Medizinrecht

Kein Anspruch auf Witwenrente aus Versorgungsehe von einer Dauer unter einem Jahr

Aktenzeichen  L 19 R 119/15

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 50 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedene Beweggründe für die Heirat schließen lassen. (Rn. 27)
2. Aus dem Vorhandensein eigener Einkünfte des hinterbliebenen Ehegatten lässt sich kein Beleg für das Vorhandensein von Beweggründen, die von einer Versorgungsabsicht verschieden sind, herleiten. (Rn. 29 – 31)

Verfahrensgang

S 8 R 687/14 2015-01-15 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15.01.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Witwenrente.
§ 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bestimmt, dass eine Witwe, die nicht wieder geheiratet hat, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf eine große Witwenrente hat, wenn die Witwe das 47. Lebensjahr vollendet hat und der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Die Klägerin ist die Witwe des am 19.02.2014 verstorbenen Versicherten C. M., der die allgemeine Wartezeit gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI erfüllt hatte. Sie hat nach dessen Tod auch nicht wieder geheiratet und war bei Antragstellung 52 Jahre alt. Damit besteht gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 SGB VI grundsätzlich ein Anspruch auf eine große Witwenrente.
Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI haben Hinterbliebene jedoch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles anzusehen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedene Beweggründe für die Heirat schließen lassen (BSG Urteil vom 05.05.2009 – B 13 R 55/08 R m.w.N. – nach juris).
Im Fall der Klägerin hat die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert, da die Ehe am 18.12.2013 geschlossen wurde und der Versicherte am 19.02.2014 verstorben ist. Damit hat die Klägerin nach § 46 Abs. 2a SGB VI grundsätzlich keinen Anspruch auf Witwenrente. Es gilt die gesetzliche Vermutung, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die Annahme eines anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Dabei sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles zu prüfen, die auf von der Versorgungsabsicht verschiedene Beweggründe für die Heirat schließen lassen. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles zu bewerten (BSG Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 134/08 R; BSG Urteil vom 05.05.2009 a.a.O., jew. nach juris).
Die Umstände sind nachzuweisen; die Beweislast trägt, wer die Hinterbliebenenrente beantragt – hier also die Klägerin (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 118 Rn. 6).
Aus dem Vorhandensein eigener Einkünfte des hinterbliebenen Ehegatten lässt sich kein Beleg für das Vorhandensein von Beweggründen, die von einer Versorgungsabsicht verschieden sind, herleiten. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass die Rechtsvermutung nur bei Witwen bzw. Witwern gelten soll, die ihrerseits keine oder nur eine nicht genügende Versorgung haben. Allenfalls kann das Vorhandensein eigener Einkünfte der Klägerin ein möglicher Hinweis darauf sein, dass der eventuellen Absicht des Versicherten, die Versorgung der Klägerin nach dem eigenen Tod sicherzustellen, kein größeres Gewicht zukommt. Dies rechtfertigt aber nicht schon die Annahme eines von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrundes für die Heirat.
Im Rahmen der Gewichtung der anderen Beweggründe im Verhältnis zu der vom Gesetz unterstellten Versorgungsabsicht ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VI nicht erfüllt. Doch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet – überwiegend oder zumindest gleichwertig – aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei abschließender Gesamtbewertung diejenigen besonderen – inneren und äußeren – Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Demgemäß steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme (Vermutung) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG vom 05.05.2009 und vom 06.05.2010 a.a.O.).
Der Klägerin und dem Versicherten ist nach der Schilderung der Klägerin bereits beim Verlassen der Klinik und nach dem Akteninhalt spätestens am 12.12.2013 nach der Besprechung beim Allgemeinarzt J. E. klar gewesen, dass für die Krankheit des Versicherten keine Heilungsaussicht mehr bestand und die Krankheit in absehbarer Zeit zum Tode führen werde. Die Behauptung einer Überlebensprognose von mehr als einem Jahr ist kein Umstand, der allgemein im Rahmen des § 46 Abs. 2a SGB VI als entgegenstehender Faktor zu berücksichtigen wäre. Beim Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung ist regelhaft vom Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 46 Abs. 2a SGB VI auszugehen. Eine relativ längerfristige Überlebensprognose wäre lediglich für die Bestimmung des Steigerungsgrades der besonderen im Einzelfall entgegenstehenden Gründe von Bedeutung. Die Klägerin konnte ihre Behauptung einer längeren Überlebensprognose für den Versicherten nicht belegen; eine solche war objektiv nicht gegeben und auch die Angaben des Hausarztes bestätigten dies nicht.
