Medizinrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsverboten – Hepatitis B

Aktenzeichen  Au 4 K 18.30594

Datum:
10.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24278
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3

 

Leitsatz

1 Hepatitis B ist in Sierra Leone behandelbar. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die für eine Behandlung von Hepatitis B nötigen Medikamente sind in Sierra Leone nach dortigen Maßstäben eher preisgünstig. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen im Wege des Asylfolgeantrags durchsetzbaren Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG. Der Bescheid vom 19. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Das Gericht folgt insgesamt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ferner ist auszuführen: In Bezug auf die beim Kläger diagnostizierte und behandelte chronische Hepatitis B vermag das Gericht den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Briefen weder im Einzelnen noch im Wege einer Gesamtschau eine Änderung der Sachlage und auch kein neues Beweismittel gem. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, § 51 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 VwVfG zu entnehmen. Eine chronische Hepatitis B ist beim Kläger bereits vor Ergehen des Bescheids im Asylerstverfahren (Bescheid vom 27.7.2011) diagnostiziert worden (Attest vom 21.1.2011, vorgelegt im Verfahren Au 7 K 11.30322). Auch im Verwaltungsstreitverfahren betreffend das Asylerstverfahren ist diese Erkrankung vom Kläger angeführt worden (vgl. u.a. ärztliches Attest vom 22.11.2011, vorgelegt im Verfahren Au 7 K 11.30322 mit Schriftsatz vom 24.11.2011).
In den ärztlichen Attesten vom 21. Januar 2011 und vom 22. November 2011 – auf die der Kläger seinen Asylerstantrag unter anderem gestützt hat – ist ausdrücklich von einer „dringenden“ bzw. „eindeutigen“ Behandlungsindikation die Rede. Bereits im Attest vom 21. Januar 2011 ist von „Therapiekosten“ (und damit folglich von der Notwendigkeit einer Therapie) in Höhe von 530,- EUR bis 650,- EUR monatlich die Rede. Damit hat der Kläger bereits vor über 7 ½ Jahren der Sache nach die gleichen Gründe (Behandlungs-, bzw. Therapiebedürftigkeit; Kosten) für ein gesundheitsbezogenes Abschiebungsverbot geltend gemacht wie im vorliegenden Verfahren (vgl. insbesondere Arztbrief vom 2.8.2018: „2016 wurde bei dringender Indikation eine Therapie mit Entecavir begonnen“), wobei die seinerzeit veranschlagten Kosten sogar höher angesetzt wurden als in den jetzt vom Kläger vorgelegten Arztbriefen (1.125,- EUR für drei Monate, vgl. Arztbrief vom 2.8.2018).
Ebenso ist die chronische Hepatitis B Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffend den ersten Folgeantrag des Klägers gewesen (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.5.2016 – Au 4 K 16.30198 – Rn. 60 ff.), wobei schon seinerzeit ein Schreiben des Klinikums Augsburg (vom 4.4.2016; Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 15.4.2016) vorgelegt wurde, welches von einer Therapie mit Entecavir (seit 2.4.2016) berichtet. Demzufolge hat sich das Verwaltungsgericht in dem genannten Urteil mit den entsprechenden Aussagen des Klinikums Augsburg auseinandergesetzt und ausgeführt, dass sich hieraus kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ergibt. Welche geänderten bzw. neuen Erkenntnisse sich aus den im jetzigen Folgeverfahren vorgelegten Schreiben des Klinikums Augsburg ergeben sollen, ist weder näher dargetan noch ersichtlich.
Zwar enthalten die nunmehr vorgelegten ärztlichen Schreiben auch Angaben dazu, in welcher Form sich das Fortschreiben der Lebererkrankung manifestieren könne. Diese Aussage dürfte jedoch insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass das Verwaltungsgericht Augsburg entsprechende Aussagen in dem im ersten Folgeverfahren vorgelegten Attest vermisst hat; wieso jedoch diese Angaben – sollten sie für ein gesundheitsbezogenens Abschiebungsverbot von wesentlicher Bedeutung sein – nicht bereits in den ärztlichen Attesten des ersten Folgeverfahrens enthalten waren, erschließt sich nicht (vgl. auch § 51 Abs. 2 VwVfG). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht seine Annahme, dass sich aus dem vorgelegten Schreiben des Klinikums Augsburg kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG ergibt, auch auf weitere Gründe gestützt; inwieweit insofern neue oder geänderte Tatsachen vorliegen, erschließt sich ebenfalls nicht.
