Medizinrecht

Haftungsbegründende Kausalität und Schmerzensgeldhöhe bei schwerem Geburtsschadensfall infolge eines groben Behandlungsfehlers des die Geburt begleitenden Gynäkologen

Aktenzeichen  4 U 38/15

Datum:
19.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MedR – 2017, 548
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 253 Abs. 2, § 630h Abs. 5

 

Leitsatz

1. Zur Kausalitätsprüfung in einem Geburtsschadensfall (hier: schwere hirnorganische Schädigung des Feten aufgrund einer massiven Sauerstoffunterversorgung, weil der Geburtshelfer grob pflichtwidrig auf alarmierende und in der Schlussphase durchgehend hochpathologische Befunde der CTG-Aufzeichnungen bis zur Entbindung nicht bzw. nicht angemessen reagiert hatte), wenn sich die Arztseite unter dem Gesichtspunkt des sog. rechtmäßigen Alternativverhaltens darauf beruft, dass auch bei Durchführung der versäumten Not- Sectio – somit noch vor dem Ablauf der hypothetischen E-E-Zeit von bis zu 20 Minuten – eine ins Gewicht fallende Vorschädigung des Feten (im Sinn einer abgrenzbaren Teilkausalität) eingetreten wäre. (amtlicher Leitsatz)
2. Zu den Anforderungen an den der Arztseite hierbei obliegenden Nachweis einer substantiellen Vorschädigung, die nicht von der Einstandspflicht des Geburtshelfers umfasst ist. (amtlicher Leitsatz)
3. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in einem solchen Fall entspricht es nicht den methodischen Anforderungen an die gebotene Gesamtschau, wenn sich die tragende Begründung des Tatrichters in der Aussage erschöpft, dass eine “schwerste Behinderung” vorliege und demzufolge eine “Zerstörung der Persönlichkeit” gegeben sei. (amtlicher Leitsatz)
4. Denn innerhalb der Kategorie von schweren und schwersten Geburtsschäden gibt es die hinreichend abgrenzbare Konstellation einer extremen (“maximalen”) Schädigung, die den typologischen Stellenwert einer eigenständigen Fallgruppe hat. Die tatrichterliche Bemessung des zuerkannten Schmerzensgeldes muss deshalb insbesondere erkennen lassen, dass bei der Gewichtung der Schadensfaktoren ein sorgfältiger Abgleich mit denjenigen konstitutiven Schadensanlagen stattgefunden hat, welche die besondere Fallgruppe einer extremen bzw. “allerschwersten” Schädigung in der Regel kennzeichnen. (amtlicher Leitsatz)
5. Weist die Situation des geschädigten Kindes signifikante Unterschiede zur typischen Sachverhaltsgestaltung eines extremen Schadensfalls aus, so hat sich dieser Umstand grundsätzlich auch in einer entsprechenden – deutlichen -Ermäßigung des immateriellen Ausgleichs gegenüber den in der einschlägigen Judikatur der Oberlandesgerichte zugebilligten Schmerzensgeldbeträgen in einer Größenordnung von 500.000,00 EUR (und darüber) niederzuschlagen (Abgrenzung zu OLG Hamm VersR 2004, 386 Rn. 7, 61ff.; OLG Brandenburg VersR 2004, 199, Rn. 3, 4 und 44; OLG Jena VersR 2009, 1676, Rn. 6). (amtlicher Leitsatz)
6. Zur Einordnung des Umstandes bei der Schmerzensgeldbemessung, dass sich das geschädigte Kind mit fortschreitendem Alter in zunehmendem Maße schmerzlich bewusst wird, dass und mit welcher Ausschließlichkeit es durch seine schweren Behinderungen von den Entfaltungsmöglichkeiten “normal” entwickelter Kinder abgeschnitten ist. (amtlicher Leitsatz)
7 Beruft sich der eine Geburt begleitende Arzt, dem dabei ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist, darauf, dass es intrapartal neben der von ihm zu verantwortenden Schädigung zu einer von seiner Einstandspflicht nicht umfassten Vorschädigung des Kindes gekommen ist, so trägt er die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Vorschädigung sowie das Vorliegen einer abgrenzbaren Teilkausalität. (redaktioneller Leitsatz)
8 Wird sich das bei der Geburt geschädigte Kind im Zuge seiner Entwicklung in zunehmenden Maße schmerzlich bewusst, dass es durch seine schweren Behinderungen von den Entfaltungsmöglichkeiten “normal” entwickelter Kinder abgeschnitten ist, so ist dieser Aspekt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ambivalent erheblich. Auf der einen Seite kann er eine besondere Ausprägung des immateriellen Schadens darstellen; auf der anderen Seite ist er aber auch Ausdruck einer erheblichen kognitiven Leistung des Kindes, die diesem in gleicher Weise die Möglichkeit eröffnet, sich auch Zusammenhänge mit positivem Anschauungs- und Erlebnisgehalt zu erschließen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

15 O 18/10 2015-02-03 Urt LGHOF LG Hof

Tenor

I.
Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 03.02.2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das vom Landgericht in Ziff. I. der Entscheidungsformel ausgeurteilte Schmerzensgeld auf 350.000,00 Euro zuzüglich Prozesszinsen seit dem 18.02.2011 ermäßigt wird.
II.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Klägerin 1/5 und der Beklagte 4/5.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens entfallen auf die Klägerin 1/10 und auf den Beklagten 9/10.
III.
Das Senatsurteil sowie die Entscheidung des Landgerichts sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann jeweils die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht zuvor die Klägerseite Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
V.
Berufungsstreitwert: 600.000,00 Euro.

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen den Beklagten, einen niedergelassenen Frauenarzt und Belegarzt, Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung im Zusammenhang mit ihrer Geburt am … 2006 im Klinikum A. (fortan nur: Klinikum oder Krankenhaus) geltend.
Die Mutter der Klägerin (künftig nur: Mutter) war am … 2006 gegen 23:50 Uhr im Klinikum aufgenommen worden. Nachdem die durchgehenden CTG-Aufzeichnungen bereits seit 0:44 Uhr phasenweise einen – zum Teil extremen – Abfall der fetalen Herztöne registriert hatten, war der – als diensthabender Belegarzt verständigte -Beklagte um 1:10 Uhr im Kreißsaal eingetroffen. Auch in der Folgezeit wiesen die CTG-Aufzeichnungen – zunächst in vorübergehenden Intervallen, dann ab 2:00 Uhr ununterbrochen – auffällige bis (hoch-)pathologische Werte aus. Nachdem die Mutter gegen 2:30 Uhr eine Zangenentbindung abgelehnt hatte, war die Klägerin (spätestens) um 2:46 Uhr vaginal entbunden worden. In der Folgezeit wurden bei ihr in zunehmendem Umfang schwerste und bleibende Gesundheitsschäden infolge einer tiefgreifenden Hirnschädigung erkennbar.
Nach dem Vorbringen der Klägerseite sind diese Gesundheitsschäden und die -insoweit unstreitig – daraus erwachsenen Behinderungen und sonstigen Dauerfolgen ausschließlich darauf zurückzuführen, dass unter der Geburt entsprechend den CTG-Aufzeichnungen bereits ab 0:44 Uhr – zunächst in bestimmten Phasen, dann ab 2:00 Uhr durchgehend – eine massive bis extreme Sauerstoffunterversorgung des Feten bestanden habe, auf die der Beklagte grob pflichtwidrig nicht reagiert habe.
Die Klägerin verlangt die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 500.000,– Euro zuzüglich Zinsen seit dem 25.0 8.2006 sowie die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zu Ersatz des materiellen Zukunftsschadens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Verfahrensgangs in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.
Das von drei Sachverständigen (einem Gynäkologen, einer Neonatologin sowie einer Neuropädiaterin) beratene Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 400.000,– Euro samt Prozesszinsen verurteilt sowie die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des materiellen Zukunftsschadens der Klägerin festgestellt.
Hiergegen richtet sich die vor allem auf Angriffe gegen die Feststellungen des Landgerichts in der Kausalitätsfrage gestützte Berufung der Beklagtenseite, die unverändert die vollständige Abweisung der Klage anstrebt.
Mit Beschluss vom 01.06.2016 hat der Senat in Bezug auf die allein noch klärungsbedürftige Kausalitätsfrage (hinsichtlich einer intrapartal bereits vor 2.00 Uhr eingetretenen Vorschädigung) ein weiteres Ergänzungsgutachten des frauenärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 02.09.2016 (Bl. 613ff.) sowie eine Stellungnahme der neonatologischen Gutachterin Dr. G. vom 19.08.2016 (Bl. 603ff.) erholt. Hierzu sind beide Sachverständige im Senatstermin vom 19.09.2016 jeweils mündlich angehört worden (Bl. 637ff.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Senatsprotokolle vom 30.11.2015 und vom 19.09.2016 (Bl. 465ff. bzw. Bl. 636ff.), den Hinweis- und Beweisbeschluss vom 01.06.2016 (Bl. 570ff.) sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt den beigefügten Urkunden und sonstigen Anlagen Bezug genommen.
Entsprechend einer Anregung des Senats hat die Beklagtenseite nach dem ersten Termin eine Vorschusszahlung der hinter ihr stehenden Haftpflichtversicherung auf die eingeklagte Schmerzensgeldforderung in Höhe von 100.000,00 Euro veranlasst.
Die statthafte und auch sonst gemäß §§ 511ff. ZPO zulässige Berufung erzielt lediglich einen Teilerfolg hinsichtlich der Höhe des vom Landgericht ausgeurteilten Schmerzensgeldes. Denn das weitergehende Rechtsmittel erweist sich auch nach dem Ergebnis der Nachbegutachtung als (offensichtlich) unbegründet.
A. Haftungsbegründender Sachverhalt
Das Landgericht hat den beurteilungserheblichen Streitstoff im wesentlichen sehr sorgfältig und umfassend durch die drei Sachverständigen aufarbeiten lassen. Seine Feststellungen zum haftungsbegründenden Sachverhalt i.e.S. bieten daher keine Angriffsfläche für die Berufung, so dass der Senat zunächst auf die in jeder Hinsicht überzeugenden Feststellungen und die darauf aufbauende Einordnung des Landgerichts Bezug nehmen sowie sich zum Berufungsvorbringen auf die nachstehenden Anmerkungen beschränken kann.
