Aktenzeichen RO 9 E 18.260
PaßG § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 4 Abs. 3 S. 1, § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 1 S. 8
Leitsatz
Aus der Systematik des Paßgesetzes ergibt sich, dass die Ausstellung eines Reisepasses im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 PaßG der Normalfall, die Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses hingegen ein begründungsbedürftiger Ausnahmefall ist (Anschluss an VG Potsdam BeckRS 2018, 469). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm einen vorläufigen Reisepass auszustellen.
Mit Schreiben vom 19. Februar 2018 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin „aufgrund eines kurzfristigen Bedürfnisses“ (wörtlich) unter Vorlage eines Passfotos die Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2018 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses ein begründungsbedürftiger Ausnahmefall sei. Der Antragsteller habe nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme vorlägen. Es bleibe ihm unbenommen, ohne besondere Voraussetzungen die Ausstellung eines regulären Reisepasses zu beantragen.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit am 22. Februar 2018 bei Gericht eingegangenem Schreiben Klage erhoben (RO 9 K 18.262) und zugleich vorliegenden Eilantrag gestellt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller einen Scheck des Jobcenters A. nicht einlösen könne, da er keinen gültigen Ausweis habe. Da ihm aufgrund einer Sanktion keinerlei Zahlungen vom Jobcenter bewilligt worden seien und das Jobcenter die Gebühren für einen Ausweis nicht übernommen habe, habe er sich keinen neuen Ausweis leisten können. Seit Dezember müsse er von Lebensmittelgutscheinen unterhalb des Existenzminimums leben. Da er diese ohne gültigen Pass nicht einlösen könne, sei vom Jobcenter auf den Lebensmittelgutscheinen vermerkt worden, dass sein Ausweis abgelaufen sei. Da er den am 15. Februar 2018 erhaltenen Scheck des Jobcenters ohne gültigen Pass bei der Postbank nicht einlösen könne und dringend auf das Geld angewiesen sei, habe er sich am 19. Februar 2018 einen neuen Reisepass besorgen und diesen mit geliehenem Geld zahlen wollen, um schnellstmöglich den besagten Scheck einlösen zu können. Da ihm von der Antragsgegnerin gesagt worden sei, dass ein normaler Reisepass mindestens vier Wochen bis zur Fertigstellung benötige, habe sich der Antragsteller mit der Dame der Melde- und Passbehörde geeinigt, dass ihm ein vorläufiger Reisepass ausgestellt werde sobald er seine dringenden Bedürfnisse schriftlich veräußere. Herr Wührl von der Stadtverwaltung A. habe ihm jedoch keinen vorläufigen Reisepass ausgestellt. Dies habe er damit begründet, dass sich „die Gesetze verschärft hätten“ und er aufgrund des Antrags des Antragstellers keinen vorläufigen Reisepass ausstellen könne. Dem Antragsteller sei versichert worden, dass die Stadtverwaltung A. nur noch vorläufige Reisepässe ausstelle, wenn Flugtickets für eine entsprechende Reise außerhalb der europäischen Union vorlägen und die Reise bei der betroffenen Person anstehe. Dies sei bei dem Antragsteller nicht der Fall. Des Weiteren bringt der Antragsteller vor, dass er seines Wissens nach am folgenden Wochenende ohne gültigen Reisepass nicht ausreisen könne, obwohl er gegenüber seinen Freunden einer Reise ins Ausland zugestimmt habe. Diese Reise müsse er zwingend ohne gültigen Reisepass antreten, da ihm bisher noch kein Reisepass ausgestellt worden sei. Außerdem leide er an Hunger und habe Körpergewicht verloren, da er die Leistungen des Jobcenters nicht ohne gültigen Pass einfordern könne.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen vorläufigen Reisepass auszustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unzulässig und unbegründet. Der Antragsteller begehre mit seinem sinngemäß auszulegenden Antrag auf Erteilung eines vorläufigen Reisepasses eine die Hauptsache vorwegnehmende Regelung. Das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache stehe einer Anordnung nach § 123 VwGO nur dann nicht entgegen, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet sei und dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abgrenzbare Nachteile entstünden, die durch die nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht anders mehr beseitigt werden könnten. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet sei. Nach Nr. 1.2.1 PassVwV habe die antragstellende Person kein Wahlrecht, ob ein Reisepass oder ein vorläufiger Reisepass ausgestellt werde. Es sei grundsätzlich ein Reisepass auszustellen. Folgerichtig sei nach Nr. 1.2.3 PassVwV ein vorläufiger Reisepass nur in begründeten Einzelfällen auszustellen. Voraussetzung dafür sei, dass die antragstellende Person glaubhaft mache, dass sie sofort einen Reisepass benötige und die Ausstellung eines Passes auch im Expressverfahren nicht bis zum Zeitpunkt des voraussichtlich erstmaligen Gebrauchs möglich sei. Derartige Gründe habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Soweit der Antragsteller argumentiere, den ihm vom Jobcenter zur Befriedigung seiner Leistungsansprüche ausgestellten Scheck – den Wahrheitsgehalt unterstellt – nur durch Vorlage eines gültigen Reisepasses einfordern zu können, übersehe er, dass das Ausweis- und Passrecht weitere zulässige Identitätsdokumente kenne. Hierzu zähle etwa der vorläufige Personalausweis (§ 2 Abs. 1 PAuswG). Dem Antragsteller bleibe es unbenommen, ein solches Ausweispapier zu beantragen, das unmittelbar nach der Beantragung ausgestellt werde (§ 3 Abs. 1 PAuswG) und zur Vorlage bei der Postbank Verwendung finden könne. Ein vorläufiger Reisepass sei hierfür nicht erforderlich. Dass der Antragsteller aus ideologischen Gründen die Ausstellung eines (vorläufigen) Personalausweises ablehne, sei ohne Belang und vermöge keine Ausnahme vom oben genannten Grundsatz zu rechtfertigen. Für die behauptete Absicht einer Reise des Antragstellers für die von ihm anlässlich seiner persönlichen Vorsprache am 20. Februar 2018 bei der Antragsgegnerin genannten Reiseziele (Schweden und Norwegen) benötige er ebenfalls keinen vorläufigen Reisepass. Ein Grenzübertritt für beide Länder sei in gleicher Weise mit einem vorläufigen Personalausweis möglich. Des Weiteren habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er wegen besondere Eilbedürftigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung bedürfe. Ihm entstünden durch die Ablehnung der einstweiligen Anordnung keine schweren und unzumutbaren Nachteile, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten. Er habe nicht dargelegt, warum die Auszahlung der ihm zustehenden Grundsicherungsleistungen mittels Scheck erfolgen müsse. Des Weiteren könne das Existenzminimum wie in den vergangenen Monaten weiterhin durch den Bezug von Lebensmittelgutscheinen sichergestellt werden. Überdies habe er bereits seit Dezember 2017 gewusst, dass er nicht mehr im Besitz eines gültigen Reisepasses sei und hätte daher früher einen entsprechenden Neuantrag stellen können und müssen. Ferner habe der Antragsteller nicht dargelegt, warum er nicht die Ausstellung eines grundsätzlich vorrangigen Passes im Expressverfahren abwarten könne.
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in Haupt- und Eilsache sowie auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen. Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Der Antragsteller hat dabei sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu regelnden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Daran fehlt es im vorliegenden Verfahren.
Da der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erteilung eines vorläufigen Reisepasses eine endgültige, die Hauptsache vorwegnehmende Regelung begehrt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Insoweit ist erforderlich, dass das Rechtsschutzbegehren schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein anzustellenden summarischen Prüfung erkennbar Erfolg haben wird und dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, die durch die nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9.12 – juris Rn. 22). Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
1. Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Abwarten der Hauptsache in der vorliegenden Konstellation unzumutbare Nachteile für den Antragsteller zur Folge hätte. Der Antragsteller hat die Eilbedürftigkeit seines Begehrens, also den Anordnungsgrund, nicht glaubhaft gemacht.
