Medizinrecht

Höhe der Vergütung für eine Sphinkterplastik nach Exzision einer Analfistel

Aktenzeichen  L 4 KR 488/17

Datum:
11.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17819
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 387
KHEntgG § 7, § 9, § 11
KHG § 17b
SGB V § 109 Abs. 4 S. 3

 

Leitsatz

1. Eine Sphinkterplastik gehört nicht regelmäßig zu Exzision einer Analfistel dazu. Sie ist auch bei einem Verschluss aufgrund der unmittelbar vorangegangenen Exzision nicht der Exzision immanent. Vielmehr stellt sie einen besonderen Aufwand bzw. sogar den leitetenden Eingriff dar. (Rn. 27 – 28)
2. Anzuwenden ist die Prozedur 5 – 496.3 bzw. die Diagnose DRG G11B. (Rn. 27 – 28)
3. Es liegt darin kein Verstoß gegen den Grundsatz der monokausalen Kodierung. (Rn. 29)
4. Der Hinweis im OPS 2016 hierzu hat klarstellende Funktion. (Rn. 30)
5. Die Entscheidung über die Kodierung stellt eine juristische Entscheidung dar. Das Gericht kann jedoch vor allem zur Klärung des Operationsgeschehens, der üblichen OP-Praxis oder zur Feststellung von Besonderheiten des Einzelfalls bzw. des Aufwandes ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen. (Rn. 33)

