Aktenzeichen L 17 U 89/14
SGB VII § 9
SGB X § 44
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen der Feststellung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordung – § 44 SGB X.
Verfahrensgang
S 11 U 53/10 2014-01-14 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.01.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Senat hat nach Ausübung seines Ermessens aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung (zum Begriff Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, § 126 Rn 4; Aussprung in Roos/Wahrendorf, SGG, § 126 Rn 26) entschieden, nachdem für die ordnungsgemäß geladene Klägerin im Termin vom 15.03.2017 niemand erschienen ist. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass die am Sitzungstag um 08.57 Uhr beim LSG per Telefax eingegangene Mitteilung nicht frei von Widersprüchen ist. Denn die Klägerbevollmächtigten haben mit diesem Schreiben „im Einvernehmen mit der Klägerin (ihr) Einverständnis mit einer Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt“. Die Entscheidung nach Lage der Akten ist jedoch in § 126 SGG geregelt, während der in Bezug genommene § 124 Abs. 2 SGG die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung betrifft.
Die fristgerecht erhobene und auch ansonsten zulässige Berufung (§§ 141, 142, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist unbegründet.
Denn das SG hat die Klage gegen die verfahrensgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 17.12.2009 und vom 19.02.2010 (Widerspruchsbescheid) zu Recht abgewiesen. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Anerkennung einer BK 5101. Der von der Beklagten auf der Grundlage des § 44 SGB X überprüfte Bescheid vom 26.05.2009, mit dem die Beklagte die Anerkennung einer BK 5101 abgelehnt hat, ist rechtmäßig. Was die von der Klägerin ebenfalls begehrte Verletztenrente sowie die Übergangsleistungen gemäß § 3 BKV betrifft, enthalten die verfahrensgegenständlichen Bescheide vom 17.12.2009 und 19.02.2010 keine Regelung.
1. Soweit es um die Bewilligung von Verletztenrente und Übergangsleistungen geht, war die Berufung bereits unbegründet, weil die Klage insofern bereits unzulässig war. Denn insofern ist entgegen der Auffassung des SG keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung gegeben. Der Bescheid vom 26.05.2009 enthält zwar mehrere Verwaltungsakte, nämlich die Ablehnung der Anerkennung einer BK 5101 und die Ablehnung von Leistungen, insbesondere von Leistungen gemäß § 3 BKV. Die Beklagte hat dann aber in den auf der Grundlage des § 44 SGB X ergangenen Bescheiden vom 17.12.2009 und vom 19.02.2010 (Widerspruchsbescheid) nur über die Ablehnung einer BK 5101 entschieden. Über den Antrag auf Überprüfung der Entscheidung in Bezug auf Leistungen, insbesondere auf Leistungen nach § 3 BKV ist keine Verwaltungsentscheidung ergangen. Die insofern im Bescheid vom 26.05.2009 getroffene Entscheidung ist daher nach wie vor bestandskräftig; sie bindet auch die Gerichte. Eine gerichtliche Überprüfung kann insofern erst nach einer Entscheidung der Verwaltung im Sinne des § 44 SGB X ergehen.
2. Soweit es um die Ablehnung der Anerkennung einer BK 5101 geht, ist die Berufung unbegründet, weil die Klage unbegründet war. Zu Recht hat die Beklagte insofern die Aufhebung des Bescheides vom 26.05.2009 auf der Grundlage des § 44 SGB X abgelehnt.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Beklagte hat vorliegend weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Denn die Klägerin hatte und hat keinen Anspruch auf Feststellung einer BK 5101.
BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die hier in Streit stehende BK 5101 der Anlage zur BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I 2623) wird wie folgt definiert: „Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“.
Der Senat ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die bei der Klägerin bestehende Hauterkrankung ursächlich auf deren berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.
Die beschriebenen Tatbestandsmerkmale einer BK „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ (und auch etwaige „Berufskrankheitsfolgen“) müssen im Vollbeweis vorliegen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.03.1958, 8 RV 387/55 juris Rn. 16; Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B m.w.N.; Urteile vom 29.03.1963, 2 RU 75/61, vom 22.09.1977, 10 RV 15/77, vom 01.08.1978, 7 RAr 37/77 und vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG, Urteil vom 27.04.1972, 2 RU 147/71 juris Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 128 Rn. 3b m.w.N.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen den Tatbestandsmerkmalen einer BK und eventuellen Berufskrankheitsfolgen genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27.06.2006, B 2 U 20/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung muss absolut mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen, so dass der Möglichkeit einer unfallbedingten Verursachung nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber den anderen in Frage kommenden Möglichkeiten ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. u.a. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B juris Rn. 4 m.w.N.). Die diesbezüglichen Anforderungen sind also grundsätzlich höher als diejenigen an die Glaubhaftmachung, bei der im Sinne eines Beweismaßes nach ganz herrschender Auffassung der Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verstanden wird, d.h. die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5; Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, juris Rn. 116).
