Aktenzeichen 9 O 5246/14
ZPO § 286
Leitsatz
1 Wird ein nicht mehr einwilligungsfähiger, unter Betreuung stehender Patient mittels PEG-Sonde künstlich ernährt und kann mit der künstlichen Ernährung allenfalls noch eine Lebenserhaltung für die Dauer der lebenserhaltenden Maßnahme ohne Aussicht auf Besserung oder zumindest Stabilisierung des gesundheitlichen Zustandes des Patienten erreicht werden, so stellt es keinen Behandlungsfehler dar, wenn der behandelnde Arzt die Ernährung des Patienten über die PEG-Sonde nicht selbst einstellt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem behandelnden Arzt erwächst in einem solchen Fall allerdings aus § 1901b Abs. 1 BGB die das Behandlungsverhältnis gleichfalls prägende Pflicht, den Betreuer davon in Kenntnis zu setzen, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar ist, und mit ihm vor diesem Hintergrund zu erörtern, ob die PEG-Sonden-Ernährung fortgesetzt bzw. abgebrochen wird. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Verstoß des Arztes gegen diese Pflicht führt jedenfalls dann nicht zu einem Schadensersatzanspruch des Patienten, wenn nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit festgestellt werden kann, dass im Falle einer Erörterung zwischen Arzt und Betreuer die Entscheidung für eine Beendigung der PEG-Sondenernährung tatsächlich getroffen worden wäre. (Rn. 39 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Frage, ob im Falle der Erörterung die Entscheidung für eine Beendigung der PEG-Sondenernährung tatsächlich getroffen worden wäre, erfordert eine konkrete, abwägende Betrachtung im jeweiligen Einzelfall, wobei sich die Entscheidung an den Voraussetzungen der § 1901a, § 1901b BGB zu orientieren hat (Anschluss BGH BeckRS 2010, 29891 Rn. 12). Danach ist zunächst der vom Patienten in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille und – in Ermangelung einer Patientenverfügung – der mutmaßliche Willen des Patienten zu ermitteln. Eine für die Annahme eines Behandlungsabbruchs sprechende Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gibt es nicht. (Rn. 41 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Beklagten – hinsichtlich der Kosten – gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht München I örtlich und sachlich gem. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, 12, 13 ZPO zuständig Der Kläger hat auch auf die vom Beklagten erhobene Einrede Prozesskostensicherheit gem. § 110 ZPO geleistet.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz aus ererbtem Recht (§ 1922 Abs. 1 BGB), und zwar weder unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der ärztlichen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag (§§ 611, 280 BGB) zwischen dem Vater des Klägers und dem Beklagten noch nach Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB). Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Beklagte zwar fehlerhaft nicht auf die spätestens ab Beginn des Jahres 2010 nicht mehr gegebene Indikation für eine Ernährung über die PEG-Sonde hingewiesen, allerdings hat der Kläger den Nachweis dafür, dass dies ursächlich für einen bei seinem Vater eingetretenen Schaden geworden wäre, nicht zu führen vermocht.
2.1 Der Arzt schuldet dem Patienten diejenige Behandlung, die dem zum Zeitpunkt der Behandlung anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Objektiver Maßstab dafür ist der Standard eines berufserfahrenen Facharztes, also das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlichen Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können (BGH, Urteil v. 19.04.2000 – Az. 3 StR 442/99 – Rz. 37 – alle Entscheidungen, sofern nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank). Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist. und sich in der Erprobung bewährt hat (BGH, Urteil v. 15.04.2014 – Az. VI ZR 382/12 -Rz. 11).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, stellt sich die Behandlung des Vaters des Klägers durch die Ernährung mittels einer PEG-Sonde jedenfalls ab dem 01.01.2010 ohne eine ausdrückliche Erörterung der Situation mit dem Betreuer des Patienten als nicht mehr dem medizinischen Standard entsprechend dar.