1. Sachverhaltsrahmen
Nach den zutreffenden Darlegungen im Ersturteil stellen sich der äußere Geburtshergang und die daran anknüpfende Einordnung des Fehlverhaltens des Beklagten im Überblick wie folgt dar:
23.50 Uhr: stationäre Aufnahme der Mutter von 0.44 Uhr
bis 1.00 Uhr: phasenweise – zum Teil extremer – Abfall der fetalen Herztöne
1.10 Uhr: Eintreffen des verklagten Belegarztes im Kreißsaal
ab 1.11 Uhr: immer wieder „eindeutig bzw. (hoch-)pathologische“ CTG-Muster
ab 1.40 Uhr: Eingreifen des Geburtshelfers zwingend geboten
(Mikroblutuntersuchung und/oder Tokolyse bzw. Indikation zur Notfall-Sectio = Beginn der sog. E-E-Zeit von höchstens 20 min)
ab 1.45 Uhr: weiteres Untätigbleiben des Arztes grob behandlungsfehlerhaft
ab 2.00 Uhr: CTG durchgehend hochpathologisch
ab 2.15 Uhr: CTG bietet das Bild eines sterbenden Feten
2.30 Uhr: Zangenentbindung wird von der Kindesmutter abgelehnt
2.46 Uhr: vaginale Entbindung der Klägerin
2. Grober Behandlungsfehler des Beklagten
Die Annahme einer groben Pflichtverletzung des Beklagten ist bereits durch den bisherigen Begutachtungsstand unter allen denkbaren Gesichtspunkten abgesichert.
a) Die von überragender Fachkompetenz und souveräner Sachkunde getragenen Aussagen des frauenärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. R. (mit dem Fazit: „Spätestens um 02:00 Uhr hätte das Kind auf der Welt sein müssen!“ – SN vom 17.06.2014, dort S. 6 = Bl.341) entsprechen in jeder Hinsicht dem im Behandlungszeitpunkt maßgebenden Standard und sind in Bezug auf die Auswertung und Einordnung der CTG-Aufzeichnungen geradezu mustergültig (vgl. etwa auch Dudenhausen, Praktische Geburtshilfe, 21. Auflage, S. 35 ff., 156 ff.). Wie dem Senat aus mehreren Verfahren mit schwierigster Begutachtungsmaterie bekannt ist (vgl. etwa Senat VersR 2012, 725 = GesR 2012, 301, Rn.94ff.) gehört Prof. Dr. R. (nachfolgend nur: Prof. R.) zu den bundesweit und damit zugleich im internationalen Maßstab führenden Fachleuten auf dem Gebiet der Frauenheilkunde. Anhand seiner von unbestechlicher Gründlichkeit sowie dem Erfahrungsreichtum eines noch täglich im Kreißsaal stehenden Klinikleiters geprägten Aufarbeitungen das Behandlungsgeschehens und den daran geknüpften Bewertungen können sich die Verfahrensbeteiligten auch bei einer komplex gelagerten Beweisthematik mit hohem und höchstem Schwierigkeitsgrad von Prof. R. vertrauensvoll durch die Begutachtungsmaterie führen lassen. Das wird auch von der Berufung nicht ernsthaft in Frage gestellt.
b) Auf der Grundlage dieses den Erläuterungsbedarf in jeder Hinsicht erschöpfenden Begutachtungsstandes ist zugleich das Vorliegen einer eklatanten Verletzung des Behandlungsstandards und somit eines groben Pflichtverstoßes des Beklagten jedem Zweifel entrückt; dies umso mehr, als der Beklagte schon im Vorfeld nicht nur die zur Statuserhebung dringend angezeigte Mikroblutuntersuchung (MBU) versäumt, sondern auch noch jedwede sich aufdrängende Ausgleichsmaßnahme (wehenhemmende Medikation – Tokolyse – oder/und Sauerstoffgaben für die Mutter) unterlassen hatte.
Im Übrigen folgt aus der Tatsache, dass wegen des unverständlichen Untätigbleibens des Beklagten der bedrohliche Zustand einer evident-massiven Sauerstoffunterversorgung der Klägerin auch noch über 1.40 Uhr hinaus angedauert hatte, bereits unter dem Blickwinkel eines groben Befunderhebungsfehlers das Vorliegen eines spätestens ab 1.45 Uhr in die Verantwortlichkeit des Geburtshelfers fallenden Primärschadens (vgl. hierzu auch BGH NJW 2013, 3094, dort Rn.16).
3. Syndromerkrankung oder sonstige präpartale Vorschädigung der Klägerin?
Für eine bereits während der Schwangerschaft präpartal eingetretene Vorschädigung der Klägerin gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Auch das wird im Ersturteil anhand der sorgfältig ausgewerteten Gutachten der Sachverständigen Dr. G. und Prof. Dr. S. überzeugend dargelegt. Diese Feststellungen werden von der Berufung nicht mehr hinterfragt.
