Bundesausschuss nachgekommen:
In der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (häusliche Krankenpflege-Richtlinie vom 17. September 2009) heißt es in § 1 Abs. 2 Satz 2: „Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht auch an sonstigen geeigneten Orten, an denen sich die oder der Versicherten regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und für die Erbringung der einzelnen Maßnahme geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (z.B. im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Orte im Sinne des Satz 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein“. In § 1 Absatz 6 heißt es, „für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z.B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden“. § 1 Abs. 7 Satz 2 lautet: „Eine Verordnung von Behandlungspflege ist auch für Versicherte in Pflegeheimen zulässig, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischen Behandlungspflege haben (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V)“.
Die Ast lebt in der ambulant betreuten Demenz-Wohngemeinschaft im Haus der D., A-Stadt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 2 häusliche Krankenpflege-Richtlinie handelt es sich dabei um einen sonstigen geeigneten Ort. Die Ast hält sich nämlich dort regelmäßig wiederkehrend auf und die verordnete Maßnahme kann dort zuverlässig durchgeführt werden, weil für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse unzweifelhaft vorliegen und die verordneten Leistungen aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts in der Wohngruppe notwendig sind.
Dem Grunde nach hat deshalb die Ast also in der Wohngemeinschaft, in der sie dauerhaft lebt, einen Anspruch gegen die Ag auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form der Behandlungspflege. Inhalt und Umfang der als häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege verordnungsfähigen Versorgung bestimmt sich ebenfalls nach der häuslichen Krankenpflege-Richtlinie.
Die verordnete Maßnahme gehört unzweifelhaft auch zu den Leistungen der medizinischen Behandlungspflege.
Ein Anspruch ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, weil sich bereits ein Anspruch aus dem Betreuungsvertrag mit dem Pflegedienst ergeben würde.
Nach der Rechtsprechung des BSG sind betreute Wohnformen nur dann „geeignete Orte“ im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung, wenn der Versicherte während seines Aufenthalts dort nicht bereits einen Anspruch auf Erbringung von Krankenpflegeleistungen gegen die Einrichtung hat (BSG, Urt. v. 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – Rdnr. 13, -B 3 KR 10/14 RRdnr. 12 und v. 22. April 2015 – B 3 KR 16/14 R – Rdnr. 17). Auch zählt das BSG zu den „betreuten Wohnformen“ in § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V ausdrücklich nicht nur stationäre Einrichtungen, sondern auch Formen der Versorgung, in der nur ambulante Leistungen erbracht werden (vgl. nur BSG v. 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – Rdnr. 19).
Die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit ambulanten Betreuungshilfen zu einer stationären Einrichtung sind inzwischen fließend. Daher werden in den Landesheimgesetzen neben stationären Einrichtungen regelmäßig auch andere Formen des betreuten Wohnens erfasst (vgl Weber NZS 2011, 650, 651 mwN), und längst nicht alle Formen des betreuten Wohnens weisen eine größere Nähe zur eigenständigen Haushaltsführung auf als herkömmliche stationäre Einrichtungen. Eine eindeutige Zuordnung jeder Einrichtung entweder als stationäres Heim oder als ambulantes Angebot mit Betreuungshilfen wird durch die andauernde Entwicklung neuer Wohnformen zunehmend schwierig. Auch in betreuten Wohnformen haben Versicherte keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege, wenn sie bereits Anspruch auf die Maßnahme durch die Einrichtung bzw den Betreuungsdienst haben, weil häusliche Krankenpflege dann nicht erforderlich ist. Gerade im Grenzbereich verschiedener Wohnformen ist es aber sachgerecht, nach dem Anspruch gegen die Einrichtung bzw den Betreuungsdienst zu differenzieren und nicht dem Begriff „betreute Wohnformen“ eine Festlegung dahin zu entnehmen, dass in vollstationären Betreuungseinrichtungen keine häusliche Krankenpflege erbracht werden kann.
Es ist daher konsequent, den Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Einrichtungen nur dann und insoweit zu beschränken, als nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung selbst besteht (BSG v. 25.Februar 2015 aaO).
Für die Vorsitzende stellt sich die vorliegende Konstellation aber nicht vergleichbar mit der vom Bundessozialgericht entschiedenen Konstellation der häuslichen Pflege in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe.