Verfahrensgang

S 29 KR 170/15 2017-07-07 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 7. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 820,14 EUR festgesetzt.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist begründet. Die Beklagte kann gegen den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht mit einem öffentlich-recht-lichen Erstattungsanspruch aufrechnen (§ 387 BGB analog). Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts verwiesen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Der Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht hat.
Die Vergütung für Krankenhausbehandlungen des Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für die Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 S. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Fallpauschalenvereinbarungen) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zu Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Die Anwendung der zwischen den Vertragspartnern auf Bundesebene beschlossenen DKR (hier Version 2014) und der Fallpauschalenabrechnungsbestimmungen einschließlich der OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRGbasierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (st. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 41/14 R). Nach Ansicht des BSG handelt es sich bei der konkreten Auslegung der DKR und Abrechnungsbestimmungen um eine rechtliche Prüfung (BSG, B 1 KR 97/15 B – juris Rn. 8).
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob vor diesem Hintergrund die DRG-Nummer G11B oder nur G26Z zutreffend anzusetzen sind.
1) Nach dem OP-Bericht vom 28. März 2014, wie er auch in den MDK-Gutachten sowie dem Sachverständigengutachten dargelegt wurde, erfolgte eine Exzision einer Analfistel. Es waren eine Rekonstruktion des Anus und des Sphinkterapparates notwendig, die mittels Sphinkterplastik erfolgte. Zur Vorbereitung der Rekonstruktion des Sphinkterdefekts wurden mehrere Vicrylfäden vorgelegt. Die Stichrichtung erfolgte radiär zum Faserverlauf mit Ein- und Ausstich in gleichem Abstand zum Wundrand. Es sollten jeweils die Nähte gleichmäßig verteilt werden in einem Abstand von 3-5 mm. Außerdem sollte die Naht an der Spitze des rinneförmigen Defekts tief im Gewebe verankert sein und nicht sichtbar werden. Die Fäden wurden einzeln geknüpft, nach Abschluss der Rekonstruktion tastete sich der Sphinkter kräftig und geschlossen. Der Senat sieht es daher als erwiesen an, dass nicht nur ein Wundverschluss erfolgte, sondern eine Sphinkterplastik.
2) Die Ausführung der Beklagten, dass eine Naht regelmäßig in den operativen OPS-Kodes abgedeckt werde, ist zutreffend und entspricht den DKR (P001f); danach ist normalerweise eine Prozedur vollständig mit all ihren Komponenten, wie z.B. Vorbereitung, Lagerung, Anästhesie, Naht usw., in einem Kode abgebildet. Da eine Naht regelmäßig zu einem operativen Eingriff gehört, gehört diese auch zu dem OPS, der den Eingriff selbst abbildet. Insoweit gilt der Grundsatz der monokausalen Kodierung. Dies spricht für eine Anwendung allein des OPS 5-491.12.
3) Allerdings verkennt die Beklagte, dass nicht nur eine Naht gelegt wurde, sondern zur Rekonstruktion des Anus und des Sphinkterapparates eine Sphinkterplastik. Dabei erfolgt die Wiederherstellung der Schließmuskelfunktion bzw. der Ersatz von nicht mehr funktionsfähigem Schließmuskel durch Skelett- oder Darmmuskulatur.
4) Unstreitig ist die Hauptdiagnose K60.3 (Analfistel). Unstreitig ist ferner die Prozedur 5-491.12. Streitig ist jedoch, ob die Fallpauschalen G11B oder G26Z abzurechnen sind. Anders als die Klägerin, die im Rahmen des Grouping-Ergebnisses den DRG-Code G11B (Pyloromyotomie oder Anoproktoplastik und Rekonstruktion von Anus und Sphinkter, Alter über 9 Jahre) angenommen hat, geht der MDK in seiner Stellungnahme vom 21. Oktober 2014 von G26Z – andere Eingriffe am Anus – aus. Da jedoch tatsächlich operativ eine Sphinkterplastik erfolgt ist, wie durch das Gutachten des Dr. E. belegt ist, ist zusätzlich die Prozedur 5-496.3 – Rekonstruktion des Anus und des Sphinkterapparates: Sphinkterplastik – und somit der DRG-Code G11B anzusetzen. Eine andere Ansicht begründet der MDK in seinen Stellungnahmen nicht bzw. nicht schlüssig. Es ist zwar zutreffend, dass der Verschluss des nach Fistelexzision verbliebenen Defekts Teil des Eingriffs nach der Prozedur 5-491.12 ist. Dies wird jedoch, wie dargelegt, nicht der tatsächlichen Operation gerecht mit einer Sphinkterplastik. Der Sachverständige Dr. E. hat dargelegt, dass es sich bei der Exzision um eine andere Prozedur als eine „sekundäre Sphinkterplastik“ handelt. Da es verschiedene Gründe gibt, nicht im Rahmen derselben Operation eine derartige Sphinkterplastik vorzunehmen, z.B. um das Abklingen der lokalen Wunde oder des lokalen Infekts abzuwarten, hat nach Darstellung des Sachverständigen die Gesellschaft für Koloproktologie empfohlen, die beiden Ziffern gleichermaßen zu verwenden. Eine Sphinkterplastik gehört nicht regelhaft zur Exzision dazu. Nach der Kodierempfehlung 361 (A6) sind auch zwei Codes zugelassen, sofern sich der Eingriff nicht ausreichend abbilden lässt. Dies stellt eine Ausnahme zum Grundsatz der monokausalen OPS-Vorgaben dar.