Hiernach beruhen die Feststellungen des Landgerichts zum haftungsbegründenden Sachverhalt auf einer in jeder Hinsicht tragfähigen Beurteilungsgrundlage.
B. Abgrenzbare Teilkausalität wegen eines intrapartal eingetretenen und von der Einstandspflicht des Beklagten nicht umfassten Vorschadens?
1. Das Vorbringen der Beklagtenseite zu einem aufgrund der massiven Sauerstoffmangelversorgung unter der Geburt (intrapartal) eingetretenen und von der Einstandspflicht des Beklagten nicht umfassten Vorschadens im Sinn einer abgrenzbaren Teilkausalität (vgl. BGH NJW-RR 2014, 1118, Rn. 25) war allerdings geeignet, die Notwendigkeit einer ergänzenden Begutachtung aufzuzeigen; insoweit wird der beurteilungserhebliche Streitstoff von den Feststellungen des Landgerichts in einem entscheidenden Punkt nicht vollständig abgedeckt. Denn im Rahmen einer die beurteilungserheblichen Einzelheiten des Geburtsverlaufs ausschöpfenden Kausalitätsbetrachtung ist dem Beklagten zuzubilligen, dass er im Fall einer um 1.40 Uhr angeordneten Notsectio unter den vorliegenden Umständen, wie auch der Sachverständige Prof. R. bestätigt hat (Ergänzungsgutachten vom 2.9.2016, dort S. 5, 6 = Bl. 617, 618), für die Vorbereitung und Durchführung dieses Eingriffs als sog. E-E-Zeit bis zu 20 Minuten hätte in Anspruch nehmen dürfen. Die Einbeziehung dieses Zeitfensters in die Untersuchung der Ursachenzusammenhänge ist also bereits deshalb geboten, weil dem Beklagten sonst die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativerhalten abgeschnitten werden würde.
2. Die entsprechend dem Senatsbeschluss vom 01.06.2016 erfolgte Nachbegutachtung durch die Sachverständigen Prof. R. und Dr. G. hat zwar die Möglichkeit nicht ausgeräumt, dass die Klägerin bereits vor 2.00 Uhr eine nicht unerhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung erlitten hatte; sie hat jedoch nicht den zuverlässigen Nachweis erbracht, dass die Sauerstoffmangelversorgung tatsächlich schon vor diesem Zeitpunkt, bis zu dem „das Kind hätte spätestens auf der Welt sein müssen“, zu einer fassbaren Schädigung, d. h. zu einer unumkehrbaren Beeinträchtigung des fetalen Organismus geführt hatte.
a) So ist den Aussagen von Prof. R., der die aktuelle Beweisthematik wiederum erschöpfend sowie mit akribischer Präzision bereits in seinem erwähnten Ergänzungsgutachten vom 02.09.2016 (= EGA) aufgearbeitet hatte, zunächst darin beizutreten, dass es bei der Beurteilung der vorliegenden CTG-Messungen ausschlaggebend darauf anzukommen hat, welche Rückschlüsse die eindeutig pathologischen Befunde in der Zusammenschau mit den jeweils nachfolgenden Aufzeichnungssequenzen auf den Status der „Kompensationsreserve“ des Kindes zulassen (EGA, dort S. 5 – 7 = Bl. 617ff.). Anhand dieses einleuchtenden Einordnungsmaßstabs ist der Sachverständige im Senatstermin die CTG-Aufzeichnungen in den schon im EGA erläuterten Abschnitten (0.40 Uhr bis 1.10 Uhr, dann bis 1.40 Uhr mit dem Fokus auf der Entwicklung auf 1.20 Uhr, anschließend bis 2.00 Uhr und schließlich das letzte Intervall mit durchgehend hochpathologischen Befundmustern) nochmals schrittweise mit der ihn auszeichnenden Genauigkeit und plastischen Anschaulichkeit der Darstellung durchgegangen. Danach lassen die Befundmuster der Aufzeichnungsintervalle bis 2.00 Uhr in allen Abschnitten immer wieder „kompensatorische Reaktionen“ des Kindes erkennen. Erst ab 2.00 Uhr deuten die registrierten Werte auf eine sich kontinuierlich (nochmals) verschlechternde Entwicklung hin, die sich ab 2.15 Uhr in den CTG-Mustern schließlich zum Bild eines „sterbenden Feten“ verdichtet. Mithin weisen die CTG-Aufzeichnungen erst ab 2.00 Uhr gewissermaßen eine „Zäsur“ aus mit der Folge, dass der beurteilungserhebliche Wegfall der fetalen Kompensationsfähigkeit und das daran geknüpfte Eintreten einer irreversiblen Schädigung erst für die danach liegende Schlussphase hinreichend gesichert erscheinen (EGA a. a. O.; Senatsprotokoll vom 19.9.2016, dort S. 3 = Bl. 638).