2.2.1 Wie alle ärztlichen Eingriffe stellen auch lebenserhaltende Maßnahmen einschließlich der künstlichen Ernährung durch eine PEG-Sonde rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die körperliche Integrität des Patienten dar (BGH v. 17.03.2003 – Az. XII ZB 2/03 – Rz. 53; BGH v. 08.06.2005 – Az. XII ZR 177/03 – Rz. 9 ff.; vgl. auch Hufen, NJW 2001, S. 849/853 f.; Lipp, MedR 2015, s. 762/764). Eine lebenserhaltende ärztliche Maßnahme ist nur gerechtfertigt, wenn sie indiziert ist und dem Willen des Patienten entspricht (Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl., Kapitel VI, Rn. 92, 94 m. w. Nachw.). Dies gilt nicht nur für das ursprüngliche Legen, sondern auch für die Beibehaltung der Sonde, die somit als andauernder Eingriff einer fortwährenden Indikation und Einwilligung des Patienten bzw. seines Vertreters (§ 1901 a Abs. 2 BGB) bedarf. Wie sich aus §§ 1901b Abs. 1 S. 1,1904 Abs. 2 BGB ergibt, stellt sich die Frage nach der Einwilligung jedoch erst dann, wenn und soweit die Indikation gegeben ist (BT-Drucks 16/13314, S. 20; Kern in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl., § 54 b, Rz. 7; Palandt/Götz, BGB, 76. Aufl., § 1901 b, Rz. 1; so schon zur Rechtslage vor Einführung der §§ 1901 a ff. BGH v. 17.03.2003 – Az. XII ZB 2/03 – Rz. 55).
Damit kommt der Indikation zunächst eine weichenstellende Bedeutung zu. Die medizinische Indikation wird verstanden als das fachliche Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behandlungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall (BGH v. 17.03.2003 – Az. Xii ZB 2/03 – Rz. 53). Hinsichtlich der Indikation lebenserhaltender Maßnahmen wurde und wird teilweise noch immer in Anlehnung an die sog. Kemptener Entscheidung des BGH vom 13.09.1994 (Az. 1 StR 357/94 – Rz. 10 ff.) zwischen sterbenden Patienten und Patienten mit infauster Prognose, bei denen der Tod noch nicht unmittelbar bevorsteht, unterschieden. Der BGH hat die Sterbephase den damaligen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbehilfe folgend als Zustand definiert, in dem die Grundleiden des Patienten irreversibel sind, einen tödlichen Verlauf genommen haben und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird (BGH v. 13.09.1994 – Az. 1 StR 357/94 – Rz. 10; BGH v. 17.03.2003 – Az. XII ZB 2/03 – Rz. 41).
Sowohl in der Medizin als auch in der Rechtswissenschaft setzt sich jedoch zunehmend die Auffassung durch, dass es nicht allein auf das schwer bestimmbare Kriterium der unmittelbaren Todesnähe ankommen kann und die Indikation vielmehr auch in den anderen Fällen fehlen kann, wenn die lebenserhaltende Maßnahme Leiden lediglich verlängert (BGH v. 25.06.2010 – Az. 2 StR 454/09 – Rz. 15 ff.; Lipp, a. a. O., Rz.102 und Rz. 111, jeweils m.w.N.; Knauer/Brose, a. a. O., § 216 StGB, Rn. 17; Palandt/Götz, § 1901 a, Rz. 28; Coeppicus, NJW 2013, S. 2939/2941; so auch die „Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, DÄBl 2011, A 346, A 347). Anders als das scheinbar objektive Kriterium der unmittelbaren Todesnähe ermöglicht eine sorgfältige einzelfallbezogene Abwägung im Rahmen der Indikationsstellung einen umfassenden Schutz aller der genannten Rechte des Patienten (kritisch zum Kriterium der Todesnähe auch Stackmann, NJW 2003, S. 1568/1568).
Vor diesem Hintergrund ist für die Indikation einer lebensverlängernden Behandlungsmaßnahme entscheidend, welches Behandlungsziel – neben der rein zeitliche Verlängerung, die durch eben diese Maßnahme bewirkt wird – verfolgt wird. Zum Teil wird in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass bei der Festlegung dieses Zieles bereits ein abwägendes Zusammenwirken zwischen dem Arzt und dem Patienten bzw. seinem Betreuer im Sinne von § 1901b BGB erforderlich sei (so Lipp, MedR 2015, S. 762/765). Allerdings ist dies insoweit missverständlich, als dies nahelegt, dass die Indikation für eine Maßnahme und die Einwilligung in ihre Durchführung als ein abwägender Gesamtbetrachtungsvorgang zu verstehen seien. Tatsächlich ist aber zunächst einmal für die Festlegung eines Behandlungsziels in Abstimmung mit dem Patienten bzw. seinem Betreuer die Klärung erforderlich, welche Ziele medizinisch überhaupt verfolgt werden können; erst daran kann dann die Bestimmung des Behandlungsziels und die Einwilligung und die sich danach ergebenden Maßnahmen anknüpfen.