Der Senat stellt aufgrund der vorliegenden, insbesondere anlässlich der Untersuchungen durch die Gutachter B und H erhobenen und insoweit übereinstimmenden Befunde und Diagnosen sowie aufgrund der sonstigen aktenkundigen ärztlichen Berichte im Vollbeweis fest, dass die Klägerin unter einer Psoriasis vulgaris leidet. Insofern führt insbesondere H in nachvollziehbarer Weise aus, bei der Erkrankung der Klägerin handele es sich um eine Psoriasis vulgaris in typischer Lokalisation. An den Ellenbogen und prätibialen Unterschenkeln zeigten sich squamös-erythematöse Werte. Dokumentiert seien psoriatische Effloreszenzen im Bereich Ellenbogen, Kniescheiben, Unterschenkeln und im Dammbereich.
Allerdings gelangt der Senat nach Maßgabe der beschriebenen Beweisgrundsätze nicht zu der Überzeugung, dass diese Hauterkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin zurückgeführt werden kann.
Vorliegend kommt allein, wie von der Klägerin geltend gemacht, nur eine durch Tonerstaub bedingte Hauterkrankung als BK 5101 in Betracht. Die Hauterkrankung der Klägerin ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch Tonerstaub verursacht. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der auch insoweit übereinstimmenden Feststellungen und nachvollziehbaren Einschätzungen der ärztlichen Sachverständigen B und H.
B kommt in seinem Gutachten vom 23.07.2013 mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege keine BK 5101 vor. Es könne weder von einer richtunggebenden Verschlimmerung noch von einer Verursachung der Psoriasis durch die Tätigkeit ausgegangen werden. Bei der Klägerin seien im Rahmen der Berufstätigkeit keine Veränderungen im Sinne der Psoriasis im Bereich der Hände aufgetreten. Bei der Klägerin liege seit vielen Jahren eine Psoriasis vor. Eine solche Erkrankung sei genetisch bedingt und zeige einen schubweisen Verlauf. Von Relevanz sei, dass bei der Klägerin ein Hautbefall im Bereich der Hände niemals dokumentiert worden sei. Lediglich die Nägel der Finger seien bei fast allen Untersuchungen als befallen beschrieben worden. Tonerstäube seien nicht geeignet, eine Psoriasis verschlimmern zu können. Die übliche Schwachstelle „Handinnenflächen“ (starke mechanische Benutzung unter anderem durch Umgang mit viel Papier) lasse sich aufgrund der Aktenlage niemals als verändert nachweisen. Im Rahmen der BK 5101 könne eine anlagebedingte Erkrankung wie die Psoriasis zur Anerkennung vorgeschlagen werden, wenn die Hauterscheinungen in der Lokalisation der beruflichen Exposition, z. B. durch mechanische Belastungen (Köbner-Phänomen) provoziert oder unterhalten würden. Bei der Klägerin seien im Rahmen der Berufstätigkeit keine Veränderungen im Sinne der Psoriasis im Bereich der Hände aufgetreten. Auch den Befund des bei der Klägerin durchgeführten Prick-Testes hält B für nicht geeignet, eine kutane Sensibilisierung zu beschreiben; insofern ließ B ausdrücklich offen, ob es sich bei der gezeigten Reaktion tatsächlich um eine Sensibilisierung gegenüber Druckeremissionen (IgEvermittelt) gehandelt habe, weil entsprechende Reaktionsmechanismen bislang nicht beschrieben worden seien. Einen durch den Prick-Test geführten Nachweis einer Sensibilisierung gegenüber den häufigsten Umweltallergenen verneint B. Bei seiner Einschätzung ist B ausweislich seines Gutachtens davon ausgegangen, dass die Klägerin seit ca. 2003/2004 bei der Firma S. zu einem Großteil ihrer Arbeitszeit Tätigkeiten mit inhalativer und kutaner Exposition gegenüber Druckeremissionen verrichtet hat.
