Aktenzeichen S 8 KR 479/16
SGG § 51 Abs. 1, § 54 Abs. 4, § 57 Abs. 1 S. 1, § 105, § 193
Leitsatz
Nach § 48 Abs. 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der AU wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (Satz 1). Tritt während der AU eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert (Satz 2). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Regensburg (§§ 51 Abs. 1, 57 Abs. 1 S. 1 SGG) erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 05.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit ab dem 16.12.2015.
Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 i.V. m. § 44 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist dabei unter Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, Az. B 1 KR 3/03 R, Rn. 12 – zitiert nach juris). Nach der allgemeinen Begriffsbestimmung der Rechtsprechung liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte oder eine ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann (BSG, Urteil vom 30. Mai 1967, Az. 3 RK 15/65, Rn. 15 – zitiert nach juris). Dabei muss die Krankheit die Arbeitsunfähigkeit verursachen. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 16.12.2015 ist vorliegend unstreitig. Hierfür spricht auch das Gutachten des Gerichtssachverständigen Dr. G.. Die Arbeitsunfähigkeit ist auch durchgehend ärztlich festgestellt.
Jedoch ist der Anspruch auf Krangengeld im konkreten Fall erschöpft wegen des Vorbezugs von 78 Wochen in der Zeit vom 24.11.2011 bis 20.11.2013. Nach § 48 Abs. 1 SGB V erhalten Versicherte Krg ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der AU wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (Satz 1). Tritt während der AU eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert (Satz 2). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und insofern auch bestandskräftig festgestellt, dass die Klägerin wegen ihrer Wirbelsäulenerkrankung (Diagnosen M51.1 – Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie; M43.16 – Spondylolisthesis: Lumbalbereich; M53.26 – Instabilität der Wirbelsäule: Lumbalbereich etc.) zum 20.11.2013 ausgesteuert war und der entsprechende Dreijahreszeitraum vom 24.10.2011 bis zum 23.10.2014 dauerte.
Nach § 48 Abs. 2 SGB V besteht für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krg bezogen haben, nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krg wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten AU mit Anspruch auf Krg versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate
1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und
2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen.
Sowohl die bis 20.11.2013 bestehende AU, wegen der die Klägerin in den Jahren 2011 bis 2013 Krg bezog, als auch die seit 03.11.2015 bestehende AU beruhen auf denselben Krankheiten, nämlich der chronischen Lumboischialgie bei Zustand nach zweimaliger Spondylodesenoperation L5/S1 im Jahr 2013 und im Jahr 2015. Auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Wegen der Ausschöpfung des Krg-Anspruchs im Dreijahreszeitraum vom 24.10.2011 bis zum 23.10.2014 konnte ein Anspruch auf Krg erst in einem neuen Dreijahreszeitraum wiederaufleben, der am 24.10.2014 begann. Seit dem Ende des Bezugs von Krg am 20.11.2013 bis zur erneuten Feststellung von AU durch den Facharzt für Chirurgie D. am 03.11.2015 war die Klägerin unstreitig entweder erwerbstätig oder stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und bezog Alg, wie sich aus der Stellungnahme der BundesAgentur für Arbeit ergibt. Die Voraussetzung des § 48 Abs. 2 Nr. 2 SGB V ist erfüllt.
Problematisch ist jedoch die in § 48 Abs. 2 Nr. 1 SGB V geregelte Voraussetzung, dass die Klägerin für mindestens sechs Monate „nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig“ gewesen sein darf. Zwar stellt die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder eine uneingeschränkte Zurverfügungstellung zur Arbeitsvermittlung ein starkes Indiz dafür dar, dass keine Arbeitsunfähigkeit bestand (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.05.2017, Az. L 11 KR 4075/16, Rn. 39). Dennoch muss die Voraussetzung des Nr. 1 kumulativ zur Nr. 2 eingehalten werden und ist gerichtlich im Wege der Amtsermittlung überprüfbar. Der Sechs-Monats-Zeitraum muss nicht zusammenhängend verlaufen, jedoch beginnt er erst zu laufen, wenn die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Krankheit, die zur Erschöpfung des Leistungsanspruchs geführt hat, beendigt ist. Damit ist ein erneuter Krankengeldanspruch praktisch ausgeschlossen, wenn seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit diese wegen derselben Krankheit fortbesteht (Sonnhoff in: JurisPK-SGB V, § 48, Rn. 33).