2.2.2 Diese Erwägungen zugrunde gelegt, bestanden für den Vater des Klägers jedenfalls ab dem Anfang, des Jahres 2010 keine mit der PEG-Sonden-Ernährung verfolgbaren Behandlungsziele mehr, die über eine Verlängerung des Lebens über die Dauer eben der Maßnahme hinausgingen.
Die Sachverständigen … und … haben bereits in ihrem schriftlichen Gutachten vom 20.01.2016 (dort S. 20 – 22) ausgeführt, dass jedenfalls ab dem Jahr 2010, möglicherweise früher, u.U. sogar schon im Jahr 2006 kein Therapieziel im eigentlichen Sinne mehr bestanden habe, weil es keinerlei begründete Hoffnung und Aussicht auf eine Besserung des Zustandes gegeben habe. Nach gängigen Leitlinien habe daher keine objektive Indikation für die künstliche Ernährung mehr vorgelegen.
Soweit die Sachverständigen in ihrem schriftlichen Gutachten allerdings noch davon ausgegangen sind, dass der Indikationsbegriff nur „schwer abbildbar“ gewesen sei, „da der Wille des Patienten nicht zu ermitteln“ gewesen sei (Gutachten, S. 21), und damit eine klare Verneinung der Indikation nicht möglich sei, hat der Sachverständige … in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2016 deutlich gemacht, dass die PEG-Sonden-Ernährung zur Vermeidung von Komplikationen bei der Ernährung gewählt worden sei, damit aber tatsächlich auch nur die Ernährung habe aufrecht erhalten werden können, wohingegen weitergehende Ziele nicht damit erreichbar gewesen seien (Protokoll, S. 3). Damit sei als Ziel der Sondenernährung die Vermeidung von Komplikationen bei der Ernährung anzusehen. Die Sichtweise auf darüber hinausgehende, mit der künstlichen Ernährung zu verfolgende Therapieziele habe sich demgegenüber verändert, so dass nicht nur das reine Aufrechterhalten des Lebens im Vordergrund stehe, sondern insgesamt die mit der Maßnahme verfolgten Ziele differenzierter betrachtet würden. Für den Vater des Klägers habe sich die Situation damit so dargestellt, dass er bei einer Beendigung der PEG-Sondenernährung im Jahr 2010 an den Folgen der Beendigung verstorben wäre, andere Gründe für ein alsbaldiges Versterben aber nicht bestanden hätten, zugleich aber sein Befinden auf Grund der Grunderkrankungen zunehmend schlechter geworden sei – ohne Aussichten auf eine Änderung der Situation (Protokoll, S. 4).
Auf Grund dieser Ausführungen des Sachverständigen steht für die Kammer zur Überzeugung fest, dass eine medizinisch zweifelsfreie Indikation für die Ernährung mit der PEG-Sonde jedenfalls ab Anfang 2010 nur insoweit bestanden hat, als damit Komplikationen, die bei anderen Formen der Ernährung drohten und in der Vergangenheit z.T. schon eingetreten waren wie etwa Aspirationspneumonien, vermieden werden konnten. Ein darüber hinausgehendes, mit der künstlichen Ernährung als solches verfolgbares Therapieziel bestand demgegenüber nicht mehr, sondern es konnte allenfalls eine Lebenserhaltung für die Dauer der lebenserhaltenden Maßnahme ohne Aussicht auf Besserung oder zumindest Stabilisierung des gesundheitlichen Zustandes des Vaters des Klägers erreicht werden.
2.2.3 In dieser Situation war der Beklagte nicht verpflichtet, selbst die Ernährung mit der PEG-Sonde abzubrechen.
Zwar kann regelmäßig eine nicht indizierte Behandlung weder durch eine Patientenverfügung noch durch einen an Stelle des Patienten berufenen Entscheidungsträger angeordnet werden (Knauer/Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 216 StGB, Rz. 19, § 223 StGB, Rz. 61; Palandt/Götz, § 1901 a, Rz. 29; Coeppicus, NJW 2013, S. 2939/2941). Vorliegend geht es aber nicht um die erstmalige Anordnung einer Behandlung sondern um die Entscheidung über ihre Beendigung.