Erstmals im Arztbrief vom 27. August 2018 wird der Versuch einer Erläuterung unternommen, weshalb 2011 „keine Therapie der HBV“ erforderlich gewesen, jedoch seit 2016 eine Behandlung mit Entecavir erforderlich sei. Im Verhältnis zum bereits rechtskräftig abgeschlossenen ersten Folgeantrag stellt dies jedoch keine Änderung der Sachlage dar, da – wie ausgeführt – dort bereits die beim Kläger nunmehr durchgeführte Behandlung berücksichtigt wurde. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, weshalb in dem Arztbrief vom 27. August 2018 von der fehlenden Therapiebedürftigkeit im Jahr 2011 ausgegangen wird, wenn der Kläger – wie ebenfalls bereits ausgeführt – im Asylerstverfahren mehrere ärztliche Atteste vorgelegt hat, aus denen sich eine „eindeutige“ Behandlungs- bzw. Therapieindikation ergab. Überdies erschließt sich dem Gericht auch insoweit nicht, weshalb diese Erklärung – sollte sie für ein gesundheitsbezogenens Abschiebungsverbot von wesentlicher Bedeutung sein – nicht längst in das Verfahren – spätestens im Rahmen des ersten Asylfolgeantrags – eingeführt worden ist.
Nichts anderes folgt daraus, dass der Kläger während des Asylerstverfahrens wohl bei einem „Leberspezialisten“ vorgestellt wurde und im Anschluss eine „Therapiemöglichkeit bzw. -notwendigkeit“ nicht gesehen wurde (ärztliches Attest vom 11.5.2012, vorgelegt durch den damaligen Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16.5.2012). Es erschließt sich nicht, weshalb trotz der nur wenige Monate zuvor ärztlicherseits geltend gemachten „Dramatik“ der Krankheitssituation (dringende Therapiebedürftigkeit) nahezu unvermittelt praktisch das Gegenteil angeführt wird, zumal in dem ärztlichen Attest nicht einmal von der Notwendigkeit einer regelmäßigen Kontrolle hinsichtlich einer Therapiebedürftigkeit die Rede ist. Auch das ärztliche Schreiben vom 27. August 2018 enthält bezüglich dieser vollkommen widersprüchlichen ärztlichen Bewertung keine Erklärung.
Insgesamt fällt auf, dass die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Schreiben wiederholt nach und nach um die Elemente ergänzt werden, die das Gericht bzw. das Bundesamt in ihren Entscheidungen als fehlend bzw. nicht dargelegt angesehen hat. Es wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass die vom Kläger – seit dem Asylerstverfahren ab November 2010 – mit einer Hepatitis B-Erkrankung befassten Ärzte in der Lage gewesen wären, eine etwaige Krankheitsschwere, die die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot erfüllt (einschließlich etwaiger diesbezüglicher Veränderungen im Krankheitsbild), sogleich in einer ärztlichen Beurteilung darzutun. Dies ist nicht geschehen. Vielmehr liegen zum Teil widersprüchliche, zum Teil erst nach und nach um für das klägerische Begehren günstige Informationen ergänzte ärztliche Aussagen vor. Insoweit ist nach wie vor nicht hinreichend erkennbar, dass die Erkrankung des Klägers i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lebensbedrohlich oder schwerwiegend sein kann und sich durch bzw. in Folge einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Im Übrigen ist in dem streitgegenständlichen Bescheid nachvollziehbar ausgeführt, dass nach aktueller Auskunftslage (Auskunft Botschaft Accra vom 26.9.2017, Bl. 16 f. Bundessamtsakte) Hepatitis B in Sierra Leone behandelbar ist Soweit der Kläger darauf verwiesen hat, dass dies nach einem Bescheid des Bundesamts vom 6. Mai 2013 nicht der Fall sei, besteht kein Widerspruch, sondern liegt entgegen § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, § 51 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 VwVfG zu Lasten des Asylantrags eine Änderung der Sachlage bzw. ein neues Beweismittel vor, nachdem der vom Kläger vorgelegte Bescheid offenbar auf einer Auskunft vom 30. März 2011 beruht. Da zwischen beiden Auskünften über sechs Jahre liegen, erscheint eine derartige Änderung bzw. Verbesserung auch insoweit nachvollziehbar. Das Gericht vermag auch dem Einwand der Klägerseite nicht zu folgen, die Botschaft Accra (Ghana) könne die Lage in Sierra Leone nicht zuverlässig beurteilen. Dem Gericht ist aus anderen Auskunftsersuchen bekannt, dass die Botschaft Accra, soweit erforderlich, einen