b) Die Sachverständige Dr. G., die sich schon in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19.8.2016 (dort S. 2 = Bl. 604) von der von der Kammer protokollierten Einschätzung eines Schadenseintritts bereits vor dem Eintreffen des Beklagten (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 9.12.2014 = Bl. 361) distanziert hatte, hat dem von ihrem Fachgebiet umfassten Begutachtungsstoff keine für das Vorliegen einer intrapartalen Vorschädigung sprechenden Anhaltspunkte entnehmen können und hinsichtlich der Auswertung der CTG-Aufzeichnungen auf die Erläuterungen von Prof. R. verwiesen (Senatsprotokoll a. a. O., dort S. 4, 5 = Bl. 639f.).
c) Nach dem Ergebnis der ergänzenden Begutachtung hat somit die beweisbelastete Beklagtenseite bereits nicht dargetan, dass es innerhalb des beurteilungserheblichen Zeitraums überhaupt zu einer ins Gewicht fallenden Vorschädigung im Vorfeld der Entbindung gekommen war. Es kann deshalb offen bleiben, welche Begutachtungsansätze für den auf der zweiten Stufe erforderlichen Nachweis einer abgrenzbaren Teilkausalität bestanden hätten.
Infolgedessen ist der Umfang der Haftung des Beklagten auch unter dem Blickwinkel einer intrapartal entstandenen Vorschädigung nicht gemindert, so dass der Beklagte für die infolge seines grob sorgfaltswidrigen Geburtsmanagements eingetretene Hirnschädigung der Klägerin samt den daraus erwachsenen dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen in vollem Umfang einzustehen hat und daher der Klägerin entsprechend ihrem Feststellungsbegehren auch ohne Einschränkung zum Ersatz des materiellen und immateriellen Zukunftsschadens verpflichtet ist.
C. Schmerzensgeld
Dagegen kann der Berufung ein Teilerfolg nicht versagt bleiben, soweit sie eine Ermäßigung des ausgeurteilten Schmerzensgeldes anstrebt.
1. Ebenso wie in anderen Fällen muss der Richter auch bei schweren und schwersten Geburtsschäden diejenigen Umstände, die dem Schadensbild im Einzelfall sein individuelles Gepräge geben, eigenständig bewerten und aus einer Gesamtschau die angemessene Entschädigung für das sich ihm darbietende Schadensbild gewinnen. Hierbei kann der Richter je nach dem Ausmaß der jeweiligen Beeinträchtigung und dem Grad der dem Verletzten verbliebenen Erlebnis-und Empfindungsfähigkeit Abstufungen vornehmen, um den Besonderheiten des jeweiligen Schadensfalles Rechnung zu tragen (vgl. BGHZ 120, 1, Rn. 31).
2. Diesen Vorgaben werden die Ausführungen im Ersturteil nicht gerecht. Die Darlegungen der Kammer zur Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes beschränken sich im Wesentlichen auf die – zutreffende – Einschätzung und ausschließlich diese Bewertung ausfüllende Erläuterung der Schadenslage, dass der vorliegende Geburtsschaden in die Kategorie der „schwersten Behinderung“ fällt und daher von einer „Zerstörung der Persönlichkeit“ auszugehen ist (LGU, S. 9). Das entspricht nicht den methodischen Anforderungen an die gebotene Gesamtschau.
Denn dazu gehört insbesondere auch eine typisierende Betrachtung anhand vergleichbarer bzw. unterschiedlich gelagerter Fälle sowie die Einpassung der konkreten Schadensfaktoren innerhalb der erheblichen Bandbreite derjenigen eigenständigen Fallgruppen, die von der Kategorie eines schweren bzw. schwersten Geburtsschadens umfasst werden. Im Rahmen dieser vergleichenden Einordnung hat es daher nur tautologischen Aussagewert, dass bei einer tiefgreifenden hirnorganischen Geburtsschädigung wie hier die „die Zerstörung der Persönlichkeit durch den Fortfall oder das Vorenthalten der Empfindungsfähigkeit geradezu im Mittelpunkt steht.“ (BGHZ a. a. O.). Denn insoweit geht es um ein übergreifendes, weil sämtliche Fallgestaltungen innerhalb der vorliegenden Schadenskategorie prägendes Statusmerkmal. Hieran knüpft sich der maßgebende Begründungansatz für den durch BGHZ a. a. O. eingeleiteten Wandel der Rechtsprechung, die es bis dahin dem Tatrichter gestattet hatte, anstelle einer eigenständigen Bewertung der individuellen Schadenslage das Schmerzensgeld allein deshalb auf eine nur symbolhafte Entschädigung zu reduzieren, weil das Kind einen vollständigen bzw. weitgehenden Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit erlitten hatte (BGHZ a. a. O.). Die gewandelte Auffassung ist also weder bestimmt noch geeignet, den fundamentalen Aspekt einer (vollständigen oder weitgehenden) Persönlichkeitszerstörung an die Stelle der notwendigen fallbezogenen Würdigung der konkreten Umstände treten zu lassen, welche zugleich eine Gewichtung der Schadensfaktoren anhand eines Abgleichs mit ähnlich oder anders gelagerten Konstellationen derselben Schadenskategorie erfordert (vgl. BGHZ a. a. O. und Rn.32).