Erbringt der Träger der Sozialhilfe die Leistungen der Eingliederungshilfe in einer vollstationären Einrichtung (§ 13 SGB XII, zum Einrichtungsbegriff iS des SGB XII vgl BSGE 106, 264 = SozR 4-3500 § 19 Nr. 2 RdNr. 13) der Hilfe für behinderte Menschen, wird grundsätzlich der gesamte Bedarf des Hilfebedürftigen nach § 9 Abs. 1 SGB XII in der Einrichtung in einrichtungsspezifischer Weise befriedigt. Die Einrichtung übernimmt für den Hilfebedürftigen von dessen Aufnahme bis zur Entlassung die Gesamtverantwortung für seine tägliche Lebensführung (vgl Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand November 2014, K § 13 RdNr. 58, 59 mwN). Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 SGB IX auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zu denen nach § 26 Abs. 2 SGB IX ua auch die Behandlung durch Angehörige von Heilberufen gehört, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden, wie es bei der häuslichen Krankenpflege der Fall ist.
Letztlich kann aus dieser Zweckrichtung der rechtliche Schluss gezogen werden, dass sich hieraus bestimmte Leistungspflichten des Einrichtungsträgers herleiten lassen.
Entscheidend für die Leistungspflichten der Einrichtungen zur Hilfe behinderter Menschen ist danach das in den Vereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII festgelegte Ziel und der Zweck der Einrichtung, ihr Aufgabenprofil, die vorgesehene sächliche und personelle Ausstattung sowie der zu betreuende Personenkreis. Handelt es sich danach zB um eine Einrichtung, deren vorrangige Aufgabe darin besteht, Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten zu leisten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (vgl § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX), gehören einfachste medizinische Maßnahmen (vgl dazu auch BSG SozR 3-2500 § 53 Nr. 10), die für Versicherte im eigenen Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können und keine medizinische Fachkunde erfordern, wie die Einnahme von Medikamenten und das Blutdruckmessen, regelmäßig der Natur der Sache nach zum Aufgabenkreis der Einrichtung.
(BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R -, BSGE 118, 122-137, SozR 4-2500 § 37 Nr. 13, Rn. 28))
Das Gericht ging bei seinen Entscheidungen erkennbar davon aus, dass in einer Einrichtung eine Art Gesamtverantwortung für die Bewohner übernommen wird, die das Vorhalten von Personal- und Sachmitteln auf der Grundlage entsprechender Vereinbarungen mit den Sozialhilfeträgern nach § 75 ff. SGB XII voraussetzt und die, dies sei ergänzend angeführt, ordnungsrechtlich insbesondere zum Einsatz von Fachkräften – auch in der Nacht – führen (vgl. § 15 BayAVPfleWoqG). Grundlage für die Entscheidungen des BSG war mithin ein ganz anderer Typ Leistungsort, denn das so skizzierte Leistungsniveau erreichen Wohngruppen bzw. Wohngemeinschaften von vornherein nicht und dürfen dies auch gar nicht, wenn die Leistungsvoraussetzungen des § 38 a SGB XI erfüllt werden sollen.
Vorliegend gibt es nämlich keine „Einrichtung“ in dem oben dargestellten Sinne. Vielmehr ist der „Träger“ der Wohngemeinschaft das Mieter-Gremium, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Ziel es ist, den häuslichen, pflegerischen und/oder betreuerischen Alltag der Gesellschafterinnen und Gesellschafter gemeinsam im Hinblick auf ihren persönlichen Hilfsbedarf möglichst optimal in einem gemeinsamen Haushalt und die Inanspruchnahme externer Pflege- oder Betreuungsleistungen gegen Entgelt zu ermöglichen und wirtschaftlich zu gestalten.
Während es bei einer Einrichtung der Eingliederungshilfe also darum geht, einen entsprechenden Bedarf des Hilfsbedürftigen zu befriedigen, geht es bei der hier gewählten Wohnform somit um ein „Minus“, nämlich die Koordination der Bedarfsdeckung.
Dies erfolgt in der vorliegenden Konstellation im Wesentlichen durch zwei unterschiedliche Verträge, die zwischen „Betreuung“ (durch die Präsenzkraft) und die „Pflege“ unterscheiden.
Die Präsenzkraft erbringt gemäß dem Betreuungsvertrag Hilfen des täglichen Lebens, insbesondere
– Hilfestellungen bei Schriftverkehr und Kommunikation
– Leistungen der gemeinschaftlichen sozialen Betreuung innerhalb der Wohngemeinschaft
– Organisation gemeinschaftlicher Aktivitäten innerhalb der Wohngemeinschaft
– Begleitung von Mietern bei Exkursionen im Umfeld zur Teilnahme am sozialen Leben
– Unterstützung beim gemeinschaftlichen Zubereiten von Mahlzeiten
– Unterstützung bei der sonstigen gemeinschaftlichen Haushaltsführung
– Vermittlung von Sicherheit bei Nacht.
Aus dem Pflegevertrag wiederum ergibt sich wiederum die Verpflichtung des Leistungserbringers, den Leistungsnehmer nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit entsprechend der in Anspruch genommenen Leistungen zu pflegen und hauswirtschaftlich zu versorgen.