Zur Überzeugung des Gerichts hat der Sachverständige Dr. G. durchgehende Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung festgestellt. Eine zur Beweislastumkehr führende non-liquet Situation – wie von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragen – liegt insofern nicht vor. Zwar war die Klägerin nach ihrer Aussteuerung am 20.11.2013 ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten zunächst 42 Tage arbeitsunfähig wegen einer nichtinfektiösen Gastroenteritis vom 25.11.2013 bis 05.01.2014, mithin wegen einer anderen Erkrankung. Weitere positive ärztliche Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit finden sich in der Übersicht der Beklagten (Bl. 23 der Verwaltungsakte) bis zum 03.11.2015 nicht. Im Rahmen eines Höherstufungsantrags bezüglich des Grades der Behinderung Anfang 2014 schilderte die Klägerin, unter chronischen Schmerzen zu leiden. Daher müsse sie regelmäßig starke Tabletten nehmen. So empfahl auch PD Dr. V., Chefarzt der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie des Krankenhauses R. der Klägerin in einem Arztbrief vom 16.12.2013 bei fortbestehenden Beschwerden bei Z. n. Spondylodeseoperation einen kurzzeitigen stationären Aufenthalt zur Durchführung einer Computertomografie zur Dokumentation der knöchernen Fusion sowie eine Infiltrationstherapie S1/L5. Am 13.02.2014 schilderte die Klägerin selbst ihrem Psychotherapeuten, seit Jahren an zunehmenden Schmerzen im Rücken zu leiden. Sie habe eine stark beschädigte Wirbelsäule und überdies Gleitwirbel und etliche Versuche zur Besserung unternommen. Ihre Arbeit als OP-Assistentin könne sie derzeit unmöglich ausüben, obwohl sie sich lange zusammengerissen habe. Ihre Schmerzen hätten jedoch ständig zugenommen (Bl. 29 der Schwerbehindertenakte). Hierauf nahm auch der Gerichtssachverständige Bezug, indem er durchgehende Arbeitsunfähigkeit für die körperlich anstrengende Arbeit als OP-Helferin (insb. Umlagern von Patienten) feststellte.
Insofern hat das Gericht auch berücksichtigt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Arbeitsunfähigkeit dann vorliegt, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte oder ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann (BSG, aaO). So hat der Sachverständige Dr. G. zur Überzeugung des Gerichts festgestellt, dass in Verbindung mit den neurologischen Störungen auch anzunehmen war, dass die Klägerin durch ihre Erwerbstätigkeit, die mit wechselnder Körperhaltung einherging, ihren Gesundheitszustand weiter gefährdete und ihre Wirbelsäulenerkrankung verschlimmerte. Mit Eintritt der Arbeitslosigkeit änderte sich der Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit, da die Klägerin als ungelernte Kraft tätig war. Doch auch hierfür attestierte der Gutachter zur Überzeugung des Gerichts durchgehende Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Schwere und Chronizität des Leidens der Klägerin. Insofern verweist das Gericht auf die ergänzenden Ausführungen des Gutachters vom 15.11.2017. Bei der Klägerin liege ein chronischer Schmerzzustand vor, den sie nur mit Targin, einem Morphiumderivat habe ertragen können. Ab dem 15.06.2015 war die Klägerin als angelernte medizinische Fachangestellte tätig im M. Eine sechsmonatige Arbeitsfähigkeit vermochte das Gericht hier nicht zu erkennen, da die Klägerin sich noch vor Ablauf der sechsmonatigen Befristung arbeitsunfähig meldete wegen der erneuten Wirbelsäulenbeschwerden.
Die vom Gesetz geforderte sechsmonatige Karenzzeit bis zum Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs konnte das Gericht aufgrund der nachvollziehbaren Aussagen und Wertungen des Gerichtssachverständigen nicht nachvollziehen.
Mithin war die Klage abzuweisen. Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden dazu gehört und waren hiermit einverstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.