3. Die demnach gebotene typologische Einordnung des vorliegenden Sachverhalts drängt sich im Vergleich mit denjenigen Fallgestaltungen, die Gegenstand der im Ersturteil zitierten OLG-Entscheidungen sind (OLG Hamm VersR 2004, 386 Rn. 7, 61ff.; OLG Brandenburg VersR 2004, 199, Rn. 3, 4 und 44; OLG Celle VersR 2009, 500 dort Rn. 56ff.; OLG Zweibrücken MedR 2009, 88 Rn. 51ff.; OLG Jena VersR 2009, 1676, Rn. 6; OLG Koblenz VersR 2010, 1452, dort Rn. 9, 77ff. sowie OLG Stuttgart AHRS 0550/372, Rn. 2, 25 und 29 bei juris), geradezu auf.
a) Mit Ausnahme des vom OLG Koblenz a. a. O. entschiedenen Schadensfalls sind die in der angeführten Judikatur beurteilten Sachverhalte, soweit ersichtlich, durchweg von einer noch erheblich gravierenderen Schadenslage geprägt als die vom Landgericht festgestellte Situation der Klägerin; von vergleichbaren „Geburtsschäden mit schwersten Behinderungen ähnlich denen der Klägerin“, wie es auf S. 10 des Ersturteils heißt, kann deshalb keine Rede sein. Hierbei lässt sich den einschlägigen Bezugsentscheidungen zugleich entnehmen, dass es innerhalb des Spektrums schwerster hirnorganischer Geburtsschäden infolge einer Sauerstoffunterversorgung wiederum eine auch typologisch hinreichend abgrenzbare Konstellation der „allerschwersten Schädigung bzw. „maximalen Beeinträchtigung“ gibt, die unter dem Blickwinkel einer extremen Schadensausprägung eine Beurteilung als eigenständige Fallgruppe verlangt; das kommt in den betreffenden OLG-Urteilen zwar nicht immer explizit, aber jedenfalls der Sache nach unverkennbar zum Ausdruck (vgl. OLG Hamm a. a. O., Rn. 63: „schlechterer Zustand nicht vorstellbar“; OLG Celle a. a. O., dort Rn. 61: „maximale Beeinträchtigung, wie sie größer und schlimmer kaum vorstellbar ist“; OLG Stuttgart a. a. O., Rn. 25: „allerschwerste Schädigung“ sowie LG Gera VersR 2009, 1232 – als Vorinstanz des OLG Jena a. a. O. – dort Rn. 27: „gravierendere geistige und körperliche Beeinträchtigungen kaum vorstellbar“ ).
Diese besondere Fallgruppe zeichnet sich in der Regel durch eine – von Fall zu Fall variierende – Kombination der folgenden Schadensanlagen aus:
Epileptische Anfälle bis hin zu einer schweren Epilepsie und/oder sonstige cerebrale Krämpfe (OLG Hamm, OLG Brandenburg, OLG Celle, OLG Zweibrücken, OLG Stuttgart und OLG Jena/LG Gera jeweils a. a. O.), (Dauer-)Ernährung über eine Sonde i. V. m. schweren Schluckbeschwerden (vgl. OLG Hamm, OLG Brandenburg, OLG Celle, OLG Zweibrücken), weitgehende bis vollständige Blindheit (OLG Hamm, OLG Brandenburg, OLG Jena), Taub- bzw. Schwerhörigkeit (OLG Hamm), Bettlägerigkeit (OLG Hamm, OLG Brandenburg, OLG Jena/LG Gera, OLG Stuttgart), nachhaltige bis schwere chronische Beeinträchtigung der Atmungsfunktion (OLG Brandenburg, OLG Stuttgart und OLG Jena), eine extreme Tetraspastik bzw. spastische Tetraparese sämtlicher Extremitäten mit multiplen Kontraktionen bzw. Gelenkkontrakturen (OLG Hamm, OLG Brandenburg, OLG Celle, OLG Zweibrücken und OLG Stuttgart), eine weitgehende bis vollständige Aufhebung der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit (OLG Hamm, OLG Stuttgart und OLG Jena – dort Wachkoma im Dauerzustand), ein motorischer und geistiger Entwicklungsstand wie bei einem Säugling in den ersten Lebensmonaten (OLG Celle, OLG Zweibrücken, OLG Stuttgart und OLG Jena) sowie eine weitgehende Reduzierung der Lebensperspektive auf die Aufrechterhaltung vitaler Funktionen (OLG Hamm, OLG Brandenburg, OLG Zweibrücken, OLG Stuttgart, OLG Jena und OLG Celle).