H kommt in seinem Gutachten vom 18.11.2015 ebenfalls zu dem Ergebnis, eine durch berufliche Einwirkung verursachte Entstehung oder Verschlimmerung durch die Einwirkung von Tonerstäuben lasse sich nicht nachweisen. Er begründet dies – im Wesentlichen wie B – in überzeugender Weise damit, dass das gleichzeitige Auftreten der Psoriasis im Bereich der nicht exponierten Körperteile gegen eine berufliche Auslösung spreche – psoriatische Veränderungen der Hände seien nicht erfolgt – und dass die erste stationäre Behandlung der Klägerin bereits Mitte 1997 erfolgt sei, also zu einem Zeitpunkt vor der beruflichen Tonerstaubexposition. Die Klägerin sei seit 1991 regelmäßig ambulant, ab Juni / Juli 1997 aufgrund der Psoriasis stationär behandelt worden. Zu der nachgewiesenen Nickelsensibilisierung stellt H fest, dass eine Nickelexposition ubiquitär stattfinde, vorrangig in der Nahrungsmittelkette und dass eine Abgrenzung von der beruflichen Exposition entsprechend den vorliegenden Befunden nicht möglich sei. Vor diesem Hintergrund ergibt sich der zu fordernde Überzeugungsgrad auch nicht dadurch, dass H von einer Zunahme der Häufigkeit stationärer Heilbehandlungen nach Exposition mit Druckerstaub berichtet und eine Allergie gegenüber Kobaltchlorid, Nickelsulfat, Palladiumchlorid, Quecksilber, Tonermaterialien sowie eine chronisch irritative Reaktion auf Tonermaterialien beschreibt.
Wie insbesondere die Darstellungen in den entsprechenden Anamnesen zeigen, gingen beide Gutachter bei ihrer Einschätzung davon aus, dass die Klägerin in ihrer beruflichen Tätigkeit einer erheblichen Exposition gegenüber Tonerstaub ausgesetzt war, insbesondere in der Versandabteilung, in der die Klägerin ab 1996 tätig war. Dass eine solche Exposition bestand, zeigt auch die durchgeführte Arbeitsplatzanalyse. Diese hatte insbesondere ergeben, dass die Klägerin von 1996 bis 2007 täglich ca. 1.000 bis 3.000 von Laserdruckern bedruckte Seiten aus den Druckern entnahm und den jeweiligen Versandaufträgen zuordnete. Im Druckerraum lag bis Ende 2007 eine erhöhte und deutlich sichtbare Staubablagerung vor. Eine regelmäßige Reinigung des Druckerraumes wurde nicht durchgeführt. Zeitweise reinigte die Klägerin den Druckerraum mit einem Staubsauger. Die Lüftungsanlage im Druckerraum war bis Ende 2007 beeinträchtigt. Da es jedoch an der Ursächlichkeit der beruflichen Tätigkeit für die Hauterkrankung der Klägerin fehlt, kommt es auf das Vorliegen der so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d.h. auf eine ausreichende Exposition, nicht in entscheidungserheblicher Weise an.
Nach alledem steht fest, dass die bei der Klägerin bestehende Hauterkrankung nicht ursächlich auf deren berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.
Angesichts des eindeutigen Ergebnisses der Beweisaufnahme wäre bei richtiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage insbesondere durch die Bevollmächtigten der Klägerin zu erwarten gewesen, dass diese die Berufung nicht weiter fortführen, zumal nach dem Eingang des Gutachtens des H keinerlei sachliche Gesichtspunkte für eine Fortführung der Berufung genannt wurden. Von einer – rechtlich möglichen (§ 192 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 SGG) – Auferlegung von Gerichtskosten hat der Senat aus Billigkeitserwägungen Abstand genommen.
Der Senat weist ferner darauf hin, dass die Bevollmächtigten der Klägerin, wie auch im Erörterungstermin vom 17.09.2014 und zuvor schon in zahlreichen Verfahren vor dem Senat mit anderen Beteiligten, erst unmittelbar vor dem Termin, vorliegend am Tag der mündlichen Verhandlung, mitgeteilt haben, dass sie den Senatstermin nicht wahrnehmen. Der Senat weist daher darauf hin, dass die Pflicht, einen Gerichtstermin wahrzunehmen, um dort gegebenenfalls sachgerechte Anträge zu stellen, zu den Grundpflichten des Anwalts gehört.
Die Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass Klage und Berufung erfolglos geblieben sind.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).