Soweit der Antragsteller vorbringt, auf die Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses für die Einlösung des Schecks des Jobcenters angewiesen zu sein, weist die Antragsgegnerin zurecht darauf hin, dass die Einlösung gleichfalls mithilfe eines vorläufigen Personalausweises vorgenommen werden könnte. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Antragsteller dafür gerade auf die Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses angewiesen sein soll. Dem Antragsteller ist es möglich, bei der Antragsgegnerin einen vorläufigen Personalausweis zu beantragen, welcher unmittelbar nach der Beantragung ausgestellt werden könnte (§ 3 Abs. 1 Personalausweisgesetz – PAuswG). Es kann daher offen bleiben, ob der Kläger zur Sicherung seines Existenzminimums auf die Einlösung des Schecks angewiesen ist und ihm ansonsten schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, da es ihm unbenommen ist, dies durch die Beantragung eines vorläufigen Personalausweises abzuwenden, zumal sich die Antragsgegnerin zur sofortigen Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises bereit erklärt hat.
Auch die – nunmehr ohnehin in der Vergangenheit liegenden – behaupteten Reisepläne des Antragstellers konnten die Eilbedürftigkeit seines Begehrens von vorneherein nicht begründen. Denn die als Grund für den Bedarf an einem vorläufigen Reisepass geplante „Reise ins Ausland“ wurde in der Antragsschrift lediglich pauschal behauptet, ohne Angaben zum geplanten Ziel, zum Beginn und zur Dauer sowie zur etwaigen Unmöglichkeit einer Verschiebung der beabsichtigten Reise zu machen. Soweit gegenüber der Antragsgegnerin die Reiseziele Schweden und Norwegen genannt wurden, ist die Antragsgegnerin richtigerweise davon ausgegangen, dass der Antragsteller dafür ebenfalls keinen vorläufigen Reisepass benötigt.
Eine Notlage, die es dem Antragsteller schlechterdings unmöglich macht, die Entscheidung der Kammer in der Hauptsache abzuwarten, hat der Antragsteller mithin nicht glaubhaft gemacht.
2. Des Weiteren konnte auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht werden. Bei summarischer Prüfung ist nicht – und schon gar nicht mit der bei der Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit – erkennbar, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses zustehen könnte.
Nach § 1 Abs. 2 des Paßgesetzes (PaßG) gelten als Pass im Sinne des Gesetzes der Reisepass (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 PaßG), der Kinderreisepass (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 PaßG), der vorläufige Reisepass (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 PaßG) sowie der amtliche Pass (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 PaßG). Im Gegensatz zum Reisepass im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 PaßG enthält der begehrte vorläufige Reisepass kein elektronisches Speichermedium (§ 4 Abs. 3 Satz 1 PaßG) und ist seine Gültigkeitsdauer auf höchstens ein Jahr beschränkt (§ 5 Abs. 3 PaßG). Des Weiteren kann der vorläufige Reisepass im Gegensatz zum Reisepass im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 PaßG auch beantragt werden, wenn der Passbewerber am persönlichen Erscheinen zum Zwecke der Antragstellung gehindert ist (§ 6 Abs. 1 Satz 8 PaßG). Aus diesen Besonderheiten ergibt sich, dass die Ausstellung eines Reisepasses im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 PaßG der Normalfall, die Ausstellung eines vorläufigen Reisepasses hingegen ein begründungsbedürftiger Ausnahmefall ist (vgl. VG Potsdam, B.v. 26.1.2018 – 8 L 9/18 – juris Rn. 8; so im Ergebnis auch VG Frankfurt (Oder), B.v. 12.11.2013 – 5 L 321/13 – juris Rn. 3 ff.). In Übereinstimmung damit ist in Nr. 1.2.1 der Passverwaltungsvorschrift (PassVwV) festgelegt, dass dem Passbewerber kein Wahlrecht zusteht, ob ein Reisepass oder ein vorläufiger Reisepass ausgestellt wird und dass grundsätzlich ein Reisepass auszustellen ist. Der vorläufige Reisepass ist vielmehr nur in begründeten Einzelfällen auszustellen, wobei die antragstellende Person glaubhaft zu machen hat, dass sie sofort einen Pass benötigt und die Ausstellung eines Passes auch im Expressverfahren nicht bis zum Zeitpunkt des voraussichtlich erstmaligen Gebrauchs möglich ist (Nr. 1.2.3 PassVwV). Dies wurde vom Antragsteller aber weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft gemacht (vgl. oben).
Danach war der Eilantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.