Regionalarzt einschaltet, der gegebenenfalls für mehrere Länder zuständig ist und Ermittlungen anstellt. Sollte die Botschaft gleichwohl eine Frage nicht oder nicht zuverlässig beantworten können, ist anzunehmen, dass dies in der Beantwortung des Auskunftsersuchens entsprechend festgehalten wird, wie dies auch immer wieder festzustellen ist. Dies ist jedoch in der genannten Auskunft nicht geschehen; vielmehr ist die Auskunftserteilung substantiiert und zu etlichen Aspekten auch detailreich erfolgt. Vor diesem Hintergrund regelmäßig vor Ort getroffener Feststellungen und angesichts der besonderen Aussagekraft, die amtlichen Auskünften regelmäßig zuzumessen ist, ist das Gericht nicht von der Richtigkeit der klägerseits über den behandelnden Arzt von der Arzneimittelfirma eingeholten Angabe überzeugt, das Medikament Baraclude sei in Sierra Leone nicht erhältlich. Daneben geht die Auskunft vom 26. September 2017 selbst davon aus, dass – was gerade angesichts § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG unschädlich ist – Medikamente bei einer Behandlung von Hepatitis B teilweise importiert werden müssen. Auch seien Generika verfügbar. Zu diesen Gesichtspunkten erhält die klägerseits eingeholte Auskunft keine (entgegenstehenden) Angaben.
Soweit der Kläger geltend macht, bei ihm sei es mit einer Einnahme der Medikamente nicht getan, vermag dies die genannte Beurteilung nicht in Zweifel zu ziehen. Den vom Kläger vorgelegten Arztbriefen lässt sich entnehmen, dass die Therapie ganz vorwiegend in einer Medikation besteht (vgl. zuletzt ärztliches Schreiben vom 27.8.2018: „Fortsetzung der Therapie mit Entecavir“); jedenfalls ist davon auszugehen, dass mit einer Medikation sichergestellt ist, dass sich die Krankheit des Klägers i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht wesentlich verschlechtern würde. Daneben spricht die genannte Auskunft vom 26. September 2017 ganz allgemein davon, dass eine Behandlung von Hepatitis B in Sierra Leone möglich sei. Eine Gleichwertigkeit der medizinischen Versorgung mit der hiesigen ist nicht erforderlich (vgl. nochmals § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger eine Behandlung seiner Krankheit in Sierra Leone finanzieren könnte. Nach der genannten Auskunft sind die nötigen Medikamente nach dortigen Maßstäben eher preisgünstig; ihr Erwerb stellt keine außergewöhnliche Belastung dar. Insofern kommt es auf die vom Kläger für Deutschland mitgeteilten Behandlungskosten nicht an (vgl. erneut § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Der Kläger ist – nach Angaben der von ihm vorgelegten Arztbriefe – erst 26 Jahre alt; die Behandlungsbedürftigkeit seiner Hepatitis B schließt eine Erwerbstätigkeit – auch durch Gelegenheitsarbeiten – nicht aus. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung verfügt er auch noch über Familie in Sierra Leone (Mutter; Geschwister). Dem Kläger ist zuzumuten, wenn nötig – gegebenenfalls durch Vermittlung über den Vater – den Kontakt zu seiner in Freetown lebenden Mutter zu suchen und hierzu den nach seinen Angaben immer noch bestehenden Zorn auf die Mutter zu überwinden. Über die Mutter könnte er in Kontakt zu seinen Geschwistern treten. Insofern ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr, von nötig, von familiärer Unterstützung ausgeschlossen wäre (vgl. dazu Auskunft vom 26.9.2017, vorletzter Absatz). In der mündlichen Verhandlung betreffend den Asylerstantrag hat der Kläger außerdem angegebenen, dass ihn Freunde und die Nachbarschaft unterstützt und ihm Essen gegeben hätten. Ob der Kläger von seinem Vater unterstützt werden könnte, ist daher unerheblich.
Soweit der Kläger zur Begründung seines Asylfolgeantrags Atteste hinsichtlich psychischer Erkrankungen (insbesondere einer posttraumatischen Belastungsstörung) vorgelegt hat, ist darauf zu verweisen, dass das Verwaltungsgericht sich mit den entsprechenden Fragestellungen in seinen vorangegangenen Urteilen vom 15. Juni 2012 (Au 7 K 12.30023) sowie vom 13. Mai 2016 (Au 4 K 16.30198) ausführlich befasst hat; worin eine Änderung der Sachlage oder neue Beweismittel oder auch nur Umstände liegen könnten, die eine andere Bewertung rechtfertigen könnten, ist nicht ersichtlich.
Die Klage war nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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