Diese Differenzierung entspricht gerade auch der Differenzierung, die das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung zu § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI vorgegeben hat: Wird der Wohngruppenzuschlag für die Tätigkeiten eines ambulanten Pflegedienstes (§ 36 SGB XI) in Anspruch genommen, muss sichergestellt sein, dass sich die nach § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI zu erledigenden Aufgaben hinreichend deutlich von der benötigten individuellen pflegerischen Versorgung unterscheiden.
(BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 – B 3 P 5/14 R -, BSGE 120, 271-281, SozR 4-3300 § 38a Nr. 1, Rn. 29))
Gerade wegen dieser deutlichen Trennung von psychosozialer und pflegerischer Versorgung ist nach Ansicht der Vorsitzenden jedoch dem Urteil des SG Bayreuth vom 16.05.2018 () nicht zu folgen. Dieses schließt aus der potentiellen Qualifikation der Präsenzkräfte für die häusliche Krankenpflege auf einen Anspruch des Leistungsnehmers hierauf. Die Tatsache, dass nach § 2 (am Ende) des Betreuungsvertrags Leistungen nach § 37 SGB V und pflegerische/hauswirtschaftliche Leistungen nach SGB XI ausgeschlossen seien, sei hierbei unschädlich. Denn nach Gesetz und Rechtsprechung habe die Klägerin einen Anspruch hierauf gegen den Vertragspartner, der für Erbringung der Betreuungsleistung in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft, zuständig ist, so dass der vertragliche Ausschluss nach § 32 SGB I nichtig sei (SG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 16. Mai 2018 – -, Rn. 49, juris)
Dies würde jedoch dazu führen, dass die Präsenzkraft die vielfältigen Aufgaben häuslicher Krankenpflege neben ihren eigentlichen, vertraglich geschuldeten Tätigkeiten gar nicht bewältigen könnte. Für bis zu 12 Bewohner wären im Zweifel zeitgleich Leistungen wie die Blutdruck- und Blutzuckermessung, Inhalationen, das Auflegen von Kälteträgern, das Richten von Medikamenten, die Gabe von Medikamenten, das An- und Ausziehen von Thrombosestrümpfen, das Richten von Injektionen zur Selbstapplikation, Einreibungen, medizinische Bäder, das An- und Ablegen von einfachen Stützverbänden oder auch das Durchführen der Sanierung von MRSA-Trägern bei gesicherter Diagnose vorzunehmen. Damit wäre eine einzelne Präsenzkraft ganz offenkundig überfordert. Letztlich würden dadurch die unterschiedlichen Aufgabenbereiche, die vertraglich genau voneinander abgegrenzt werden sollten, wieder vermengt und das Aufgabenprofil der Präsenzkraft erheblich erweitert.
Die Versorgungssituation entspricht insofern auch weder derjenigen innerhalb der Familie iSd § 37 Abs. 3 SGB V, in der im Zweifelsfall nur eine einzelne Person gepflegt wird, noch derjenigen in einer stationären Einrichtung, die über eine entsprechende Personalmenge verfügt. Im Übrigen dürften auch die Qualitätsanforderungen, die berechtigterweise an ambulante Pflegedienste gestellt werden, von einer Präsenzkraft angesichts des für diese geltenden Anforderungsprofils kaum einzuhalten sein (so auch Weber in NZS 2019, 52, BAYERN.RECHT).
3. Die Ast hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Für die hier begehrte Regelungsanordnung erfordert ein Anordnungsgrund deren Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Es gilt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Antragsteller vor vollendete Tatsachen zu bewahren, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn. 28).
Es kann dahin gestellt bleiben, ob die hier vorliegenden gewichtigen Gründe für die Annahme eines Anordnungsanspruchs bereits die Anforderungen an den Anordnungsgrund vermindern (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2010, L 1 KR 281/10 B, Rz. 34 – zitiert nach juris; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn. 29). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls notwendig zur Abwendung wesentlicher Nachteile der Ast.
Nach den glaubhaften Ausführungen ihres Bevollmächtigten entstehen momentan laufende Kosten in Höhe von über 200 € monatlich. Eine neue Verordnung für das 1. Quartal 2019 wurde vorgelegt. Ein Verbleib der Ast in der Wohngemeinschaft wäre aus diesem Grund mittelfristig gefährdet.
Ab Antragstellung (Eingang 02.01.2019) war die Ag daher zur weiteren Übernahme der Leistungen zu verpflichten. Entsprechend dem vorläufigen Charakter einer einstweiligen Anordnung war es sachgerecht, eine Befristung für einen überschaubaren Zeitraum auszusprechen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.