Eine Verpflichtung, die PEG-Sonden-Ernährung abzubrechen, oder auch nur eine Empfehlung dazu ergibt sich weder aus ärztlichen Leitlinien, wie die Sachverständigen … und … in ihrem schriftlichen Gutachten vom 20.01.2016 (dort S, 14/15) noch aus der vom BGH entwickelten Rechtsprechung oder aus Gesetz. Soweit der BGH in seiner Entscheidung vom 17.03.2003 (Az. XII ZB 2/03 – Rz. 55) etwa ausgeführt, hat, dass bei Todesnähe und fehlenden Therapiezielen ein Arzt lebenserhaltende Maßnahmen einstellen dürfe, bezog sich dies auf die Frage, ob eine Beendigung strafbar sei, nicht ob eine Verpflichtung dazu bestehe. Nunmehr hat jedoch der Gesetzgeber mit den im Jahr 2009 neu eingeführten §§ 1901a ff. BGB eine ausdrückliche Regelung getroffen, die dem behandelnden Arzt gerade nicht den eigenverantwortlichen Abbruch einer Behandlung auferlegt, sondern vielmehr die Verpflichtung, die Indikation für die Behandlung regelmäßig zu prüfen und mit dem Betreuer die Fortsetzung der Maßnahme zu erörtern. Dementsprechend stellt es sich auch nicht als behandlungsfehlerhaft dar, dass der Beklagte im vorliegenden Fall nicht selbst die Ernährung des Patienten über die PEG-Sonde beendet hat.
2.2.4 Wohl aber stellt es sich als eine Verletzung der ihm aus § 1901b Abs. 1 BGB erwachsenden, neben den medizinischen Standards gleichfalls das Behandlungsverhältnis prägenden Pflicht dar. Denn danach hat der behandelnde Arzt zu prüfen, welche ärztlichen Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist, und die dann nach § 1901a BGB zu treffende Entscheidung über die Fortsetzung der Maßnahme mit dem Betreuer zu erörtern. Es handelt sich dabei um eine von dem Arzt in eigener Verantwortung vorzunehmende Prüfung und Erörterung (BGH v. 10.11.2010 – Az. 2 StR 320/10 – Rz. 14). Vorliegend wäre der Beklagte nach dem oben Dargelegten verpflichtet gewesen, jedenfalls ab Anfang 2010 den Betreuer des Patienten davon in Kenntnis zu setzen, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar war, und mit ihm vor diesem Hintergrund zu erörtern, ob die PEG-Sonden-Ernährung fortgesetzt bzw. abgebrochen werden soll. Dies ist unstreitig nicht geschehen und stellt damit eine Verletzung der Verpflichtung aus § 1901b Abs. 1 BGB und somit einen Behandlungsfehler dar.
2.3 Gleichwohl lässt sich nicht mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit zur Überzeugung der Kammer feststellen, dass dieser Behandlungsfehler ursächlich dafür geworden ist, dass die PEG-Sonden-Ernährung bis zum Versterben des Vaters des Klägers am 19.10.2011 fortgesetzt worden ist.
Denn anders als bei therapeutischen Maßnahmen, die erst zu ergreifen sind, bestand hier schon seit geraumer Zeit die Ernährung über die PEG-Sonde. Es hätte also vielmehr einer aktiven Entscheidung bedurft, die Ernährung einzustellen. Dass eine Erörterung zwischen dem Beklagten und dem Betreuer des Patienten über die mit der PEG-Sonden-Ernährung nur noch erreichbaren Ziele, nämlich die reine Lebenserhaltung bei kontinuierlicher Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes, zu einer Entscheidung im Sinne von § 1901a BGB, die Ernährung zu beenden, geführt hätte, ist vom Kläger nicht zur Überzeugung dargetan und nachgewiesen worden.