Der Senat selbst war mit der Konstellation eines extremen Geburtsschadens beispielsweise in dem von ihm wiederholt beurteilten Fall des u. a. taub, fast blind sowie mit extremen Gelenkkontrakturen geborenen Kindes Z. befasst gewesen (vgl. das durch NA-Beschluss des BGH vom 27.02.2007 – VI ZR 42/06 – bestätigte Urteil vom 16.01.2006 im Ausgangsverfahren 4 U 34/02 sowie Senat VersR 2012, 725 = GesR 2012, 301 in dem von der Haftpflichtversicherung des haftenden Belegarztes angestrengten Regressprozess). Bereits im Senatsurteil vom 16.01.2006, dessen Feststellungen in der Haftungsfrage ebenfalls ein (Ober-)Gutachten von Prof. R. zugrunde liegt, war bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mit 400.000,00 Euro eine Abgrenzung gegenüber dem vom OLG Hamm a. a. O. beurteilten Schadensfall vorgenommen worden (Senatsurteil a. a. O., dort S. 35).
b) Von einer solchen extremen Fallgestaltung unterscheidet sich die Situation der Klägerin grundlegend. In der gutachtlichen Untersuchung ist keines der für einen sog. Extremfall typischen Schadensmerkmale hervorgetreten; nach zwei Vorkommnissen in der Neugeborenenphase sind auch jegliche Krampfanfälle ausgeblieben (neuropädiatrisches Gutachten vom 10.7.2013 = NP-GA, dort S. 4, 6 = Bl. 196, 198).
Zur Wahrnehmungsfähigkeit und zu den Kommunikationsmöglichkeiten der von ihr eingehend untersuchten Klägerin hat die Sachverständige Prof. Dr. S. unter anderem festgehalten (NP-GA, dort S.3ff. = Bl. 195ff.):
aa) Nach dem Ergebnis der Anamnese (Angaben der Mutter) besucht die Klägerin einen heilpädagogischen Kindergarten der Lebenshilfe, in dem sie gut integriert sei. Zusätzlich gehen die Eltern mit ihr schwimmen und nehme sie am therapeutischen Reiten teil. Sie habe hierbei „viel Spaß“ und sei „insgesamt ein sehr zufriedenes Kind“. In einer einmal im Jahr für mehrere Wochen besuchten Rehabilitationseinrichtung nutze sie auch ein Bewegungsgerät zur Einübung in Schrittfolgen. Die Klägerin lautiere ein bisschen, spreche nicht, aber höre gut. Sie könne ihre Emotionen sehr gut zeigen; Wut und Freude, Tränen könne sie in adäquaten Situationen einbringen. „Insgesamt habe man den Eindruck, dass sie deutlich mehr versteht als sie durch ihr Lautieren äußern kann.“ Die Klägerin muss mit dem Löffel gefüttert werden, sie kann weiche Sachen essen und kleine Stücke abbeißen. Sie kann nicht selbst das Essen greifen und zum Mund führen.
bb) Zu den „Untersuchungsbefunden“ der Begutachtung heißt es auszugsweise:
„(Die Klägerin) ist aufmerksam, schaut umher, nicht immer zielgerichtet, reagiert auf Ansprache mit Lächeln Kein Lautieren während der Untersuchung, Hörreaktion orientierend zu allen Zeiten auszulösen. Unzureichende Kopfkontrolle, der Kopf … kann nicht stabil alleine gehalten werden. Insgesamt kein alleiniges Stehen möglich, Sitzen auf dem Schoß, aber nicht alleine… Kein Hand-Mund-Kontakt, kein Hand-Auge-Kontakt bds. Neben der eingeschränkten Augenmotilität fallen bei der Untersuchung keine weiteren Hirnnervenfunktionsstörungen auf. Bei Ansprache hält sie inne, hört und lächelt. Bei der Untersuchung . macht sie, soweit sie das kann, gut mit, wehrt sich nicht.
Zusammenfassend liegen . eine körperliche Behinderung im Sinne einer spastischen Tetraparese, eine geistige Behinderung, fehlende Sprachentwicklung und Microcephalie vor.“
Dieser Begutachtungsstand deckt sich auch mit dem Eindruck, den der erkennende Senat während der Verhandlung am 30.11.2015 von dem „sehr lebhaften emotionalen Austausch zwischen der Klägerin und ihrer Mutter und vom äußeren Bewegungsverhalten der Klägerin“ gewinnen konnte (vgl. Senatsprotokoll vom 30.11.2015, dort S. 2 = Bl. 466).
Hiernach weisen die Gegebenheiten des Streitfalls auch in Bezug auf die körperliche, geistige sowie seelische Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin deutlich ins Gewicht fallende Abstufungen gegenüber den typischen Erscheinungsbildern einer „extrem“ gelagerten Schadenskonstellation auf. Sofern sich ihre zukünftige Entwicklung in diese Richtung nachhaltig verschlimmern und sich etwa das latente Risiko von cerebralen Krampfanfällen doch noch verwirklichen sollte (vgl. NP-GA a. a. O. S. 6 = Bl. 198), rechnet eine solche gravierende Verschlechterung zu dem vom Feststellungstitel umfassten Zukunftsschaden.
c) Die Klägerseite möchte als eigenständigen Erschwernisfaktor berücksichtigt wissen, dass sich die Klägerin in zunehmendem Maße schmerzlich bewusst wird, dass und mit welcher Ausschließlichkeit sie durch ihre schweren Behinderungen von den Entfaltungsmöglichkeiten „normal“ entwickelter Kinder abgeschnitten ist. Diesen Umstand hat der Klägervertreter anhand der Schilderung einer aktuellen Begebenheit veranschaulicht, bei der die Klägerin auf einem Spielplatz ihrem Schmerz und ihrer Traurigkeit darüber Ausdruck gegeben habe, selbst von schlichten kindlichen Vergnügungen wie dem Sitzen auf einer Kinderschaukel ausgeschlossen zu sein.