Bei Analfisteln gibt es – gemäß Sachverständigengutachten – zahlreiche Varianten und auch dadurch technisch verschieden aufwändige Verfahren, nach einer Exzision oder ggf. Inzision regelmäßig notwendigerweise die Kontinenz wieder herzustellen bzw. eine Gefährdung derselben zu verhindern. Die „Schnitt-Naht-Zeit“ betrug bei der Versicherten 41 Minuten. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass die alleinige Sphinkterplastik aufwändig ist und diese für sich genommen bereits auch den von der Klägerin geforderten DRG-Code G11B bedingt. Diese Kodierung ist zutreffend, da die Sphinkterrekonstruktion das eigentlich entscheidende Merkmal der Gesamtoperation darstellt. Der Senat teilt hierzu die dargestellten medizinischen Ausführungen des Sachverständigen.
5) Die Beklagte beruft sich auf die Grundsätze der DKR P001 f. Aus P001f ergibt sich, dass alle signifikanten Prozeduren, die vom Zeitpunkt der Aufnahme bis zum Zeitpunkt der Entlassung vorgenommen wurden und im OPS abbildbar sind, zu kodieren sind. Es gilt das allgemeine Prinzip der monokausalen Kodierung von Prozeduren (vgl. P003d). Mehrfachkodierungen sind der Abrechnung komplexer Eingriffe vorbehalten und ausdrücklich mit entsprechenden Hinweisen zu versehen. Wie dargelegt erfolgten aber tatsächlich sowohl die Exzision der Analfistel sowie gleichzeitig die Rekonstruktion mittels einer Sphinkterplastik, was als getrennte Vorgänge anzusehen ist, wobei der letztere Vorgang sogar den aufwändigeren und wesentlichen darstellt. Das Gebot der monokausalen Kodierung der Prozeduren ist damit von der Klägerin nicht verletzt worden.
6) Die OPS 2016 erfassen diesen Sachverhalt und regeln diesen im Sinne der Klägerin mit Hinweis als Doppelcodierung. Er enthält zu 5-496.3 nun den Hinweis: „Die gleichzeitige Exzision einer Analfistel ist gesondert zu kodieren (5-491 ff.)“. Aus dem Kommentar hierzu ergibt sich gerade kein Hinweis, dass dies eine inhaltliche Änderung darstellt (OPS 2016 Kommentar, Kapitel 5, zu „Operationen am Verdauungstrakt“). Vielmehr enthalten die Nutzungshinweise zur Mehrfachkodierung den Hinweis: „In einigen Bereichen ist eine Kodierung von Operationen mit mehreren Kodes vorgesehen. Dies ist insbesondere für die Abbildung komplexer Eingriffe erforderlich. In diesen Fällen gibt es oft, aber nicht in jedem Fall einen Hinweis beim Kode des leitenden Eingriffs, der auf die gesonderte Kodierung von durchgeführten Teilmaßnahmen eines komplexen Eingriffes verweist.“ (OPS 2016 Nutzungshinweise, „Mehrfachkodierung“). Aufgrund des im OPS 2016 neu angebrachten Hinweises zu 5-496.3 ist daher abzuleiten, dass es sich, wie auch im Gutachten dargelegt, bei einer Exzision einer Analfistel mit Sphinkterplastik um einen komplexen Eingriff handelt, dass die Sphinkterplastik sogar der leitende Eingriff ist, und dass grundsätzlich eine Mehrfachkodierung angebracht ist. Insgesamt stellt dieser Hinweis keine Neuregelung oder eine Korrektur einer zu Tage getretenen Unrichtigkeit oder Fehlsteuerung im Sinne der o.g. Rechtsprechung des BSG (st. Rspr. des BSG, vgl. Urt. vom 17. November 2015, B 1 KR 41/14 R) dar. Vielmehr ist der Hinweis nur eine Klarstellung zur Auslegung der bislang schon bestehenden Regelung, so dass nach Ansicht des Senats eine entsprechende Kodierung wie von der Klägerin vorgenommen auch gemäß dem OPS 2014 zulässig war.
7) Der Senat vermag nicht zu erkennen, inwieweit hier ein Widerspruch zum Wortlaut des Code 5-491.12 gegeben ist, wie von der Beklagten angenommen. Insbesondere nahm auch der OPS 2016 hier keine Änderung im Wortlaut der Codes vor.
8) Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 6. April 2018 eingeräumt, dass es sicherlich auch Fälle gibt, in denen ausschließlich eine Sphinkterrekonstruktion vorgenommen werden muss. Diese sei dann auch entsprechend zu kodieren. Gemäß dem überzeugenden Gutachten des Dr. E. ist in den Fällen, in denen der Verschluss aufgrund der unmittelbar vorangegangenen Exzision einer Analfistel erfolgt, jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten bei einer Sphinkterplastik nicht der Exzision immanent und damit auch nicht bereits vom OPS 5-491-12 erfasst. Der Senat vermag hierin auch keine „künstliche Spaltung“ zu sehen.
9) Der Senat hat auch im Hinblick auf die Rechtsprechung insbesondere des BSG – und auch das zuletzt noch von der Beklagten zitierte Urteil des LSG Baden-Württemberg (a.a.O., juris Rn. 25) – keine Bedenken, zur Klärung medizinischer Fragen, wie insbesondere hier des Operationsgeschehens, der üblichen OP-Praxis und der Feststellung von Besonderheiten des Einzelfalls bzw. des Aufwandes vorliegend ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Maßgeblich ist in Übereinstimmung mit der o.g. BSG-Rechtsprechung nämlich, dass letztendlich eine juristische Entscheidung über die Kodierung getroffen wird. Im Rahmen der gebotenen Amtsermittlung nach § 103 SGG kann hierfür aber auch eine umfassende medizinische Aufklärung geboten sein; dies gilt z.B. für die Feststellung des Umfangs der Operation, des Operationsgeschehens oder des Vorliegens einer „Atypik“. Im Übrigen bediente sich auch die Beklagte vorliegend mehrmals der Unterstützung des MDK, um genau diese Fragen aus ihrer Sicht beantworten zu können. Nur insoweit sind das vorliegende Gutachten sowie die ergänzende Stellungnahme des Dr. E. zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat damit zutreffend unter zusätzlichem Einbezug des OPS 5-496.3 den DRG-Code G11B statt G26Z abgerechnet. Die Berufung ist somit zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Zinsanspruchs verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des Sozialgerichts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist bezifferbar im Sinne des § 52 Abs. 3 S. 1 GKG und mit 820,14 EUR festzusetzen.

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