Zum einen kann – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass eine Behandlung, mit der kein weitergehendes Therapieziel verfolgt werden kann, im konkreten Fall zweifelsfrei unterlassen werden muss. Gerade lebenserhaltende Maßnahmen berühren unmittelbar das zentrale und fundamentale Grundrecht auf Leben. In diesem Sinne schützt jede das Leben erhaltende Maßnahme das Grundrecht auf Leben. Ob dieses Leben „lebenswert“, d.h. aus Sicht des Betroffenen wert ist, auch tatsächlich durch eine künstliche Ernährung aufrecht erhalten zu werden, ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Daraus folgt einerseits nicht, dass ein Leben ohne Aussicht auf Besserung in jedem Fall erhalten werden müsste. Andererseits folgt aber auch nicht, dass es nicht erhalten werden dürfte. Vielmehr erfordert die Frage eine konkrete, abwägende Betrachtung im jeweiligen Einzelfall, wobei sich die Entscheidung an den Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB zu orientieren hat (BGH v. 10.11.2010 – Az. 2 StR 320/10 – Rz. 12; so zuvor bereits BGH v. 25.06.2010 – Az. 2 StR 454/09 – Rz. 24).
Nach § 1901 a Abs. 1 BGB ist zunächst bei der Entscheidung der vom Patienten in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille und – in Ermangelung einer solchen – gem. § 1901a Abs. 2 BGB der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln. Vorliegend lag unstreitig keine Patientenverfügung vor und ebenso unstreitig war auch der mutmaßliche Wille des Vaters des Klägers nicht zu ermitteln, und dies auch nicht über eine Einbeziehung von Angehörigen – etwa dem Kläger selbst. Dabei kann es dahingestellt bleiben, dass der Kläger selbst nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung seinen Vater nur etwa einmal jährlich und ab 2008 gar nicht mehr besuchte, also keine eigene Wahrnehmung von der konkreten Situation ab 2010 hatte.
In einer solchen Situation spricht auch nicht die – in anderen Zusammenhängen entwickelte – Vermutung eines beratungsgerechten Verhaltens für die Annahme eines Behandlungsabbruchs. Gerade weil es sich um eine – die – fundamentale Entscheidung über das Grundrecht auf Leben und die Bewertung, wann es als „lebenswert“ empfunden wird, handelt, stellt sich die Entscheidung als so höchstpersönlich dar, dass ein aligemeiner Vermutungssatz hier keinen Raum greifen kann.
Dafür sprechen zum einen die Überlegungen des Gesetzgebers, wie sie in der Gesetzesbegründung zu § 1901a Abs. 2 BGB (BT-Drs. 16/8442, S. 16, linke Spalte) ihren Ausdruck gefunden haben: „Kann ein auf die Durchführung, die Nichteinlösung oder die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betreuten auch nach Ausschöpfung alier verfügbaren Erkenntnisse nicht festgestellt werden, gebietet es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem wohl des Betreuten zu entscheiden und dabei dem Schutz des Lebens Vorrang einzuräumen.“ Ähnlich wird auch in der Rechtsprechung (BGH v. 06.07.2016 – Az. XII ZB 61/16 – Rz. 37) und teilweise in der Literatur (Palandt/Götz, a.a.O., § 1901a, Rz. 28; a.A.’ dagegen Bamberger/Roth/Müller, Beck’scher Online-Kommentar, § 1901a, Rz. 24) in Zweifelsfällen ein Vorrang des Lebens betont. Bereits dies macht deutlich, dass für eine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens hier kein Raum sein kann.
Zum andern hat aber auch der Sachverständige … in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2016 auf Grund eigener Erfahrungen ausgeführt, dass es immer wieder, Patienten gebe, die bei vergleichbarem Leiden wie dem des Vaters des Klägers – so sie ihren Willen äußern konnten – die Entscheidung für eine Fortsetzung der lebenserhaltenden Maßnahmen getroffen hätten, so dass es aus seiner Sicht sehr schwierig sei, allein aus den Leiden den Rückschluss darauf zu ziehen, welche Entscheidung im Sinne des Patienten gewesen wäre. Auch dies macht deutlich, dass es in einer so elementaren Frage keine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens geben kann.
Somit hat der Kläger aber nicht den Nachweis geführt, dass im Falle einer Erörterung zwischen dem Beklagten und dem Betreuer tatsächlich die Entscheidung für eine Beendigung der PEG-Sondenernährung getroffen worden wäre.