Selbstverständlich ist der in dieser Schilderung hervorgetretene Aspekt bemessungserheblich. Allerdings wird bei der Einordnung wie folgt zu unterscheiden sein: Es ist seit jeher anerkannt, dass eine wesentliche Ausprägung des immateriellen Schadens darin bestehen kann, dass der Geschädigte sich seiner Beeinträchtigung bewusst ist und deshalb in besonderem Maße unter ihr leidet (vgl. nur BGHZ a. a. O. Rn. 29). Demnach hat unter diesem Blickwinkel in die vorliegende Bemessung zugleich einzufließen, dass mit fortschreitendem Alter der Klägerin ihre schwerwiegenden Behinderungen im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern zunehmend deutlich hervortreten (vgl. NP-GA, dort S. 7 = Bl. 99). Auf der anderen Seite ist der angesprochene Aspekt nicht geeignet, bei wertender Betrachtung den proportionalen Abstand zwischen der Situation der Klägerin und einer Fallgestaltung aus dem Bereich der extremen Schadensanlagen zu verringern. Das folgt schon daraus, dass das in der geschilderten Begebenheit zu Tage getretene Maß an Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit einer ambivalenten Bewertung zugänglich ist. Denn die Reaktion der Klägerin ist zunächst einmal und insbesondere auch Ausdruck einer beachtlichen kognitiven Leistung, die ihr in gleicher Weise die Möglichkeit eröffnet, sich auch tatsächliche Zusammenhänge mit „positivem“ Anschauungs- und Erlebnisgehalt zu erschließen.
Mithin muss es dabei bleiben, dass im Rahmen der vergleichenden Gewichtung der Schadensfaktoren eine unüberbrückbare Kluft zwischen der Situation der Klägerin und etwa dem vom OLG Hamm a. a. O. beurteilten Lebensschicksal eines praktisch blinden und tauben, bettlägerigen sowie täglich bzw. stündlich unter therapieresistenten Krampfanfällen und schwersten Essstörungen leidenden Kindes besteht.
4. Anhaltspunkte für ein verzögerliches Regulierungsverhalten der Arztseite, das sich etwa in dem Bezugsfall des OLG Jena/LG Gera als substantieller Erhöhungsfaktor ausgewirkt hatte (LG Gera a. a. O., Rn. 28), sind nicht ersichtlich (und werden von der Klägerseite auch nicht behauptet). Im Gegenteil: Auf Anregung des Senats hat die Beklagtenseite nach dem ersten Termin sowohl eine Vorschusszahlung der Haftpflichtversicherung auf die eingeklagte Schmerzensgeldforderung in Höhe von 100.000,00 Euro veranlasst als auch substantielle Vorschläge der Versicherung zur Erarbeitung der Berechnungsgrundlagen für eine Gesamtabgeltung der klägerischen Ansprüche im Vergleichswege übermittelt (vgl. Schriftsätze vom 01.02.2016 bzw. vom 21.03.2016 = Bl. 488 ff. bzw. Bl. 534 ff.).
5. Aufgrund der dargelegten Umstände und auch unter Berücksichtigung der schwerwiegenden Pflichtverletzung, die das schadensauslösende Geburtsmanagement des Beklagten kennzeichnet, erscheint daher bei Gesamtbetrachtung der beurteilungserheblichen Gegebenheiten des Streitfalls als angemessener Ausgleich für die erlittenen und bislang absehbaren immateriellen Schäden der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 350.000,– Euro erforderlich, aber auch ausreichend.
Eine Bemessung des immateriellen Ausgleichs in dieser gegenüber dem Ersturteil ermäßigten Größenordnung wahrt zugleich die proportionalen Relationen sowohl zu der vom OLG Koblenz vorgenommenen Bemessung in gleicher Höhe für einen Geburtsschaden mit tendenziell schwererer Ausprägung (ohne groben Sorgfaltsverstoß der Arztseite) wie auch zu dem Schmerzensgeld von 400.000 Euro, das der Senat in seinem erwähnten Urteil vom 16.01.2006 für einen weitaus gravierenderen Schadensfall (bei eklatanter, kaum mehr zu überbietender Pflichtvergessenheit des Geburtshelfers) für angemessen erachtet hat. Auf den ihr nunmehr zuerkannten Betrag von 350.000 Euro (zuzüglich Prozesszinsen) hat sich die Klägerin die inzwischen vom Haftpflichtversicherer des Beklagten geleistete Vorschusszahlung von 100.000,00 Euro anrechnen zu lassen.
III. Nach alledem war die Berufung mit der Maßgabe einer Herabsetzung des Schmerzensgeldes auf 350.000,– Euro samt Prozesszinsen sowie mit der Kostenfolge der §§ 92 II Nr. 1; 97 I ZPO zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 II ZPO liegen nicht vor.

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