Die im Verlauf des Verfahrens vorgebrachte Behauptung, dass die Eheleute zum Zeitpunkt der Anmeldung zur Eheschließung keine Kenntnis vom Vorliegen der lebensbedrohlichen Erkrankung hatten, hat sich nicht bestätigen lassen. Vielmehr sprechen die Angaben der Klägerin und der behandelnden Ärzte zum Geschehensablauf und die Angaben des Standesamtes, wonach die Anmeldung zur Eheschließung am Vortag des Heiratstermins erfolgt sei, dagegen. Die Kenntnis des Versicherten vom Vorliegen einer zum Tode führenden Erkrankung wird von seinem Hausarzt bestätigt; dies sei von der Klinik, aber auch von ihm selbst Mitte Dezember 2013 so vermittelt worden. Dass auch die Klägerin darum wusste, ergibt sich schon aus ihren eigenen Angaben im Rentenantragsverfahren, was sich auch mit den tatsächlichen Geschehensabläufen deckt: Nachdem die Klägerin zuvor immer zögerlich auf Heiratspläne des Versicherten reagiert hatte, hat sie nun absolut kurzfristig in die Eheschließung eingewilligt.
Die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und die begrenzte Lebenserwartung des Versicherten waren für die Eheleute also klar gewesen. In einem solchen Fall ist es – wie oben angesprochen – nicht entscheidungserheblich, ob von den Ärzten prognostisch noch eine Überlebensdauer von einem Jahr für möglich angesehen wird oder nicht. Der Senat konnte sich unter Abwägung aller ärztlichen Ausführungen nicht davon überzeugen, dass die Eheleute mit Sicherheit davon ausgehen durften, dass der Versicherte trotz seiner Erkrankung länger als ein Jahr leben würde. Die lebensbedrohliche Erkrankung mit einer Überlebensperspektive von weniger als einem Jahr war als bedeutsames Faktum zu berücksichtigen.
Der im Verlauf des Verfahrens getätigte Vortrag der Klägerin, dass der Entschluss zur Eheschließung bereits deutlich vor dem tatsächlichen Heiratstermin erfolgt gewesen sei und deshalb auf diesen früheren Zeitpunkt und nicht auf das Datum der Eheschließung für die Beurteilung der gesundheitlichen Situation des Versicherten und der Kenntnis der späteren Eheleute vom Schweregrad der Erkrankung abzustellen sei, hat sich ebenfalls nicht bestätigen lassen. Es hat sich gezeigt, dass zwar eine langjährige Beziehung bestanden hatte, die jedoch ohne Verehelichung geführt worden war; die Dauer und Intensität der Beziehung belegen dabei gerade, dass eine langjährige erfüllte Beziehung auch ohne Eheschließung möglich gewesen war. Auch die vom verstorbenen Versicherten wohl schon seit längerer Zeit geäußerten Heiratswünsche haben nach dem aus der Akte ersichtlichen Sachverhalt keine hinreichend konkrete Hochzeitsvorbereitung ausgelöst gehabt. Zwar waren möglicherweise Personaldokumente in verschiedene Urlaube mitgenommen worden; es handelte sich aber nur um vorsorgliche Maßnahmen, um ggf. kurzfristig heiraten zu können, wozu es aber nicht gekommen ist. Die von der Klägerseite mit angebotenem Zeugenbeweis vorgebrachten Sachverhalte bzgl. Hochzeitsvorüberlegungen können sämtlich zu Gunsten der Klägerin als zutreffend unterstellt werden. Weder Gespräche über eine mögliche Hochzeitsvorbereitung noch Abwägungen zur Auswahl eines Brautkleides stellen eine nach außen belegte unmittelbare Hochzeitsvorbereitung von einem so ausreichenden Konkretisierungsgrad dar, dass anstatt auf das Datum der Eheschließung auf das frühere Datum der Hochzeitsfestlegung abzustellen wäre. Der Gedanke einer möglichen Heirat mag also zwar schon über einen längeren Zeitraum bei dem Versicherten und auch der Klägerin eine Rolle gespielt haben; er ist jedoch eben gerade immer wieder nicht verwirklicht und auch nicht konkret in Angriff genommen worden. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um ein Verschieben von einem angedachten Termin zum anderen, sondern nur um jeweils ziemlich vage Vorüberlegungen. Der tatsächliche Ablauf der Hochzeit war dann auch ein völlig anderer als in den Vorüberlegungen angenommen. Insofern ist für die Beurteilung der gesundheitlichen Verhältnisse und der Kenntnis der Eheleute über den Schweregrad der Erkrankung zutreffend auf das Datum der Eheschließung bzw. das Datum der Anmeldung beim Standesamt am Vortag abzustellen gewesen.
Auch das Vorliegen einer Liebesbeziehung reicht allein nicht aus, die Vermutung über das Vorliegen einer Versorgungsehe zu erschüttern, wenn die vorliegende schwere und akut lebensbedrohliche Erkrankung den Nachweis besonderer Gründe erforderlich macht (vgl. BayLSG Urteil vom 20.04.2011 – L 20 R 20/09 – nach juris). Eine Liebesbeziehung ist ein üblicherweise mit einer Eheschließung verbundener Grund und kann nicht den hier geforderten besonderen Grund darstellen.
Von der Versorgungsabsicht unterschiedene, zumindest gleichwertige andere Gründe für die Eheschließung hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Besondere Gründe – über die von der Klägerin angeführten Gründe hinaus – sind nicht geltend gemacht worden und nicht ersichtlich.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.04.2015 ist somit unbegründet; die Entscheidung des Gerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Witwenrente.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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