2.4 Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sog. „Aufklärungsmangels“.
Grundsätzlich muss ein Patient bzw. sein Betreuer vor der Durchführung eines Heileingriffs aufgeklärt werden und darin einwilligen; der ohne wirksame Einwilligung durchgeführte Heileingriff stellt eine rechtswidrige Körperverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB und zugleich auch eine Verletzung der vertraglichen Pflichten gem. §§ 611, 280 BGB dar (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 07.02.2012 – Az. VI ZR 63/11 – Rz. 10; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823, Rz. I 76). Der Patient muss also – zumindest im Großen und Ganzen – wissen, worin er einwilligt (BGH, Urteil v, 07.02.1984 – Az. VI ZR 174/82 – Rz. 21). Er soll zu einer Risikoabwägung in der Lage sein, wozu er der grundlegenden Informationen bedarf. Das gilt grundsätzlich auch für die Ernährung mit einer PEG-Sonde (BGH v. 17.03.2003 – Az. XII ZB 2/03 – Rz.- 33; vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 16, rechte Spalte).
Allerdings gilt dies zunächst und vor allem einmal für die Entscheidung über die Anlage einer PEG-Sonde. Anders stellt sich die Situation demgegenüber bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder die Beendigung einer bereits begonnenen Sondenernährung dar. Denn hier haben die oben bereits dargelegten §§ 1901a ff. BGB eine ausdrückliche Regelung für die Entscheidungsfindung getroffen.
Unstreitig war es nicht der Beklagte, der die Ernährung mittels PEG-Sonde ursprünglich veranlasst hatte; er übernahm die Behandlung des Patienten erst zu einem späteren Zeitpunkt. Damit aber verbleibt es wiederum bei dem oben bereits Dargelegten; der Beklagte hätte zwar die – nur noch limitierten – Therapieziele erörtern müssen; da allerdings der Beklagte selbst nicht zum Abbruch der Ernährung befugt gewesen wäre, kann die Fortführung – in Ermangelung des Nachweises, dass bei einer entsprechenden Erörterung eine Entscheidung zugunsten der Beendigung getroffen worden wäre – nicht als rechtswidrige Körperverletzung dem Beklagten zugerechnet werden. Insoweit haben die §§ 1901a ff. BGB Vorrang.
2.5 Aufgrund dessen geht die Kammer zwar insoweit von einer Verletzung der ärztlichen Pflichten durch den Beklagten aus, sieht aber den Nachweis für eine Schadensursäch-lichkeit als nicht geführt an.
2.6 Hinsichtlich der durchgeführten palliativen Maßnahmen hat der Kläger den Vorwurf von Behandlungsfehlern in der ersten Instanz nicht mehr aufrecht erhalten, so dass eine weitergehende sachverständige Klärung diesbezüglich nicht erforderlich war. Auch hinsichtlich der durchgeführten palliativen Maßnahmen lassen sich keine Behandlungsfehler feststellen.
2.7 Insgesamt lassen sich damit keine schadensursächlichen Behandlungsfehler zur Überzeugung der Kammer feststellen.
2.8 Die Kammer hat sich bezüglich der medizinischen Fragestellungen durch … und … sachverständig beraten lassen. Das schriftlichen Gutachten, aber auch die mündlichen Erläuterungen sind klar, schlüssig und verständlich. Die Sachverständigen haben ihre Beurteilung nach ersichtlich gründlicher Auswertung der umfassend beigezogenen Behandlungsunterlagen uneingeschränkt fundiert, sachlich nachvollziehbar und in überzeugender Auseinandersetzung mit der Argumentation der Parteien erstattet. In der mündlichen Verhandlung hat sich der Sachverständige … eingehend und nachvollziehbar mit den an ihn gerichteten Fragestellungen befasst und überzeugende Antworten gegeben.
Die Ausführungen des Sachverständigen sind von großer praktischer Erfahrung geprägt und zeugen von großem Fachwissen/Kompetenz und Erfahrung stehen für die Kammer ebenso außer Zweifel wie die Objektivität der beiden Sachverständigen. Die Kammer schließt sich den Feststellungen daher uneingeschränkt an.
2.9 Auf Grund all dessen hat der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz aus übergegangenem Recht, so dass die Klage unbegründet und daher abzuweisen ist.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.